Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 1 Antwort auf eine Große Anfrage - Drucksache 17/1455 - Wortlaut der Großen Anfrage der Fraktion der CDU vom 31.03.2014 Salafismus in Niedersachsen Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, alle Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Dabei ist die Gefahr als solche zu betrachten und nicht die Richtung, aus der sie kommt. In den zurückliegenden Jahren haben sich salafistische Bestrebungen in Niedersachsen etabliert, von denen eine solche Gefahr für unsere verfassungs- mäßige Ordnung ausgeht. Weder der Islam als Religion noch die Glaubensgemeinschaft der Muslime werden von den Verfas- sungsschutzbehörden in Deutschland beobachtet. Sie stehen vielmehr unter dem Schutz des Grundgesetzes. Der Salafismus ist jedoch eine politische Ideologie, die die religiösen Gebote und Normen des Is- lam zu politischen Handlungsanweisungen, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind, umdeu- tet. Seine Anhänger verfolgen das Ziel, die verfassungsgemäße Ordnung durch eine „gottgewollte“ Ordnung nach salafistischem Regelwerk zu ersetzen. Dabei wird ein universaler Herrschaftsan- spruch erhoben, zu dessen Durchsetzung auch die Gewaltanwendung als legitimes Mittel propa- giert wird. Vom Salafismus geht daher eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grund- ordnung aus. Die Zahl salafistischer Gruppierungen und ihrer Anhänger steigt stetig an. Dies ist besonders an der Zunahme öffentlicher Aktivitäten zu erkennen. So hat der salafistische Verein „Schlüssel zum Paradies“ kürzlich angekündigt, ein Missionszentrum in Hannover errichten zu wollen. Den Salafisten ist es gelungen, zahlreiche reale und virtuelle Aktionsformen in Deutschland zu etablieren. Der Salafismus war seitdem häufig Gegenstand der Berichterstattungen in den Medien. Dem Verfassungsschutz kommt eine Frühwarnfunktion zu. Bestrebungen, die sich gegen die frei- heitliche demokratische Grundordnung richten, geschehen zunächst im Verborgenen. Umso wichti- ger ist eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Überzeugungssystem des Salafismus. Nur wer ausreichend Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen sammelt und systema- tisch analysiert, kann diesen auch wirksam begegnen. Daher sind salafistische Bestrebungen seit dem Jahr 2011 als bundesweites Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes ausgewiesen. Dies ist auch in Niedersachsen der Fall. So führte der Nie- dersächsische Innenminister in einer Pressemitteilung vom 26. April 2013 aus: „Salafistische und islamistische Bestrebungen wird der Verfassungsschutz weiterhin aufmerksam beobachten.“ Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: I. Zum Überzeugungssystem salafistischer Bestrebungen und ihrem Verhältnis zur frei- heitlichen demokratischen Grundordnung 1. Wann und aus welchen Gründen entstand die salafistische Bewegung? 2. Auf welchen philosophischen und theologischen Grundannahmen basiert das Überzeugungs- system des Salafismus? 3. Was sind die zentralen Inhalte des Überzeugungssystems der Anhänger des Salafismus, und wie unterscheiden sich diese von anderen islamistischen Bewegungen? 4. Welche unterschiedlichen Formen des Salafismus gibt es? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 2 5. Wie unterscheidet sich das Überzeugungssystem des Salafismus von den Annahmen des or- thodoxen Islam (z. B. Wahabismus)? 6. Wie bewertet die Landesregierung die Einstellung der Salafisten zur freiheitlichen demokrati- schen Grundordnung sowie zum Staat und zu seinen Einrichtungen? 7. Welche Gefahren für die verfassungsmäßige Ordnung gehen von der Politisierung der religiö- sen Inhalte des Islam aus? 8. Wie ist das Verhältnis zwischen Herrschaft und Religion im Überzeugungssystem des Sa- lafismus ausgestaltet? 9. Welche Legitimationsquellen von Herrschaft sind im Überzeugungssystem des Salafismus vorherrschend? 10. Welche allgemeine Bedeutung nimmt das Staatswesen im Überzeugungssystem des Sa- lafismus ein? 11. Welche Rolle spielt die Religion für den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Überzeugungs- system des Salafismus, und werden daneben noch weitere Aspekte berücksichtigt? 12. Ist die Vorstellung eines säkularen Staatswesens mit dem Überzeugungssystem des Salafis- mus vereinbar? 13. Sind die universellen Menschenrechte mit dem Überzeugungssystem des Salafismus verein- bar? 14. Welche Rolle spielt die Religionszugehörigkeit im Überzeugungssystem des Salafismus in Bezug zum Gedanken der rechtlichen Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger im modernen Verfassungsstaat? 15. Wie beeinflusst die Dichotomie zwischen Gläubigen und Ungläubigen bei Anhängern des Sa- lafismus deren Einstellung zum freiheitlichen Verfassungsstaat? 16. Welchen Umgang mit sogenannten Ungläubigen schreibt die Lehre des Salafismus vor? Gibt es in dieser Frage Unterschiede zwischen verschiedenen salafistischen Strömungen? 17. Welche Rolle spielt der Aspekt der Missionierung im Überzeugungssystem des Salafismus? 18. Welche Rolle spielt der Aspekt der Gewaltanwendung im Überzeugungssystem des Salafis- mus? 19. Welche Quellen werden zur Rechtfertigung der Anwendung von Gewalt herangezogen? 20. Welche besondere Rolle spielt die Gewaltanwendung gegenüber Frauen? 21. Welche Rolle spielt der Dschihad im Überzeugungssystem des Salafismus? 22. Der rheinland-pfälzische Justizminister Jochen Hartloff (SPD) erklärte am 2. Februar 2014 in der B. Z., dass er Scharia-Richter auch in Deutschland grundsätzlich für zulässig halte. Hält die Niedersächsische Landesregierung das Rechtssystem der Scharia für mit dem Grundge- setz vereinbar? 23. Welche Rolle spielt der Antisemitismus in salafistischen Gruppierungen? 24. Kann die Landesregierung ausschließen, dass von den salafistischen Gruppierungen terroris- tische Bedrohungen ausgehen? Wenn nein, welche genauen Kenntnisse hat die Landesregie- rung über derartige Vorkommnisse? 25. Sind Vertreter des Salafismus aus Niedersachsen in regionale oder überregionale Netzwerke eingebunden, die mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden können? 26. Was unternimmt die Landesregierung gegen salafistische Gruppierungen, die in Verbindung zu terroristischen Aktivitäten stehen? 27. Welche Rolle spielten Vertreter des Salafismus bei den Aktivitäten der sogenannten Sauer- landgruppe? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 3 28. Existiert eine Zusammenarbeit salafistischer Gruppierungen mit anderen extremistischen Kräften, insbesondere aus dem Bereich des Islamismus? II. Zu den allgemeinen Erkenntnissen über salafistische Bestrebungen in Niedersachsen 29. Welche Maßnahmen zur Informationsgewinnung über salafistische Bestrebungen ergreift die Landesregierung? 30. Seit wann gibt es salafistische Aktivitäten in Deutschland und speziell in Niedersachsen? 31. Welche salafistischen Gruppierungen gibt es in Niedersachsen, und wo haben sie ihren Sitz? 32. Wie viele Mitglieder haben die salafistischen Gruppierungen, und wie hat sich deren Mitglie- derzahl seit dem Jahr 2000 entwickelt? 33. In welchen Landkreisen oder Städten macht die Landesregierung Zentren des Salafismus aus? 34. Gibt es in Niedersachsen bekannte salafistische Führungspersönlichkeiten? Wenn ja, wie heißen diese, und wie wird ihnen vonseiten der Behörden entgegengetreten? 35. Wie sind die salafistischen Gruppierungen in Niedersachsen organisiert? 36. Wie arbeiten die einzelnen Gruppierungen auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene zu- sammen? 37. Gibt es darüber hinaus ein Netzwerk auf europäischer oder globaler Ebene? Wenn ja, welche Auswirkungen hat dieser Umstand auf Niedersachsen? 38. Wie finanzieren sich die salafistischen Gruppierungen, und wie hoch ist das Spendenauf- kommen? 39. Wie bewertet die Landesregierung die öffentlichkeitswirksamen Aktionen salafistischer Bewe- gungen in Niedersachsen, wie beispielsweise die Verteilung kostenloser Ausgaben des Ko- rans? 40. Zu wie vielen Koranverteilungen durch salafistische Gruppen kam es bislang in Niedersach- sen, und welche Resonanz erfuhren diese? 41. Welche und wie viele Straftaten wurden seit dem Jahr 2000 in dem Bereich des Salafismus registriert, aufgeschlüsselt nach Städten und Gemeinden? 42. Wo fanden seit dem Jahr 2000 Aufzüge, Demonstrationen oder Kundgebungen salafistischer Gruppierungen statt? Wie viele Personen haben jeweils daran teilgenommen? Zu welchen Anlässen bzw. aus welchen Gründen fanden diese statt? Unter welchem Titel erfolgte jeweils die Anmeldung bei den zuständigen Behörden? 43. Bei welchen Aufzügen, Demonstrationen oder Kundgebungen kam es seit dem Jahr 2000 zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, mit Unbeteiligten oder mit Gegende- monstranten? Zu wie vielen Festnahmen ist es dabei gekommen? 44. Wie intensiv war jeweils der polizeiliche Einsatz in personeller und sachlicher Hinsicht? Wie hoch waren jeweils die Kosten für den Polizeieinsatz und für sonstige Sicherheitsmaßnah- men? III. Zu der Verbreitung salafistischer Ideen in Niedersachsen 45. Wie werben salafistische Gruppierungen um neue Mitglieder? 46. Wie wird das Internet bei der Mitgliederwerbung genutzt? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 4 47. Welche Veranstaltungen haben die salafistischen Gruppierungen zur Werbung neuer Mitglie- der in der Vergangenheit organisiert, aufgeschlüsselt nach Landkreisen, Städten und Ge- meinden? 48. Welche Publikationen oder sonstige Medienerzeugnisse salafistischer Gruppierungen sind in Niedersachsen erhältlich? Wie hoch ist jeweils die Anzahl der Leser und der Abonnenten? 49. Welche Kenntnis hat die Landesregierung über Werbeaktionen salafistischer Gruppierungen vor Schulen? 50. Welche Kenntnis hat die Landesregierung über Werbeaktionen salafistischer Gruppierungen an Universitäten? 51. Welche Kenntnis hat die Landesregierung über den sozialen Hintergrund der Mitglieder sa- lafistischer Gruppierungen? 52. Welche Motive für eine Mitgliedschaft in salafistischen Gruppierungen sieht die Landesregie- rung? 53. Wird die in den islamischen Kernländern vorhandene religiöse Lehr- und Bildungsinfrastruktur nach Deutschland und speziell nach Niedersachsen übertragen? Wenn ja, welche genauen Erkenntnisse hat die Landesregierung darüber? 54. Welche Moscheen oder Islamschulen, an denen die salafistische Lehre verbreitet wird, gibt es in Niedersachsen? Welchen salafistischen Strömungen sind diese zuzuordnen? 55. Welche Schulungs- oder Ausbildungsveranstaltungen salafistischer Gruppierungen sind der Landesregierung seit dem Jahr 2000 bekannt? 56. Salafisten stehen in einem besonders engen Kontakt zu den Kernländern des Islam. Hat die Landesregierung Kenntnisse darüber, zu welchen Ländern insbesondere die niedersächsi- schen salafistischen Gruppierungen Verbindungen unterhalten? 57. Werden neu gewonnene Mitglieder der salafistischen Gruppierungen vermehrt zu Aufenthal- ten in islamischen Kernländern bewegt? Hat die Landesregierung Kenntnis über genaue Zah- len? 58. Hat die Landesregierung Kenntnisse über den Umstand, wie die Radikalisierung der Anhä- nger des Salafismus abläuft? Geschieht dies überwiegend im Ausland oder im Inland? 59. Welche Rolle spielt das Internet bei der weiteren Radikalisierung der Salafisten? 60. Wie viele deutsche Staatsangehörige, die zum Islam konvertiert sind, haben sich salafisti- schen Gruppierungen angeschlossen, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Altersstruktur? 61. Welche Motive von Konvertiten mit deutscher Staatsangehörigkeit für eine Mitgliedschaft in salafistischen Gruppierungen sind der Landesregierung bekannt, und welche Rückschlüsse zieht sie daraus? 62. Sind deutsche Staatsangehörige, die zum Islam konvertiert sind, einer Radikalisierung beson- ders zugänglich? Welche weitergehenden Erkenntnisse hat die Landesregierung zu dieser Frage? 63. Geht nach Ansicht der Landesregierung von Konvertiten zum Islam in salafistischen Bewe- gungen eine erhöhte Gefahr aus? 64. Kann die Landesregierung ausschließen, dass sich momentan Kämpfer am Bürgerkrieg in Sy- rien beteiligen, die niedersächsischen salafistischen Gruppierungen angehören oder angehör- ten? Wenn nein, welche genaueren Erkenntnisse hat die Landesregierung darüber (Zahl, Dauer des Aufenthalts, Organisation)? 65. Sind bereits Personen aus Niedersachsen nach Kenntnis der Landesregierung bei Kämpfen in Syrien ums Leben gekommen? Wenn ja, wie viele, wer und wo? 66. Kann die Landesregierung ausschließen, dass bereits Personen mit salafistischem Hinter- grund aus dem Bürgerkrieg in Syrien nach Niedersachsen gekommen sind? Wenn nein, wel- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 5 che genaueren Erkenntnisse hat die Landesregierung darüber (Zahl, Dauer des Aufenthalts, Organisation)? IV. Zum salafistischen Verein „Schlüssel zum Paradies“ 67. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über den salafistischen Verein „Schlüssel zum Paradies“? 68. Erkennt die Landesregierung Verbindungen zum aufgelösten salafistischen Verein „Einladung zum Paradies“? 69. Wie bewertet die Landesregierung das Vorhaben des salafistischen Vereins „Schlüssel zum Paradies“, ein Missionszentrum in Hannover zu gründen? 70. Was unternimmt die Landesregierung, um die Gründung des salafistischen Missionszentrums in Hannover zu verhindern? 71. Wie bewertet die Landesregierung den Auftritt des salafistischen Predigers Pierre Vogel am 29. März 2014 in Hannover? 72. Wie viele Personen haben an der Kundgebung teilgenommen, und wie viele Personen wur- den erreicht? 73. Wie viele Personen haben an Gegendemonstrationen teilgenommen, und wie viele Personen wurden erreicht? 74. Welche sicherheitspolitischen Maßnahmen wurden ergriffen? 75. Wie intensiv war der polizeiliche Einsatz in personeller und sachlicher Hinsicht? Wie hoch wa- ren die Kosten für den Polizeieinsatz und für sonstige Sicherheitsmaßnahmen? 76. Kam es im Rahmen der Kundgebung zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, mit Gegendemonstranten oder mit Unbeteiligten? Zu wie vielen Festnahmen ist es dabei ge- kommen? 77. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die im Rahmen der Kundgebung erfolgte Verteilung des laut Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indizierten Buchs „Die Botschaft des Islam“ von Abdul-Rahman Al-Sheha, dessen Schriften auch den niedersächsi- schen Verfassungsschutz beschäftigen? Wie bewertet die Landesregierung diesen Vorgang? 78. Denkt die Landesregierung über ein Verbot des salafistischen Vereins „Schlüssel zum Para- dies“ nach? V. Zu den Präventionsmaßnahmen der Landesregierung 79. Wann ist mit einer Fertigstellung des Konzepts der Landesregierung zur Prävention islamisti- scher Gewalt zu rechnen? 80. Welche Präventionsmaßnahmen gegen die weitere Ausbreitung des Salafismus in Nieder- sachsen plant die Landesregierung insbesondere zur Reduzierung des Mitgliederzuwachses salafistischer Gruppierungen? 81. Plant die Landesregierung eine Kooperation mit den muslimischen Verbänden? Wenn ja, wie soll diese ausgestaltet werden? 82. Plant die Landesregierung eine Kooperation mit den Moscheegemeinden? Wenn ja, wie soll diese ausgestaltet werden? 83. Plant die Landesregierung eine Kooperation mit dem Institut für islamische Theologie der Uni- versität Osnabrück? Wenn ja, wie soll diese ausgestaltet werden? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 6 84. Welche allgemeine Bedeutung misst die Landesregierung dem Institut für islamische Theolo- gie an der Universität Osnabrück zu? Welche Rolle kann es bei Präventionsmaßnahmen ein- nehmen? 85. Plant die Landesregierung, den Landesverband der Muslime in Niedersachsen finanziell zu unterstützen, damit dieser bei der Aufklärung von Jugendlichen über den Salafismus aktiv werden kann? 86. Plant die Landesregierung, finanzielle Hilfen für die Finanzierung von Sozialarbeitern in Mo- scheegemeinden zur Verfügung zu stellen? 87. Wie kann eine Radikalisierung von Vertretern des Salafismus verhindert werden, bevor es zu terroristischen oder anderen nicht verfassungskonformen Aktivitäten kommt? 88. Welche Schritte plant die Landesregierung zur Vorbeugung gegen salafistische Missionie- rung? 89. Welche Präventionsprogramme mit dem Ziel der Verhinderung einer Radikalisierung gibt es speziell für zum Islam konvertierte deutsche Staatsangehörige? 90. Welche Hilfsangebote werden Personen unterbreitet, die aus der salafistischen Szene aus- steigen möchten? Welche Gefahren entstehen dabei? 91. Welche Hilfsangebote werden Familien gemacht, die eine Radikalisierung eines Angehörigen bemerken und daraufhin professionelle Unterstützung suchen? Gibt es in Niedersachsen eine zentrale Anlaufstelle? 92. Welche Anzeichen sind üblicherweise während der Radikalisierung junger Muslime hin zum Salafismus vorhanden? Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 09.09.2014 für Inneres und Sport - 01425-17-46/2014 - Ich beantworte die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: In der Geschichte des Islams haben sich immer wieder politisch-religiöse Strömungen entfaltet, die sich zum Ziel setzten, die Verhältnisse einer idealisierten Frühphase der islamischen Geschichte wiederherzustellen. Dieses Bestreben wurde vor dem Hintergrund einer als vom rechten Pfad ab- gekommen empfundenen muslimischen Gesellschaft verfolgt. Im ausgehenden 19. Jahrhundert, zur Hochphase des europäischen Imperialismus, meinten führende muslimische Intellektuelle er- kennen zu können, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Erfolg von Gesellschaften und deren Religiosität gäbe. Einer Art Dekadenztheorie zufolge sei der augenfällige Rückstand musli- mischer im Vergleich zu europäischen Gesellschaften zu jener Zeit auf einer Verfälschung und Vernachlässigung des Erbes der ersten muslimischen Generationen zurückzuführen. Die salafisti- sche Bewegung setzte sich nunmehr das Ziel, durch einen Rückgriff auf das Erbe der „ehrwürdigen Altvorderen“ (as-salaf as-salih) die Verfremdungen und Verfälschungen der späteren islamischen Epoche zu beseitigen, um so den Herausforderungen der Moderne begegnen zu können. Ab 1898 gruppierte sich von Ägypten ausgehend um die Zeitschrift al-Manar (Der Leuchtturm) eine intellek- tuelle Führungsgruppe der sich allmählich verbreitenden salafistischen Bewegung. In Abgrenzung zu dem klassischen Salafismus hat sich in Teilen der Wissenschaft der Begriff Neo-Salafismus für die aktuellen Erscheinungsformen dieser islamistischen Bewegungen etabliert. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 7 Zu 2 und 3: Der Salafismus basiert auf dem Islam sunnitischer Prägung. Den vier klassischen sunnitischen Rechtschulen stehen Salafisten jedoch skeptisch bis ablehnend gegenüber, da man in Bezug auf diese eine Spaltung der islamischen Gemeinschaft befürchtet. Das allgemeinislamische Prinzip des Tawhid (Einzigheit Gottes, auch mit Monotheismus übersetzt) nimmt im Salafismus wie im Wahha- bismus eine zentrale Rolle ein. Als antagonistisches Prinzip zum Tawhid gilt der Schirk (Beigesel- lung, d. h. Polytheismus). Als zentrale Überzeugung aller Anhänger des Salafismus gilt es die Leh- re vom unbedingten Tawhid gegen die Muschrikun, d. h. die tatsächlichen oder imaginierten Anhä- nger des Schirk, zu verteidigen. Dabei ist nicht durchgehend klar, wer als Anhänger des Schirk zu gelten hat. Viele Salafisten bezeichnen Schiiten als Muschrikun, einige Salafisten meinen sogar, Christen seien aufgrund der Trinitätslehre Polytheisten. Dies ist insofern kein lediglich religiöses Moment, da die Verbreitung des Schirks für Salafisten als todeswürdiges Verbrechen gilt. Doch auch sunnitische Muslime können unter Umständen als Muschrikun angesehen werden, ins- besondere dann, wenn sie volkstümliche oder mystische Formen der islamischen Religion pflegen. Der im Volksislam weitverbreitete Heiligen- und Gräberkult gilt den Salafisten als verdammungs- würdiger Polytheismus. Somit erweisen sich Salafisten nicht nur gegenüber Nichtmuslimen und Schiiten als äußerst intolerant, selbst gegen Angehörige der eigenen sunnitischen Glaubensrich- tung wird mitunter mit Gewalt vorgegangen, wie sich u. a. an der Zerstörung von Stätten sufisch geprägter Religionsausübung in Syrien und im Irak gezeigt hat. Von anderen islamistischen Bewegungen unterscheiden sich die zentralen Inhalte des Überzeu- gungssystems der Anhänger des Salafismus dahin gehend, dass politische wie auch jihadistische Salafisten die Nachahmung der Lebensverhältnisse des siebten Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel als unbedingte Verpflichtung für alle Menschen zu allen Zeiten ansehen. Die Nachah- mung der Lebensverhältnisse der islamischen Frühzeit bezieht sich für praktisch alle Salafisten al- lerdings nicht auf technische, dafür aber auf politische, kulturelle und soziale Belange. Zu 4: Der Verfassungsschutzverbund unterscheidet zwischen einem politischen und einem jihadistischen Salafismus. Der Unterschied zwischen beiden Strömungen liegt darin begründet, dass politische Salafisten die von ihnen angestrebte Staats- und Gesellschaftsform grundsätzlich mittels Propa- ganda und Mission zu erreichen versuchen. Jihadistische Salafisten sehen den Jihad im militäri- schen Sinne als persönliche Pflicht des einzelnen Muslims an und greifen daher auch auf das Mittel der Gewalt zurück, um ihre Ziele zu erreichen. Der Übergang zwischen politischem und jihadisti- schem Salafismus verläuft fließend. In der Wissenschaft wird darüber hinaus die Existenz eines „puristischen“ Salafismus postuliert, der als weitgehend unpolitisch anzusehen sei. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein solcher „unpolitischer“ Salafismus nur dort praktiziert werden kann, wo bereits die Grundforderung einer jeden, also auch der puristischen Strömung des Salafismus erfüllt ist, nämlich die Errichtung eines Gemeinwesens auf dem Fundament einer äußerst doktrinär ver- standenen Scharia 1 . Darüber hinaus existieren weitere salafistische Strömungen, die jedoch große Schnittmengen mit den bereits erwähnten aufweisen, wie der Madkhalismus, der eine Akzeptanz der herrschenden po- litischen Ordnung predigt, sowie der Takfirismus, der zahlreiche Muslime aufgrund ihrer angebli- chen unzureichenden Glaubenspraxis zu unter Umständen hinzurichtenden Abtrünnigen erklärt. Zu 5: Salafismus wie auch Wahhabismus sind islamistische Bewegungen, deren Ziel es ist, die islami- schen Gesellschaften von vermeintlichen Fremdeinflüssen zu befreien. Somit verfolgen beide ideo- logischen Strömungen das gleiche Ziel, obwohl sie zu unterschiedlichen Zeiten in verschiedenen Bereichen der islamischen Welt entstanden sind. Beide Bewegungen müssen als stark politisiert eingeschätzt werden. Hiervon ist der Islam orthodoxer Prägung abzugrenzen, denn trotz vorhande- ner Schnittmengen steht beim orthodoxen Islam in der gelebten Praxis der allermeisten Muslime der Glauben und seine Ausübung im Zentrum. Der Glaube nimmt einen eher privaten Charakter an, während beim Salafismus und Wahhabismus (Staatsdoktrin Saudi-Arabiens) politische Inhalte 1 Zur Scharia vgl. die Antwort auf Frage 22. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 8 deutlich hervortreten. Die theologischen Grundlagen von islamistischen Strömungen wie Wahha- bismus und Salafismus sind grundsätzlich identisch mit denen des orthodoxen Islam. Zu 6: Die Landesregierung bewertet Salafisten als Vertreter eines politischen Extremismus, die die frei- heitliche demokratische Grundordnung ablehnen und den freiheitlichen Verfassungsstaat durch ei- ne auf der Scharia basierende Ordnung ersetzen wollen. Insbesondere verletzt die salafistische Ideologie die rechtsstaatlich-demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichstellung der Geschlechter sowie die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit und Religionsfreiheit. Vor allem dann, wenn Salafisten das Mittel der Gewalt zur Erreichung ihrer Ziele einsetzen, ist die öffentliche Sicherheit gefährdet. Zu 7: Die Landesregierung ist der Auffassung, dass religiöse Inhalte des Islams per se keine Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland darstellen. Eine Gefahr manifes- tiert sich aber für die verfassungsmäßige Ordnung dann, wenn Salafisten religiöse Konzepte wie den Jihad, den die meisten Muslime als moralische Konzeption ansehen, politisieren und in ihrem Sinne als Verpflichtung für jeden einzelnen Muslim umdeuten. Gerade dieser Missbrauch religiöser Konzepte durch Salafisten wird von der großen Mehrheit der muslimischen Gelehrten entschieden abgelehnt. Zu 8 und 9: Salafisten sind bestrebt, eine Staatsordnung zu errichten, die sie als religiös legitimiert ansehen. Der salafistischen Auffassung nach bildet die Scharia in einer extrem rigiden Auslegung eine dem göttlichen Willen entsprechende Grundlage für das menschliche Zusammenleben. Eine von Gott legitimierte Herrschaft könne daher nur im Rahmen einer auf Koran und Sunna 2 basierenden, auch politisch zu verstehenden Scharia existieren. Salafisten erkennen die Herrschaftstheorie an, wonach ein Herrscher keineswegs die Inhalte der Religion autoritativ festlegen dürfe. Insbesondere Salafisten des politischen Spektrums teilen auch den sunnitischen Grundsatz, wonach es besser sei, unter einem ungerechten Herrscher zu leben als einen Bürgerkrieg mit dem Ziel des Sturzes der Tyrannei zu führen. Im jihadistischen Bereich des Salafismus herrscht hingegen die Tendenz vor, alternative Herrschafts- und Regierungssyste- me mit religiösen Verdikten zu verdammen. Die Demokratie wird als Taghut bezeichnet, also als Götze. Eine Anerkennung der Demokratie kommt dieser Auffassung nach einem polytheistischen (Schirk) Bekenntnis gleich, welches notwendigerweise als Abfall vom Glauben interpretiert werden muss. Dies wiederum müsse mit dem Tode bestraft werden. Hingegen existieren in verschiedenen islamischen Staaten Parteien, die im Bereich des politischen Salafismus verankert sind und die sich demokratischen Wahlen stellen. Zu 10: Die Gestaltung eines Staatswesens nimmt für Salafisten eine zentrale Rolle ein, da die als göttlich angesehene Rechtsordnung der Scharia für ihr Funktionieren eine gemeinschaftliche Struktur vo- raussetzt. Besonders deutlich wird diese Vorstellung bei der salafistischen Terrororganisation „Is- lamischer Staat“ (ehemals „Islamischer Staat Irak und Großsyrien“), die sich, wie an der Namenswahl erkennbar, nicht für eine beliebige Kampforganisation hält, sondern tatsächlich für einen Staat. Mitunter gehen salafistische Organisationen jedoch auch pragmatisch vor, wenn es um ihren politischen Einfluss auf Politik und Staat geht. Obwohl etwa die klassische islamische Staatstheorie die Institution der Monarchie kritisch sieht, orientieren sich zahlreiche salafistische Gruppierungen des politischen Bereiches an Saudi-Arabien und pflegen gute Beziehungen dorthin. Diese Gruppie- rungen, etwa die Nur-Partei in Ägypten, thematisieren teilweise auch die eigentlich von der klassi- schen islamischen Staatstheorie geforderte Einrichtung eines Kalifats 3 . Tatsächlich haben sich die 2 Die Sunna (Tradition) ist die überlieferte Sammlung der Aussagen und Handlungen des Propheten Muhammad und seiner Gefährten. Die einzelne Überlieferung bezeichnet man als Hadith. Die Sunna ist neben dem Koran die zweite Hauptquelle des Islams. 3 Ein Kalifat stellt diejenige Staatsordnung dar, welche im Idealfall alle Muslime vereint und von einem religiös wie auch politisch legitimierten Nachfolger des Propheten Muhammad, dem Kalifen, beherrscht wird. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 9 meisten politischen Salafisten in der existierenden nationalstaatlichen Welt des Nahen Ostens ein- gerichtet, während jihadistische Organisationen eher die Tendenz aufweisen, diese im Hinblick auf ein zu errichtendes Kalifat überwinden zu wollen. Zu 11: Nach allgemeiner islamistischer, somit auch salafistischer Überzeugung, spielt die Religion für den gesellschaftlichen Zusammenhalt die alles entscheidende Rolle. Es ist die grundsätzliche Pflicht der Gemeinschaft, sich nach den in der Scharia offenbarten Vorgaben Gottes zu richten. Tut man dies, so befindet man sich auf dem „Weg zur Tränke“, wie das arabische Wort Scharia auch über- setzt werden kann. In der Praxis, nicht jedoch in der Theorie, spielen in salafistisch dominierten Gemeinschaften auch Faktoren wie Stammeszugehörigkeit und Familienbande eine für den gesellschaftlichen Zusam- menhalt wichtige Rolle. Zu 12: Die Vorstellung eines säkularen Staatswesens ist mit dem Überzeugungssystem des Salafismus nicht vereinbar. Eine Teilnahme salafistischer Parteien an Parlamentswahlen wie in Ägypten ist nicht als Anerkennung des nichtreligiösen Staatswesens zu werten, sondern soll den salafistischen Gruppierungen so viel Einfluss verschaffen, dass perspektivisch eine Ersetzung des säkularen durch ein theokratisches Staatsmodell ermöglicht wird. Zu 13 bis 16: Die äußerst rigide Interpretation der Scharia sowohl durch politische wie auch jihadistische Salafis- ten führt dazu, dass verschiedene Gruppen von Menschen als mit verschiedenen Rechten ausge- stattet angesehen werden. Salafisten jeglicher Couleur gehen davon aus, dass für Männer und Frauen mitunter unterschiedliche rechtliche Regelungen anzuwenden sind. Dies kann beispielswei- se Ehescheidungen oder das Erbrecht betreffen. Nach salafistischer Ansicht besitzt der Mann so- gar gegenüber seiner Frau das Recht, diese durch körperliche Züchtigung zu bestrafen. Auch un- terscheidet die salafistische Interpretation der Scharia die Menschen nach ihrer Religionszugehö- rigkeit. Im Inbesitz aller Rechte sind demnach nur Menschen, die von den Salafisten als Muslime anerkannt werden, d. h. in der Regel fundamentalistisch eingestellte Sunniten. Angehörige von vom Islam anerkannten sogenannten Buchreligionen (Christentum, Judentum, Zoroastrismus) werden überwiegend als existenzberechtigt anerkannt, besitzen jedoch einen niederen Rechtsstatus als Muslime. Alle anderen Menschen, Atheisten wie Polytheisten, besitzen nicht einmal das Recht auf Leben und müssten nach der Rechtstheorie getötet werden, wenn sie nicht zu einer „höheren“ Re- ligion, also im Idealfall zum sunnitischen Islam, übertreten. Eine dritte Unterscheidung, die die sa- lafistische Interpretation der Scharia zwischen verschiedenen Menschengruppen vornimmt, ist die zwischen Freien und Sklaven. Nach Ansicht sowohl des politischen wie auch des jihadistischen Sa- lafismus ist Sklaverei prinzipiell zulässig. Hier orientiert man sich an den Praktiken des islamischen Mittelalters. Diese Einteilung der Menschen in verschiedene Gruppen mit jeweils unterschiedlichen Rechten ist neben dem drakonischen Strafrecht mit Verstümmelungsstrafen der Hauptgrund, weshalb das Überzeugungssystem des Salafismus mit den universellen Menschenrechten nicht vereinbar ist. Daher lehnen Salafisten auch den Gedanken der rechtlichen Gleichheit aller Bürgerinnen und Bür- ger im modernen Verfassungsstaat prinzipiell ab. Der freiheitliche Verfassungsstaat, der keine Un- terscheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen kennt, wird somit von allen Strömungen des Salafismus grundsätzlich abgelehnt. Der Begriff „Ungläubiger“ (arab.: Kafir, Pl.: Kuffar) ist nicht eindeutig bestimmt. Häufig hängt es von den jeweiligen Umständen ab, welche Person bzw. Personengruppe mit dem Attribut „ungläubig“ versehen wird. Wie bereits oben angemerkt, billigen Salafisten Andersgläubigen nur geringere Rechte zu bzw. fordern für bestimmte Gruppen gar die Todesstrafe. Bei dieser grundsätzlichen Hal- tung gibt es keinen Unterschied zwischen Vertretern der verschiedenen salafistischen Strömungen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 10 Zu 17: Der Aspekt der Missionierung (arab.: Da’wa) spielt im Überzeugungssystem des Salafismus eine wichtige Rolle. Aktivitäten dieser Art sind heute in zahlreichen Organisationen, die national wie in- ternational agieren, institutionalisiert. Salafisten gehen davon aus, dass alle Menschen, die nicht ih- rer Interpretation des Islams folgen, in die Hölle kommen. Daher betrachten sie es als religiös äu- ßerst verdienstvoll, andere Menschen durch Bekehrung zum salafistischen Islam zu „retten“. Zu 18 und 19: Ideologisch gerechtfertigte Gewaltanwendung ist auf mehreren Ebenen systemischer Bestandteil der salafistischen Ideologie und Praxis. Sowohl politische wie auch jihadistische Salafisten fordern die Implementierung einer äußerst rigiden Form der Scharia. Wird diese umgesetzt, wie aktuell in Teilen Syriens und des Iraks, so finden Körperstrafen wie die Amputation von Gliedmaßen und Kreuzigungen Anwendung. Ebenso ist politischen wie jihadistischen Salafisten ein Gesellschafts- bild gemein, wonach bestimmten Menschengruppen nur mindere Rechte zugestanden werden dür- fen. In diesem System der strukturellen Gewalt sind Personen, die von den Salafisten nicht als „richtige“ Muslime anerkannt werden, rechtlich benachteiligt, was unter Umständen bis zur Hinrich- tung der Betreffenden führen kann (siehe Antwort auf die Fragen 13 bis 16). Im Bereich des jihadis- tischen Salafismus erfolgt darüber hinaus regelmäßig und andauernd eine ideologisch gerechtfer- tigte Gewaltanwendung zur Errichtung und Verteidigung eines islamischen Staates sowie gegen Personen, die als religiös minderwertig oder als politische Gegner eingeschätzt werden. Die Quellen, die zur Rechtfertigung der Anwendung von Gewalt herangezogen werden, sind dem islamischen Schrifttum (Sunna und Koran) entnommen. Diese Quellen werden jedoch auf eine ein- seitige und verzerrende Weise interpretiert. Zu 20: Die Anwendung einer rigiden Form der Scharia führt zur rechtlichen Minderstellung von Frauen ge- genüber Männern. Auch unterstützen Salafisten Vorschriften der Scharia, die es Ehemännern er- lauben, ihre Frauen zu schlagen. Sogenannte Ehrenmorde hingegen können nicht auf die Ideologie des Salafismus zurückgeführt werden. Salafistische Prediger sprachen sich wiederholt gegen eine solche Praxis aus und fordern die Bestrafung der Täter. Zu 21: Das politische Spektrum des Salafismus orientiert sich an der klassischen Auffassung vom Jihad. Demnach ist zwischen einem „großen“ und einem „kleinen“ Jihad zu unterscheiden. Der Große Jihad bezieht sich auf eine moralische Fortentwicklung des Individuums, der Kleine hingegen auf militärische Angelegenheiten. Während viele muslimische Autoren der Gegenwart den militärischen Aspekt des Jihads auf Verteidigungskriege beschränkt sehen möchten, interpretieren salafistische Gelehrte die klassische islamische Rechtslehre auch dahin gehend, dass neben der Verteidigung des islamischen Territoriums auch dessen Erweiterung Ziel des militärisch praktizierten Jihads sein muss. Vertreter des jihadistischen Islams betonen im Gegensatz zu anderen Muslimen die persön- liche Verpflichtung des Einzelnen in den militärischen Jihad zu ziehen, wenn der Islam in Gefahr ist. Diese Verpflichtung bedeutet jedoch nicht zwangsläufig einen militärischen Einsatz. Jihad kann nach dieser Auffassung auch durch Unterstützungsleistungen jeglicher Art betrieben werden. Für die weitaus meisten Muslime in Deutschland und weltweit spielt der Jihad im militärischen Sinne keine Rolle. Zu 22: Die Landesregierung kommentiert Zeitungsartikel grundsätzlich nicht. Die nachfolgende Beantwor- tung erfolgt daher unabhängig vom Bezugsartikel. Scharia bedeutet wörtlich übersetzt „Weg zur Tränke“ und bezeichnet die Gesamtheit aller islamischen Regeln und Riten, die im Koran und den gesammelten Prophetentraditionen (Sunna) festge- schrieben sind. Diese Texte zu interpretieren und daraus konkrete Handlungsempfehlungen und Gesetze abzuleiten, ist die Aufgabe der islamischen Rechtsgelehrten. Zur Rechtsfindung werden vier Quellen bzw. Methodiken zu Rate gezogen: der Koran, die Sunna, der Konsens der Gelehrten Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 11 („Idschma“) und der Analogieschluss („Qiyas“). Die Scharia ist nirgends abschließend festgeschrieben , sondern unterliegt einer steten Auslegung. Die Scharia besteht im Wesentlichen aus zwei Bereichen, den „Ibadat“ und den „Mu’amalat“. Die „Ibadat“ umfassen Vorschriften zum rituellen Leben und Pflichten gegenüber Gott. Dort sind u. a. neben den fünf Säulen des Islam die rituelle Reinheit (z. B. Waschungen vor dem Gebet) und das Verbot bestimmter Speisen (z. B. Schweinefleisch) geregelt. Die „Mu’amalat“ befassen sich mit den Regeln des menschlichen Zusammenlebens. Dort finden sich Bestimmungen zum Ehe-, Familien-, Personenstands-, Vermögens-, Verkehrs- und Wirtschaftsrecht sowie aus dem Strafrecht wieder. Während die Mehrheit der Muslime heute lediglich einen Teil der Scharia („Ibadat“) befolgt und sich an die dort festgelegten Vorschriften zum rituellen Leben und an die Pflichten gegenüber Gott hält, fordern Islamisten die unmittelbare und vollkommene Umsetzung der Scharia. Einige Vorschriften in der Scharia, die das menschliche Zusammenleben regeln („Mu’amalat“), widersprechen der frei- heitlichen demokratischen Grundordnung und der geltenden Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. So verletzen strafrechtliche Vergeltungsstrafen die grundrechtlich garantierte körper- liche Unversehrtheit, wie z. B. das Handabtrennen oder die Steinigung. Die Ungleichbehandlung der Geschlechter zeigt sich beispielhaft in den Rechtsgebieten des Erb- und Familienrechts. Auch wird die Herabwürdigung der Frau dadurch deutlich, dass die Zeugenaussage eines Mannes in ei- nigen Bereichen so schwer wiegt wie die zweier Frauen. Zu 23: Der Salafismus betrachtet das Judentum, genauso wie das Christentum, als Buchreligion. Das be- deutet, dass Angehörige dieser beiden Glaubensgemeinschaften aus salafistischer Sicht, im Ge- gensatz zu Atheisten und Polytheisten, ein Existenzrecht besitzen und ihre Religion in gewissem Maße ausüben dürfen. Insofern besteht aus salafistischer Sicht zunächst kein Unterschied in der Einstellung zu Juden und Christen. In den letzten Jahrzehnten hat sich jedoch vor dem Hintergrund des Nahostkonfliktes und der durch Migration erfolgten intensiveren Kontaktaufnahme mit der eu- ropäischen Erscheinungsform des Antisemitismus ein verstärkter Rückgriff auf islamische antijüdi- sche Aussagen ergeben. Antijüdische Aussagen im Koran und in den Hadithen (Überlieferungen über den Propheten) werden herangezogen und ideologisch instrumentalisiert. Daher kann heute durchaus von einem immer wieder auftretenden Antisemitismus im Bereich der salafistischen Gruppierungen gesprochen werden. Meistens verbleibt diese Erscheinungsform im verbalen Be- reich, jedoch kam es in Europa bereits zu antisemitisch motivierten Mordtaten wie in Toulouse 2012 und Brüssel 2014. Zu 24: Die Landesregierung kann nicht ausschließen, dass von salafistischen, insbesondere jihadistischen Gruppierungen terroristische Bedrohungen ausgehen. Die Landesregierung schließt sich der Beur- teilung der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder an, wonach insbesondere von radika- lisierten Rückkehrern aus dem syrischen Bürgerkrieg Gefahren ausgehen könnten. Es muss von einer ernst zu nehmenden Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland und für deutsche Interessen im Ausland ausgegangen werden. Niedersachsen liegt so wie ganz Deutsch- land weiterhin im Zielspektrum islamistisch-terroristischer Bestrebungen. Im jihadistischen Salafis- mus hat sich die Gefahrenlage durch die wachsende Zahl gewaltbereiter Anhänger, durch kampfer- fahrene Rückkehrer und die Lage in den Krisengebieten intensiviert. Mit Anschlägen durch gewalt- bereite Salafisten, die jihadistischen Organisationen angehören, durch autark operierende Kleinst- gruppen oder durch radikalisierte Einzeltäter muss weiterhin jederzeit gerechnet werden. Konkrete Hinweise auf Anschlagsplanungen in Niedersachsen liegen derzeit aber nicht vor. Zu 25: Neben einer Zunahme von Reisebewegungen nach Syrien werden salafistische Akteure in Syrien auch materiell aus Deutschland unterstützt. So rufen Salafisten in Deutschland massiv zu Spen- densammlungen, etwa über Benefizveranstaltungen, auf. Ebenso organisieren sie Hilfskonvois, um Geld- und Sachspenden oder auch Krankenwagen nach Syrien liefern zu können. Dazu werden Spendensammlungen auch in niedersächsischen Moscheen durchgeführt. Beispielsweise besteht über den salafistischen Verein „Afrikabrunnen e. V.“ eine Zusammenarbeit mit dem ebenfalls sa- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 12 lafistischen Verein „Helfen in Not e. V.“ im Hinblick auf angebliche Hilfsleistungen für Syrien. Auch Muhamed Ciftci rief im Internet dazu auf, den Verein „Helfen in Not e. V.“ in seinem Engagement in Syrien zu unterstützen. Es ist kaum möglich zu differenzieren, ob die jeweiligen Spenden als hu- manitäre Hilfsleistungen der syrischen Zivilbevölkerung zugutekommen oder ob sie der Unterstüt- zung jihadistischer Gruppierungen dienen. Zu 26: Die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden schöpfen in Bezug auf salafistische Gruppierungen, die in Verbindung zu terroristischen Aktivitäten stehen, alle zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten aus. Hinsichtlich der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden sowie präventivpoli- zeilicher Maßnahmen zur Früherkennung salafistisch/terroristischer Tendenzen wird auf die Ant- wort zur Frage 29 verwiesen. Darüber hinaus unterhalten die niedersächsischen Sicherheitsbehörden im Sinne des ganzheitli- chen Bekämpfungsansatzes intensive Kontakte zu anderen Behörden und zivilgesellschaftlichen Akteuren bzw. Einrichtungen. Im Rahmen dieses Bekämpfungsansatzes konnten beispielsweise bei vier Personen, die im Verdacht standen ein jihadistisches Ausbildungslager besuchen zu wol- len, die Reisepässe beschlagnahmt und dadurch die Ausreise verhindert werden. Ferner konnte bei einer Person, bei der Erkenntnisse dafür vorlagen, dass sie sich in Kampfgebiete begeben will, die Ausreise bei der Grenzkontrolle verhindert werden. Weitere Beispiele für eine er- folgreiche Ermittlungsarbeit ergeben sich aus den Antwortbeiträgen zu den Fragen 27 und 64. Zu 27: Der islamistische Terrorismus gilt heute überwiegend als salafistisch geprägt. Die Vernehmungen der Mitglieder der sogenannten Sauerlandgruppe und die im Laufe des Prozesses gewonnenen In- formationen brachten Erkenntnisse hinsichtlich des Radikalisierungs- bzw. des Rekrutierungspro- zesses terroristischer Gruppierungen. So scheint das salafistische Bildungsnetzwerk durch die Durchführung von sogenannten Islamseminaren eine wichtige Rolle im Radikalisierungsprozess gespielt zu haben. Weiterhin lässt das Beispiel der Sauerlandgruppe vermuten, dass die Bedeu- tung einer Art „Self-Made-Ideologie“ größer ist als früher vermutet. Die Mitglieder der Gruppe stell- ten sich aus dem salafistischen Angebot - vermittelt durch Moschee, Vereine, Islamseminare und Internetangebote - baukastenartig ihre eigene radikale Ideologie zusammen. Diese „Self-Made- Ideologie“ in Kombination mit persönlichen Schlüsselerlebnissen ließ in ihnen - teilweise unabhän- gig voneinander - den Wunsch entstehen, sich selbst aktiv am militanten Jihad zu beteiligen. Eine ehemals in Niedersachsen wohnhafte Person, welche der islamistisch-fundamentalistischen Salafistenszene zuzuordnen ist, wurde aufgrund des Verdachtes der Beschaffung bzw. des Trans- ports von Sprengzündern für die sogenannte „Sauerlandgruppe“ als Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts (GBA) wegen des Verdachts gemäß § 129 a Abs. 5 Satz 1 StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) sowie gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Vorbe- reitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens) geführt. Die Person soll sich mit einem der Haupttäter getroffen haben, um diesem mutmaßlich Sprengmit- tel (Zünder) zu übergeben. Das Verfahren gegen den Beschuldigten wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da ein zur Anklageerhebung notwendiger hinreichender Tatverdacht nicht be- gründet werden konnte. Bestrebungen der in Rede stehenden Person, sich aktiv am gewaltsamen Jihad im Ausland zu beteiligen, wurden bis zu dessen Umzug nach Berlin durch die zuständigen Sicherheitsbehörden verhindert. Aktuell soll sich die Person im Ausland befinden. Zu 28: Eine Zusammenarbeit salafistischer Gruppierungen mit anderen islamistischen Kräften findet ver- einzelt statt. Beispielsweise wurde das radikal-islamistische „Kultur- und Bildungszentrum Ingolstadt e. V.“ vom bayerischen Innenministerium verboten. Der Verein förderte und bestärkte die Kali- fatsstaatsideologie im Raum Ingolstadt sowie auf verschiedenen Plattformen im Internet. Zudem hatte der Verein enge Bezüge zu gewaltbereiten Salafisten. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 13 Zu 29: Die Sicherheitsbehörden des Landes betrachten den Salafismus als eine ernste Herausforderung für die innere Sicherheit. Zur Beobachtung und Bekämpfung setzen sie alle im Rahmen der Geset- ze vorhandenen Instrumentarien ein. Es besteht ein intensiver Austausch zwischen Behörden der Länder und des Bundes zu den verschiedenen Aspekten des Salafismus. Im Landesdienst befindli- che Fachleute, etwa Islamwissenschaftler, beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit diesem Thema und sorgen durch ihre Vernetzung mit der wissenschaftlichen Gemeinde für einen konstanten Wis- senszuwachs. Die Polizei trifft auf Basis des „Maßnahmenkonzeptes zur Intensivierung der Bekämpfung des is- lamistischen Terrorismus in Niedersachsen“ (Erl. d. MI vom 01.11.2002, Az. 23.20 - 12315/1, VS-NfD) einschließlich seiner Fortschreibung aus dem Jahr 2004 die geeigneten, erforderlichen und im Einzelfall verhältnismäßigen Maßnahmen zum effektiven Erkennen und Bekämpfen des is- lamistischen Terrorismus und dient damit auch dem zeitnahen Aufzeigen salafistischer Bestrebun- gen. Gewonnene Erkenntnisse werden nach einem durch das LKA Niedersachsen vorgegebenen landesweit einheitlichen Bearbeitungsstandard aufgearbeitet. Darüber hinaus findet werktäglich ein Informations- und Erkenntnisaustausch zwischen Vertretern der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder im Gemeinsamen Terrorismus-Abwehr-Zen- trum (GTAZ) in Berlin statt. Dieses Forum bietet sowohl bundesweit, als auch behördenübergrei- fend eine zeitnahe Möglichkeit der Informationsbündelung und -zusammenführung, um salafisti- sche Tendenzen bereits frühzeitig verifizieren zu können. In Niedersachsen werden unter Wahrung des Trennungsgebotes die vorliegenden Erkenntnisse regelmäßig zwischen Polizei und Verfassungsschutz im Gemeinsamen Informations- und Analyse- zentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ) ausgetauscht und bewertet. Dar- über hinaus dienen Arbeitstagungen des LKA Niedersachsen dem Informationsaustausch mit den Sicherheitsbehörden. Zu 30: Bis zum Beginn der 2000er-Jahre war der Begriff Salafismus in der Verwendung durch die Sicher- heitsbehörden eher ungebräuchlich. Entsprechende Phänomene wurden als islamistisch motiviert registriert. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Vorkommnisse, die heute als salafis- tisch bezeichnet werden würden, sich seit spätestens den 1990er-Jahren in Niedersachsen und Deutschland ereignet haben dürften. Diese Vorkommnisse dürften jedoch bei Weitem nicht die Quantität und Qualität der heutigen erreicht haben. Die Sicherheitsbehörden haben auf diese Ver- änderungen mit den unter der Antwort zu Frage 29 dargestellten Maßnahmen reagiert. Zu 31, 33, 35, 36 und 54: Zentren des politischen Salafismus in Niedersachsen befinden sich in Braunschweig und Hanno- ver. Die Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft in Braunschweig war in der Vergangenheit an die nicht mehr existente Islamschule, die einen salafistisch geprägten Islam propagierte, ange- schlossen. Der ehemalige Betreiber der Islamschule, Muhamed Ciftci, verfolgt mittlerweile das Pro- jekt einer, wie es in der Selbstbeschreibung heißt, „islamischen Videothek für den deutschsprachi- gen Raum“, der sogenannten Islamothek. In Hannover existieren mit dem Deutschsprachigen Islamkreis und dem Verein „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ miteinander verflochtene Organisatio- nen, die eine beträchtliche Ausstrahlung entfalten. Moscheen, die zumindest salafistisch beeinflusst sind, finden sich in weiteren Städten Niedersachsens, so in Hildesheim und Oldenburg. Der Verein Afrikabrunnen e. V., der ebenfalls eine salafistische Ausrichtung zeigt, hat seinen Sitz in Osnab- rück. Ganz überwiegend sind die in Niedersachsen auftretenden Vereine dem politischen Spektrum des Salafismus zuzuordnen, wobei der Verein Afrikabrunnen e. V. auch Kontakte zu Personen hält, die dem jihadistischen Salafismus zuzurechnen sind. Ohnehin sind die Übergänge zwischen politi- schem und jihadistischem Salafismus fließend (vgl. Antwort Nr. 4). Hinsichtlich der Organisationsform ist eine formelle und eine informelle zu unterscheiden. Formell herrscht die Vereinsform vor. Wichtiger jedoch für die Erfassung des Phänomens Salafismus ist die informelle Netzwerkbildung auf Kennverhältnisebene. Um Kristallisationspunkte herum, etwa Mo- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 14 scheen 4 , Islamseminare oder charismatische Prediger, entwickeln sich häufig persönliche Bekannt- schaften und Freundschaften Gleichgesinnter. Diese Netzwerke reichen mitunter über die engere in Vereinsform organisierte Moscheegemeinde hinaus in die muslimische Gemeinschaft hinein. Die Mitglieder dieser Netzwerke haben die Aufgabe, Da’wa zu betreiben und gegenüber Muslimen wie Nichtmuslimen den salafistisch geprägten Islam als die einzig gültige Wahrheit darzustellen. Statt in einer hierarchischen Struktur auf das Prinzip Befehl und Gehorsam zu setzen, spielt in diesem Zu- sammenhang die scheinbare Gleichberechtigung der, wie die Salafisten sich häufig selbst titulieren, Geschwister, eine große Rolle. So besucht man sich häufig, auch um sich der Richtigkeit der ge- meinsam verfolgten Ideale immer wieder zu versichern. Dieses Muster spiegelt sich auch in der Zusammenarbeit der einzelnen salafistischen Gruppierun- gen auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene wider. Auch ist der persönliche Kontakt von Schlüsselfiguren der salafistischen Szene zueinander entscheidender als z. B. formelle Einladun- gen an einen bekannten Prediger durch einen eingetragenen Verein. Zu 32: Der Salafismus ist seit 2011 Beobachtungsobjekt der Behörden für Verfassungsschutz. Daher wer- den erst seit diesem Jahr Zahlen durch den Verfassungsschutz erhoben. Bundesweit wurden 2011 ca. 3 800, 2012 ca. 4 500 und 2013 etwa 5 500 Personen dem salafistischen Spektrum zugerech- net. Für Niedersachsen lauten die Vergleichszahlen 275, 300 und 330. Zu 34: Der prominenteste Akteur der salafistischen Szene in Niedersachsen ist Muhamed Ciftci. Der in Braunschweig lebende Ciftci betrieb die in der salafistischen Szene Deutschland einmalige soge- nannte Islamschule, der 2012 durch die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht die Anerkennung verweigert wurde. Ciftci propagiert seine Anschauungen in zahlreichen ins Internet gestellten Videos sowie über Islamseminare und das salafistische Bildungs- und Gelehrtennetzwerk. Neben Ciftci agieren weitere salafistische Prediger des politischen Spektrums in Niedersachsen, deren Wirkungskreis jedoch nicht mit dem Ciftcis vergleichbar ist. Auch diese lokalen Führungspersön- lichkeiten sind den Sicherheitsbehörden bekannt. Der Verfassungsschutz beobachtet diese Aktivitäten mit den Befugnissen und Mitteln des Nieder- sächsischen Verfassungsschutzgesetzes. Zu 37: Salafisten des politischen wie des jihadistischen Spektrums sind global vernetzt. Beispielsweise hat das politisch-salafistische Netzwerk um den Braunschweiger Muhamed Ciftci intensive Kontakte zu Gleichgesinnten auf dem Balkan, in der Türkei und am Persischen Golf aufgebaut. Reisen von Sa- lafisten finden in beide Richtungen statt. Die bei Weitem wichtigste Auswirkung dieses Umstandes auf Deutschland und auch Niedersachsen ist, dass im Gegensatz zu den 60er- bis 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts heute aufgrund der technischen Anbindung (Internet, Satellitenfernsehen) und eben des Austausches im globalen salafistischen Netzwerk ein direkter Anschluss Niedersachsens an den internationalen salafistischen Diskurs gegeben ist. Salafistisches „Wissen“, d. h. Stellung- nahmen salafistischer Prediger zu Fragen aller Art, wird somit auch nach Niedersachsen transfe- riert. Ebenfalls wirken Themen, z. B. der Syrienkonflikt, und Deutungsmuster, z. B. „die ungläubigen Europäer unterstützen den Mord an unschuldigen Muslimen durch das Assad-Regime“, unmittelbar nach Deutschland und Niedersachsen hinein. Auch der jihadistische Salafismus ist auf globaler Ebene netzwerkartig strukturiert. Dies ist für Nie- dersachsen im Hinblick auf Ausreisen in das syrische Bürgerkriegsgebiet von Bedeutung. Zu 38: Moscheevereine bestreiten im Allgemeinen ihr finanzielles Aufkommen aus Spenden und Mit- gliedsbeiträgen. Dies gilt ebenso für salafistische Moscheevereine. Zur Höhe dieser Einkünfte kön- nen keine Angaben gemacht werden. Ob die Geschäftstätigkeit einzelner salafistischer Akteure et- 4 Moscheen können in diesem Zusammenhang sowohl salafistisch beeinflusst sein als auch lediglich salafistischen Muslimen als Gebetsstätte dienen, ohne selbst in irgendeiner Form die salafistische Ideologie zu unterstützen . Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 15 wa im Verlagsbereich oder bei der Organisation von Pilgerreisen neben der persönlichen Einkom- menssicherung auch der Finanzierung salafistischer Aktivitäten dient, kann bislang nicht bewertet werden. Zu 39 und 40: Die Landesregierung achtet das Recht auf freie Religionsausübung, was beispielsweise auch das Recht umfasst, für seine Religion friedlich zu werben. Dies trifft partiell auch auf die sogenannten „Lies!“-Koranverteilaktionen zu. Dennoch geht die Landesregierung davon aus, dass alle öffentlichkeitswirksamen Aktionen salafistischer Akteure in Niedersachsen primär das Ziel verfolgen, die ext- remistische Ideologie des Salafismus zu propagieren und zu verbreiten. Seit Oktober 2011 werden bundesweit in verschiedenen Städten Info-Stände durchgeführt, an de- nen der Koran in deutscher Übersetzung kostenlos an Passanten verteilt wird. Die Aktion findet im Rahmen des Projekts „Lies! Im Namen deines Herrn, der dich erschaffen hat“, statt. Verantwortlich für die Bereitstellung der Koranausgaben ist das salafistische Predigernetzwerk „Die Wahre Religion “ (DWR) um seinen Hauptakteur Ibrahim Abou Nagie. Der regionale Schwerpunkt der Verteilaktion lag in den westlichen Bundesländern. In Niedersach- sen wurden seit Januar 2012 Stände bzw. Anmeldungen zu Ständen hauptsächlich in Hannover, Osnabrück, Nordhorn, Cloppenburg, Wilhelmshaven, Salzgitter, Peine, Braunschweig, Göttingen, Cuxhaven, Hildesheim und Goslar festgestellt. Seit Bekanntwerden der Koranverteilaktion „Lies!“ wurden nach den Erkenntnissen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ca. 150 Stände festgestellt. Die Reaktion auf die Aktion war eher verhalten. Es gab lediglich ein kurzes gesteigertes Interesse von Passanten, welches durch die starke mediale Berichterstattung hervorgerufen wurde. Neben der „Lies!“-Koranverteilaktion, die sich ausschließlich auf die Verteilung des Korans beschränkte , fanden weitere Informationsstände in mehreren niedersächsischen Städten zum Thema Islam statt, die neben dem Koran auch andere Materialien zum Islam anboten. Vom Verein „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ werden regelmäßig Infostände in Hannover durchgeführt. In Braunschweig und Gifhorn tritt die „Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V.“ (DMG) als Be- treiber der Koranverteilungsstände auf. Die Resonanz auf die Aktionen ist eher als gering zu be- werten. Zu 41: Nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) wurde bundesweit im Jahr 2001 ein einheitliches Definitionssystem der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) eingeführt, um eine bundeseinheitliche und differenzierte Auswertung und Lage- darstellung zu ermöglichen. Eine gesonderte Erfassung von Straftaten in dem Bereich des Salafis- mus erfolgt dabei jedoch nicht. Im Vorgangsbearbeitungssystem der niedersächsischen Polizei wird die Religionszugehörigkeit von Personen nicht erfasst. Eine Antwort im Sinne der Fragestellung ist aus den o. g. Gründen daher nicht möglich. Zu 42: Gemäß Nr. 9.2 der Aktenordnung und des Aktenplans für die niedersächsische Landesverwaltung beträgt die Aufbewahrungsfrist für Akten, Bände oder Vorgänge 15 Jahre. Sie kann bis auf fünf Jahre verkürzt werden, soweit dies nach der Bedeutung des Akteninhaltes ausreichend ist. Eine va- lide retrograde Recherche bis zum Jahr 2000 ist vor diesem Hintergrund nur bedingt möglich. Am 29.03.2014 fand in Hannover eine Veranstaltung des zum Islam konvertierten Predigers Pierre Vogel im Rahmen der „Deutschlandtour 2014“ statt. Die Kundgebung in Hannover war eine von insgesamt 33 geplanten Veranstaltungen einer sogenannten Städtetour. Die versammlungsrechtli- che Aktion erfolgte unter dem Thema „Wie bekämpft man Jugendkriminalität“. Alle bisher durchge- führten Veranstaltungen im Rahmen der „Deutschlandtour 2014“ erhielten ein eigenes Motto, unter dem sie zur Anzeige gelangten. Inhaltlich waren alle Kundgebungen ähnlich gestaltet und in ihrer Zielsetzung darauf ausgerichtet, die salafistisch ausgelegte Glaubensrichtung des Islams zu predi- gen und Personen von einer Konversion zum Islam zu überzeugen. Weitere Angaben zu dieser Veranstaltung sind in der Beantwortung der Fragen 72 bis 76 dargestellt. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 16 Weitere Erkenntnisse im engeren Sinne zu Aufzügen, Demonstrationen oder Kundgebungen sa- lafistischer Gruppierungen in Niedersachsen liegen nicht vor. Für Erkenntnisse zu öffentlichkeits- wirksamen Aktivitäten von Salafisten im weiteren Sinne vgl. Antwort zu Frage 47. Zu 43: Es wird auf die Beantwortung der Frage 76 verwiesen. Weitere Erkenntnisse zu Aufzügen, De- monstrationen oder Kundgebungen salafistischer Gruppierungen in Niedersachsen liegen nicht vor. Zu 44: Es wird auf die Beantwortung der Frage 75 verwiesen. Zu 45 und 46: Salafistische Personen, Organisationen und Netzwerke betreiben vorrangig Da’wa-Arbeit (Missionierung ), womit eine Mitgliederwerbung einhergeht. Gelingt es eine Person von der Richtigkeit der These, wonach der salafistisch interpretierte Islam die einzig wahre Religion sei, zu überzeugen, so geht man davon aus, dass sich der Bekehrte ebenso verhält wie diejenigen, die ihn bekehrten, nämlich, dass auch er hinfort als Da’i (Missionar) wirkt und zumindest in seinem persönlichen Um- feld die neu erkannte vermeintliche Wahrheit verbreitet. Naturgemäß sucht der Neubekehrte An- schluss an Gleichgesinnte, sodass er sich in vielen Fällen in ein Netzwerk begibt, das z. B. um eine salafistische Moschee herum entstanden ist. Somit ist eine Mitgliederwerbung salafistischer Grup- pierungen nicht von der Missionierung zu trennen, die auch in Moscheen, an Infoständen, in Islam- seminaren und ganz allgemein im Alltag durchgeführt wird. Neben dieser klassischen Vorgehensweise, die insbesondere von Vertretern des politischen Sa- lafismus genutzt wird, hat sich mittlerweile das Internet als Verbreitungsmedium politischer wie jihadsalafistischer Vorstellungen etabliert. In seiner Anonymität sehen insbesondere Jihadisten eine Möglichkeit, ihre Ansichten zu transportieren. Genutzt für Propagandazwecke wird die ganze Bandbreite des Internets, wobei insbesondere Videokanäle wie You Tube und soziale Netzwerke wie Facebook in den letzten Jahren für alle Spektren des Salafismus an Bedeutung gewonnen ha- ben. Für den jihadistischen Bereich gilt dies ebenso im Hinblick auf sogenannte Jihadmagazine wie Inspire, die politische Indoktrinierung und relativ leicht umsetzbare Waffenbauanleitungen in engli- scher Sprache anbieten. Zu 47: Die Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) in Braunschweig führt regelmäßig alle zwei Wochen am Samstag in der Braunschweiger Innenstadt Islam-Infostände durch, bei denen allgemeine Publikationen zum Islam sowie Koranausgaben ausgelegt werden. Diese Info- stände haben keinerlei Bezug zum Koranverteilprojekt „Lies!“. Des Weiteren haben in der Moschee der DMG wiederholt Vortragsveranstaltungen mit überregional bekannten Predigern aus dem sa- lafistischen Spektrum, u. a. vom 30.11. bis 01.12.2013 mit Pierre Vogel, stattgefunden. Zuletzt gab es am 20.06.2014 in der DMG-Moschee ein Abendseminar zum Thema „Ramadan“ mit Muhamed Ciftci. Dies war bereits die siebte von der DMG organisierte Vortragsveranstaltung in diesem Jahr. Seit mehreren Jahren hält der bekannte Prediger Hassan Dabbagh einmal im Monat eine Vor- tragsveranstaltung im Verein Deutschsprachiger Islamkreis Hannover e. V. Der 2013 gegründete Verein „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ betreibt einmal wöchentlich einen Informationsstand mit Buchverteilung in der Innenstadt von Hannover. Auch sind die wiederholten Vorträge und Koranseminare des Ahmad Abdulaziz Abdullah (Abu Walaa) im salafistischen Verein „Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e. V.“ sowie das dortige Auftreten anderer salafistischer Prediger wie Muhamed Ciftci durchaus geeignet, Mitglieder anzu- werben. Eine neue Aktionsform stellt die „Kuchen-gegen-Spende-Aktion“, genannt „Cake Day“, dar. Im Bereich Niedersachsen konnten bisher in Hannover (mehrfach, in unregelmäßigen Abständen) und Osnabrück (einmalig am 03.05.2014) Cake Day–Spendenaktionen festgestellt werden. Der Verein „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ bewarb auf seiner Internetseite im März 2013 die Veranstaltung „Cake-Day in Hannover für Syrien!“. Ein weiterer Bezug zum Salafismus ergibt sich über den Ver- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 17 ein „Afrikabrunnen e. V.“ der ebenfalls deutliche Bezüge zum Salafismus aufweist und für dessen Zielsetzungen durch Aufsteller am Stand der Cake Day-Aktion in Hannover regelmäßig geworben wird. Zu 48: Die Verbreitung salafistischer Medienerzeugnisse gilt als Da’wa, somit als religiöser Verdienst. Dies führt dazu, dass praktisch die ganze Bandbreite salafistischer Medienerzeugnisse im Internet viel- fach kostenlos zur Verfügung steht. Dies betrifft selbst von der Bundesprüfstelle für jugendgefähr- dende Medien indizierte Werke wie das Buch „Missverständnisse über Menschenrechte im Islam“, das u. a. die Versklavung von Nichtmuslimen rechtfertigt. An salafistischen Ständen und in Mo- scheen findet man üblicherweise keine jihadistischen Werke, jedoch viele Bücher und CDs des po- litischen Bereichs des Salafismus. Zwar existieren auch salafistische Verlage, die beispielsweise Bücher zum Verkauf anbieten, aber auch hier sind zahlreiche Produkte preisgünstig zu erwerben. Eine Ausnahme waren die Angebote der Islamschule Braunschweig und der heute von Muhamed Ciftci betriebenen „Islamothek“, die kostenpflichtig sind bzw. waren und somit der privaten Ein- kommenssicherung von Muhamed Ciftci dienen dürften. An Lehrgängen der Islamschule Braun- schweig haben insgesamt über 200 Personen teilgenommen. Weiterhin sind in diesem Zusammenhang einzelne Fernsehsender des nahöstlichen Raumes zu nennen, die mitunter salafistisches Gedankengut nach Europa transportieren. Über die Zahl der Nutzer der verschiedenen Internet-, TV- und Verlagsangebote liegen keine Informationen vor. Zu 49 und 50: Erkenntnisse über systematische Werbeaktionen salafistischer Gruppierungen an niedersächsi- schen Schulen oder Universitäten liegen nicht vor. Dennoch gibt es in Einzelfällen Hinweise, dass durch muslimische Schüler konfrontative Religionsbekundungen vorgenommen wurden. Beispiels- weise ist bekannt, dass in Einzelfällen Schüler durch salafistisch geprägte Mitschüler zur Konversi- on zum Islam gedrängt wurden. Auch wurden vereinzelt Flyer verteilt, auf denen der Islam (im sa- lafistischen Sinne) als einzig wahre Religion dargestellt wurde. An dieser Stelle sei auf die Antwort der Landesregierung vom 25.03.2014 (Drs. 17/1406) auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Björn Försterling, Jan-Christoph Oetjen, Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt und Christian Dürr (FDP) „Islamisten an niedersächsischen Schulen?“ verwiesen. Zu 51: Nach Erkenntnissen der Landesregierung kommen die Mitglieder salafistischer Gruppierungen aus allen Gesellschaftsschichten, wobei der relativ hohe Anteil junger Personen auffällt. Die Landesre- gierung sieht die Notwendigkeit für eine wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Sachverhaltes. In diesem Zusammenhang wird auf die Beantwortung der Fragen 83 und 84 hingewiesen. Zu 52: Nach Ansicht der Landesregierung bewirken flache Hierarchien und der ausgeprägte Netzwerkcha- rakter der salafistischen Bewegung ihren derzeitigen Erfolg gerade bei jüngeren Menschen. Man gruppiert sich zwar um charismatische Prediger, dennoch scheint der einzelne salafistische Gläubi- ge nicht das Gefühl zu haben, anonymes Mitglied einer zentralisierten Organisation zu sein. Durch die zahlreichen nationalen und internationalen Kontakte entsteht für den Einzelnen der Eindruck, Teil einer großen, weltweiten und erfolgreichen Bewegung zu sein. Man bekommt das Gefühl ver- mittelt, gewissermaßen einer „Elite der Rechtgläubigkeit“ anzugehören und erfährt hierdurch in sa- lafistischen Kreisen eine soziale Anerkennung. Die Übergänge zwischen politischem und jihadisti- schem Salafismus bleiben dabei fließend. Für detaillierte Informationen zu diesen Ausprägungen des Salafismus sei auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Vorrangige Zielgruppe salafistischer Propaganda sind Jugendliche und junge Erwachsene. Sie rich- tet sich nicht nur an Muslime, sondern auch an nicht-muslimische Jugendliche. Besonders Jugend- liche und junge Erwachsene, deren Persönlichkeit noch nicht gefestigt ist, sind für einfache Welter- klärungsmuster empfänglich. Die strikten Vorgaben und das eindeutige Schwarz-Weiß-Schema der salafistischen Ideologie vermitteln hierbei insbesondere Personen, die bei der Bewältigung ihres persönlichen Lebens Schwierigkeiten haben, eine scheinbar verlässliche Orientierung. Auch spielt mitunter der Protest gegen eine überwiegend in religiösen Fragen traditionell eingestellte Elternge- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 18 neration eine Rolle, der man nunmehr als vermeintlicher „Vertreter der göttlichen Wahrheit“ entgegentreten und ihr Vorwürfe hinsichtlich einer angeblich unzureichenden Glaubenspraxis machen kann. Auch eignet sich gerade die Konversion nicht-muslimischer junger Menschen zum Islam sa- lafistischer Prägung als Mittel, um sich gegen die eigenen Eltern bzw. das eigene Umfeld abzu- grenzen. Viele muslimische Jugendliche sind auch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der kritischen Islamdis- kurse in Politik und Medien in den vergangenen Jahren verstärkt auf der Suche nach Wissen über ihren Glauben. Hier setzen charismatische Jugendimame des politisch-salafistischen Milieus an, deren Predigten in deutscher Sprache viele Jugendliche anziehen. Weil traditionelle Imame und Eltern den Jugendlichen auf der Suche nach Informationen, die ihren Lebenswelten entsprechen, oft keine überzeugenden Angebote machen können, geraten Jugendliche über das Internet an Sa- lafisten, die hier ihre Angebote verbreiten. Häufig sehen Jugendliche mittels salafistischer Ideologie auch die Möglichkeit, gegen gefühlte und erfahrene Ohnmacht, Ungerechtigkeit und Diskriminie- rung protestieren und sich für eine vermeintlich gerechte Sache einsetzen zu können. Denn in der salafistischen Weltdeutung geht es primär um die prinzipielle Ungerechtigkeit der Nichtmuslime ge- genüber den Muslimen. So erklärte Pierre Vogel, der bekannteste deutsche salafistische Prediger, dass der nächste Holocaust den Muslimen drohe. Er schloss die Aufforderung an, die Muslime müssten sich gegen eine ihnen feindlich gesonnene Umwelt in ihrem Glauben eng zusammen- schließen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Motivationslagen, die zu einer Identifikation mit dem Salafismus führen, komplex sind. Es ist notwendig den jeweiligen Einzelfall zu betrachten. Pauschale Erklärungen über die Attraktivität des Salafismus bei jungen Menschen greifen zu kurz. Zu 53: Es bestehen intensive Kontakte zwischen Vertretern des deutschen und des internationalen salafis- tischen Bildungs- und Gelehrtennetzwerkes. Muhamed Ciftci etwa behauptete, dass die Lehrpläne seiner Islamschule nach dem Curriculum der Universität Medina gestaltet seien. Viele Prediger verweisen auf ihre Ausbildung an islamischen Hochschulen. Es findet eine intensive Verbreitung salafistischer Literatur statt. Die Vorgehensweise im Hinblick auf die salafistische Da’wa orientiert sich durchaus an Verfahren, die in verschiedenen islamischen Staaten in der Vergangenheit zu ei- ner zunehmenden Verbreitung salafistischer Vorstellungen in der Gesellschaft geführt haben. Zu 55: Die bekannteste salafistisch geprägte Bildungsanstalt in Niedersachsen war die mittlerweile ge- schlossene Islamschule in Braunschweig. Das Nachfolgeprojekt des Muhamed Ciftci, die soge- nannte Islamothek, scheint eine geringere Reichweite zu entfalten. Zu 56 und 57: Das politisch-salafistische Netzwerk um den Braunschweiger Muhamed Ciftci hat intensive Kontak- te zu Gleichgesinnten auf dem Balkan, in der Türkei und am Persischen Golf aufgebaut. Von ein- zelnen Personen aus salafistischen Gruppierungen wurde bekannt, dass sie beispielsweise zum Studium der Sprache oder des Islam nach Ägypten und Saudi-Arabien gereist sind. Daneben wur- den auch von niedersächsischen salafistischen Akteuren Hilfsgüter und Krankenwagen nach Syrien gebracht. Die Landesregierung hat jedoch keine Hinweise darauf, dass neu gewonnene Mitglieder der salafistischen Gruppierungen vermehrt zu Aufenthalten in islamischen Kernländern bewegt werden. Zu 58 und 59: Das Phänomen der Radikalisierung ist bisher nur unzureichend wissenschaftlich erforscht. Mittler- weile gibt es zwar - basierend auf Daten von Polizeien und Nachrichtendiensten - einige Modelle zum Radikalisierungsprozess. Aber solche Modelle bilden die Komplexität der Realität nur verein- facht ab. Diese Modelle identifizieren einige Elemente, die eine islamistische Radikalisierung häufig kennzeichnen (vgl. dazu auch die Antwort zu Frage 92). Dennoch gibt es keine allgemeingültigen Indikatoren für eine islamistische Radikalisierung. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 19 Folgende Elemente werden in den entwickelten Radikalisierungsmodellen herausgestellt: – Unmut (grievance): Eine gefühlte oder objektiv existierende Unzufriedenheit ist ein wichtiger Bestandteil des Radikalisierungsprozesses. Im westeuropäischen Zusammenhang wird hierbei häufig das Gefühl der fehlenden Verankerung, Akzeptanz und Diskriminierung genannt. Vor al- lem Muslime der zweiten und dritten Einwanderungsgeneration schildern häufig entsprechende Erfahrungen. – Ideologie: Ideologien können in einer als unbefriedigend empfundenen Welt als sinngebend für den Einzelnen erscheinen und dabei in eine bestimmte Richtung weisen. Ideologien müssen nicht zwangsläufig kompliziert sein und arbeiten mit Freund-Feind-Bildern: Das einfache Erklä- rungsmuster eines angeblichen „Kriegs gegen den Islam“, der von „Zionisten und Christen“ geführt werde, ist dafür ein Beispiel. – Mobilisierung: Radikalisierung ist in den allermeisten Fällen eine soziale Aktivität, die in Grup- pen Gleichgesinnter stattfindet, die miteinander freundschaftlich verbunden sind. Für Einzeltäter gilt, dass sie sich, trotz fehlender tatsächlicher Anbindung an eine Gruppe, dennoch einer glo- balen Bewegung zugehörig fühlen. – Tipping Point: Dem Handeln geht mitunter ein traumatisches Erlebnis voraus - häufig auch Tipping Point genannt -, das sowohl persönlicher als auch politischer Natur sein kann. Jedoch herrscht über die endgültige Bedeutung des „Tipping Points“ für den Radikalisierungsprozess in der Wissenschaft keine Einigkeit. Über die Gewichtung der verschiedenen Elemente oder deren Reihenfolge besteht keine Einigkeit. Möglicherweise manifestiert sich der Prozess der Radikalisierung unter unterschiedlichen Bedin- gungen auf jeweils andere Weise. Das Fehlen eines allgemeingültigen Erklärungsmusters unter- streicht die vielgestaltige Natur von Radikalisierungsprozessen. Die islamistische Radikalisierung erfolgt in zunehmendem Maße durch die Einflüsse von Veröffent- lichungen im Internet. Jedoch kann sich eine angemessene Bewertung dieses Radikalisierungs- phänomens erst aus einem Gesamtbild ergeben, das sowohl Handlungen der betreffenden Person im Internet wie auch in der realen Welt berücksichtigt. Vorbehaltlich einer zureichenden wissenschaftlichen Aufarbeitung scheint sich der Radikalisie- rungsprozess überwiegend im Inland zu vollziehen. Zu 60: Eine Konversion zum Islam wird durch staatliche Stellen nicht erfasst. Nach allgemeinen Schätzun- gen könnte sich der Anteil der Konvertiten an der salafistischen Szene auf 10 bis 20 % belaufen. Zu 61 bis 63: Die Landesregierung geht davon aus, dass die Motive von Konvertiten mit deutscher Staatsange- hörigkeit für eine Zugehörigkeit in salafistischen Gruppierungen die gleichen sind, wie für andere Anhänger (vgl. Antwort zu Frage 52). Daher gilt es in diesem Fall nicht zwischen geborenen Musli- men und Konvertiten zu unterscheiden. Auch ist der Radikalisierungsfaktor „Unmut (grievance)“ (vgl. Antwort auf Fragen 58 und 59) im Sinne von gefühlter Unzufriedenheit sowohl bei geborenen Muslimen wie auch bei Konvertiten anzutreffen. Die große Mehrzahl der deutschstämmigen Konvertiten schließt sich genauso wenig dem Salafis- mus an, wie die große Mehrzahl der Muslime mit Migrationshintergrund. Da die Konversion zum Is- lam in aller Regel ein privates Geschehen ist, von dem staatliche Behörden keine Kenntnis erlan- gen, ist auch nicht sicher, wie viele Deutsche in den letzten Jahrzehnten zum Islam übertraten. Nach allgemeinen Schätzungen könnten 10 bis 20 % der Salafisten in Deutschland Konvertiten sein. Von konvertierten Jihadisten geht ebenso eine erhöhte Gefahr aus wie von Jihadisten mit muslimi- schem Migrationshintergrund. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 20 Zu 64 bis 66: Bundesweit liegen derzeit nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden Informationen zu mehr als 400 (Stand 06.08.2014. Anm.: Dies gilt auch für die übrigen Zahlenangaben in dieser Antwort.) deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien ausgereist sind, um den Widerstand gegen das Assad-Regime auf unterschiedliche Weisen zu unterstützen. Es ist jedoch nicht in allen Fällen gesichert, ob sich diese Personen tatsächlich in Syrien aufhalten bzw. aufgehalten haben. Aufgrund der dynamischen Lageentwicklung vor Ort unterliegt diese Zahl ta- gesaktuellen Veränderungen mit derzeit steigender Tendenz. Etwa ein Drittel dieser mehr als 400 ausgereisten Personen ist zwischenzeitlich (zumindest zeitwei- se) nach Deutschland zurückgekehrt. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen keine Informatio- nen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen vor Ort beteiligt haben. Als Ergebnis der kontinu- ierlichen Aus- und Bewertung der Erkenntnislage zu zurückgekehrten Personen liegen den Sicher- heitsbehörden aktuell etwa zu etwa 25 Personen Erkenntnisse vor, dass sie sich aktiv am Kampf beteiligt haben. Nach Erkenntnissen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes haben sich 15 bis 20 Islamisten aus Niedersachsen mehrfach an organisierten Hilfskonvois in Richtung Syrien beteiligt. Die Fest- stellung, ob die Zielrichtung eines Konvois die humanitäre Hilfe oder aber eine jihadistische Unter- stützung beinhaltet, ist im Einzelfall nur schwer möglich. Diese Personen kehren nach den bislang hier vorliegenden Erkenntnissen immer wieder innerhalb eines Zeitraumes von wenigen Tagen bis wenigen Wochen nach Niedersachsen zurück. Weiterhin liegen Erkenntnisse vor, dass bis zu zwölf Personen aus Niedersachsen nach Syrien mit der Motivation ausgereist sind, sich am aktiven Kampf gegen das Assad-Regime zu beteiligen. Die Aufenthaltsdauer reicht von wenigen Wochen bis andauernd (seit wenigen Wochen). Einige Perso- nen, die sich in Syrien aufgehalten und sich dort am Kampf gegen das Assad-Regime beteiligt ha- ben könnten, sind zwischenzeitlich wieder in Niedersachsen zurück. Andere Personen sind nach den vorliegenden Erkenntnissen ohne Kampfbeteiligung bereits nach wenigen Tagen zurückge- kehrt. Eine Organisationszugehörigkeit kann weder in Syrien noch in Niedersachsen benannt wer- den, in Niedersachsen gehören diese Personen verschiedenen salafistischen Personengeflechten in verschiedenen Regionen an. Gegen diese Personen werden aktuell gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen durchgeführt. Gegen fünf Beschuldigte werden mit Stand vom 28.07.2014 fünf Ermitt- lungsverfahren geführt. Über diese laufenden Ermittlungsverfahren können keine detaillierten An- gaben gemacht werden, ohne den Ermittlungserfolg zu gefährden. Gefahrenabwehrrechtliche Er- mittlungen werden darüber hinaus in einem umfangreichen Fallkomplex durchgeführt. Dem LKA Niedersachsen liegen zurzeit keine Erkenntnisse über Personen aus Niedersachsen vor, die bei Kämpfen in Syrien ums Leben gekommen sind. Gleichwohl liegen Informationen zu einer Person vor, die im Zeitraum von Juli 2011 bis Dezember 2012 ihren Wohnsitz in Braunschweig hat- te und sich in diesem Zeitraum in der dortigen salafistischen Szene aufhielt. Zuletzt war die in Rede stehende Person jedoch in Kerpen/NRW gemeldet und wurde dort ab 01.03.2013 von Amts wegen abgemeldet. Am 13.11.2013 soll dieser Mann in Aleppo (Syrien) bei einem Bombenangriff getötet worden sein. Zu 67: Der Verein „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ wurde 2013 mit Sitz in Hannover gegründet. Vorsit- zender des Vereins ist Dennis Rathkamp; der bekannte Salafist Sven Lau ist eines der Grün- dungsmitglieder. Ziel und Zweck des Vereins „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ sind laut Satzung u. a. die Förderung sozialer Gemeinschaften zwischen den deutschen und deutschsprachigen Mus- limen im deutschsprachigen Raum untereinander und mit anderen Muslimen sowie die Förderung des interreligiösen Dialogs, sowie der Abbau von Missverständnissen und Vorurteilen zwischen den Religionsgemeinschaften. Der Verein „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ stellt auf seiner Internetseite Vorträge von bekannten salafistischen Predigern ein bzw. kündigt solche an. Anfang des Jahres wurde dort für eine Vor- tragsveranstaltung mit Pierre Vogel und Sven Lau für den 29.03.2014 in Hannover geworben. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 21 Ferner sind dort regelmäßig Veranstaltungstermine für die hannoversche Innenstadt eingestellt. In der Vergangenheit handelte es sich dabei um Informationsstände im Rahmen des bundesweiten Projekts „Lies! Im Namen deines Herrn, der dich erschaffen hat“ des salafistischen Predigernetz- werks um den bekannten Kölner Prediger Ibrahim Abou Nagie und dessen Verein „Die Wahre Religion “ (DWR). Im April dieses Jahres wurde der Verein „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ von diesem Projekt ausgeschlossen. Vorausgegangen war nach Internetangaben des Ibrahim Abou Nagie, dass der Verein sich nicht an die Auflage gehalten hat, ausschließlich Koranausgaben an diesen Ständen anzubieten. Am 29.03.2014 wurde an einem Info-Stand des Vereins „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ ein vermutlich indiziertes Buch festgestellt. Dennis Rathkamp fungierte in der Vergangenheit mehrfach als Anmelder derartiger Informationsstände. Es wird davon ausgegangen, dass durch derartige Info-Stände ein salafistisch geprägter Islam in Niedersachen weiter verbreitet werden soll. Zu 68: Vorsitzender des aufgelösten Vereins „Einladung zum Paradies e. V.“ war Sven Lau. Dieser ist auch eines der Gründungsmitglieder des Vereins „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“. Zu 69: Das auf der Internetseite des Vereins „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ angekündigte „DAWAH- Zentrum“ wäre als eine weitere Anlaufstelle der salafistischen Szene in Niedersachsen zu sehen, die geeignet wäre, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete Ideologie zu verbreiten. Zu 70: Bislang besteht lediglich die Ankündigung im Internet, dass der Verein „Der Schlüssel zum Para- dies e. V.“ ein derartiges Missionszentrum zu errichten plant. Konkrete Umsetzungsschritte sind noch nicht bekannt. Der Niedersächsische Verfassungsschutz erfüllt seine gesetzliche Aufgabe der Beobachtung und Bewertung des Islamismus in Niedersachsen. Die Öffentlichkeit wurde durch Presseinformationen über den Verein informiert. Sollten sich die Pläne hinsichtlich der Errichtung des Missionszentrums konkretisieren, so werden in enger Abstimmung zwischen der Stadt Hanno- ver und den zuständigen Behörden weitere Schritte unternommen. Zu 71: Die Landesregierung bewertet den Auftritt des Predigers Pierre Vogel am 29.03.2014 als eine Pro- pagandaaktion für den politischen Salafismus. Aktionen dieser Art dienen nicht nur der Propaganda und Mitgliederwerbung, sondern sollen auch Zuversicht in die eigenen Reihen bringen. Durch den Auftritt ausländischer Gäste unterstrich die Veranstaltung den internationalen Charakter der salafis- tischen Bewegung. Damit sollte die Botschaft vermittelt werden, dass jeder, der sich dieser Strö- mung anschließt, Teil eines größeren Ganzen ist. Zu 72: Der Anzeigende der versammlungsrechtlichen Aktion zum Thema „Wie bekämpft man Jugendkri- minalität“ mit dem salafistischen Prediger Pierre Vogel am 29.03.2014 in Hannover ist zugleich Gründer des im Vereinsregister des AG Hannover eingetragenen Vereins „Der Schlüssel zum Pa- radies e. V.“. Bei der Anmeldung wurden bis zu 500 zu erwartende Teilnehmerinnen und Teilneh- mer angezeigt. Im Rahmen des polizeilichen Einsatzes wurden etwa 200 Personen festgestellt, die alle der salafistischen Szene zugeordnet werden konnten. Zu 73: Im Zusammenhang mit der zur Rede stehenden Versammlung wurden drei anlassbezogene Ver- sammlungen wie folgt angezeigt und durchgeführt. 1. Versammlung einer Privatperson zum Thema „Alle Menschen sind eins“ Die Anzeigende ist der schiitisch muslimischen Glaubensrichtung zuzuordnen. An der Ver- sammlung beteiligten sich auch Sympathisanten der extremistischen libanesischen Organisa- tion „Hizb Allah“. Die Anzeigende ging von bis zu 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus, tatsächlich waren ca. 50 Personen anwesend. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 22 2. Versammlung der Wählergruppierung „Die Hannoveraner“ zum Thema „Gegenkundgebung zur Veranstaltung mit Pierre Vogel; kein Salafistenzentrum in Hannover“ Die Wählergemeinschaft „Die Hannoveraner“ zeigte eine Teilnehmerzahl von etwa 100 an. Während der polizeilichen Einsatzmaßnahmen konnten nur etwa 50 Personen festgestellt werden. 3. Versammlung einer Privatperson zum Thema „Gegen Islamismus und antimuslimischen Ras- sismus“ Durch einen Gegendemonstranten kam es zur Anzeige dieser Versammlung mit angekündig- ten 50 bis 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Es wurden etwa 25 Personen festgestellt. Insgesamt umfassten die drei Gegenveranstaltungen etwa 125 Teilnehmerinnen und Teilnehmer und verliefen aufgrund der örtlichen Trennung störungsfrei. Zu 74: Im Vorfeld der Versammlung wurden alle notwendigen polizeilichen Maßnahmen getroffen, um ei- nen störungsfreien Verlauf der Veranstaltung zu gewährleisten. Darüber hinaus wurden alle ver- sammlungsrechtlichen Aktionen durch einen angemessenen Polizeieinsatz begleitet. Der Verfas- sungsschutz war informiert. Darüber hinaus wird auf die Beantwortung der Frage 76 verwiesen. Zu 75: Insgesamt wurden 178 Beamtinnen und Beamte der Polizeidirektion Hannover sowie der Zentralen Polizeidirektion Niedersachsen eingesetzt. Zur Ermittlung der Einsatzkosten wurde der Vollkosten- ansatz gemäß Erlass d. MF v. 19.5.2010 - K 2004/41/3412, zugrunde gelegt. Dieser Vollkostensatz beträgt 56 Euro pro Beamtin/Beamter je Stunde. Demnach sind der Polizei durch die Einsatzmaß- nahmen kalkulatorisch Einsatzkosten in Höhe von 9 968 Euro entstanden. Die Höhe der angefalle- nen Sachkosten, z. B. Kosten für den Einsatz von Führungs- und Einsatzmitteln, Versorgung, Ent- sorgung etc., sowie der an polizeilichen Führungs- und Einsatzmitteln entstandenen Schaden ist mit einem Durchschnittsansatz in diesem Vollkostensatz enthalten. Zu 76: Im Rahmen der Kundgebung kam es nicht zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Festnahmen wurden nicht durchgeführt. Neben einer versuchten Körperverletzung durch einen Versammlungs- teilnehmer der anlassgebenden Veranstaltung zum Nachteil eines Teilnehmers einer der Gegen- veranstaltungen, wurde ein weiteres strafprozessuales Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung, ebenfalls gegen einen Teilnehmer der Versammlung „Der Schlüssel zum Paradies e. V.“ eingeleitet . Es wurden insgesamt fünf Identitätsfeststellungen sowie drei Gefährderansprachen mit an- schließenden Platzverweisen durchgeführt. Zu 77: Die Polizeidirektion Hannover führt in diesem Zusammenhang ein strafrechtliches Ermittlungsver- fahren wegen des Verdachts des Verstoßes nach § 27 Abs. 1 JuSchG. Ein Hinweisgeber hatte der Dienststelle ein Foto des Buches „Botschaft des Islam“ von Abdul-Rahman Al-Sheha übersandt, das im Rahmen einer Koranverteilung im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der zur Rede stehenden Versammlung (s. Antwort zu Frage 72) öffentlich zugänglich gemacht worden sein soll. Dieses Druckwerk ist in der Liste der jugendgefährdenden Medien der Bundesprüfstelle eingetra- gen. Zu 78: Um die Wirksamkeit möglicher vereinsrechtlicher Maßnahmen nicht zu gefährden, können keine Auskünfte darüber erteilt werden, ob und gegebenenfalls gegen welche Vereine Verbotsverfahren geplant sind. Zu 79 bis 82: Um den Gefahren des Islamismus, insbesondere des Salafismus entgegenzutreten, hat die Lan- desregierung mit Beschluss vom 10.12.2013 das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleich- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 23 stellung (MS) beauftragt, eine zivilgesellschaftliche Arbeitsstelle einzurichten und gemeinsam mit den islamischen Verbänden ein entsprechendes Konzept für die Struktur und Arbeit einer solchen Stelle zu entwickeln. Ziel ist die Schaffung von Strukturen für Beratungs- und Begleitungsprozesse, die helfen sollen, junge Menschen vor einer Radikalisierung durch islamistische Einflüsse zu bewahren. Hierzu zäh- len vor allem eine umfassende Aufklärung über gewaltbereiten Salafismus (Inhalte, Struktur und Rekrutierungsstrategien), die Stärkung der Resilienzfähigkeit (Immunisierung gegen Ansprachen aus dem salafistischen Kontext), das soziale und persönliche Empowerment sowie die Verhinde- rung und die Unterbrechung von Radikalisierung durch die Bereitstellung und Durchführung qualifi- zierter Hilfestellungen. Auch wenn es sich bei der salafistischen Radikalisierung vorrangig um ein soziales Phänomen handelt, arbeitet die Landesregierung in diesem Themenfeld eng mit den islamischen Landesver- bänden und den mit ihnen verbundenen Moscheegemeinden zusammen. Die Ministerin für Sozia- les, Gesundheit und Gleichstellung, Cornelia Rundt, hat am 17.06.2014 ein konstruktives Gespräch mit den islamischen Verbänden über Ziele und Verfahren geführt. Am 14.07.2014 wurden die Ge- spräche fortgeführt. Die Gesprächsergebnisse bilden die Grundlage für die weitere gemeinsame Konzeptentwicklung unter der Federführung des MS. Neben den Aktivitäten des MS zur Prävention islamistischer Radikalisierung nehmen sich auch Po- lizei und Verfassungsschutz in Niedersachsen der Salafismusprävention an. Auf Anfrage stellt der Verfassungsschutz Informationen zur Aufklärung der Öffentlichkeit über Hintergründe, Entstehung und Gefahren des Salafismus zur Verfügung. In der Regel erfolgt die Aufklärung der Öffentlichkeit über Fachvorträge. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist damit fachlicher Informationsge- ber und Kooperationspartner von anderen Organisatoren und Behörden mit dem Ziel der Salafis- musprävention. Die niedersächsische Polizei unterhält seit vielen Jahren enge Kontakte zu muslimischen Einrich- tungen. Hierdurch konnte ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, das die Verbände unterstützt und darin bestärkt, Radikalisierungstendenzen entgegenzuwirken. Insbesondere handelt es sich hierbei um Maßnahmen wie – Kooperationsgespräche des Polizeilichen Staatsschutzes mit Einflusspersonen islamischer Ein- richtungen zur Schaffung bzw. zum Ausbau einer Vertrauensbasis sowie einer langfristig ange- legten partnerschaftlichen Beziehung zu muslimischen Institutionen, – Vertrauensbildende Maßnahmen/Gemeinsamer Dialog zwischen den muslimischen Organisati- onen und der Polizei in Niedersachsen, die die Präventionsfachkräfte der Polizeiinspektionen mit gemäßigten muslimischen Einrichtungen durchführen, – Gespräche auf Ebene des Landespolizeipräsidiums (LPP) mit Vertretern muslimischer Verbän- de in Niedersachsen mit dem Ziel eines Ausbaus der Zusammenarbeit. Mit Wirkung vom 15.01.2014 wurde im LKA Niedersachsen eine Präventionsstelle Politisch Moti- vierte Kriminalität (Präventionsstelle PMK) geschaffen. Sie ist phänomenübergreifend ausgerichtet und dient vor allem einer verbesserten Koordinierung der PMK-bezogenen Präventionsarbeit inner- halb der niedersächsischen Polizei sowie der fachlichen Unterstützung der Polizeibehörden und -dienststellen in diesem Bereich. Unter ihrer Federführung soll ein vom Programm Polizeiliche Kri- minalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) entwickeltes spezifisches Medienpaket zur Is- lamismusprävention sachgerecht und nachhaltig in die niedersächsische Präventionsarbeit imple- mentiert werden. Das Medienpaket dient nicht zuletzt einer zielgerichteten Sensibilisierung junger Menschen vor den Gefahren der Propaganda und Werbung seitens jihadistisch-salafistischer Krei- se. Zu 83 und 84: Das Institut für Islamische Theologie (IIT) an der Universität Osnabrück ist Teil des vom Bund und Land geförderten Kooperationsprojektes zur Etablierung eines Gemeinsamen Zentrums für Islami- sche Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der niedersächsischen Universität Osnabrück. Mit der Förderung der Einrichtung Islamischer Zentren ist die Bundesregie- rung den Empfehlungen des Wissenschaftsrates (WR) aus dem Jahre 2010 gefolgt. Dieser hatte Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 24 „zur Weiterentwicklung von Theologien und religionsbezogenen Wissenschaften an deutschen Universitäten “ ausgeführt, dass die Weiterentwicklung des theologischen und religionswissenschaftli- chen Feldes an Universitäten „der beste Weg [sei], die wissenschaftliche Qualität von Forschung und Lehre zu sichern, das Gespräch mit den anderen Formen wissenschaftlicher Weltauslegung zu intensivieren und eine verlässliche theologische Basis für den interreligiösen Dialog zu schaffen“. Die Universität Osnabrück hat sich in besonderer Weise der Zielsetzung des WR verpflichtet. In Verbindung mit den forschungsstarken christlichen Theologien, dem Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien, der interkulturellen Pädagogik und dem Institut für Islamische Theologie ist ein breit angelegtes und national und international beachtetes Angebot aufgebaut worden, mit dem der Diskurs der Religionen auf wissenschaftlichem Niveau stattfinden und somit ein wichtiger Beitrag zur wissenschaftlichen und kulturellen Beheimatung des Islam in Deutschland geleistet werden kann. Neben Lehrkräften für den islamischen Religionsunterricht und islamisch-theologischen Nach- wuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern werden in Osnabrück auch Religions- gelehrte (Imame) ausgebildet. Mit der wissenschaftlichen Ausbildung von in Deutschland aufge- wachsenen und sozialisierten jungen Menschen zu kompetenten religiös-reflektierten Ansprech- partnerinnen und Ansprechpartnern in den bedeutenden gesellschaftlichen Räumen wie Schulen und Moscheegemeinden wird ein verlässlicher und dauerhafter Weg der Teilhabe an und in der Gesellschaft und damit auch der Prävention von Radikalisierungstendenzen beschritten. Darüber hinaus haben sich die Lehrpersonen aus dem IIT als wissenschaftlich kompetente und anerkannte Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für die muslimischen Verbände in Niedersachsen und im norddeutschen Raum etabliert. Die Universität Osnabrück hat bereits erfolgreich mehrere öffentlichkeitswirksame Fachveranstal- tungen zum Thema durchgeführt, darunter ein Symposium am 01.03.2014 „Neo-salafistische Mobi- lisierung - Prävention in Schule, Jugendhilfe und Gemeinde“ unter Beteiligung des Innenministers und der Polizeidirektion Osnabrück. Das IIT stellt daher eine wesentliche wissenschaftliche Kapazität zu gegenwartsbezogenen Islam- themen dar. Angesichts dessen wird zurzeit eine formalisierte Zusammenarbeit mit dem Ministeri- um für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung angestrebt. Ziel ist es, das IIT als islamwissen- schaftliche und sozialpädagogische sowie psychologische Ressource bei der Ausgestaltung des Konzeptes sowie später bei der fachlichen Betreuung und Qualitätssicherung der einzurichtenden Beratungsstelle einzubeziehen. Darüber hinaus soll die beabsichtigte Zusammenarbeit eine wis- senschaftliche Begleitung der Projektevaluierung und gegebenenfalls begleitende wissenschaftli- che Forschung zum Themenfeld Radikalisierung ermöglichen. Zu 85 und 86: Im Rahmen der gemeinsamen Konzeptentwicklung zur Prävention salafistischer Radikalisierung werden sowohl die Rolle als auch mögliche Maßnahmen der Verbände und Moscheegemeinden Gegenstand der weiteren Gespräche mit den islamischen Verbänden sein. Zu 87: Ziele der Deradikalisierung sind die Abwendung von gewaltbezogener und extremistischer Ideolo- gie und eine Reintegration in die Gesellschaft. Mit der Einrichtung einer Beratungsstelle zur Prä- vention von salafistischer Radikalisierung werden die Bereiche einer primären, sekundären und ter- tiären Prävention 5 abgedeckt. Die konkrete Aufgabe umfasst dabei sowohl die Vorbeugung von Radikalisierung im gesellschaftlichen und privaten Kontext als auch die Unterstützung der Betroffe- nen bzw. deren familiären Umfeldes bei den Herauslösungsprozessen aus dem salafistischen Kon- text. Hierzu ist ein möglichst frühzeitiges und alle relevanten Akteure im sozialen Umfeld der Betroffenen einbindendes Handeln notwendig. Orientierungs- bzw. Bindungsprozesse in terroristischen Milieus 5 Die primäre Prävention setzt vor dem Auftreten von Radikalisierung und Gewalt an, um gewaltfördernde Einstellungen und Verhaltensweisen erst gar nicht entstehen zu lassen. Die sekundäre Prävention setzt an, wenn sich erste Radikalisierungs- bzw. Gewalttendenzen zeigen und die tertiäre Prävention setzt an, wenn verfestigte Radikalisierungs- bzw. Gewaltformen auftreten. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 25 bzw. Kollektiven führen in der Regel zu Persönlichkeitsstrukturveränderungen, die zum Ergebnis auch eine Gewaltakzeptanz haben (vgl. Peter Waldmann, Terrorismus - Provokation der Macht, Hamburg 2005, S. 123 ff. und 176 ff.) Es gilt, solche Prozesse aufzuhalten. Eine politisch bzw. religiös motivierte Radikalisierung ist ein komplexer, von vielfältigen individuel- len, sozialen, psychologischen und gesellschaftlichen Faktoren beeinflusster Prozess; schemati- sche Erklärungs- und Lösungsansätze greifen nicht. Zielführend in der Deradikalisierungsarbeit scheint die von der Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entwickelte und praktizierte familienorientierte Unterstützung mittels regionaler Beratungs- teams zu sein, die mittlerweile in einem bundesweiten Netzwerk zusammen wirken (vgl. Ratgeber des BAMF „Glaube oder Extremismus? Hilfe für Angehörige. Die Beratungsstelle Radikalisierung“ von 2013). Die in diesem Netzwerk tätigen Beraterinnen und Berater unterstützen gezielt besorgte Familienangehörige von betroffenen Personen, bei denen die Gefahr einer islamistisch/salafisti- schen Radikalisierung besteht. Die Beratung erfolgt durch persönliche Treffen und/oder Telefonate. Die Angehörigen erhalten praktische Tipps, wie sie mit der oder dem Betroffenen wieder stärker in Kontakt kommen können, um eine „emotionale Brücke“ zu schaffen bzw. zu erhalten und ein Ab- gleiten der oder des Betroffenen in islamistisch-extremistische Strukturen bzw. Gruppierungen zu verhindern. Das gemeinsame Ziel ist, das Vertrauensverhältnis zu der betroffenen Person so zu stärken, dass diese langsam aus der Radikalisierung zurück geholt oder eine mögliche Radikalisie- rung verhindert werden kann. Zu 88: Missionierung im Sinne eines Werbens für eine bestimmte Religion oder Glaubensausübung ist zu- nächst durch die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit geschützt. Hierbei hat der Staat die ihm obliegende religiös-weltanschauliche Neutralität zu beachten. Der Ausübung dieser Religions- freiheit sind jedoch klare Grenzen gesetzt: Dort wo die Religionsfreiheit anderer beginnt und wo insbesondere andere Rechtsgüter (wie Leib und Leben oder die freiheitliche demokratische Grund- ordnung) geschützt werden müssen, obliegt es den dazu gesetzlich ermächtigten Organen des Staates, unter Einsatz rechtstaatlicher Mittel die Einhaltung der Rechtsordnung durchzusetzen. Die Aufklärungsarbeit der einzurichtenden zivilgesellschaftlichen Stelle zur Beratung von Betroffenen und deren Familien, des Niedersächsischen Verfassungsschutzes und der Polizei werden vorbeu- gend und konzeptgestützt gegen die salafistische Missionierung eingesetzt. Zu 89: Da sich die sozial- und religionspsychologischen sowie soziologischen Hintergründe einer Radikali- sierung bei allen Betroffenen - unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit - ähnlich darstellen, be- darf es keines gesonderten Präventionsprogramms für zum Islam konvertierte deutsche Staatsan- gehörige. Zu 90: Für Betroffene, die bereits im radikalisierten und gegebenenfalls gewaltbereiten salafistischen Um- feld agieren und verankert sind, aber dennoch aus eigenem Antrieb aussteigen möchten, wird die einzurichtende zivilgesellschaftliche Beratungsstelle mit ihren Angeboten zur Verfügung stehen. Dort wird die notwendige Vertraulichkeit gewährleistet sein. Die Angehörigen können sich zurzeit an die für ganz Norddeutschland zuständige Beratungsstelle Kitab in Bremen wenden. Hierzu gibt es u. a. eine zentrale Telefonhotline 6 . Zu 91: Bis zur Arbeitsaufnahme der von der Landesregierung geplanten Beratungsstelle können sich An- gehörige zurzeit an die für ganz Norddeutschland zuständige Beratungsstelle Kitab in Bremen wenden. Dieses Beratungsangebot werden wir ausbauen. So ist geplant, die Beratung und Unter- stützung der Familien von radikalisierten Angehörigen über eine in Niedersachsen einzurichtende Beratungsstelle erfolgen zu lassen. Mit den dort vorhandenen Fachkenntnissen, Erfahrungen und Netzwerken werden den Familien umfangreiche Hilfsangebote zur Verfügung stehen. 6 Beratungsstelle Radikalisierung, Mo - Fr von 09:00 bis 15:00 Uhr, 0911-9434343 oder per E-Mail unter beratung @bamf.bund.de oder Beratungsnetzwerk kitab www.vaja-bremen.de Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/1931 26 Zu 92: Für detaillierte Informationen über islamistische Radikalisierungsprozesse wird auf die Antworten zu den Fragen 58 und 59 verwiesen. Radikalisierungsentwicklungen sind wissenschaftlich zu ana- lysieren. Dies setzt voraus, dass solche Prozesse phänomenologisch und auf den Einzelfall bezo- gen verstanden werden. Diese Methode gebietet zwingend, dass private, ideologische, dogmati- sche oder auch organisationsimmanente Vorstellungen und Vorgaben weder bei der Analyse noch bei der Auswahl der Instrumente zur Zielerreichung eine Rolle spielen dürfen. Eine professionelle Wahrnehmung und Bewertung von Radikalisierungsprozessen setzt eine permanente Reflektion zwischen Engagement und Distanzierung voraus. Die Erstellung, Verwendung und Favorisierung von Checklisten, Typologien und Katalogen von „üblichen Anzeichen“ zur Beschreibung von komplexen Prozessen menschlichen Verhaltens in der Vergangenheit zeigen, dass eine gebotene wis- senschaftliche Analyse des Einzelfalls ignoriert wurde. Die zwangsläufigen Folgen sind Generalisie- rungen und Stigmatisierungen großer Gruppen, die dazu führen, dass unzulässigerweise unwis- senschaftliche Alltagskategorien (wie z. B. Gruppenzugehörigkeiten, Kleidungs- und Essgewohn- heiten) eine in dieser Betonung nicht hinzunehmende Bedeutung erlangen und insofern auf eine undifferenzierte Analyse schließen lassen. In Vertretung Stephan Manke (Ausgegeben am ) (Unkorrigierter Vorabdruck ausgegeben am 11.09.2014 Ausgegeben am 16.09.2014) Drucksache 17/1931 Antwort auf eine Große Anfrage - Drucksache 17/1455 - Wortlaut der Großen Anfrage der Fraktion der CDU vom 31.03.2014 Salafismus in Niedersachsen Antwort der Landesregierung