5Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/1886 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Christian Grascha und Jörg Bode (FDP), eingegangen am 15.07.2014 Lebensversicherungsreformgesetz - Bewertungsreserven gefährdet? Der Bundesrat beschäftigte sich in seiner Sitzung am 11. Juli 2014 mit dem am 4. Juni von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzentwurf zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte. Er nutzte dabei seine Einspruchsmöglichkeit nicht. Damit ist das Gesetz be- schlossen. Der eigentliche Gegenstand des Gesetzes ist, sicherzustellen, dass die Leistungsfähigkeit der Le- bensversicherungen erhalten bleibt. Diese ist durch die anhaltende Niedrigzinspolitik der EZB ge- fährdet. Um die Erhaltung der Leistungsfähigkeit sicherzustellen, hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket als Gesetzentwurf in die parlamentarischen Beratungen eingebracht. Das Maßnahmenpaket beinhaltet u. a. die Absenkung des Garantiezinses von 1,75 % auf 1,25 % sowie die Einschränkung der Beteiligung von Bestandskunden an sogenannten Bewertungsreser- ven. Bewertungsreserven entstehen durch die Erhöhung des Marktwertes einer Anlage gegenüber den Anschaffungskosten. Beispielsweise haben ältere, von der Bundesrepublik Deutschland aus- gegebene Staatsanleihen derzeit einen höheren Marktwert, da sie über die gleichen Sicherheiten wie neuere Staatsanleihen verfügen, ihre Verzinsung aber deutlich über aktuellen Staatsanleihen liegt. An der so entstehenden Bewertungsreserve sind nach derzeitiger gesetzlicher Lage die Ver- sicherungsnehmer bei Vertragsende mit der Hälfte zu beteiligen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Bestandskunden nur ein Recht auf die Auszahlung eines Anteils der Bewertungsreserven haben, wenn diese nicht für die Auszahlung der Garantiebeträge neuerer Lebensversicherungen benötigt werden. Teil des Maßnahmenpaketes ist aber auch die vollständige und genaue Offenlegung der Provisio- nen und Vertragskosten der rund 245 000 Versicherungsvermittler in Deutschland. Im Internetportal www.versicherungsbote.de wird am 3. Juni 2014 kommentiert: „Formulierungen im Referentenentwurf legen nahe, dass der geplante Kostenausweis, inklusive Provisionen und Vertragskosten, auf Euro und Cent für alle Versicherungsprodukte gelten soll.“ Eine Eingrenzung auf Lebensversiche- rungsprodukte wird dabei aber nicht vorgenommen. Versicherungsvermittler befürchten laut www.versicherungsbote.de daher einen „gigantischen Bürokratie-Aufwand (…), der alleine für Ver- sicherungsmakler Kosten von über 1,1 Mrd. Euro pro Jahr bedeutet.“ Im Gesetzentwurf der Bun- desregierung heißt es zu den erwarteten Kosten: „Der Aufwand aus der Informationspflicht betrifft zum größten Teil die Information der Versicherungsnehmer über die Abschlussprovision (§ 61 Abs. 3 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz - VVG) mit 1 150 000,00 Euro.“ Es ist wird befürchtet, dass die Kosten an den Verbraucher weitergegeben werden. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung den Entwurf des Gesetzes zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte? 2. Hat die Landesregierung den Gesetzentwurf unterstützt? Wenn ja, aus welchen inhaltlichen Erwägungen tat sie dies, auch unter Berücksichtigung der niedersächsischen Finanzinteres- sen und der Interessen des Finanz- und Versicherungsstandorts Hannover? Wenn nicht, wa- rum nicht? 3. Inwieweit trägt die Gesetzesänderung nach Meinung der Landesregierung dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2005 Rechnung, das explizit eine Beteiligung der Versicher- ten an geschaffenen Vermögenswerten gefordert hat? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1886 2 4. Wie bewertet die Landesregierung den Schutz der Auszahlungen von Neukunden bei Le- bensversicherungen zulasten der Beteiligung der Bestandskunden an den Bewertungsreser- ven? 5. Mit welchen Verlusten rechnet die Landesregierung im Schnitt für jeden Bestandskunden durch die Veränderung bei der Einbeziehung der Bewertungskriterien zur Sicherung der Leis- tungsfähigkeit der Lebensversicherungen? 6. Mit welchen Kosten ist für die niedersächsischen Versicherungsvermittler zu rechnen, die durch die vollständige und detaillierte Offenlegung der Provision und Vertragskosten entste- hen? 7. Wie bewertet die Landesregierung die Verhältnismäßigkeit der vollständigen und detaillierten Offenlegung der Provision und Vertragskosten des Maklers im Hinblick auf den zu erreichen- den Kundenmehrwert und die von der Bundesregierung erwarteten Bürokratiekosten von über 1 Milliarde Euro? 8. Hält die Landesregierung die Befürchtung für begründet, dass die zusätzlichen Bürokratiekos- ten letztlich von den Versicherungsnehmer getragen werden müssen? 9. Wie bewertet die Landesregierung die Auswirkungen des Gesetzentwurfes auf die nieder- sächsischen mittelständischen Versicherungsvermittler im Hinblick auf ökonomische Stabilität ihrer Berufstätigkeit und den aufkommenden zusätzlichen bürokratischen Mehraufwand? 10. Wie bewertet die Landesregierung den Vorschlag der Betroffenen, statt Einführung des Kos- tenausweises eine stärke Transparenz für den Kunden zu schaffen, indem im Rahmen eines Renditeeffektes Aufschluss darüber gegeben wird, wie sich die einkalkulierten laufenden Kos- ten auf die Rendite eines Lebensversicherungsvertrages auswirken? (An die Staatskanzlei übersandt am 22.07.2014 - II/725 - 857) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 19.08.2014 für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Z3-01424/0020/857/ Lebensversicherungsreformgesetz - Die 2008 eingeführte Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven führt in der jetzigen Niedrigzinsphase dazu, dass einer zufälligen Minderheit der Versicherten bei Kündi- gung oder Ablauf höhere Zinsen ausgeschüttet werden, die der großen Mehrheit in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit dem Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes vom 17.02.2012 (BR-Drs. 90/12) wurde die Bundesregierung erstmalig gesetzgeberisch aktiv mit dem Ziel, die Höhe der den Versicherungsnehmern bei Auszahlung von Lebensversicherungsverträgen zustehenden Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapieren zu regulieren. Der Gesetzent- wurf, der als wesentliches Ziel die Umsetzung der europäischen Solvency II-Regelungen zum Ziel hatte, passierte den Bundesrat, ohne dass diese Passage eine Rolle bei der Stellungnahme des Bundesrates gespielt hätte (BR-Drs. 90/12 -Beschluss-). Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde jedoch nicht vom Bundestag verabschiedet, weil die umzusetzende EU-Richtlinie noch nicht abschließend verabschiedet war. In Artikel 8 des dann von der schwarz-gelben Bundesregierung eingebrachten „SEPA-Begleit- gesetzes“ (BT-Drs. 17/10038 vom 07.11.2012) sollte dann wiederum eine Änderung der Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Bewertungsreserven beschlossen werden. Der Änderungsvor- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1886 3 schlag fand Anfang 2013 im Vermittlungsausschuss keine Mehrheit, u. a. weil die fehlende Beteili- gung der Versicherungsunternehmen bemängelt wurde. Die jetzt regierende große Koalition im Bund hatte sich im Koalitionsvertrag verständigt, „Lösungs- vorschläge zum Umgang mit den Folgen eines lang anhaltenden Niedrigzinsumfeldes zu erarbeiten und generationengerecht im Interesse der Versichertengemeinschaft geeignete Maßnahmen zur Stärkung der Risikotragfähigkeit und Stabilität der Lebensversicherungen zu treffen“. Der Umset- zung dieser Vorgabe dient das mit Wirkung vom 07.08.2014 in Kraft getretene Lebensversiche- rungsreformgesetz. Es handelt sich dabei um einen fairen Kompromiss zwischen Versicherungswirtschaft und Verbrau- cherschutz: Die Versicherungswirtschaft und Versicherungsnehmer, deren Verträge noch eine län- gere Laufzeit haben, profitieren von den Änderungen der bisherigen Vorschriften zur Verteilung der Bewertungsreserven, während die übrigen Punkte, die ausschließlich zulasten der Versicherer und ihres Außendienstes gehen, schon lange erhobene Forderungen der Verbraucherschützer beinhal- ten. Das Lebensversicherungsreformgesetz dient damit einem gerechten Ausgleich der Interessen der Beteiligten. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Die Landesregierung hält den von Bundestag und Bundesrat verabschiedeten Gesetzentwurf für einen wichtigen Baustein zur Stabilisierung von Lebensversicherungsunternehmen und einen fairen Ausgleich zwischen den Ansprüchen der einzelnen Lebensversicherungsnehmer. Im Übrigen ver- weise ich auf meine Ausführungen im Vorspann. Zu 2: Die Landesregierung hat im Bundesrat nicht für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses vo- tiert. Zur Begründung verweise ich ebenfalls auf den Vorspann. Zu 3: Die jetzt getroffene Regelung bewegt sich im Rahmen der genannten Rechtsprechung des Bun- desverfassungsgerichtes. Das Gericht hatte seinerzeit beanstandet, dass bei der Bemessung der Schlussüberschussbeteiligung die Höhe der Bewertungsreserven unzureichend berücksichtigt wur- de, aber offen gelassen, wie dieser Mangel zu beseitigen ist. Der Gesetzgeber hat dann mit der Re- form des Versicherungsvertragsgesetzes im Jahr 2008 eine Lösung erarbeitet und umgesetzt. Als später die Niedrigzinsphase einsetzte, zeigte sich, dass diese Lösung zu Ungerechtigkeiten bei der Beteiligung an den Bewertungsreserven führte, da einer zufälligen Minderheit der Versicherten bei Kündigung oder Ablauf höhere Überschüsse ausgeschüttet werden, die der großen Mehrheit in Zu- kunft nicht mehr zur Verfügung stehen. Eine Anpassung war daher notwendig, weil das Bundesver- fassungsgericht im gleichen Urteil festgestellt hatte, dass der Gesetzgeber den Schlussüberschuss nicht ausschließlich am Interesse des oder eines einzelnen Versicherten oder gar an dem Interesse eines aus dem Versicherungsverhältnis Ausscheidenden, an der Optimierung der an ihn auszukeh- renden Leistungen ausrichten kann. Das widerspräche dem für das Versicherungsrecht typischen Grundgedanken einer Risikogemeinschaft. Zu 4: Wie bereits ausgeführt, geht es nicht um den Schutz oder die Belastung einzelner Versicherter. Vielmehr handelt es sich um einen fairen Kompromiss zwischen Versicherungswirtschaft und Ver- braucherschutz im Rahmen eines Kompromiss-Pakets. Die Lage der Lebensversicherungsunter- nehmen wird zurzeit durch das anhaltend niedrige Zinsniveau bestimmt, das auf die Kapitalergeb- nisse und damit auf die Überschussbeteiligungen der Versicherer drückt. Die Lebensversicherer haben vermehrt Schwierigkeiten, die langfristigen Garantien der Verträge mit den hohen einge- rechneten Zinsen von bis zu 4 % zu erfüllen. Die derzeitige Lage und die zukünftige Entwicklung bedeuten insgesamt eine große Herausforderung für das Geschäftsmodell Lebensversicherung. Mit dem jetzt in Kraft getretenen Lebensversicherungsreformgesetz werden Lösungsvorschläge zum Umgang mit den Folgen eines anhaltenden Niedrigzinsniveaus umgesetzt und im Interesse der Versichertengemeinschaft generationengerecht geeignete Maßnahmen zur Stärkung der Risiko- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1886 4 tragfähigkeit und Stabilität der Lebensversicherungen getroffen. Es handelt sich damit eben nicht ausschließlich um eine Verteilungsfrage zwischen denen, deren Lebensversicherung jetzt ausläuft, und denen, die erst später ausbezahlt werden. Und auch die Versicherer müssen einen erkennba- ren Beitrag leisten. Das Lebensversicherungsreformgesetz ist ein Ergebnis, das den veränderten Rahmenbedingungen insgesamt gerecht wird. Zu 5: Die Berechnung eines Durchschnittswertes des Betrages, der bei zeitnahen Vertragsabläufen we- niger oder bei späteren Vertragsabläufen mehr an den einzelnen Versicherungsnehmer ausge- schüttet wird, lässt sich nicht ermitteln. Das hängt sehr individuell von dem einzelnen Versiche- rungsunternehmen ab, von der jeweiligen Kapitalanlagestruktur, von den tatsächlich vorhandenen Bewertungsreserven zum jeweiligen Ablauf des individuellen Vertrages und weiteren Unwägbarkei- ten. Hinzu kommt noch eine auffallend hohe Volatilität der Bewertungsreserven, die von Quartal zu Quartal zum Teil erheblich schwankt. Zwar gibt es Zeitreihen der Bewertungsreserven auf festver- zinsliche Wertpapiere, aber eine sinnvolle Zuordnung auf Einzelverträge oder Berechnung eines aussagekräftigen Durchschnittswertes ist auch damit nicht möglich. Zu 6 bis 10: Die Anfrage zitiert in ihrer Einleitung aus einem Kommentar vom 03.06.2014. Anders als in diesem Kommentar dargestellt, ist allerdings die detaillierte Offenlegung der Provisionen der Versiche- rungsvermittler nicht Bestandteil des Gesetzespaketes geworden. Der Bundestag hatte am 04.07.2014 das Lebensversicherungsreformgesetz ohne eine Offenlegung der Vermittlerprovisio- nen beschlossen und war damit dem Vorschlag des Finanzausschusses des Bundestages gefolgt. Der Bundesrat hatte dann am 11.07.2014 beschlossen, zu dem Gesetz den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen. Das Lebensversicherungsreformgesetz ist im BGBl. I, Nr. 38, Seite 1330, am 06.08.2014 bekanntgemacht worden. Eine Beantwortung der Fragen 6 bis 10 ist damit obsolet. In Vertretung Daniela Behrens (Ausgegeben am 28.08.2014) Drucksache 17/1886 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage der Abgeordneten Christian Grascha und Jörg Bode (FDP), eingegangen am 15.07.2014 Lebensversicherungsreformgesetz - Bewertungsreserven gefährdet? Antwort der Landesregierung