Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/1883 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Martin Bäumer (CDU), eingegangen am 28.07.2014 Organspende im Urlaub gegen den eigenen Willen? In vielen Ländern Europas gilt für Organentnahmen im Todesfall nicht die erweiterte Zustimmungs- regelung wie in Deutschland, sondern die sogenannte Widerspruchsregelung. In diesen Ländern ist automatisch jeder Organspender, der einer Organentnahme nicht zu Lebzeiten ausdrücklich wider- sprochen hat. Dies soll nach Medienberichten auch für Urlaubsreisende aus anderen Ländern gelten. Wer als deutscher Urlauber z. B. in Italien schwer verunglücke, werde so im Todesfall automatisch zum Organspender. Allerdings solle sich selbst durch das Mitführen eines deutschen Organspendeaus- weises, mit dem der Entnahme von Organen widersprochen werde, nicht verhindern lassen, dass Organe entnommen werden. Auch die Angehörigen könnten die Organentnahme durch einen Widerspruch nicht verhindern. Diese Regelung solle außer in Italien auch in Frankreich, Lettland, Liechtenstein, Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn und Zypern praktiziert werden. In Belgien, Finnland und Norwegen hätten An- gehörige zumindest noch ein Mitspracherecht. In Bulgarien gebe es überhaupt keine Möglichkeit des Widerspruchs. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Ist es zutreffend, dass jeder Urlauber in den o. g. EU-Ländern im Todesfall selbst dann auto- matisch zum Organspender wird, wenn ein Organspendeausweis mitgeführt wird, mit dem ei- ner Organentnahme ausdrücklich widersprochen wird? 2. Welche Möglichkeiten haben Angehörige in diesen Ländern, die Organentnahme gegen den Willen des Verstorbenen zu verhindern? 3. Falls die Organentnahme gegen den Willen des Verstorbenen in diesen Ländern aufgrund des Territorialitätsprinzips nicht verhindert werden kann: Wie bewertet die Landesregierung diese Rechtslage vor dem Hintergrund, dass sich der deutsche Gesetzgeber angesichts des höchstpersönlichen Charakters einer Organspende bewusst für die erweiterte Zustimmungs- regelung entschieden hat? 4. Sind der Landesregierung bereits Fälle bekannt, in denen deutsche Unfallopfer im Urlaub im EU-Ausland unfreiwillig zu Organspendern wurden, obwohl ein Organspendeausweis mitge- führt wurde, mit dem einer Organentnahme ausdrücklich widersprochen wurde? 5. Wie klärt die Landesregierung niedersächsische Urlauber über die in anderen Ländern gel- tenden Regelungen zur Organspende auf? (An die Staatskanzlei übersandt am 01.08.2014 - II/725 - 869) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1883 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 18.08.2014 für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - 405 - 41552/05/01 - Das Transplantationsgesetz des Bundes (TPG) 1 regelt die Spende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung von Organen, die nach dem Tode oder zu Lebzeiten gespendet werden. Für die Or- ganspende nach dem Tode sieht das TPG eine sogenannte Erklärungs- oder Entscheidungslösung vor, wie sie in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern bereits Gesetz ist. Bei dieser Entscheidungslösung ist vorgesehen, jede Bürgerin und jeden Bürger mindestens einmal im Leben zur Bereitschaft für oder gegen eine Organspende zu befragen. Dies könnte z. B. beim Ausstellen des Personalausweises oder des Führerscheins geschehen. Ebenso wäre eine Speicherung der Entscheidung auf der elektronischen Gesundheitskarte denkbar. Wer sich nicht bei der Befragung festlegen will, muss dies nicht tun. Wird von dieser Option Gebrauch gemacht, soll eine Organent- nahme bei einem potenziellen Spender aber prinzipiell möglich sein, wenn die Angehörigen zu- stimmen. Neben der in Deutschland geltenden Entscheidungslösung gibt es auch noch andere Herangehensweisen: Bei der sogenannten Erweiterten Zustimmungslösung muss die oder der Verstorbene zu Lebzeiten, z. B. per Organspendeausweis, einer Organentnahme zugestimmt haben. Liegt keine mündliche oder schriftliche Entscheidung vor, müssen die Angehörigen über eine Entnahme entscheiden. Entscheidungsgrundlage ist der ihnen bekannte oder der mutmaßliche Wille des oder der Verstor- benen. Diese Lösung wird z. B. in den Niederlanden und Dänemark praktiziert. Bei der sogenannten Erweiterten Widerspruchslösung kommt grundsätzlich jeder Mensch als Or- ganspender in Betracht, sofern der Organentnahme nicht ausdrücklich widersprochen wurde. Die Organspende würde so zum Normalfall. Liegt ein Widerspruch des Verstorbenen gegen die Organ- entnahme nicht vor, billigt die erweiterte Widerspruchsregelung auch den Angehörigen ein subsidi- äres Widerspruchsrecht zu. Um sicherzustellen, dass die Erklärung eines Widerspruchs tatsächlich Berücksichtigung findet, könnte ein Widerspruchsregister eingerichtet werden. Länder mit Wider- spruchslösung, z. B. Spanien, Italien oder Österreich, realisieren in der Regel deutlich mehr Organ- spenden, worauf von Fürsprechern der Widerspruchslösung gerne hingewiesen wird. Die erweiterte Widerspruchlösung stößt jedoch auch auf Kritik, insbesondere wegen des Eingriffs in das Selbstbe- stimmungsrecht sowie des fehlenden Spielraumes, die persönliche Entscheidung jederzeit revidie- ren zu können. Insoweit erscheint die derzeit in Deutschland geltende Entscheidungslösung als geeigneter Mittel- weg. Sie bietet gute Voraussetzungen für eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz, indem sie einer- seits alle Bürgerinnen und Bürger anspricht, sich zur Organspende zu positionieren, andererseits aber dem Selbstbestimmungsrecht der Menschen hinreichend Rechnung trägt. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1 und 2: Für die Organentnahme gelten nach dem Territorialprinzip die Regeln desjenigen Landes, in dem sich eine Person aufhält. Dies führt aufgrund der unterschiedlichen Rechtslage in den Mitgliedstaa- ten der Europäischen Union und den übrigen Staaten zu unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Organentnahme in den Staaten der Erde. Wer über die Frage der Organentnahme nach dem Tode selbst bestimmen möchte, sollte vor der Reise einen Organspendeausweis ausfüllen und diesen bei den Ausweispapieren tragen. Bei der 1 Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben (Transplantationsgesetz - TPG) vom 4. September 2007 (BGBl. I S. 2206), zuletzt geändert durch Artikel 5 d des Gesetzes vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2423) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1883 3 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stehen Muster zur Verfügung, mit deren Hilfe zu- sätzlich ein Beiblatt in der jeweiligen Landessprache ausgefüllt und ausgedruckt wird. Im Organspendeausweis kann der Entnahme von Organen und Gewebe nicht nur zugestimmt, sondern auch widersprochen werden. So verhindert man in Ländern mit Widerspruchsregelung, au- tomatisch zum Spender zu werden 2 . In Österreich besteht die Möglichkeit, sich in das „Widerspruchsregister gegen Organspende“ 3 des Bundesinstituts für Gesundheitswesen eintragen zu lassen, auch als Ausländer. Vor der Organent- nahme wird dort überprüft, ob die oder der Verstorbene im Register steht. Denkbar ist es auch, eine Widersprucherklärung mit der Aussage „Ich will kein Organspender sein“ bei den Ausweispapieren zu führen. Dieses Schreiben wird in den meisten Ländern als Widerspruch akzeptiert werden. Zu 3: Angesichts der Souveränität anderer Staaten zur eigenen Gesetzgebung nimmt die Landesregie- rung davon Abstand, eine Bewertung der Rechtslage in anderen Staaten vorzunehmen. Zu 4: Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über Fälle vor, in denen deutsche Unfallopfer im Urlaub im EU-Ausland unfreiwillig zu Organspendern wurden, obwohl ein Organspendeausweis mitgeführt wurde, mit dem einer Organentnahme ausdrücklich widersprochen wurde. Zu 5: Öffentlichkeitsarbeit für Reisende, die im Unglücksfall im Ausland gegen ihren Willen zu Organ- spendern werden könnten, sind vonseiten der Landesregierung bislang nicht vorgesehen. In Vertretung Jörg Röhmann 2 http://www.organspende-info.de/organspendeausweis/hinweise 3 http://www.goeg.at/de/Widerspruchsregister (Ausgegeben am 28.08.2014) Drucksache 17/1883 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Martin Bäumer (CDU), eingegangen am 28.07.2014 Organspende im Urlaub gegen den eigenen Willen? Antwort der Landesregierung