Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1810 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Axel Miesner (CDU), eingegangen am 11.06.2014 Neue Energie: „Polen schiebt deutschem Strom den Riegel vor“ Die Zeitschrift Neue Energie (Ausgabe 04/2014) informiert über die Umsetzung einer ab „Ende 2015“ verstärkten Regulierung des aus Deutschland stammenden „Erneuerbaren-Strom“. Grund sei der gerade von Norddeutschland aus nach Polen „abfließende“ Strom aus Windkraftanlagen, der zur Instabilität im polnischen Stromnetz führe. Realisiert werden solle diese Maßnahme laut Neue Energie über die Installation von zwei „Phasenschiebertransformatoren“. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung die Installation der „Phasenschiebertransformatoren“ vor dem Hintergrund des weiteren Ausbaus der Windkraftanlagen und der sich abzeichnenden Einschränkungen beim „Stromexport“? 2. Welche Kosten entstehen dem Verbraucher durch Abschaltungen von Windkraftanlagen, die sich durch einen (europaweiten) Netzausbau vermeiden ließen? 3. Welchen Beitrag kann der geplante Ausbau der europäischen Stromnetze („PCI-Projekte“) leisten, um auf der einen Seite Instabilitäten im Netz benachbarter Länder und auf der anderen Seite Abschaltungen von Windkraftanlagen zu vermeiden? 4. Gibt es inzwischen Planungen auf europäischer Seite und hier vor allem zwischen den Ländern Deutschland und Polen für einen „netzstabilen“ Stromtransport? (An die Staatskanzlei übersandt am 17.06.2014 - II/725 - 784) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 17.07.2014 für Umwelt, Energie und Klimaschutz - Ref17-01425/17/7/11-0033 - Der Ausbau der Energienetzinfrastruktur ist eine Aufgabenstellung, die die gesamte Gesellschaft in Europa betrifft. Daher ist die Zusammenarbeit der europäischen Übertragungsnetzbetreiber sowie der europäischen Regulierungsbehörden angesichts des wachsenden Energiebinnenmarktes notwendig . Der Verband der europäischen Strom-Übertragungsnetzbetreiber (European Network of Transmission System Operators for Electricity), in dem Übertragungsnetzbetreiber aus 34 Staaten zusammenarbeiten, hat die Aufgabe, alle zwei Jahre einen gemeinsamen Netzentwicklungsplan für den Strom zu entwickeln und zu veröffentlichen. Im sogenannten Ten Year Network Development Plan (TYNDP) wird der künftige Netzausbaubedarf für einen Zeitraum von etwa zehn Jahren ermittelt. Schwerpunkte bilden der Ausbau von grenzüberschreitenden Übertragungsleitungen und das Beheben von Engpässen im Übertragungsnetz . Die Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (European Agency for the Cooperation of Energie-Regulators [ACER]) überprüft und bewertet die europäischen Netzentwicklungspläne. Diese sollen im Einklang mit den nationalen Netzentwicklungsplänen (NEP) stehen. 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1810 Die seit Juni 2013 geltende Verordnung ([EU] Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates) zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur (TEN-E VO) soll zum Erreichen der energiepolitischen Ziele der EU und zu einem funktionierenden Energiebinnenmarkt mit hoher Versorgungssicherheit beitragen. Vorrangiges Ziel ist es, die Energieinfrastruktur in der EU schnell zu modernisieren und auszubauen. Gleichzeitig sollen die Entwicklung der erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz gefördert werden. Zu diesem Zweck legt die TEN-E VO Maßnahmen und Instrumente fest, um die Genehmigungsverfahren für Energieinfrastrukturvorhaben zu beschleunigen und einen Regulierungsrahmen zu setzen, der Anreize für Investitionen bietet. Die TEN-E-Leitlinien bilden somit einen strategischen Rahmen für die langfristigen Vorstellungen der Europäischen Union im Bereich der Energieinfrastrukturen und führen das Konzept der Vorhaben von gemeinsamem Interesse (Projects of Common Interest [PCI]) ein, wobei der TYNDP die Grundlage bildet. Hierzu werden aus den zumeist national bereits als notwendig identifizierten Netzausbauprojekten der Energieinfrastruktur einzelne Projekte als PCI gekennzeichnet. Hierbei handelt es sich um Netzausbauprojekte, durch deren Realisierung bestehende Lücken in der Infrastruktur des europäischen Energienetzes geschlossen und so die europäischen Ziele der Energieversorgungssicherheit und der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht werden können. Zu den weiteren Kriterien für PCI zählen der wirtschaftliche, der soziale und der ökologische Nutzen der Vorhaben sowie positive energiewirtschaftliche Auswirkungen des Vorhabens auf mindestens zwei Mitgliedstaaten . Am 14. Oktober 2013 verabschiedete die Europäische Kommission eine Liste mit 248 Energieinfrastrukturprojekten davon rund 140 Projekte im Bereich der Stromübertragung und -speicherung. Darunter sind 15 Vorhaben der Stromübertragung und -speicherung von gemeinsamem Interesse in Deutschland und vier in Polen aufgeführt. Ausgewählt wurden diese Projekte von zwölf regionalen Gruppen, die gemäß den TEN-E-Leitlinien eingesetzt worden sind. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Die Installation der Phasenschiebertransformatoren auf den grenzüberschreitenden Stromleitungen (Interkonnektoren) nach Polen ist eine erste Reaktion auf unzureichende Netzkapazitäten in Deutschland. Durch die Einspeisung erneuerbarer Energien aus volatiler Erzeugung im Norden Deutschlands entstehen abhängig von der jeweiligen Wetterlage hohe temporäre Lastflüsse, die, dem Weg des geringsten Widerstands folgend, ungeplant den Umweg über das polnische und tschechische Netz in das süddeutsche Netz nehmen, wenn keine ausreichenden Übertragungsmöglichkeiten im deutschen Netz zur Verfügung stehen. Diese Ringflüsse belasten die polnischen Übertragungsnetze überdurchschnittlich, haben Einfluss auf die polnische Versorgungsplanung und somit auch auf die Netzstabilität. Durch den abgestimmten Einsatz von Phasenschiebertransformatoren können als erste Maßnahme grenzüberschreitende Stromflüsse besser gesteuert werden, was zur Stärkung der Netzstabilität in Polen beiträgt. Diese Einrichtung ermöglicht zukünftig ein abgestimmtes Handeln zwischen dem polnischen Übertragungsnetzbetreiber PSE und dem für die östliche deutsche Netzzone zuständigen Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz, in deren Folge zukünftig geregelte Stromexporte nach Polen ermöglicht werden. Der polnische Übertragungsnetzbetreiber hatte nach Angaben von 50Hertz keine kommerziellen Importe aus Deutschland mehr zugelassen . Der Einsatz der Phasenschiebertransformatoren, die als Vorhaben sowohl im NEP 2013 als Ausbaumaßnahme unter P128 als auch in der Liste der für den europäischen Netzausbau wichtigen PCI aufgeführt sind, kann lediglich als erste Übergangsmaßnahme betrachtet werden, die flankiert wird durch weitere Ländergrenzen überschreitende Vorhaben, welche ebenfalls im NEP 2013 und als PCI aufgeführt sind (siehe Antwort zu Frage 4). Der liberalisierte europäische Strommarkt sichert allen Erzeugern einen gleichberechtigten Zugang zum Stromnetz, der diskriminierungsfrei sein muss. Im deutschen Netz schreibt das ErneuerbareEnergien -Gesetz (EEG) durch den Einspeisevorrang die bevorrechtigte Einspeisung erneuerbarer Energien vor. Die Kriterien einer sachgerechten Abschaltreihenfolge z. B. bei Netzengpässen sind in § 8 EEG und § 13 Energiewirtschaftsgesetz enthalten. Danach müssen Netz- und Systemsicherheitsaspekte bei der Abregelung von konventionellen Kraftwerken beachtet werden. Konventionelle Kraftwerke in einem Netzverbund können bevorzugt nur so weit abgeregelt werden, dass ein siche- 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1810 rer Netzbetrieb mit bevorrechtigter Erneuerbarer-Energien-Einspeisung noch möglich ist. Das bedeutet , dass in Gebieten mit hoher Erneuerbarer-Energien-Einspeisung und einer geringen Zahl an konventionellen Regelpunkten bei Netzengpässen die Abregelung der Erneuerbare-Energien-Anlagen gezwungenermaßen erfolgt. Eine stärkere Abregelung der konventionellen Einspeisung, mit dem Ziel bestimmte Erzeugungsformen zurück zu drängen, ist bei der gegenwärtigen Rechtslage, insbesondere aufgrund der europarechtlichen Vorgaben, nicht zulässig. Die Abregelung von Stromerzeugungsanlagen aus erneuerbaren Energien lässt sich nur relevant reduzieren, wenn die PCI auf europäischer Ebene und die Maßnahmen des deutschen Netzentwicklungsplans zügig umgesetzt werden. Zu 2: Im Rahmen der Einspeisemanagementmaßnahmen nach § 11 EEG wurden im Bundesgebiet 2012 von den Netzbetreibern insgesamt 384,8 Gigawattstunden (GWh) abgeregelt (358,5 GWh Windenergie , 16,1 GWh und 10,2 GWh sonstige Energieträger). Dabei wurden von den Netzbetreibern nach § 12 EEG insgesamt 33,1 Mio. Euro als Entschädigung an die Anlagenbetreiber gezahlt. Nach § 12 Abs. 1 EEG kann der Netzbetreiber die Entschädigungskosten bei der Ermittlung der Netzentgelte in Ansatz bringen, soweit die Maßnahme erforderlich war und er sie nicht zu vertreten hat. In dem Strompreis, den der Verbraucher zahlt, sind anteilig die Netzentgelte der Netzbetreiber enthalten. Die genannten Zahlendaten wurden von der Bundesnetzagentur (BNetzA) erhoben und ausgewertet . Die Zahlen für 2013 sind von der BNetzA noch nicht ausgewertet worden. Da die Regelungszonen der Verteil- und Übertragungsnetzbetreiber nicht deckungsgleich mit den Ländergrenzen sind, lassen sich nach Angaben der BNetzA gesicherte Zahlen für einzelne Bundesländer nicht plausibel ermitteln. Zu 3: Die PCI sind von den europäischen Mitgliedstaaten, Regulierungsbehörden, Übertragungsnetzbetreibern und Vorhabenträgern nach gemeinsamen, transparenten und objektiven Kriterien erarbeitet und identifiziert worden. Die betreffenden Vorhaben sollen einen Beitrag zur Marktintegration, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit in Europa leisten. Der wirtschaftliche, soziale und ökologische Nutzen soll für mindestens zwei EU-Mitgliedstaaten zur Geltung kommen. Diese europaweit abgestimmten Vorhaben schaffen somit langfristig höhere und damit sichere Stromtransportkapazitäten zwischen und in den einzelnen Ländern. Das zukünftig höhere Austauschvolumen kann dazu beitragen, Abregelungen von Windkraftanlagen bei windstarken Zeiten zu reduzieren. Ziel der geplanten Netzausbaumaßnahmen in Deutschland ist es, derartige Abregelungen zukünftig stärker zu vermeiden. Zu 4: Auf Basis der TEN-E VO sind von den Übertragungsnetzbetreibern der einzelnen Staaten über den Verband der europäischen Strom-Übertragungsnetzbetreiber PCI vorgeschlagen worden, durch deren Realisierung bestehende Lücken in der Infrastruktur des europäischen Energienetzes geschlossen und so die europäischen Ziele der Energieversorgungssicherheit und der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht werden können. Neben der Installation der Phasenschiebertransformatoren an den Stromverbindungsleitungen zwischen Deutschland und Polen sind weitere Ländergrenzen überschreitende Netzausbaumaßnahmen geplant, welche im nationalen NEP 2013 unter 50HzT-003 und 50HzT-011 aufgeführt sind. Sie wurden auch im TYNDP und als PCI in der Liste der Europäischen Projekte unter den beschriebenen Kriterien mit aufgenommen. Die Maßnahmen sehen neben Netzverstärkung und -ausbau im grenznahen Gebiet auf deutscher Seite den Neubau des Interkonnektors Vierraden–Krajnik in die bestehende Trasse mit einer höheren Betriebsspannung von 380 kV und die Errichtung eines dritten Interkonnektors zwischen Eisenhüttenstadt und Gubin (Plewiska) vor. Durch die Netzausbaumaßnahmen wird neben der Erhöhung der Importkapazität nach Polen auch eine verbesserte Systemsicherheit im europäischen Netzverbund erreicht. Stefan Wenzel 3 (Ausgegeben am 24.07.2014) Drucksache 17/1810 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Axel Miesner (CDU), eingegangen am 11.06.2014 Neue Energie: „Polen schiebt deutschem Strom den Riegel vor“ Antwort der Landesregierung