Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2010 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Kai Seefried (CDU), eingegangen am 13.08.2014 Wie sichert die Landesregierung bundesweite Qualitätsstandards auf dem Weg zum Abitur? Die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen hat erklärt, zum neunjährigen Gymnasium und damit zum Abitur nach 13 Schuljahren zurückkehren zu wollen. Damit einhergehen soll zahlreichen Veröffentlichungen des Kultusministeriums zufolge auch eine Reform der gymnasialen Oberstufe. Einer im Juni 2014 vom Kultusministerium veröffentlichten Broschüre zufolge geht es dabei u. a. um weniger Wochenstunden, weniger Einbringungsverpflichtungen und weniger Klausuren. Im Juni 2014 haben Vertreter von Verbänden, Bildungswissenschaftler und -politiker ein Papier un- ter dem Titel „Die Zukunft des Gymnasiums: Qualität statt Quantität - Ein Aufruf zur Versachlichung der Debatte um G8 und G9“ veröffentlicht, über das in zahlreichen Medien berichtet wurde. Darin heißt es u. a.: „Eine Rückentwicklung zum neunjährigen Gymnasium würde den Schulen eine ähn- liche Anstrengung noch einmal abverlangen auf Kosten einer schulinternen Weiterentwicklung von Unterricht und Schulleben.“ Weiter wird vorgeschlagen, die Kultusministerkonferenz (KMK) solle prüfen, ob die Zahl der notwendigen Unterrichtsstunden bis zum Abitur von 265 auf 260 gesenkt werden könne. Der Generalsekretär der KMK hat inzwischen bestätigt, dass der Vorschlag geprüft werde (taz vom 16. Juni 2014). Ich frage die Landesregierung: 1. Welchen Stellenwert misst die Landesregierung der in der KMK zwischen den Ländern ver- einbarten „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“ bei? 2. Wie stellt die Landesregierung an allen gymnasialen Oberstufen in Niedersachsen die Einhal- tung der genannten KMK-Vereinbarung sowie der in Niedersachsen geltenden „Verordnung über die gymnasiale Oberstufe“ sicher, insbesondere in den im Aufbau befindlichen Oberstu- fen der in der letzten Legislaturperiode neu gegründeten Gesamtschulen? 3. Gibt es gymnasiale Oberstufen in Niedersachsen, in denen nicht alle Vorgaben der KMK-Ver- einbarung und der „Verordnung über die gymnasiale Oberstufe“ eingehalten werden, bei- spielsweise weil Fachunterricht in vorgeschriebenen Unterrichtsfächern aufgrund von Lehrer- mangel nicht erteilt werden kann? Wenn ja, welche Schulen sind betroffen? 4. An welchen Gesamtschulen, die zum Schuljahr 2014/2015 um gymnasiale Oberstufen erwei- tert werden, ist es bislang nicht gelungen, alle ausgeschriebenen Stellen für Lehrkräfte in Mangelfächern zu besetzen? Bitte Schulen, Stellen und Fächer auflisten. 5. Wie bewertet die Landesregierung eine Absenkung der Pflichtstundenzahl bis zum Abitur von 265 auf 260? 6. Wie bewertet die Landesregierung die im zitierten taz-Artikel dargestellte Kritik des Vorsitzen- den des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, eine solche Streichung bei der Stundenzahl sei eine „Kapitulation“? 7. Ist die Landesregierung der Ansicht, dass es mit weniger Wochenstunden, weniger Einbrin- gungsverpflichtungen und weniger Klausuren in der gymnasialen Oberstufe möglich sein wird, die Qualität des niedersächsischen Abiturs zu erhalten? Wie begründet sie ihre Sichtweise? (An die Staatskanzlei übersandt am 18.08.2014 - II/725 - 913) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2010 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Kultusministerium Hannover, den 16.09.2014 - 01-0 420/5-913 - Seit einigen Jahren stand das Abitur nach acht Jahren („G 8“) im Mittelpunkt der bildungspolitischen Diskussion in Niedersachsen. Lehrkräfte, Eltern, Schülerinnen und Schüler haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Belastung insbesondere an der gymnasialen Oberstufe zuge- nommen habe. Verdichtete Lernzeit, umfangreiche Curricula, hohe Schülerpflichtstundenzahlen im Sekundarbereich I sowie starke Fach- und Klausurbelastungen wurden regelmäßig beklagt. Sowohl Eltern als auch Schülerinnen und Schüler kritisierten, dass der Unterrichtsstoff zu schnell und nicht intensiv genug bearbeitet werde, es zu wenig Zeit zum Lernen und Üben gebe und dass Freizeitak- tivitäten wie das Engagement in Vereinen, Treffen mit Freunden und Entspannung im Leben der Schülerinnen und Schüler viel zu kurz kämen. Ein rückläufiges Engagement der Schülerinnen und Schüler aus den Gymnasien war zu verzeichnen, Stimmen aus Hochschulen und der Wirtschaft problematisierten die mangelnde Reife von Abiturientinnen und Abiturienten. Die Landesregierung hat diese Sorgen sehr ernst genommen und deshalb beschlossen, unter Bei- behaltung der Qualität des niedersächsischen Abiturs Lösungsmöglichkeiten zu prüfen und umzu- setzen, mit denen Stress und Druck aus den Gymnasien genommen werden können. Mit dem Dialogforum „Gymnasien gemeinsam stärken“ im Juni 2013 wurde ein Diskussionsprozess um die Dauer der Schulzeit bis zum Abitur in Niedersachsen initiiert. Landeselternrat, Landesschü- lerrat, Lehrerverbände, Vertretungen der Kirchen, die im Landtag vertretenen politischen Parteien, die kommunalen Spitzenverbände sowie viele andere Institutionen haben auf dieser Tagung zu diesem Thema Stellung genommen. Im Anschluss daran wurde eine Expertengruppe beauftragt, verschiedene Szenarien der Dauer der Schulzeit an den Gymnasien fachlich zu diskutieren und mögliche Auswirkungen von Veränderungen darzulegen. Die Expertenrunde hat drei Varianten zur Dauer der Schulzeit - die Rückkehr zu „G 9“, das „Abitur im eigenen Takt“ und „G 8“ unter veränderten Rahmenbedingungen - genau untersucht. Sowohl der inhaltliche Änderungsbedarf bei den Rechtsvorschriften, zeitliche Umsetzungsmöglichkeiten, der zu erfassende Schülerpersonenkreis als auch die mit einer Umstellung verbundenen Kosten waren dabei zu beachten. Darüber hinaus wurden die Rahmenbedingungen, die unabhängig von der Frage der Schulzeitdauer verändert werden können, untersucht: die Zahl der Wochenstunden in den Fächern der gymnasialen Oberstufe, die Anzahl der Klausuren und der Einbringungsver- pflichtungen, die Zahl der Abiturprüfungsfächer und einiges mehr. Im März legte die Expertengrup- pe dem Dialogforum ihren Abschlussbericht vor. Ausgehend von Ergebnissen der Expertenrunde hat die Landesregierung ein Konzept zur Umstel- lung des Abiturs nach acht Jahren hin zu einem Abitur nach neun Jahren an den Gymnasien vor- gestellt. Die Gymnasien und die nach Schuljahrgängen gegliederten Kooperativen Gesamtschulen kehren nach einer Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes generell zum Abitur nach drei- zehn Schuljahren („G 9“) zurück. Diese Umstellung auf die dreizehnjährige Schulzeitdauer bis zum Abitur beginnt mit dem Schuljahr 2015/2016. Anders als beim Wechsel zu „G 8“ soll es keine über- hastete Umstellung, sondern Zeit geben, damit Schulen und Schulverwaltungen die notwendigen pädagogischen Entscheidungen treffen, neue curriculare Vorgaben umsetzen, schulische Konzepte auf das „G 9“ abstimmen und die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen schaffen können. In allen Jahrgängen des Gymnasiums soll in der Regel die Zahl der Schülerpflichtstunden von 30 Wochenstunden nicht überschritten werden. Die Erhöhung der quantitativen Anforderungen in der gymnasialen Oberstufe und in der Abiturprüfung wird korrigiert. Die Anzahl der Klausuren in der Qualifikationsphase soll reduziert werden, die Anzahl der Kurse, die für die Zulassung zur Abitur- prüfung verpflichtend sind, wird von 36 Kursen auf die von der KMK-Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II (Beschluss der KMK vom 07.07.1972 i. d. F. vom 06.06.2013) vorgegebene Zahl von 32 Kursen zurückgeführt. Die Kerncurricula werden auf die neue Schulzeitdauer angepasst, ohne den Fachlernstoff quantitativ auszuweiten. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2010 3 Die Entscheidung, zu „G 9“ zurückzukehren, hat in Niedersachsen viel Zustimmung gefunden. Die Landesregierung nutzt die Möglichkeit, in einem breiten Konsens Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte deutlich zu entlasten. Die Orientierung an den nationalen Bildungsstandards und den KMK-Vereinbarungen zum Gymnasium sowie die Teilnahme an den länderübergreifenden Abi- turprüfungen garantieren, dass die hohe Qualität des niedersächsischen Abiturs auch künftig gesi- chert bleibt. Dazu trägt auch bei, dass das von der KMK vereinbarte Gesamtstundenvolumen von mindestens 265 Jahreswochenstunden bis zum Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife nicht nur beachtet, sondern - bei durchschnittlich 30 Jahreswochenstunden in jedem Schuljahrgang - sogar um einige Stunden erhöht wird. Am 11.06.2014 hat eine Gruppe von Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten in einer gemein- samen Erklärung für die Beibehaltung von „G 8“ plädiert. In dieser Erklärung wird aber auch konze- diert, dass die Einführung und Umsetzung des achtjährigen Bildungsgangs bis zum Erwerb der All- gemeinen Hochschulreife häufig überhastet erfolgt ist und auch heute, zehn Jahre nach dem Be- ginn, große Belastungen für die Schülerinnen und Schüler mit sich bringt. Deshalb fordern die Un- terzeichnerinnen und Unterzeichner eine Senkung der von der KMK verbindlich vorgesehenen 265 Wochenstunden in den Schuljahrgangsstufen 5 bis 12 bzw. 13, also bis zum Erwerb der Allgemei- nen Hochschulreife auf 260 Wochenstunden. Die Landesregierung hält die geforderte Reduzierung der Wochenstundenzahl nicht für geeignet, um die o. g. Probleme des „G 8“ zu lösen. Hohe Wochenstundenzahlen auch für die jüngeren Schülerinnen und Schüler wären damit weiterhin nicht zu vermeiden. Eine Senkung des Gesamt- stundenvolumens ginge zudem zulasten wichtiger neuer Fächer (u. a. Informatik) und würde ver- hindern, dass genug Zeit für Übungs- und Vertiefungsphasen zur Verfügung stünde. Der Erwerb der Studierfähigkeit könnte nicht mehr sichergestellt werden und daraus resultierend bestünde die Gefahr, dass die Abiturprüfung ihren Charakter als allgemein gültige Hochschulzugangsberechti- gung zugunsten von Eingangsprüfungen an den einzelnen Hochschulen verlieren könnte. Die Defizite des bisherigen „G 8“ lassen sich durch diesen Vorschlag nicht beheben. Auch deshalb sieht die Landesregierung sich in ihrer Entscheidung für „G 9“ nochmals bestätigt. Für Schülerinnen und Schüler bedeutet das weniger Stress durch eine schlankere Stundentafel, nachhaltigeres Ler- nen durch die längere Lernzeit und die Chance, ein höheres Maß an Reife, Selbst- und Sozialkom- petenzen zu entwickeln. Schülerinnen und Schülern mit höherem Förderbedarf bietet die längere Lernzeit mehr Bildungschancen, entwicklungsbedingte Leistungsschwankungen lassen sich durch den längeren Lernzeitraum besser ausgleichen. Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt: Zu 1: Die von der KMK beschlossene „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II“ (Beschluss der KMK vom 07.07.1972 i. d. F. vom 06.06.2013) wird von der Landesregierung als bindend betrachtet. Zu 2: § 120 Abs. 2 NSchG regelt, dass die Schulbehörden darauf hinzuwirken haben, dass das Schulwe- sen den geltenden Vorschriften entspricht. Die Einhaltung der genannten KMK-Vereinbarung und der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe (VO-GO) in der jeweils geltenden Fassung wird gemäß §§ 119 bis 122 NSchG durch das Kultusministerium als oberste Schulbehörde sowie durch die Niedersächsische Landesschulbehörde als nachgeordnete Schulbehörde mittels der Wahrneh- mung der Fachaufsicht, Rechtsaufsicht und Dienstaufsicht sichergestellt. Durch Beratung und Un- terstützung der Schulen, durch Steuerung und Gestaltung und, wenn notwendig, durch Intervention wird sichergestellt, dass die geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eingehalten werden. Dabei beachten die Schulbehörden die Eigenverantwortlichkeit der Schulen gemäß § 32 NSchG. Eine besondere Bedeutung kommt in den einzelnen Schulen der Schulleiterin oder dem Schulleiter zu. Sie oder er trägt gemäß § 43 Abs. 1 NSchG die Gesamtverantwortung für die Schule und sorgt gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 NSchG für die Einhaltung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Die Landesregierung ist davon überzeugt, dass auch an den im Aufbau befindlichen Oberstufen der in Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2010 4 der letzten Legislaturperiode errichteten Gesamtschulen die o. g. Rechtsvorschriften eingehalten werden. Zu 3: Nein. Zu 4: Die Kooperative Gesamtschule Wennigsen ist hier als einzige Gesamtschule zu benennen. Sie be- findet sich seit dem Schuljahr 2013/2014 in der Erweiterung um eine gymnasiale Oberstufe nach dem G 9-Modell. Dementsprechend wird im Schuljahr 2014/2015 nach der Einführungsphase (E-Phase) die erste Qualifikationsphase (Q1) eingeführt. Von zehn zugewiesenen Planstellen konn- te eine Stelle mit der Fächerkombination „Kunst/beliebig“ an dieser KGS nicht besetzt werden. Bei dem Fach Kunst handelt es sich um ein Mangelfach. Diese Stelle wurde an das Erich-Kästner- Gymnasium in Laatzen verlagert und auf die Fächerkombination „Evangelische Religion/beliebig“ umgewidmet. Zu 5: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Eine Senkung des Gesamtstundenvolumens von Jahr- gang 5 bis zum Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife von 265 auf 260 Jahreswochenstunden ist aus der Sicht der Landesregierung abzulehnen. Zu 6: Auf die Vorbemerkung und die Antwort zu 5 wird verwiesen. Zu 7: Wie bereits dargestellt, ist es nicht Absicht der Landesregierung, die Gesamtstundenzahl der Schü- lerinnen und Schüler zu verringern. Die Rückkehr zum neunjährigen gymnasialen Bildungsgang vermindert aber durch die längere Lernzeit den Druck auf die Schülerinnen und Schüler und ermög- licht nachhaltigeres Lernen. Die angekündigte Verringerung der Einbringungsverpflichtungen und die Reduzierung der Klausuren in der gymnasialen Oberstufe dienen ebenfalls diesem Zweck. Die Umsetzung der Bildungsstandards für den mittleren Bildungsabschluss und für die Allgemeine Hochschulreife, die von der KMK beschlossen wurden, die Nutzung eines Pools von Abiturprü- fungsaufgaben, die auf den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife basieren (ab 2017), die Beachtung der weiteren KMK-Vereinbarungen sowie die Beteiligung Niedersachsens an der Entwicklung und am Einsatz ländergemeinsamer Aufgaben bzw. Aufgabenteile für die Abitur- prüfung, die erstmals in diesem Jahr eingesetzt wurden, stellen sicher, dass die Qualität des nie- dersächsischen Abiturs auch künftig gesichert ist. In Vertretung Peter Bräth (Ausgegeben am 29.09.2014) Drucksache 17/2010 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Kai Seefried (CDU), eingegangen am 13.08.2014 Wie sichert die Landesregierung bundesweite Qualitätsstandards auf dem Weg zum Abitur? Antwort der Landesregierung