Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Gabriela König, Hillgriet Eilers, Horst Kortlang, Christian Grascha und Jörg Bode (FDP), eingegangen am 12.06.2014 Welche Auswirkungen hat der gesetzliche Mindestlohn auf Niedersachsen? Das Bundeskabinett hat am 2. April 2014 die Einführung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro beschlossen. Ausgenommen sollen lediglich Jugendliche und Langzeitarbeitslose sein. In ihrem Frühjahrsgutachten warnen fünf Wirtschaftsinstitute, dass der Mindestlohn 200 000 Arbeitsplätzen im ersten Jahr kosten könnte. Laut Handelsverband Deutschland ist besonders ein Arbeitsplatzabbau in strukturschwachen Regionen die Folge. Für die in Niedersachsen liegenden strukturschwachen Regionen, wie z. B. Süd- oder Nordostniedersachsen, könnte ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde Folgen, u. a. einen Verlust von Arbeitsplätzen, haben (http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/mindestlohn-zu-hoch-einzelhandel-warnt-vorsterben -kleiner-geschaefte-a-957226.html). Arbeitsmarktforscher warnen vor der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gerade in diesen Regionen, sie erwarten einen massiven Anstieg der Schwarzarbeit (http://www.deutschlandfunk.de/arbeitsmarkt-forscher-mindestlohn-sorgt-fuer-mehr. 769.de.html?dram:article_id=276620). Die Partei „Die Linke“ fordert bereits seit 2011 einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 60 % des Durchschnittslohns. Ein großes Medienecho gab es zu den möglichen Ausnahmen beim Mindestlohn, da lediglich eine Altersgrenze von 18 Jahren vorgesehen ist. Heutzutage ist es aber durchaus üblich, seine Ausbildung z. B. nach dem Abitur erst mit 18 anzufangen. Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände fordert bereits eine Anhebung der Altersgrenze auf 21 Jahre, um zu verhindern, dass lohnenswerte Minijobs einer Ausbildung vorgezogen werden (http://www.wiwo.de/politik/deutsch land/arbeitsministerium-nahles-will-jugendliche-bis-18-jahren-vom-mindestlohn-ausnehmen-/9623 054.html). Für junge Menschen sind mehrmonatige Praktika ein üblicher Weg, um wertvolle Berufserfahrung zu sammeln. Der Entwurf der Bundesregierung sieht dafür eine Ausnahme vor. So sollen Anbieter von Praktika diese erst ab sechs Wochen mit dem Mindestlohn vergüten müssen. Experten befürchten , dass mehrmonatige Praktika durch diese Regelung nur noch selten angeboten werden. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. In welchen Staaten der EU gibt es einen Mindestlohn, in welchen ist dies ein gesetzlicher Mindestlohn, und wie hoch sind die Mindestlöhne in den jeweiligen EU Staaten? 2. Wie hoch ist der jeweilige Mindestlohn, gemessen im relativen Durchschnittseinkommen, des jeweiligen EU-Staates? 3. Wer setzt die Mindestlöhne in den jeweiligen EU-Staaten nach welchem Verfahren fest? 4. Wie ist die Arbeitslosenquote in den EU-Staaten mit gesetzlichem, mit tariflichem und ohne Mindestlohn? 5. Wie bewertet die Landesregierung die Antwort auf Frage 4? 6. Wie ist die Jugendarbeitslosenquote in Ländern mit einem gesetzlichen Mindestlohn, und wie ist die Jugendarbeitslosenquote in Ländern mit einem tariflichen oder ohne Mindestlohn? 7. Wie bewertet die Landesregierung die Antwort auf Frage 6? 8. Inwieweit ist in den Staaten der EU eine Korrelation zwischen dem GINI-Koeffizienten (bezogen auf das Einkommen) und einem gesetzlichen Mindestlohn vorhanden? 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 9. Wie hoch muss nach Meinung der Landesregierung der gesetzliche Mindestlohn sein (absolut und bezogen auf das Durchschnittseinkommen), um in Deutschland eine Balance zwischen Abbau des Niedriglohnbereichs und Abbau von Arbeitsplätzen zu erreichen? 10. Welche Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung vor dem Hintergrund der Antworten auf die vorgehenden Fragen für die geplanten Einführungen eines gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland? 11. Hält die Landesregierung den von führenden Wissenschaftlern prognostizierten Abbau von bis zu 200 000 Arbeitsplätzen in Deutschland im ersten Jahr (2015) nach Einführung des Mindestlohns für plausibel (https://www.diw.de/de/diw_01.c.442632.de/themen_nachrichten/ gemeinschaftsdiagnose_fruehjahr_2014_deutsche_konjunktur_im_aufschwung_aber_gegen wind_von_der_wirtschaftspolitik.html)? Wenn nicht, warum nicht? 12. Rechnet auch die Landesregierung nach der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns mit Arbeitsplatzverlusten? Wenn ja, welche Branchen werden voraussichtlich betroffen sein? 13. Wie hoch ist das Durchschnittseinkommen, aufgeschlüsselt nach Regionen, in Niedersachsen ? 14. Wie hoch ist, prozentual betrachtet, der von der Bundesregierung vorgeschlagene gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde gemessen am niedersächsischen Durchschnittseinkommen ? 15. Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (absolut und relativ) in Niedersachsen verdienen derzeitig weniger als 8,50 Euro pro Stunde? 16. Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (absolut und relativ) in Niedersachsen verdienen weniger als 60 % des durchschnittlichen Einkommens? 17. Welche Branchen werden von der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns besonders betroffen sein, und welche Landkreise in Niedersachsen sind hiervon voraussichtlich besonders betroffen? 18. Welche Unterschiede bezüglich des Lohndurchschnitts sowie der Anzahl der vom Mindestlohn betroffenen Personen gibt es in Städten und ländlichem Raum in Niedersachsen (bitte nach Kommunen aufschlüsseln)? 19. Wie bewertet die Landesregierung die Rolle des stationären Handels im ländlichen Raum im Hinblick auf den demografischen Wandel? 20. Welche Auswirkungen hat ein Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde auf den Einzelhandel im ländlichen Raum? 21. Bundesministerin Andrea Nahles formuliert für den Mindestlohn das Ziel, dass sich dieser nicht negativ auf die Attraktivität einer Ausbildung auswirken dürfe. Ist dafür nach Ansicht der Landesregierung eine Erhöhung der Altersgrenze von 18 Jahre auf 21 Jahre oder 25 Jahre sinnvoll? Wenn nicht, warum nicht? 22. Wird nach Ansicht der Landesregierung die Entlohnung von Praktika dazu führen, dass weniger Langzeitpraktika angeboten werden? Wenn nicht, warum nicht? 23. Wird die vorgesehene Praktikumsausnahme insbesondere im sozialen, nicht kommerziellen Bereich (beispielsweise ein Praktikum bei einer Landtagsfraktion) dazu führen, dass weniger Langzeitpraktika angeboten werden, und was gedenkt die Landesregierung zu tun, um dem entgegenzuwirken? 24. Vor dem Hintergrund der Antwort auf die mündliche Anfrage aus der FDP-Fraktion zum Mindestlohn für Praktikanten im niedersächsischen Landesdienst (Drs. 17/1357) und den darin genannten Mehrkosten für das Land von mindestens 7,7 Millionen Euro: Wird die Landesregierung für eine Ausweitung der Ausnahmen bei Praktikanten eintreten? Wenn nein, warum nicht? 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 25. Ist aufgrund der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland mit einem Anstieg der Schwarzarbeit in Niedersachsen zu rechnen und, wenn ja, in welcher Höhe? Wenn nicht, warum nicht? 26. Wie hoch kalkuliert die Landesregierung den angenommenen zusätzlichen Aufwand in Euro pro Jahr, den die Einführung eines Mindestlohns für das Land bzw. für die Kommunen bedeutet ? 27. Im Sinne eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes könnte sich auch die Frage eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns in der EU stellen. Wie hoch müsste dieser nach Meinung der Landesregierung mindestens ausfallen? 28. Befürwortet die Landesregierung in der EU eher ein Modell von regional unterschiedlichen gesetzlichen Mindestlöhnen oder eher eines eines EU-weit einheitlichen Mindestlohns (bitte mit Begründung)? 29. An welchen Kriterien sollte sich ein gesetzlicher Mindestlohn in der EU orientieren? 30. Wie bewertet die Landesregierung die Aussage der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts im Deutschlandfunk vom 4. Mai 2014: „Das Gesetz (gemeint ist der Mindestlohn - Anm. des Verfassers ) wird natürlich Handlungsbedarf für uns bringen“? (http://www.deutschlandfunk.de/ bundesarbeitsgericht-mindestlohn-gesetz-bringt.868.de.html?dram:article_id=284325)? 31. Wie bewertet die Landesregierung die Aussage der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts im o. g. Interview: „Denn ich glaube nicht, dass ein Gesetzgeber alle Gehaltskomponenten durchschaut, die in der Republik da sind und die auch was damit zu tun haben, dass viele Kautelarjuristen unterwegs sind und sich Dinge ausdenken, um sich nicht an Regeln halten zu müssen.“? 32. Wie bewertet die Landesregierung die von der Präsidentin des Bundarbeitsgerichts in dem gleichen Interview ausgeführten Streitpunkte bei möglichen Entgeltklagen? 33. Wird die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland zu einer Erhöhung der Verbraucherpreise führen, wenn ja, in welcher Höhe wird dies voraussichtlich und nach Ansicht der Landesregierung geschehen? Wenn nicht, warum nicht? 34. Welche Auswirkungen wird die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns, voraussichtlich und nach Ansicht der Landesregierung, auf das Bruttoinlandsprodukt im nächsten Jahr haben? 35. Bleibt die Landesregierung bei der von Minister Lies in der Plenarsitzung vom 14. März 2013 getätigten Aussage „wir“ (brauchen) „dringend einen flächendeckenden und branchenunabhängigen Mindestlohn“? Wenn ja, warum? 36. Welche Auswirkungen wird der Mindestlohn auf die Chancen von jungen Menschen haben, ohne Schulabschluss oder etwa mit mangelhafter Befähigung zu einer Ausbildung ins Berufsleben starten zu können, und warum? 37. Welche Auswirkungen wird der Mindestlohn auf Programme für benachteiligte junge Menschen wie etwa „Nordchance“ (von Nordmetall) haben und warum? 38. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um negative Auswirkungen des Mindestlohns auf die Beschäftigungs- und Ausbildungschancen junger Menschen, die es schwer am Arbeitsmarkt haben, zu verhindern, und warum? (An die Staatskanzlei übersandt am 17.06.2014 - II/725 - 786) 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 29.07.2014 für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Z3-01424/0020/786/Mindestlohn - Die Landesregierung hat seit Regierungsantritt einen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik vollzogen und die Ziele von Wohlstand, Beschäftigung und Teilhabe entschlossen gefördert. Dabei hat die Landesregierung ihren Fokus auf den Wert der Arbeit und die Qualität der Beschäftigung gelegt und sich insbesondere für auskömmliche und faire Löhne, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern am Arbeitsleben sowie für faire Arbeitsbedingungen eingesetzt. Kernbestandteil dieser neu justierten Arbeitsmarktpolitik ist der Einsatz für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, zu dem die Landesregierung die Bundesregierung bereits im vergangenen Jahr gemeinsam mit anderen Ländern über eine Bundesratsinitiative aufgefordert hatte. Gleichzeitig hat die Landesregierung durch das Niedersächsische Tariftreue- und Vergabegesetz dafür gesorgt, dass Auftragnehmer im Bereich des Öffentlichen Auftragswesens bereits seit dem 01.01.2014 auskömmliche und faire Löhne in Niedersachsen zahlen müssen. Die nunmehr durch die Große Koalition vorgenommene bundesweite Umsetzung eines gesetzlichen Mindestlohns hat die Landesregierung daher tatkräftig unterstützt und eng begleitet. Sie erwartet eine gesteigerte Wertschätzung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro vor unangemessen niedrigen Löhnen geschützt werden. Ab dem 1. Januar 2015 werden 3,7 Millionen Menschen davon direkt profitieren, zwei Drittel von ihnen sind Frauen. Gleichzeitig setzt sich die Landesregierung dafür ein, dass die Einhaltung des einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns sichergestellt wird und die mit der Überwachung betrauten Zollbehörden eine sachgerechte Aufstockung erhalten. Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: In 21 der 28 EU-Staaten galt zum Stand Februar 2014 nach Angaben von Eurostat ein branchenübergreifender gesetzlicher Mindestlohn. In den übrigen sieben Mitgliedstaaten (Dänemark, derzeit noch Deutschland, Finnland, Italien, Österreich, Schweden und Zypern) gilt bisher kein branchenübergreifender gesetzlicher Mindestlohn. Die Höhe der Mindestlöhne in den 21 EU-Mitgliedstaaten stellt sich wie folgt dar: Mitgliedstaat mtl. Mindestlohn in Euro in 2013 Belgien 1 501 82 Bulgarien 158 50 Estland 320 00 Frankreich 1 430 22 Griechenland 683 76 Irland 1 461 85 Kroatien 372 35 Lettland 286 66 Litauen 289 62 Luxemburg 1 874 19 Malta 697 42 Niederlande 1 469 40 Polen 392 73 Portugal 565 83 Rumänien 157 50 4 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 Mitgliedstaat mtl. Mindestlohn in Euro in 2013 Slowakei 337 70 Slowenien 783 66 Spanien 752 85 Tschechische Republik 312 01 Ungarn 335 27 Vereinigtes Königreich 1 264 25 Quelle: Eurostat Online Datenbank, Mai 2014 Zu 2: Der Anteil der nationalen Mindestlöhne an den nationalen Durchschnittseinkommen stellt sich für die EU-Mitgliedstaaten wie folgt dar: Mitgliedstaat Anteil Mindestlohn am Durchschnittseinkommen in % in 2012 Belgien* Bulgarien 37,8 Dänemark ./. Deutschland ./. Estland 33,5 Finnland ./. Frankreich* Griechenland* Irland* Italien ./. Kroatien 35,6 Lettland 43,8 Litauen 40,8 Luxemburg 46,9 Malta 46,8 Niederlande* Österreich ./. Polen 40,1 Portugal 43,3 Rumänien 34,2 Schweden ./. Slowenien 50,0 Slowakei 36,7 Spanien 34,7 Tschechische Republik 31,7 Ungarn 44,3 Vereinigtes Königreich 39,4 Zypern ./. *vergleichbare Daten zu diesen Länder liegen nicht vor. Quelle: Eurostat, Online Datenbank, Januar 2014 Zu 3: Bei den EU-Mitgliedstaaten, die einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt haben (siehe Frage 1), erfolgt die Anpassung grundsätzlich per Gesetz und lässt sich in vier verschiedene Verfahren unterteilen: a) gesetzlich garantierte Anpassung anhand ökonomischer Kennziffern wie Verbraucherpreisentwicklung , Lohnentwicklung oder einer Kombination von beidem (Belgien, Niederlande, Luxemburg , Frankreich, Malta, Slowenien), 5 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 b) gesetzliche Festsetzung des Verhandlungsergebnisses zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften (Bulgarien, Estland, Polen, Slowakei, Belgien in Ergänzung zu a), c) gesetzliche Festsetzung nach Konsultation von Arbeitgebern, Gewerkschaften oder weiterer Gruppen (Großbritannien, Portugal, Spanien, Kroatien, Lettland, Litauen sowie Frankreich, Luxemburg , Niederlande, Slowenien in Ergänzung zu a), d) gesetzliche Festlegung ohne vorherige Verhandlungen oder Konsultationen (Griechenland, Irland , Rumänien, Tschechien, Ungarn). Es ist jedoch festzustellen, dass die Anpassungsmechanismen in den einzelnen Mitgliedstaaten im Detail sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Zu 4 bis 7: Die Fragen 4 bis 7 werden im Zusammenhang beantwortet. Die Arbeitslosenquote, die Jugendarbeitslosenquote und der Mindestlohn in Euro/Stunde in den EU-Mitgliedstaaten stellen sich wie folgt dar: Mitgliedstaat Arbeitslosenquote in % Jugendarbeitslosen quote in % Mindestlohn in Euro/Stunde Belgien 8,5 23,4 9,10 Bulgarien 11,9 24,6 0,95 Dänemark 6,5 12,4 ./. Deutschland 5,1 7,8 /. Estland 7,9 (April 2014) 20,1 1,90 Finnland 8,5 19,7 ./. Frankreich 10,1 22,5 9,43 Griechenland 26,8 (März 2014) 57,7 3,35 Irland 12,0 23,7 8,65 Italien 12,6 43,0 ./. Kroatien 16,3 48,7 2,30 Lettland 11,45 (April 2014) 19,7 1,71 Litauen 11,0 19,5 1,76 Luxemburg 6,3 15,2 11,10 Malta 5,7 13,7 4,06 Niederlande 7,0 10,8 9,07 Österreich 4,7 8,9 ./. Polen 9,6 24,0 2,21 Portugal 14,3 34,8 2,92 Rumänien 7,3 24,4 1,06 Schweden 7,8 22,1 ./. Slowenien 10,3 22,7 4,53 Slowakei 13,9 32,4 1,94 Spanien 25,1 54,0 3,91 Tschechische Republik 6,3 16,5 2,01 Ungarn 7,9 (April 2014) 19,9 1,97 Vereinigtes Königreich 6,6 (März 2014) 18,4 7,78 Zypern 15,3 37,3 ./. Quelle: Eurostat, Online Datenbank, Juli 2014 Derzeit sind nach Schätzungen von Eurostat über 25 Millionen Menschen in Europa arbeitslos, gut 5 Millionen Personen im Alter unter 25 Jahren. Während vor allem die Krisenländer Griechenland, Spanien, Portugal und Italien sehr hohe Arbeitslosenquoten von bis zu 27 % aufweisen, verzeichnen Länder wie Österreich, Deutschland, Malta und die Tschechische Republik deutlich niedrigere Werte von teilweise unter 5 %. Insbesondere die von der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise stark getroffenen Länder weisen eine hohe Jugendarbeitslosigkeit auf. Die höchsten Quoten 6 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 melden Griechenland, Spanien, Kroatien und Italien. Die niedrigsten Quoten verzeichnen Deutschland , Österreich und die Niederlande. Die Ursachen für die (Jugend-)Arbeitslosigkeit eines Landes sind vielfältig. Üblicherweise wird von den meisten Ökonomen und Arbeitsmarktforschern Arbeitslosigkeit gemäß ihrer Ursächlichkeit in friktionelle, saisonale, konjunkturelle und strukturelle Arbeitslosigkeit untergliedert. Insbesondere die strukturelle Arbeitslosigkeit ist u. a. abhängig von der Wirtschaftsstruktur und internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft eines Landes, von der Arbeitsmarktordnung, der Ausgestaltung der sozialen Sicherungssysteme oder dem allgemeinen Qualifikationsniveau der Beschäftigten . Aufgrund dieser Heterogenität der Ursachen von (Jugend-)Arbeitslosigkeit lassen sich aus vorstehender Tabelle keine Zusammenhänge von Mindestlöhnen und Arbeitslosenquoten in den Mitgliedstaaten der EU ableiten. Die Auswirkungen von Mindestlöhnen auf den nationalen Arbeitsmarkt kann nur im Zusammenhang mit anderen einzelstaatlichen Rahmenbedingungen zutreffend beurteilt werden. Zu 8: Unter den EU-Mitgliedstaaten gibt es erhebliche Unterschiede im Hinblick auf das Niveau der Einkommensdisparitäten . Die anhand des Gini-Koeffizienten gemessene Einkommensungleichheit ist in Lettland, Spanien, Portugal und Griechenland am höchsten und in Slowenien, Schweden, der Tschechischen Republik und Niederlande am niedrigsten. Mitgliedstaat Gini-Koeffizient in % Belgien 26,6 Bulgarien 33,3 Dänemark 28,1 Deutschland 28,3 Estland 32,5 Finnland 25,9 Frankreich 30,5 Griechenland 34,3 Irland 29,9 Italien 31,9 Kroatien 30,5 Lettland 35,7 Litauen 32,0 Luxemburg 28,0 Malta 27,1 Niederlande 25,4 Österreich 27,6 Polen 30,9 Portugal 34,5 Rumänien 33,2 Schweden 24,8 Slowenien 23,7 Slowakei 25,3 Spanien 35,0 Tschechische Republik 24,9 Ungarn 26,9 Vereinigtes Königreich 32,8 Zypern 31,0 Quelle: Eurostat, Online Datenbank (Stand 2012) Der Gini-Koeffizient wird insbesondere und hauptsächlich durch das nationalstaatliche Steuer- und Transfersystem beeinflusst, das Disparitäten in der Einkommensverteilung verringert. Hierzu zählen 7 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 in Deutschland z. B. das Arbeitslosengeld II, das Kinder- und Elterngeld oder aber auch das Wohngeld . Aufgrund der Heterogenität der Bestimmungsfaktoren des Gini-Koeffizienten lassen sich aus vorstehender Tabelle keine Zusammenhänge von Mindestlöhnen und Gini-Koeffizienten in den Mitgliedstaaten der EU ableiten. Die Auswirkungen von Mindestlöhnen auf den Gini-Koeffizienten können nur im Zusammenhang mit anderen einzelstaatlichen Rahmenbedingungen des Steuer- und Transfersystems zutreffend beurteilt werden. Zu 9: Ein gesetzlicher Mindestlohn soll nach dem Entwurf des Tarifautonomiestärkungsgesetzes der Bundesregierung vom Deutschen Bundestag ab dem 1. Januar 2015 in Höhe von 8,50 Euro festgesetzt werden. Zu dieser Höhe führt die Gesetzesbegründung aus: „Zum 1. Januar 2015 wird die Höhe des Mindestlohns auf brutto 8,50 Euro je Zeitstunde gesetzlich festgelegt. Ein höherer Mindestlohn kann erstmals mit Wirkung zum 1. Januar 2018 durch eine Kommission der Tarifpartner beschlossen werden. Ein Arbeitsentgelt von brutto 8,50 Euro je Zeitstunde ermöglicht es einem alleinstehenden Vollzeitbeschäftigten, bei durchschnittlicher Wochenarbeitszeit ein Monatseinkommen oberhalb der Pfändungsfreigrenze gemäß § 850 c Abs. 1 Satz 1 ZPO zu erzielen. Die Pfändungsfreigrenze stellt ein auf die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zugeschnittenes pauschaliertes Existenzminimum dar, welches ihnen einen moderaten Selbstbehalt sichert. Berücksichtigt sind dabei Sonderkosten, welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern typischerweise durch die Erwerbstätigkeit entstehen. Die Höhe des Mindestlohns ist im Hinblick auf seine Beschäftigungswirkung angemessen. Auch vor dem Hintergrund, dass in Deutschland schon Erfahrungen zu den Beschäftigungseffekten von Branchenmindestlöhnen gesammelt werden konnten, sind keine signifikanten Beschäftigungseffekte zu erwarten.“ Die Landesregierung schließt sich diesen Ausführungen an. Zu 10: Die Landesregierung hält die Einführung eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns zur Eindämmung von Lohndumping, zur Sicherung von Mindeststandards gegen soziale und ökonomische Destabilisierung und zum Schutz vor Niedriglohnarmut, für die die Dienstleitungsbranche in besonderem Maße anfällig ist, für geboten. Darüber hinaus sieht sie in dieser Regelung einen Beitrag zur Bekämpfung der Einkommensdiskriminierung von Frauen. Die sinkende Bindungskraft von Tarifverträgen und zunehmend „tariffreie“ Branchen machen den Mindestlohn zur Flankierung der Tarifautonomie erforderlich. Eine durch den Mindestlohn bewirkte gleichmäßigere Einkommensverteilung steigert zudem die Produktivität und erhöht die Anreize für Investitionen in Humankapital, sodass auch mit volkswirtschaftlichen Effekten gerechnet werden kann. Zu 11: Die vom BMAS in Auftrag gegebenen Evaluationen zu den Wirkungen der Branchenmindestlöhne in Deutschland, die teilweise deutlich über 8,50 Euro liegen, sind im Jahr 2011 zum Ergebnis gekommen , dass sich keine signifikanten negativen Beschäftigungseffekte feststellen ließen. Die Landesregierung geht davon aus, dass auch ein gesetzlicher flächendeckender Mindestlohn keine signifikanten Auswirkungen auf die Beschäftigung hat. Darüber hinaus kann die Einführung des Mindestlohnes durch abweichende Tarifvereinbarungen bis Ende 2016 gestreckt werden und bietet damit den Unternehmen hohe Planungssicherheit. Zudem hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in seinen aktuellen Sommergrundlinien 2014 seine Prognose für die Arbeitsplatzverluste durch die Einführung des Mindestlohns 2015 selbst relativiert und auf 100 000 deutschlandweit halbiert. Aber auch die Aussagekraft der neuen Prognose wird wie folgt abgeschwächt: „Zudem wird im kommenden Jahr der allgemeine gesetzliche Mindestlohn eingeführt; die Beschäftigungswirkungen sind kaum absehbar.“ Zu 12: Siehe hierzu die Antwort zur Frage 11. 8 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 Zu 13: Statistische Region Bruttolöhne und -gehälter (Inland) insgesamt je Arbeitnehmer in Euro 2011 Braunschweig 29 991 Hannover 27 670 Lüneburg 25 773 Weser-Ems 25 595 Quelle: Statistische Ämter der Länder: Arbeitnehmerentgelt in den kreisfreien Städten und Landkreisen in der Bundesrepublik Deutschland 2000 bis 2011 Zu 14: Der zum 1. Januar 2015 für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geltende Mindestlohn wird als Bruttostundenlohn von 8,50 Euro eingeführt. Der durchschnittliche Bruttostundenverdienst eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers betrug 2013 im Produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich in Niedersachsen 19,42 Euro. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro entspräche rund 44 % dieses durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes. Zu 15: 2010 erhielten in Niedersachsen nach Angaben des Landesamtes für Statistik Niedersachsen 12 % aller Beschäftigten, die in Betrieben des Produzierenden Gewerbes und des Dienstleistungsbereiches mit zehn und mehr Beschäftigten in Niedersachsen tätig waren, einen Stundenverdienst von weniger als 8,50 Euro. Nach dieser Abgrenzung gehören etwa rund 254 200 Beschäftigte zu dieser Gruppe. Zu 16: Das mittlere Pro-Kopf-Einkommen lag nach Angaben des Landesamtes für Statistik Niedersachsen in Niedersachsen 2012 bei ca. 1 432 Euro und die 60-%-Schwelle entsprechend bei 859 Euro. 2012 erhielten 7,5 % aller Erwerbstätigen nach Angaben des Landesamtes für Statistik Niedersachsen ein mittleres Pro-Kopf-Einkommen unter der 60-%-Schwelle, das waren rund 285 200 Erwerbstätige . Zu 17: Die Frage, welche Beschäftigten in welchen Branchen und welchen Landkreise von der Einführung eines Mindestlohns besonders betroffen sind, lässt sich nicht abschließend beantworten. Die Landesregierung kennt zwar die geltenden Tarifverträge, soweit sie ihr vorgelegt wurden. Sie weiß aber weder welche Unternehmen diese Tarifverträge anwenden noch welche Entgelte in nicht tarifgebundenen Unternehmen gezahlt werden. In welchen Unternehmen welcher Branchen und Landkreise sich daher ein Anpassungsbedarf aufgrund des zu erwartenden Mindestlohns ergibt, ist daher nicht abzuschätzen. Zu 18: Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Zu 19: Der Handelsverband Niedersachsen-Bremen e. V. (HNB) weist darauf hin, dass der Handel im ländlichen Raum durch das Verschwinden der kleinen Lebensmittelanbieter, durch eine intensive Ausweitung der Flächen für Discounter und Lebensmittelvollversorger in den Randbezirken der Gemeinden sowie aktuell durch den Wettbewerb aus dem Internet stark belastet wird. Der HNB prognostiziert, dass die Bedeutung des stationären Handels im ländlichen Raum zurück gehen wird, nicht zuletzt auch als Folge des demografischen Wandels. Diese Tendenz zeichnet sich bereits jetzt ab, die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. 9 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 Zu 20: Die Auswirkungen eines Mindestlohns von 8,50 Euro auf den Einzelhandel im ländlichen Raum sind derzeit nicht abzusehen. Hierzu liegen keine verlässlichen Erhebungen vor und die Wirkung des Mindestlohns muss abgewartet werden. Zu 21: Das im Entwurf des Tarifautonomiestärkungsgesetzes enthaltene Mindestlohngesetz sieht in § 22 vor, dass der Mindestlohn zwar für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gilt, nicht aber u. a. für Personen im Sinne von § 2 Abs. 1 und 2 des Jugendarbeitschutzgesetzes ohne abgeschlossene Berufsausbildung und auch nicht für die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. Für Auszubildende und unter 18-Jährige gilt daher der Mindestlohn von 8,50 Euro nicht. Durch diese Regelungen soll sichergestellt werden, dass Berufsausbildungsverhältnisse, die üblicherweise nicht der Schaffung einer Lebensgrundlage dienen, nicht zulasten der Ausbildungsbetriebe ungerechtfertigt verteuert werden und der Mindestlohn keine Anreize setzt, zugunsten einer mit dem Mindestlohn vergüteten Beschäftigung auf eine Berufsausbildung zu verzichten. Da der Beginn einer Berufsausbildung vor dem 18. Lebensjahr immer noch die Regel ist, wird mit der beschriebenen Altersgrenze den Berufsanfängern ein hinreichender Anreiz gegeben, anstelle einer niedrig bezahlten Beschäftigung , für die eine Ausbildung nicht erforderlich ist, eine geordnete Ausbildung zu beginnen, die längerfristig besser geeignet ist, eine auskömmliche Lebensgrundlage zu bieten. Letztere Überlegung trifft auch für die Fälle zu, in denen ein Eintritt ins Berufsleben erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres stattfindet. Zu 22: Nach Einschätzung der Landesregierung werden die Regelungen im Tarifautonomiestärkungsgesetz zu keinem Rückgang der Langzeitpraktika führen. Vielmehr wird hierdurch zum ersten Mal überhaupt ein Qualitätsrahmen für Praktika geschaffen. Dazu zählt u. a., dass es in Zukunft zu jedem Praktikum einen schriftlichen Vertrag gibt, in dem Ziele, Arbeitszeiten und die Vergütung festgehalten werden. Dies wird die Rechte der Praktikantinnen und Praktikanten stärken und Praktika aufgrund einer erhöhten Verbindlichkeit attraktiver machen. Durch eine Vereinbarung von Zielen der Praktika wird jungen Menschen die Wertschätzung entgegengebracht, die sie als Nachwuchskräfte von morgen verdienen. Für bewusst freiwillig gewählte Praktika, beispielsweise zur Berufsorientierung oder verpflichtende Praktika im Rahmen der Ausbildung oder des Studiums beinhalten die Regelungen im Tarifautonomiestärkungsgesetz genug Flexibilität, um jungen Menschen einen niedrigschwelligen Einblick in die Arbeitswelt zu ermöglichen. Zu 23: Wie in der Antwort zu Frage 22 ausgeführt, ist die Landesregierung der Ansicht, dass die Regelungen im Tarifautonomiestärkungsgesetz genügend Flexibilität bieten. Dies trifft auch auf Praktika im sozialen, nicht kommerziellen Bereich zu. Praktikantinnen und Praktikanten, die ein freiwilliges Praktika absolvieren, erwerben erst bei einer Praktikumszeit von über drei Monaten, Anspruch auf Zahlung eines Mindestlohns. Dies ist aus Sicht der Landesregierung angemessen. Zu 24: Die Landesregierung unterstützt die Initiative der Bundesministerin Nahles, mittels eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns die prekäre Beschäftigung und prekäre Lebensverhältnisse zu bekämpfen . Durch die Festsetzung eines Mindestlohns ergeben sich zwar Belastungen für eine Reihe von Arbeitgebern; so im Bereich der Praktika auch für das Land Niedersachsen. Die Landesregierung hat aber keinen Anlass, für eine Ausweitung der für einen Teil der Praktikantinnen und Praktikanten jetzt schon vorgesehenen Ausnahmen vom Mindestlohn einzutreten, um für das Land Kosten zu sparen. Denn mit der Geltung des gesetzlichen Mindestlohns auch für einen definierten Teil der Praktikantinnen und Praktikanten soll auch die von diesen geleistete Arbeit die angemessene Wertschätzung erfahren. Ein Missbrauch von Praktikantenverträgen, der dann möglicherweise zu einer neuen „Generation Praktikum“ führt, muss verhindert werden. Daher sieht die Landesregierung für zusätzliche, bisher nicht im Gesetzentwurf enthaltene Ausnahmen vom Mindestlohn, keine Rechtfertigung. 10 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 Zu 25: Es liegt in der Natur der Schwarzarbeit als „Schattenwirtschaftsbereich“, dass weder Umfang noch Höhe oder Entwicklung der Schwarzarbeit durch die staatlichen Kontroll- und Verfolgungsbehörden direkt gemessen oder zuverlässig mit absoluten Zahlen belegt werden können. Die Landesregierung verfügt demgemäß über keine belastbaren Daten oder Datengrundlagen, aus denen sich ein Anstieg oder Rückgang der Schwarzarbeit in Niedersachsen zuverlässig errechnen oder ableiten lassen würden. Dieser Sachverhalt gilt auch für die Einführung des Mindestlohnes und die damit verbundenen möglichen Auswirkungen auf die Entwicklung der Schwarzarbeit. Auch umfangreiche wissenschaftliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass sich „über einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Schwarzarbeit und Mindestlohn … allerdings keine konkrete Aussage treffen (lässt)“ (IAB Endbericht „Evaluation bestehender gesetzlicher Mindestlohnregelungen - Branche : Bauhauptgewerbe“ vom 11.10.2011, Nürnberg, Seite 143). Zu 26: Tarifvertragliche Stundenlöhne von unter 8,50 Euro sind im Bereich gebäudenaher Dienstleistungen des Landes nur bei Sicherheitsdienstleistungen vereinbart. Der tarifvertragliche Stundenlohn beträgt in diesem Bereich 8,24 Euro. Rechnerisch betrachtet ist davon auszugehen, dass die Anhebung auf den Mindestlohn von 8,50 Euro/Stunde im Bereich der gebäudenahen Dienstleistungen des Landes zu zusätzlichen Kosten i. H. v. ca. 95 000 Euro pro Jahr führt. Für die niedersächsischen Kommunen liegen der Landesregierung keine Informationen zu möglichem Mehraufwand durch die Einführung des Mindestlohns vor. Es ist jedoch davon auszugehen, dass aufgrund der Tarif- und Besoldungsstruktur im Bereich der Personalkosten mit keinen Mehraufwendungen zu rechnen ist. Inwiefern den Kommunen Mehraufwendungen durch verteuerte Vergaben entstehen, ist derzeit Teil der vorbereitenden Arbeiten zur Evaluation des NTVergG, da über die Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 NTVergG bereits seit dem 01.01.2014 für öffentliche Aufträge über Bau- und Dienstleistungen ein Mindestentgelt von 8,50 Euro pro Stunde von den Unternehmen an ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu zahlen ist. Für den Bereich des LZN ist durch den Mindestlohn im Bereich der Vergaben mit Mehraufwendungen von 540 Euro jährlich zu rechnen. Der Landesbetrieb IT.N rechnet mit keinen Erhöhungen. Zu 27 bis 29: Die Fragen 27 bis 29 werden im Zusammenhang beantwortet. Die Landesregierung hält einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn in der EU nach geltender Rechtslage für nicht realisierbar, da Artikel 153 Abs. 5 AEUV eine Bereichsausnahme für die Anwendung der Sozialvorschriften des Unionsrechts insbesondere auf dem Gebiet des Arbeitsentgelts vorgibt. Dadurch ist der EU die Rechtsetzungskompetenz für die Festsetzung eines Arbeitsentgelts ausdrücklich entzogen. Die Einführung und Umsetzung nationaler Mindestlöhne bleibt damit die Entscheidung der einzelnen Mitgliedstaaten. Aufgrund dieser Ausgestaltung der Europäischen Verträge stellt sich für die Landesregierung weder die Frage nach der Höhe eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns noch nach dessen Zustandekommen. Zu 30: Die Landesregierung sieht das Problem wie die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts. Insbesondere wird es sich - wie die Präsidentin festgestellt hat - nicht verhindern lassen, dass „viele Kautelarjuristen unterwegs sind und sich Dinge ausdenken, um sich nicht an Regeln halten zu müssen“. Insoweit ist dann die Rechtsprechung im Einzelfall berufen, das geltende Recht festzustellen. Zu 31: Siehe Antwort zu Frage 30. Zu 32: Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts hat die Streitpunkte vermutlich richtig beschrieben. 11 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 Zu 33: Die Entwicklung der Verbraucherpreise nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns lässt sich derzeit ebenso wenig seriös beziffern wie eine mögliche Steigerung der Inlandsnachfrage. Die harmonisierten Verbraucherpreisindizes in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zeigen jedoch , dass zwischen April 2013 und April 2014 mit Österreich, Finnland und Deutschland drei EU-Mitgliedstaaten die höchste Verbraucherpreisentwicklung in der EU aufweisen, die derzeit keinen gesetzlichen Mindestlohn haben. Es ist daher davon auszugehen, dass ein gesetzlicher Mindestlohn allenfalls nur ein Faktor bei der Beeinflussung der Verbraucherpreise sein wird. Zu 34: In ihrer Frühjahrsprojektion 2014 rechnet die Bundesregierung für 2015 mit einem Wachstum des BIP von 2,0 %. Unmittelbare Auswirkungen auf die Entwicklung des BIP durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns sind nicht zu erwarten. Die Landesregierung schließt sich jedoch den Ausführungen der Bundesregierung in dem Jahreswirtschaftsbericht 2014 an, in dem ein gesetzlicher Mindestlohn eine breit angelegte Konsumnachfrage stärkt. Inwieweit sich dies auf die Entwicklung des BIP auswirkt, ist für die Landesregierung nicht abzuschätzen. Zu 35: Ja, die Landesregierung hält die Einführung eines flächendeckenden, branchenunabhängigen Mindestlohns für notwendig, um prekäre Beschäftigung zu vermeiden, allen Menschen die Chance zu geben, sich durch eigene Arbeit eine Lebensgrundlage zu schaffen, und um Lohndumping und Wettbewerb mittels Lohnabsenkungen zu vermeiden. Durch die Einführung eines flächendeckenden , gesetzlichen Mindestlohns wird der Wert der Arbeit wieder verstärkt in den Mittelpunkt der Arbeitsmarktpolitik gesetzt. Er schützt Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor einer unangemessen niedrigen Entlohnung ihrer Tätigkeit. Zu 36: Die Landesregierung befürwortet die von der Bundesregierung vorgenommene nahezu lückenlose Umsetzung des Mindestlohns, von der alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren werden . Nur auf diese Weise werden sie vor Lohndumping geschützt mit der Folge, dass in Wirtschaft und Gesellschaft ein Stück mehr Gerechtigkeit Einzug hält. Damit werden auch junge Menschen ohne Schulabschluss oder ohne Ausbildung bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vom Mindestlohn profitieren, soweit sie ihr 18. Lebensjahr vollendet haben. Ebenfalls vom Mindestlohn ausgenommen sind Menschen, die noch in Ausbildung oder Studium sind, und bei denen nicht das Arbeiten, sondern das Lernen im Vordergrund steht. Dort muss es andere Regeln geben, da eher das Lernen und Erproben und nicht die Arbeit im Mittelpunkt steht, wovon bei Pflichtpraktika, aber auch bei freiwilligen Praktika von bis zu drei Monaten auszugehen ist. Nach abgeschlossener Ausbildung oder dem Studienabschluss gilt auch für alle Praktika der Mindestlohn. Einen Anspruch auf den Mindestlohn hat jedoch auch, wer außerhalb einer Ausbildung oder eines Studiums ein Praktikum macht und schon eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Studienabschluss hat. Durch diese sachgerechte Unterscheidung geht die Landesregierung davon aus, dass die Einführung des flächendeckenden Mindestlohns die Chancen von jungen Menschen unberührt lässt und dass Jugendliche nicht wegen besser bezahlter Hilfstätigkeiten auf eine Ausbildung verzichten. Zu 37: Der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) regelt in § 22 den persönlichen Anwendungsbereich. Danach fallen lediglich Praktikantinnen und Praktikanten im Sinne des § 26 des Berufsbildungsgesetzes unter die Regelungen des Gesetzentwurfes . Nicht unter den Anwendungsbereich des Gesetzentwurfes fallen Praktikantinnen und Praktikanten , die ein Praktikum verpflichtend im Rahmen einer Schul-, Ausbildungs- oder Studienordnung leisten, ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten, ein Praktikum von bis zu sechs Wochen begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikums- 12 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1831 verhältnis mit demselben Auszubildenden bestanden hat oder an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54 a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch teilnehmen. Weiterhin gelten Personen im Sinne von § 2 Abs. 1 und 2 des Jugendarbeitsschutzgesetzes ohne abgeschlossene Berufsausbildung nicht als Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzentwurfes . Die Vergütung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen einer Berufsausbildung wird ebenfalls nicht durch den Gesetzesentwurf geregelt. Der Bundesgesetzgeber hält es darüber hinaus für entbehrlich, berufspraktische Phasen im Rahmen von Maßnahmen der aktiven Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch und im Rahmen von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in den Katalog der Ausnahmeregelungen aufzunehmen, da es sich hier um Maßnahmebestandteile handelt, bei denen die Integration in den Ausbildung- und Arbeitsmarkt im Vordergrund steht. Insoweit kommt auch hier die Zahlung eines Mindestlohns nicht zur Anwendung. Die vorgesehenen Ausnahmeregelungen stellen sicher, dass eine nachhaltige Integration junger Menschen in eine Berufsausbildung erfolgen kann. Durch die Ausnahmen wird sichergestellt, dass der Mindestlohn keinen Anreiz setzt, zugunsten einer mit dem Mindestlohn vergüteten Beschäftigung auf eine Berufsausbildung zu verzichten. Auf Programme der Sozialpartner, die das Instrument der Einstiegsqualifizierung (§ 54 a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch) nutzen, wie etwa „Nordchance“, hat das Tarifautonomiestärkungsgesetz keine Auswirkungen. Zu 38: Die vorgesehenen Ausnahmeregelungen im Tarifautonomiestärkungsgesetz verhindern dahin gehende Fehlanreize, dass junge Menschen nach Abschluss des Sekundarbereichs I von einer weiterführenden Schulausbildung oder einer Berufsausbildung absehen, um stattdessen eine mit dem Mindestlohn vergütete Beschäftigung anzunehmen. Negative Auswirkungen auf bewährte Instrumente und Maßnahmen, die auf eine Integration von jungen Menschen in eine Berufsausbildung gerichtet sind, werden nicht gesehen. Insoweit erübrigen sich Maßnahmen der Landesregierung. Olaf Lies (Ausgegeben am 06.08.2014) 13