Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/1862 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 28.05.2014 Vielfalt bei der Verfassungsschutzbehörde für eine effektivere Arbeit Am 21. Mai 2014 wurde der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2013 vorgestellt. Nach Angaben des Innenministers Boris Pistorius bereitet die Bewegung der Salafisten in Niedersachsen den Si- cherheitsbehörden besonders Sorgen. Für eine qualifizierte Bewertung der islamistischen Szene hat der „Verfassungsschutz nicht genug Mitarbeiter mit Migrationshintergrund“, so die Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Welche Qualifikationen müssen nach Auffassung der Landesregierung die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde aufweisen, um die salafistische Szene effektiv zu beobachten und zu bewerten? 2. Welche Bedeutung kommt dabei einem Migrationshintergrund der Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter zu? 3. Wie hoch war der Anteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der niedersächsischen Ver- fassungsschutzbehörde mit einschlägigem Migrationshintergrund jeweils zum Stichtag 31.12.2011, 31.12.2012 und 31.12.2013? (An die Staatskanzlei übersandt am 05.06.2014 - II/725 - 770) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 05.08.2014 für Inneres und Sport - 51.32 - Die in der Kleinen Anfrage aufgegriffene mutmaßliche Aussage von Frau Verfassungsschutzpräsi- dentin Brandenburger, „der Verfassungsschutz habe nicht genug Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund für eine qualifizierte Bewertung der islamistischen Szene“ stammt aus der Presseberichterstattung und wurde so nicht getätigt. Vielmehr hat die Verfassungsschutzpräsi- dentin das große Interesse der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde formuliert, den Anteil an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Migrationshintergrund in allen Phänomenbereichen zu er- höhen. Einschlägige Sprachkompetenzen, Kenntnisse über die historischen und kulturellen Hintergründe aus ihren ursprünglichen Herkunftsländern und interkulturelle Kompetenz besitzen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund bereits aufgrund ihrer Lebensgeschichte - sie bringen sie in Folge ihrer Sozialisation somit quasi automatisch in die tägliche Arbeit mit ein. Im Verfassungs- schutz und dort vor allem im Phänomenbereich des Islamismus/Salafismus bekommen die genann- ten Kompetenzen eine besondere Bedeutung - nicht nur bei der Aufgabenstellung, die islamistische Szene qualifiziert zu bewerten, sondern gerade auch im Bereich der Anwerbung von Quellen. Dementsprechend wird eine Verstärkung des Personalkörpers mit Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern mit Migrationshintergrund nachdrücklich angestrebt und diese Eigenschaft bzw. das Vorliegen einschlägiger Sprachkompetenzen im Rahmen von Stellenausschreibungen besonders herausge- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1862 2 stellt. Ergänzend dazu erfolgen umfassende Schulungsmaßnahmen der übrigen Beschäftigten des Verfassungsschutzes zur Erweiterung ihrer interkulturellen Kompetenz, um ihre Fähigkeiten auf dem Gebiet der Bearbeitung islamistischer/salafistischer Sachverhalte zu optimieren. Insoweit ist ein Migrationshintergrund kein zwingendes Erfordernis zur Bearbeitung islamistischer Sachverhalte, denn Fortbildung und/oder langjährige Sachbearbeitung in diesen Aufgabengebieten führen ebenfalls zu der Fähigkeit, sich in das Empfinden und die Denkweise eines anderen Kultur- kreises hineinversetzen zu können. Dennoch ist ein Migrationshintergrund hier hilfreich für ein ver- tiefendes Verständnis und auch der stattfindende interne Austausch im Rahmen der kollegialen Zu- sammenarbeit von Kolleginnen und Kollegen mit und ohne Migrationshintergrund ist wertvoll. Ein Migrationshintergrund ist dabei für sich allein kein Indikator für Leistungsfähigkeit und Qualität in der Extremismusbekämpfung, er bietet aber Ansatzpunkte in der Qualitätssteigerung, die anderen- falls unberücksichtigt blieben. Der niedersächsische Verfassungsschutz ist demnach daran interes- siert, den Anteil der Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund weiterhin zu erhöhen. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Auf der Basis einer guten Allgemeinbildung, eines ausgeprägten politischen Interesses und einer fundierten Verwaltungskompetenz sind entscheidende Qualifikationen insbesondere wissenschaft- liche Analysekompetenz, operatives Denken, Kenntnisse ideologischer Hintergründe (hier im Be- reich Islamismus/Salafismus), rechtliche Anwendungskompetenz sowie strukturelles und konzepti- onelles Handeln im Hinblick auf eine aktive Informationsauswertung. Ein sicheres Differenzieren und Bewerten der vorhandenen Erkenntnisse erfordert zudem eine hohe Selektionsfähigkeit, Ent- scheidungskompetenz und interkulturelle Kompetenz. Arabische oder türkische Sprachkompetenz ist wünschenswert. Um den aktuellen Entwicklungen in der salafistischen Szene zu begegnen, wird die stete Aktualisierung der Kenntnisse vorausgesetzt. Für den Bereich der Informationsbeschaf- fung sind daneben insbesondere kommunikative und soziale Stärken gefragt. Generell gibt es keine primäre Ausbildung als „Verfassungsschützer“. Als Basisausbildung der Mit- arbeiterinnen und Mitarbeiter der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde liegt in der Regel eine herkömmliche Verwaltungsausbildung (Allgemeine Verwaltung oder Polizei) vor. Gerade zur Stärkung der wissenschaftlichen Analysekompetenz werden im Bereich der Auswertung islamwis- senschaftliche, sozialwissenschaftliche und politologische Ausbildungen besonders begrüßt. Die spezielleren rechtlichen Grundlagen und operativen Fähigkeiten, insbesondere zum Identifizieren und Bewerten von extremistischen Organisationen oder Einzelpersonen, sowie ideologische, kultu- relle, länderkundliche und strukturelle Hintergründe werden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verfassungsschutzbehörde im Rahmen der täglichen Praxis sowie durch (zum Teil mehrwöchi- ge) Fortbildungen in der Akademie für Verfassungsschutz und in internen Fortbildungen, z. B. durch Islamwissenschaftler, vermittelt. Zu 2: Ein Migrationshintergrund in der beruflichen Tätigkeit des Verfassungsschutzes kann insbesondere im Bereich Islamistischer Extremismus und sonstiger Extremismus mit Auslandsbezug im Hinblick auf Kenntnisse der kulturellen Hintergründe oder der Sprache des hier betroffenen Personenpoten- tials hilfreich sein und wird entsprechend begrüßt. Die dort schon verstärkt eingesetzten Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter unterstützen die anderen Auswerterinnen und Auswerter mit ihren speziellen Fertigkeiten im Einzelfall und nutzen insbesondere ihre türkische und arabische Sprachkompetenz z. B. bei der Internetauswertung. Zu 3: Der Migrationshintergrund wird gemäß den Vorgaben des Bundesamtes für Migration und Flücht- linge wie folgt definiert: „Zu den Menschen mit Migrationshintergrund (im weiteren Sinn) zählen alle nach 1949 auf das heu- tige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil.“ Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1862 3 Der innerhalb der Fragestellung verwendete Begriff „einschlägig“ wird hier in der Weise interpretiert , dass damit auf Volks- und Staatszugehörigkeiten abgestellt werden soll, die bei der Bearbei- tung islamistischer/salafistischer Sachverhalte den gleichen kulturellen Hintergrund aufweisen wie die zu beobachtenden Akteure der Bestrebung. Der Migrationshintergrund der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Niedersächsischen Verfas- sungsschutzbehörde wird nicht systematisch erfasst, daher beruht die Beantwortung dieser Frage auf Schätzungen der Beschäftigten der Niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde. Von diesen Voraussetzungen ausgehend wird mit Blick auf die im islamistisch- salafistischen Milieu auftretenden Volksgruppen und Staatsangehörigkeiten (türkisch und arabisch) der Anteil der Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter mit einschlägigem Migrationshintergrund im Bereich des für die Bear- beitung der islamistischen Szene zuständigen Referats „Islamistischer Extremismus und sonstiger Extremismus und Terrorismus mit Auslandsbezug“ zu den genannten Stichtagen auf jeweils 11 % geschätzt. Der Anteil des Personals mit einem bekannten Migrationshintergrund (sowohl einschlägig als auch nicht-einschlägig bezogen auf die übertragenen Aufgaben) am Gesamtbestand des Verfassungs- schutzpersonals beträgt zu den genannten Stichtagen etwa 5 %. In Vertretung Stephan Manke (Ausgegeben am 19.08.2014) Drucksache 17/1862 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 28.05.2014 Vielfalt bei der Verfassungsschutzbehörde für eine effektivere Arbeit Antwort der Landesregierung