Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2074 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP), eingegangen am 25.06.2014 Verbotene Versammlungen - Kosten durch die Auflösung? Demonstrationsfreiheit wird in der Bundesrepublik Deutschland durch Artikel 8 des Grundgesetzes garantiert. Dieser legt aber auch ausdrücklich fest, dass ein Gesetz das Demonstrationsrecht ein- schränken darf. Durch die Föderalismusreform 2006 liegt die Gesetzgebungskompetenz nun auf Landesebene. Niedersachsens Versammlungsgesetz (NVersG) trat im Februar 2011 in Kraft. In dem NVersG wird als möglicher Verbotsgrund beispielsweise die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angeführt. Außerdem beinhaltet es Straf- und Bußgeldvorschriften. Aus der jährlichen Kriminalitätsstatistik Niedersachsens 2012 und 2013 geht ein Anstieg der Straftaten nach dem Ver- sammlungsrecht von 52 auf 113 Fälle hervor. Der Anstieg entspricht einer prozentualen Steigerung von 117 %. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie viele Versammlungen wurden in den letzten fünf Jahren in Niedersachsen aufgelöst, und welche Schäden sind im Rahmen der aufgelösten Versammlungen entstanden (bitte tabella- risch nach Jahren und Anlässen auflisten)? 2. Welche Kosten entstanden für das Land Niedersachsen durch die Auflösung der einzelnen Versammlungen? 3. Wie viele politisch motivierte Straftaten und wie viele nicht politisch motivierte Straftaten wur- den im Zusammenhang mit Versammlungen, die verboten und aufgelöst wurden, in Nieder- sachsen registriert? (An die Staatskanzlei übersandt am 11.07.2014 - II/725 - 835) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 24.09.2014 für Inneres und Sport - 01425/2-2/11553/14 - Im Bereich der Versammlungsdelikte haben wir es mit vergleichsweise kleinen Fallzahlen zu tun, die automatisch zu relativ starken prozentualen Veränderungen führen. Ein Blick auf die Entwicklung der letzten fünf Berichtsjahre zeigt dies eindrucksvoll: Bekanntgewordene Fälle 2009 2010 2011 2012 2013 PKS- Fälle Verstöße gegen das Versammlungsgesetz 306 220 96 52 113 Trotz des prozentual hohen Anstiegs von 2012 auf 2013 übersteigt der Wert beispielsweise nicht die Zahl der Fälle in 2009 oder 2010. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2074 2 Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Gemäß § 14 Abs. 2 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes kann die zuständige Behörde eine Versammlung u. a. auflösen, wenn ihre Friedlichkeit unmittelbar gefährdet ist und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. Darunter sind beispielsweise auch Anschlussaktionen zu subsumieren, die nach Beendigung der ursprünglichen Versammlung seitens der Polizei als eigen- ständige Versammlung gewertet und dann aufgelöst wurden. Ebenso sind als versammlungsrecht- liche Aktionen eingestufte Blockaden erfasst, die durch die Polizei aufgelöst wurden. Unterlagen über polizeiliche Einsatzanlässe werden in den niedersächsischen Polizeibehörden un- ter Berücksichtigung der gesetzlichen Aufbewahrungsfristen vorgehalten. Zur Beantwortung der Frage wurden die in der Tabelle aufgeführten Daten durch die Polizeidirektionen (PD) Braun- schweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Oldenburg und Osnabrück zugeliefert. Demnach wurden in Niedersachsen in den letzten fünf Jahren folgende Versammlungslagen aufgelöst: Jahr Anlass Zust. Polizeibehörde Schäden 2009 Bad Nenndorf, Blockade eines genehmigten Aufzugs der rechten Szene durch das Setzen einer Betonpyramide und Sitzblockaden PD Göttingen keine 2009 Besetzung eines Brachgeländes der Firma Böhringer PD Hannover keine 2009 Transport von hoch radioaktiven Abfällen in das Transportbehälterlager Gorleben Dieser Transport wurde von großen Protestaktionen mit einer Vielzahl von Versammlungslagen, insbesondere Gleis- und Straßenblockaden im Bereich der Transportstrecke begleitet, die aufgelöst werden mussten. PD Lüneburg 2009 Schülerdemonstration zum Thema Bildungspolitik PD Hannover keine 2010 Versammlung zum Thema Neubau einer Geflügelmastanlage in Wietze PD Lüneburg keine 2010 Transport von hoch radioaktiven Abfällen in das Transportbehälterlager Gorleben Dieser Transport wurde von großen Protestaktionen mit einer Vielzahl von Versammlungslagen, insbesondere Gleis- und Straßenblockaden im Bereich der Transportstrecke begleitet, die aufgelöst werden mussten. PD Lüneburg 2011 Versammlung zum Thema Gentechnikfreie Landwirtschaft PD Hannover keine 2011 Versammlung zum Thema Flüchtlingskinder retten PD Hannover keine 2011 Spontanversammlung mit Ankettaktionen am Haupttor des AKW Grohnde PD Göttingen keine 2012 Nichtangezeigte Versammlung im befriedeten Bezirk PD Hannover keine 2012 Nichtangezeigte Versammlung im befriedeten Bezirk PD Hannover keine 2012 Bad Nenndorf, Trauermarsch 2012, Beseitigung einer Pyramide am Kundgebungsort der Veranstalter Rechts PD Göttingen keine 2012 Critical-Mast-Fahrradtour in Wietze PD Lüneburg keine 2012 Blockade der Zufahrt zur Brennelementefabrik ANF in Lingen durch AKW-Gegner PD Osnabrück 2012 Sitzblockade am Bahnhof Bad Nenndorf PD Göttingen keine 2013 Nichtangezeigte Versammlung/Blockade von Teilnehmern einer anderen Versammlung PD Hannover keine 2013 Blockade der Zufahrt zur Brennelementefabrik ANF in Lingen durch Mitglieder eines Antiatomcamps in Metelen (NW) PD Osnabrück keine 2013 Nichtangezeigte Versammlung im befriedeten Bezirk PD Hannover keine 2013 Blockadeaktion des Haupttores Zufahrt zum KKW Grohnde, Ankettaktion PD Göttingen keine 2013 Blockade von Fleischtransportern der Firma Nienburger Geflügelspezialitäten (Wiesenhof) in Wietze, OT Holte PD Göttingen keine Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2074 3 Jahr Anlass Zust. Polizeibehörde Schäden 2013 Spontanversammlung durch Tierschützer in Nienburg im Zusammenhang mit dem zu diesem Zeitpunkt im Landkreis Nienburg stattfindenden „Aktionscamps gegen Tierfabriken“ PD Göttingen keine 2013 Bad Nenndorf, Gleisblockade anlässlich des „Trauermarsches “ der rechten Szene PD Göttingen keine 2013 Bad Nenndorf, Sitzblockade vor dem Wincklerbad zur Verhinderung einer rechten Kundgebung anlässlich „Trauermarsch Bad Nenndorf“ PD Göttingen keine 2014 Blockadeaktion gegen eine Geflügelschlachtanlage in Wietze PD Lüneburg keine Sachschäden im Zusammenhang mit den aufgelösten Versammlungen im Rahmen der Transporte hoch radioaktiver Abfälle in das Transportbehälterlager Gorleben in den Jahren 2010 und 2011 können nicht beziffert werden. Eine detaillierte Auflistung der einzelnen Versammlungslagen sowie der Sachschäden setzt eine erhebliche händische und elektronische Auswertung aller polizeilichen Einsatzunterlagen voraus. Darauf wurde vor dem Hintergrund der Dimension dieser Polizeieinsätze und einer zu erwartenden Vielzahl an Kleinschäden verzichtet. Die Höhe der Schäden an den Gleisanlagen kann hier ebenfalls nicht beziffert werden, da diese in die Zuständigkeit des Bundes fällt. Zu 2: Zur Ermittlung der kalkulatorischen Gesamteinsatzkosten wird der Vollkostenansatz gemäß Erlass des MF, 19.5.2010 - K 2004/41/3412, zugrunde gelegt. Die Höhe der angefallenen Sachkosten, z. B. Kosten für den Einsatz von Führungs- und Einsatzmitteln, Versorgung, Entsorgung etc., sowie der an polizeilichen Führungs- und Einsatzmitteln entstandene Schaden ist mit einem Durch- schnittsansatz in diesem Vollkostensatz enthalten. Bei entsprechender Datengrundlage werden darüber hinaus die Erstattungen an andere Bundesländer mit ausgewiesen. Eine gesonderte Erfassung des Personal- und Sachaufwands für einzelne polizeiliche Einsatzmaß- nahmen erfolgt grundsätzlich nicht. Vor diesem Hintergrund lassen sich die kalkulatorischen Kos- ten, die durch die Auflösung der einzelnen Versammlungen entstanden sind, nicht valide darstellen. Zu 3: Im Zusammenhang mit den o. a. Versammlungslagen wurden insgesamt 719 Ermittlungsverfahren mit politisch motiviertem Hintergrund eingeleitet, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Auflö- sung dieser Versammlungen bzw. Blockaden stehen. Ermittlungsverfahren, die keinen politisch mo- tivierten Hintergrund hatten, wurden im o. a. Kontext nicht eingeleitet. Hinsichtlich der eingeleiteten Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Transport von hoch radioaktiven Abfällen in das Transportbehälterlager Gorleben verweise ich auf meine Ausführungen zur Beantwortung der Frage 1. Boris Pistorius (Ausgegeben am 06.10.2014) Drucksache 17/2074 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP), eingegangen am 25.06.2014 Verbotene Versammlungen - Kosten durch die Auflösung? Antwort der Landesregierung