Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/1839 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Gabriela König und Jörg Bode (FDP), eingegangen am 25.06.2014 Wie ist die Haltung der Landesregierung zur 10-Euro-Stundenlohn-Frage? Die Gewerkschaft ver.di fordert die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 10 Euro. Als Begründung wird angeführt, dass sich Deutschland mit 8,50 Euro am unteren Ende der Skala in Europa bewegt. Bekanntlich ist der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, Mitglied von Bündnis90/Die Grünen. Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn wird auch von der SPD und der CDU befürwortet und zum 1. Januar 2015 durch die CDUgeführte Bundesregierung eingeführt. Die Partei DIE LINKE fordert bereits seit Langem einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro mit einer jährlichen Steigerungsrate in Höhe der Kostensteigerung bei den Lebenshaltungskosten. Ähnliches wiederum fordert Herr Bsirske, indem er die Ausrichtung der Mindestlöhne an „wichtigen Lohnabschlüssen“ fordert. Die Bundesarbeitsministerin der SPD, Andrea Nahles, fordert ihrerseits, dass sich die Anpassung des Mindestlohnes künftig an der gesamtwirtschaftlichen Lage, den Arbeitsmarktdaten und der Entwicklung der Tariflöhne orientieren müsse. Die Lohnfindung des Mindestlohnes soll zwar durch eine sogenannte Mindestlohnkommission geleitet werden, doch die Politik behält sich vor, „einige Kriterien vorzugeben“ (http://www.wiwo.de/politik/deutschland/tarifverhandlungen-verdi-will-mindestlohn-von-10-euro-/959 0734.html). Der Taxi- und Mietwagenverband erklärt, dass die gesetzlich festgelegten Tarife schon bei einem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 8,50 Euro um 25 % angehoben werden müssen, damit alle Fahrerinnen und Fahrer bezahlt werden können (http://www.taxi-heute.de/TaxiNews /News/11026/Der-Mindestlohn-und-die-Reaktion-des-Taxigewerbes). Und der Handelsverband Deutschland (HDE) sieht bereits in einem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro ein besonders hohes Risiko für den Einzelhandel in strukturschwachen Räumen. „Verlierer des gesetzlichen Mindestlohns sind besonders die Unternehmen und Regionen, die eigentlich auf die volle Unterstützung der Politik angewiesen sind“, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth (http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/mindestlohn-zu-hoch-einzelhandel-warnt-vorsterben -kleiner-geschaefte-a-957226.html). Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Stimmt die Behauptung, dass Deutschland sich mit 8,50 Euro am unteren Ende der Skala bewegt, wie es von der Gewerkschaft ver.di behauptet wird? 2. Wird sich die Landesregierung landesweit bei den Kreisen und Kommunen für die umgehende Anpassung, also Verteuerung, der Taxi-Tarife einsetzen, sodass die Taxi-Unternehmer die Mehrkosten durch den beabsichtigten gesetzlichen Mindestlohn kompensiert bekommen? Wenn nicht, bitte mit Begründung. 3. Welche Auswirkungen hat der beabsichtigte gesetzlich festgelegte Mindestlohn auf die weiteren Leistungen des Personenverkehrs (gemeint sind u. a. Kranken-, Transfer- und Kurierfahrten ), und was würde eine bereits diskutierte Erhöhung auf 10 Euro pro Stunde nach sich ziehen ? 4. Inwieweit plant die rot-grüne Landesregierung, sich ihren Parteifreunden auf Bundesebene - mit Bezug auf § 6 NTVerG - anzuschließen, und wird sich die Landesregierung, z. B. über eine Bundesratsinitiative, für eine EU-weite Einführung eines gesetzlichen und flächendeckenden Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro oder sogar für 10 Euro engagieren, und, wenn nein, warum nicht? 5. Erkennt die Landesregierung bereits eine Tendenz in Richtung Erhöhung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns aufgrund der oben beschriebenen Diskussion, oder bleibt der beabsichtigte gesetzliche Mindestlohn nach Einschätzung der Landesregierung über Jahre 1 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1839 stabil in der diskutierten Höhe, und was ist der Grund für die Einschätzung der Landesregierung ? 6. Teilt die Landesregierung die Befürchtungen des Einzelhandels, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn mittelständische, oft familiengeführte Einzelhändler in strukturschwachen Räumen, wie z. B. „Südniedersachsen“, bedroht, und tut die Landesregierung dies wie die Bundesarbeitsministerin Nahles als „hysterisches Gejaule“ ab? (An die Staatskanzlei übersandt am 09.07.2014 - II/725 - 823) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 29.07.2014 für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Z3-01424/0020/823/Stundenlohn - Die Landesregierung hat seit Regierungsantritt einen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik vollzogen. So hat sie sich unter dem Leitbild „Gute Arbeit“ u. a. gemeinsam mit anderen Ländern in einer Bundesratsinitiative für einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn von brutto 8,50 Euro pro Stunde eingesetzt, um den Wert der Arbeit verstärkt in den Mittelpunkt der arbeitsmarktpolitischen Betrachtungen zu rücken. Mit dem Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetz hat sie gleichzeitig dafür gesorgt, dass Auftragnehmer im Bereich des Öffentlichen Auftragswesens bereits seit dem 01.01.2014 auskömmliche und faire Löhne zahlen müssen. Die Landesregierung sieht darüber hinaus das im Juli 2014 vom Deutschen Bundestag und vom Deutschen Bundesrat jeweils mit großer Mehrheit beschlossene Tarifautonomiestärkungsgesetz als einen wichtigen Schritt an, um auskömmliche und faire Löhne für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu garantieren. Sie erwartet dadurch nicht zuletzt eine gesteigerte Wertschätzung der Leistung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die mit einem Mindestlohn von brutto 8,50 Euro pro Stunde vor nicht zu rechtfertigenden Niedriglöhnen geschützt werden. Die Landesregierung hält neben der Ausgestaltung des Tarifautonomiestärkungsgesetzes insgesamt insbesondere auch die festgelegte Höhe des Mindestlohns für angemessen. Das Tarifautonomiestärkungsgesetz sieht entsprechende Anpassungen seiner Höhe frühestens ab dem 01.01.2017 vor. Voraussetzung hierfür ist ein einen entsprechenden Vorschlag enthaltender Beschluss der sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Sozialpartner zusammensetzenden Mindestlohnkommission . Die Landesregierung vertraut auf die Sachkompetenz der Mindestlohnkommission , in den nächsten Jahren eventuell notwendige Anpassungen der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns vorzuschlagen. Vor diesem Hintergrund sieht die Landesregierung keine Notwendigkeit, sich an Stelle der dazu berufenen sach- und fachnäheren Mitglieder der Mindestlohnkommission in absehbarer Zeit auf politischer Ebene mit einer Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns zu befassen . Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Eine Vergleichbarkeit der Höhe der Mindestlöhne in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU ist aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Lebenshaltungskosten schwierig und ein Vergleich insofern wenig aussagekräftig. 2 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1839 Die derzeit in den Mitgliedstaaten geltenden Mindestlöhne sind der folgenden Tabelle zu entnehmen : Mitgliedstaat Mindestlohn in Euro/Stunde Belgien 9,10 Bulgarien 0,95 Dänemark ./. Deutschland /. Estland 1,90 Finnland ./. Frankreich 9,43 Griechenland 3,35 Irland 8,65 Italien ./. Kroatien 2,30 Lettland 1,71 Litauen 1,76 Luxemburg 11,10 Malta 4,06 Niederlande 9,07 Österreich ./. Polen 2,21 Portugal 2,92 Rumänien 1,06 Schweden ./. Slowenien 4,53 Slowakei 1,94 Spanien 3,91 Tschechische Republik 2,01 Ungarn 1,97 Vereinigtes Königreich 7,78 Zypern ./. Quelle: EUROSTAT, Juli 2014 Zu 2: Zuständig für die Genehmigung von Veränderungen der Beförderungsentgelte nach dem Personenbeförderungsgesetz sind die Landkreise und kreisfreien Städte. Sie werden erst dann tätig, wenn ein entsprechender Antrag eines Taxiunternehmens vorliegt. Ob und wenn ja in welchem Umfang die geplante Einführung des Mindestlohns im Taxigewerbe eine Kompensation durch eine Änderung der Beförderungsentgelte nach sich zieht, ist allein eine unternehmerische Entscheidung. Im anschließenden Genehmigungsverfahren werden beantragte Veränderungen mehreren betriebswirtschaftlichen Parametern gegenübergestellt. So muss eine beabsichtigte Erhöhung des Beförderungsentgelts im Verhältnis zur wirtschaftlichen Lage des Unternehmers, einer ausreichenden Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals und der notwendigen technischen Entwicklung angemessen sein. Die Landesregierung hat sich bereits frühzeitig und in Abstimmung mit dem Gesamtverband der Verkehrsbetriebe Niedersachsen für eine schlanke und effiziente Vorbereitung der durch die Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro zum 01.01.2015 zu erwartenden Umstellungsphase bei den Genehmigungsbehörden eingesetzt. Zu 3: Das Tarifautonomiestärkungsgesetz sieht branchenübergreifend ab dem 01.01.2015 ein Mindestentgelt von grundsätzlich 8,50 Euro je Zeitstunde vor. Über die Auswirkungen dieses Mindestlohns auf weitere Leistungen des Personenverkehrs liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 3 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1839 Tendenziell ist nicht auszuschließen, dass es in einigen Bereichen zu Marktbereinigungen kommen wird. Im Bereich Krankentransport schließen die Krankenkassen Verträge und Preisvereinbarungen mit ihren Vertragspartnern. Kosten für Fahrten, die im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus medizinischer Sicht zwingend notwendig sind, übernehmen nach § 60 SGB V die gesetzlichen Krankenkassen. Neben Kosten für Fahrten zur stationären Behandlung können unter bestimmten Voraussetzungen auch Kosten für Fahrten zur ambulanten Behandlung übernommen werden. Das betrifft beispielsweise Fahrten zur Strahlen- oder Chemotherapie und zur ambulanten Dialysebehandlung. Eine Anpassung des Mindestlohns und damit eine Erhöhung auf 10 Euro kann frühestens in das Verfahren zur Entscheidungsfindung der im Mindestlohngesetz vorgesehenen Mindestlohnkommission mit Wirkung zum 01.01.2017 eingebracht werden. Zu 4: § 6 NTVergG beinhaltet Regelungen, die den Betreiberwechsel bei der Erbringung von Personenverkehrsdiensten betreffen, z. B. über die Einsichtnahme in Geschäftsunterlagen, aus denen Umfang , Art, Dauer und tatsächliche Entlohnung betroffener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hervorgehen oder abgeleitet werden können. Ein Bezug zum flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn erschließt sich der Landesregierung nicht. Aufgrund der Ausgestaltung der Europäischen Verträge stellt sich für die Landesregierung weder die Frage nach der Höhe eines einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns noch nach dessen Zustandekommen . Die Einführung und Umsetzung nationaler Mindestlöhne liegt in der Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten. Zudem wäre ein gesetzlich festgeschriebener europaweiter Mindestlohn aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Lebenshaltungskosten unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten aus Sicht der Landesregierung nicht sinnvoll. Zu 5: Nach dem als Teil des Tarifautonomiestärkungsgesetzes vom Deutschen Bundestag beschlossenen Mindestlohngesetz gilt ab dem 01.01.2015 grundsätzlich für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer ein Mindestlohn von brutto 8,50 Euro je Zeitstunde. Auf Vorschlag einer ständigen Kommission der Tarifpartner, der Mindestlohnkommission, kann er durch Rechtsverordnung der Bundesregierung geändert werden. Erstmals kann die Mindestlohnkommission nach Ablauf der im Mindestlohngesetz vorgesehenen Übergangsfrist bis zum 30.06.2016 eine Anpassung mit Wirkung zum 01.01.2017 beschließen. Dabei prüft die Mindestlohnkommission, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist, zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden. Die Mindestlohnkommission orientiert sich bei der Festsetzung des Mindestlohns nachlaufend an der Tarifentwicklung. Aufgrund dieses Verfahrens und der in ihm zu berücksichtigenden, derzeit ungewissen Faktoren ist für die Landesregierung keine Tendenz für eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 10 Euro erkennbar; ebenso wenig vermag sie einzuschätzen, ob die Mindestlohnkommission für eine längere Beibehaltung des jetzt vom Bundestag beschlossenen Mindestlohns votieren wird. Im Übrigen erscheint es aus Sicht der Landesregierung nicht sinnvoll, eine Erhöhung des Mindestlohns zu diskutieren, ehe der jetzt beschlossene in der Praxis eingeführt ist und wirken konnte. Zu 6: Die Landesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, dass der Mindestlohn für mittelständische, spezielle familiengeführte Einzelhandelsunternehmen in strukturschwachen Räumen eine Bedrohung darstellt. Da der Mindestlohn für alle Unternehmen gelten soll, wird er die Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen in gleicher Weise verändern. Auch werden mit seiner Einführung für die Unternehmen vorteilhafte Erwartungen verknüpft, da gerade im unteren Einkommensbereich höhere Löhne erhebliche Nachfrageeffekte auslösen, ein Wettbewerb der Unternehmen mittels Lohndumping verhindert wird und eine höhere Arbeitszufriedenheit und Leistungsbereitschaft des Personals sowie weniger kostenintensive Personalfluktuation erwartet werden. Insoweit kann das 4 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1839 im Vergleich zu Konzernbetrieben stärker kunden-, beratungs- und serviceorientierte Geschäftsmodell mittelständischer Unternehmen von solchen Entwicklungen profitieren. Olaf Lies 5 (Ausgegeben am 07.08.2014) Drucksache 17/1839 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Gabriela König und Jörg Bode (FDP), eingegangen am 25.06.2014 Wie ist die Haltung der Landesregierung zur 10-Euro-Stundenlohn-Frage? Antwort der Landesregierung