Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1818 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Martin Bäumer, Mechthild Ross-Luttmann und Adrian Mohr (CDU), eingegangen am 05.06.2014 Fracking in Niedersachsen durch die Hintertür? In der Pressemitteilung Nr. 125 vom 12.05.2014 „Niedersachsen und Schleswig-Holstein wollen Reform des Bundesbergrechts“ des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (MW) steht: „Niedersachsen will Erdgasförderung aus unkonventionellen Lagerstätten (Schiefergas ) gesetzlich ausschließen, jedoch die Erdgasförderung aus tiefem Sandgestein - unter strengeren Umweltauflagen - fortsetzen.“ In der gleichen Pressemitteilung positioniert sich der schleswig -holsteinische Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, Dr. Robert Habeck, wie folgt: „Wir brauchen Fracking nicht, wir wollen Fracking nicht.“ Die Cellesche Zeitung vom 13.05.2014 zitiert Minister Lies in dem Artikel „Lies will Blockade brechen “ mit diesem Satz: „Wir wollen Erdgasförderung in Niedersachsen.“ In dem Artikel „Bohren um jeden Preis“ der Süddeutschen Zeitung vom 12.05.2014 wird über die Antwort des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI) auf eine Anfrage der Grünen berichtet. Darin heißt es: „Für die Entscheidung, ob und falls unter welchen Bedingungen aus einer Lagerstätte Erdgas gefördert werden kann, ist die Klassifizierung als konventionell oder unkonventionell zunehmend unerheblich.“ Unter dem Titel „Fracking in Deutschland durch die Hintertür?“ beschäftigte sich ein Artikel in der Welt am 14.05.2014 u. a. mit der Fragestellung, worin sich Fracking in konventionellen von Fracking in unkonventionellen Lagerstätten unterscheide. Es wird ausgeführt, dass der Hydrogeologe Uwe Dannwolf vom Consultingunternehmen RiskCom in Pforzheim keine grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Methoden sehe. Daher halte er es für wenig sinnvoll, bei der Risikoabschätzung zwischen diesen beiden zu unterscheiden. Auch habe die Europäische Kommission von den Begriffen bereits Abstand genommen und den Begriff „Hochvolumen-Fracking“eingeführt. Für solche großen Maßnahmen mit mehr als 10 000 m3 Wasser fordere Brüssel besondere Sicherheitsauflagen . Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Ist die Äußerung von Minister Habeck in der Pressemitteilung des niedersächsischen MW so zu verstehen, dass er jede Form von Fracking ablehnt? 2. Sind sich der niedersächsische Wirtschaftsminister und der schleswig-holsteinische Umweltminister hinsichtlich der künftigen Zulässigkeit von Frackingmethoden einig? 3. Wenn nein, in welchem Bereich bestehen Differenzen zwischen den beiden Ministern? 4. Wie beurteilt die Landesregierung die Aussagen des BMWI, eine Unterscheidung in konventionelles und unkonventionelles Fracking sei zunehmend unerheblich? 5. Wie beurteilt die Landesregierung die Aussagen des Hydrogeologen Uwe Dannwolf, er sehe keine grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Methoden? 6. Was bedeutet der Begriff „Hochvolumen-Fracking“? 7. Wie steht die Landesregierung zu dessen Einführung durch die Europäische Kommission? 9. Wird die Landesregierung diesen Begriff künftig verwenden? 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1818 10. Welche Folgen hätte ein Verzicht auf die Unterscheidung zwischen konventionellem und unkonventionellem Fracking für den in Niedersachsen geplanten Erlass, der sich ausschließlich auf konventionelles Fracking bezieht? 11. Hätte der Verzicht auf diese Unterscheidung zur Folge, dass künftig auch unkonventionelles Fracking in die Regelungen des geplanten Erlasses einzubeziehen wäre? (An die Staatskanzlei übersandt am 12.06.2014 - II/725 - 781) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 22.07.2014 für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Z3-01424/0020/781/Fracking - Die heimische Erdöl- und Erdgasförderung in Deutschland findet nahezu ausschließlich in den Bundesländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein statt. Obwohl in den letzten Jahren aufgrund der natürlichen Erschöpfung der Lagerstätten ein deutlicher Förderrückgang zu verzeichnen war, werden von der Industrie sowohl in Niedersachsen als auch Schleswig-Holstein noch unerschlossene Erdöl- und Erdgasvorkommen vermutet. Neben den Lagerstätten, die bereits seit mehreren Jahren und Jahrzehnten in der Förderung stehen, wächst dabei das Interesse der Industrie, zukünftig auch Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten zu erschließen. Bei diesen Lagerstätten handelt es sich um Tongestein mit hohen Gehalten an organischer Substanz (Schiefergas) oder um Kohleflöze (Kohleflözgas), in denen sich Erdgas gebildet hat (sogenanntes Muttergestein) und bis heute in den Gesteinsporen eingeschlossen ist. Im Gegensatz zu konventionellen Lagerstätten fand dabei keine Migration in sogenannte Speichergesteine statt, deren Speicherfähigkeit über Jahrmillionen nachgewiesen ist (z. B. Tightgas-Lagerstätten). Unkonventionelle Lagerstätten liegen zudem vergleichsweise oberflächennah und können ohne vorherige Behandlung (Fracking) nicht erschlossen werden. Erst nachdem unter hohem hydraulischem Druck und Verwendung umwelttoxischer Substanzen künstliche Risse innerhalb der Lagerstätte geschaffen wurden, ist eine Förderung von Erdgas technisch und wirtschaftlich realisierbar. Die Anwendung dieser Technologie in unkonventionellen Lagerstätten in Verbindung mit umwelttoxischen Substanzen ist jedoch sehr umstritten und hat zu kontroversen Diskussionen in der Öffentlichkeit sowie der Wissenschaft geführt, in deren Mittelpunkt eine mögliche Beeinträchtigung von Grund- und Trinkwasser steht. Aufgrund derzeit nicht abschätzbarer Risiken für das Grund- und Trinkwasser lehnt die Landesregierung die Erschließung und Nutzung von unkonventionellen Lagerstätten mittels Fracking unter Einsatz umwelttoxischer Substanzen ab. Um diese ablehnende Haltung rechtssicher umzusetzen, haben sich der Wirtschaftsminister Niedersachsens Olaf Lies und der Umweltminister Schleswig-Holsteins Robert Habeck am 12.05.2014 in Hannover auf ein gemeinsames Vorgehen im Bundesrat zur Anpassung der maßgeblichen Rechtsvorschriften verständigt. Darüber hinaus wurde vereinbart, weitere Aspekte rund um die Themen Erdgasförderung und Fracking zu prüfen, um bei bestehenden Schnittmengen auch hier ein gemeinsames Handeln im Bundesrat sicherzustellen. Dabei wurden folgende Eckpunkte für eine gemeinsame Bundesratsinitiative identifiziert: – Verbot von Fracking-Maßnahmen in unkonventionellen Lagerstätten unter Einsatz umwelttoxischer Substanzen, – Stärkung der Beteiligungsrechte für Gemeinden bei Verfahren zur Erteilung von Bergbauberechtigungen , – Schaffung von Möglichkeiten zu räumlichen Beschränkungen von Bergbauberechtigungen. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1818 Losgelöst davon wird Niedersachsen aufgrund der nachvollziehbaren öffentlichen Bedürfnisse nach einer frühen Bürgerbeteiligung und nach einer stärkeren Berücksichtigung von Umweltschutzbelangen eigene Bundesratsinitiativen auf den Weg bringen. Die Kernziele dieser Initiativen sind: – Einführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für sämtliche Fracking-Vorhaben und für die Versenkung von Lagerstättenwasser mit dem Zweck der dauerhaften Entsorgung sowie die Einführung einer UVP-Vorprüfung für sämtliche Tiefbohrungen ab 1 000 m Teufe, – Verbesserung der Rechtsposition von Bergbaugeschädigten durch die Ausweitung des Bergschadensrechts (Beweislastumkehr) auf die Bereiche Bohrlochbergbau und Betrieb von Kavernenspeichern , – Verbot von Fracking und der unterirdischen Entsorgung von Lagerstättenwasser in Wasserschutz - und Heilquellenschutzgebieten sowie in sonstigen Gebieten, in denen Trink- oder Mineralwasser gewonnen werden, – Klarstellung, dass mit der Aufsuchung und Förderung von Erdgas und der Versenkung von Lagerstättenwasser ein Eingriff in den Wasserhaushalt verbunden ist und damit ein wasserrechtliches Erlaubnisverfahren erfordert. Abschließend ist anzumerken, dass es der Landesregierung nicht zusteht, die Aussagen bzw. die Haltung von Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck zum Thema Fracking zu bewerten bzw. zu interpretieren Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Die Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 12.05.2014 informiert darüber, dass beide Minister die Erdgasförderung mittels Fracking aus unkonventionellen Lagerstätten unter Einsatz umwelttoxischer Substanzen ablehnen. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Zu 2 und 3: Die Fragen 2 und 3 werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Die Landesregierung lehnt Fracking-Vorhaben zur Erdgasförderung aus unkonventionellen Lagerstätten ab. Fracking-Maßnahmen kommen jedoch nicht nur bei der Gewinnung unkonventioneller Erdgasvorkommen zum Einsatz, sondern sind im Regelfall auch zur Erschließung tief liegender Sandsteinlagerstätten (Tightgas) erforderlich. Die Landesregierung hält angesichts der jahrzehntelangen Erfahrungen bei der Förderung von Erdgas aus Tightgas-Lagerstätten, verbunden mit der Anwendung der Fracking-Technologie, sowie dem prognostizierten Förderpotenzial eine Nutzung dieser Energieressource für sinnvoll, und beabsichtigt daher die Tightgas-Förderung unter sehr strengen Umweltauflagen fortzusetzen. Entscheidend dafür ist, dass derartige Vorhaben erst nach einem transparenten Genehmigungsverfahren und einer umfassenden Prüfung möglicher Auswirkungen auf die Umwelt erfolgen dürfen. Die Landesregierung wird hierzu entsprechende Initiativen in den Bundesrat einbringen - zur Änderung des Bergrechts (Änderung der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben - UVP-V Bergbau), des Bergschadensrechts und des Wasserrechts. Ergänzend dazu wird von der Landesregierung im Dialog mit Bürgerinitiativen, Umweltschutzverbänden , der Wasserversorgungswirtschaft, den zuständigen Fachbehörden und der Industrie zurzeit ein Erlass erarbeitet, der die Rahmenbedingungen für zukünftige Genehmigungen von Fracking -Vorhaben in konventionellen Sandsteinlagerstätten definiert. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Zu 4 und 5: Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund ihres Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1818 Nach Einschätzung der Landesregierung ist eine Differenzierung zwischen konventionellen und unkonventionellen Kohlenwasserstoffvorkommen notwendig, zumal unterschiedliche Lagerstättentypen , deren Lage und das darauf aufbauende spezifische Fracking-Konzept (Drücke, Zusammensetzung der Frack-Flüssigkeiten) einen großen Einfluss auf die Risikobeurteilung und die damit verbundene Gefährdungsabschätzung für die zu beurteilenden Umweltschutzgüter (Menschen, menschliche Gesundheit, Tiere, Pflanzen, biologische Vielfalt, Boden, Wasser, Luft, Klima, Landschaft , Kulturgüter, sonstige Sachgüter) nehmen. Zudem wird darauf verwiesen, dass die staatlichen geologischen Dienste der Länder und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in ihrer „Stellungnahme zu den geowissenschaftlichen Aussagen des UBA-Gutachten, der Studie NRW und der Risikostudie des ExxonMobil InfoDialogprozesses zum Thema Fracking“ (März, 2013) ebenfalls zwischen konventionellen und unkonventionellen Lagerstätten unterscheiden. Demnach sind Erdgasvorkommen aus dichten Gesteinen (Tightgas) als konventionell zu bezeichnen, während Schiefergas- oder Kohleflözgaslagerstätten als unkonventionelle Lagerstätten definiert werden. Zu 6: Gemäß der Empfehlung der Europäischen Kommission vom 22.01.2014 zu Mindestgrundsätzen für die Exploration und Förderung von Kohlenwasserstoffen (z. B. Schiefergas) durch HochvolumenHydrofracking (2014/70/EU) ist unter dem Begriff „Hochvolumen-Hydrofracking“ das Einpressen von mindestens 1 000 m3 Wasser je Frackingphase oder von mindestens 10 000 m3 Wasser während des gesamten Fracking-Prozesses innerhalb eines Bohrloches zu verstehen. Zu 7: Die Landesregierung hat keinen direkten Einfluss auf Begriffbestimmungen durch die Europäische Kommission. Da die von der Europäischen Kommission gewählten Grenzkriterien offenbar auf Erfahrungen in den Vereinigten Staaten von Amerika basieren, stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit dieser Begriffsbestimmung auf die Anwendung der Frack-Technologie in Niedersachsen . Zu 9: Es ist nicht auszuschließen, dass die Landesregierung im Zusammenhang mit den Diskussionen über die Empfehlung der Europäischen Kommission vom 22.01.2014 zukünftig auch den Begriff „Hochvolumen-Hydrofracking“ verwenden wird. Zu 10 und 11: Die Fragen 10 und 11 werden aufgrund ihres Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Im Hinblick auf die Anwendung der Frack-Technologie ist der Anwendungsbereich des Erlasses auf den Einsatz dieser Technologie in konventionellen Erdgaslagerstätten beschränkt. Sofern in dem Erlass keine Unterscheidung zwischen konventionellen und unkonventionellen Lagerstätten erfolgt, würde sich der Anwendungsbereich des Erlasses auf beide Lagerstättentypen erstrecken. Im Übrigen wird auf den Erlass des MW vom 27.05.2014 verwiesen, wonach das LBEG angewiesen ist, keine Genehmigungen für Frack-Vorhaben in unkonventionellen Erdgas- und Erdöllagerstätten zu erteilen. Olaf Lies (Ausgegeben am 30.,07.2014) 4 Drucksache 17/1818 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Martin Bäumer, Mechthild Ross-Luttmann und Adrian Mohr (CDU), eingegangen am 05.06.2014 Fracking in Niedersachsen durch die Hintertür? Antwort der Landesregierung