Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2143 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/1930 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Jan-Christoph Oetjen, Hillgriet Eilers und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 02.09.2014 „Vom Knast in den Dschihad“ - in Niedersachsen auch? In einem Spiegel-Artikel „Vom Knast in den Dschihad“ vom 30. Juni 2014 wird das Problem der Radikalisierung vom muslimischen Inhaftierten in Deutschland thematisiert. Die Radikalisierung er- folgt nicht nur durch Mitgefangene, u. a. durch das Verteilen von Schriften mit islamistischen bzw. salafistischen Inhalten, sondern, wie aus dem Spiegel-Artikel hervorgeht, auch durch die muslimi- schen Seelsorger in den Justizvollzugsanstalten (JVA). In einigen JVAs in Berlin, Leipzig und Wiesbaden ist es vorgekommen, dass die dort tätigen muslimischen Seelsorger Schriften mit is- lamistischem bzw. salafistischem Gedankengut in die JVAs geschmuggelt haben und teilweise durch ihr Wirken zur Radikalisierung der Häftlinge beigetragen haben. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Gab es in niedersächsischen Justizvollzugsanstalten Fälle, in denen Material, das dem Is- lamismus bzw. Salafismus zuzuordnen ist, beschlagnahmt wurde, und, wenn ja, wann und in welchen Justizvollzugsanstalten? 2. Inwieweit werden muslimische Gefängnisseelsorger überprüft, ob Verbindungen zu salafisti- schen oder anderen radikalen islamistischen Gruppierungen bestehen? 3. Wie viele Fälle sind der Landesregierung bekannt, in denen Inhaftierte in niedersächsischen Justizvollzugsanstalten von salafistischen oder anderen radikalen islamistischen Gruppierun- gen rekrutiert bzw. radikalisiert wurden? 4. Welche Konzepte hat die Landesregierung, um solche Rekrutierungen in den Justizvollzugs- anstalten zu unterbinden? (An die Staatskanzlei übersandt am 08.09.2014) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Justizministerium Hannover, den 07.10.2014 - 4434 I – 304. 1022 - Ich beantworte die Kleine Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Die Zeitung Milli Gazete ist als Freiabonnement am 05.08.2014 in der Justizvollzugsanstalt Wolfen- büttel und am 13.08.2014 in der Justizvollzugsanstalt Lingen eingegangen. Da diese Zeitung die Ideologie eines radikalen islamischen Nationalismus vertritt, wurden die Ausgaben gemäß § 65 Abs. 2 NJvollzG den Gefangenen vorenthalten. Weitere Materialien, die dem Islamismus oder dem Salafismus zuzuordnen sind, wurden in den niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen bislang nicht sichergestellt. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2143 2 Zu 2: In dem Bestreben, den Gefangenen und Arrestanten muslimischen Glaubens eine bedarfsgerechte religiöse Betreuung durch Seelsorgerinnen und Seelsorger ihrer Religionsgemeinschaft zu ermögli- chen, ist am 10.12.2012 eine Vereinbarung zwischen dem Landesverband der Muslime in Nieder- sachsen e. V., Schura Niedersachsen, dem DITIB Landesverband der islamischen Religionsge- meinschaften Niedersachsen und Bremen e. V. und dem Justizministerium geschlossen worden. Danach werden Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens und deren Helferinnen und Helfer vom Justizministerium als freie Seelsorgerinnen und Seelsorger bzw. freie Seelsorge- helferinnen und -helfer im Einvernehmen mit den am Vertragsabschluss beteiligten muslimischen Landesverbänden berufen. Auswahl, Qualifikation und Fortbildung regeln die am Vertragsab- schluss beteiligten muslimischen Landesverbände in eigener Verantwortung. Die Anstaltsleitung der betreffenden Vollzugsbehörde kann ihre Zustimmung zur Berufung davon abhängig machen, dass die betreffende Person an einer Einführung in die vollzugliche Praxis teilnimmt, die sich in In- halt und Umfang an die Einführung hauptamtlicher Seelsorgerinnen und Seelsorger anlehnt. Sieht die Anstaltsleitung durch das Verhalten der Seelsorgerinnen und Seelsorger oder deren Helferin- nen und Helfer Sicherheitsbelange der Anstalt gefährdet, trifft sie die notwendigen Vorkehrungen. Gegebenenfalls wird dem Justizministerium berichtet. Vor einer Berufung als freie Seelsorgerin oder freier Seelsorger bzw. freie Seelsorgehelferin oder freier Seelsorgehelfer müssen in Anlehnung an die Kriterien für haupt- und ehrenamtliche Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter des Justizvollzuges folgende formale Voraussetzungen erfüllt sein: – Vollendung des 21. Lebensjahres, – keine Verurteilung zu Freiheits- oder Jugendstrafen oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung innerhalb der letzten drei Jahre, – keine laufende Bewährungs- oder Führungsaufsicht, – keine laufenden Ermittlungs- oder Strafverfahren, – Vorlage eines aktuellen Führungszeugnisses. Darüber hinaus führt die Anstaltsleitung oder von ihr beauftragte Bedienstete mit der betreffenden Person ein Gespräch, in dem u. a. auch die Motivation für die angestrebte Tätigkeit als freie Seel- sorgerin oder freier Seelsorger bzw. freie Seelsorgehelferin oder freier Seelsorgehelfer thematisiert wird. Zu 3: Es sind keine Fälle bekannt, in denen Gefangene während der Inhaftierung in niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen von salafistischen oder anderen radikalen islamistischen Gruppierun- gen rekrutiert oder radikalisiert wurden. Zu 4: Die Bediensteten des Justizvollzuges werden über Erscheinungsformen des politischen und religiö- sen Extremismus in der Ausbildung, in Dienstbesprechungen und Fortbildungen sensibilisiert. Über kulturelle Aspekte und religiöse Besonderheiten von straffälligen Personen werden die angehenden Vollzugs- und Verwaltungswirte (FH) während des Studiums an der Fachhochschule für Rechts- pflege unterrichtet. Nachdem in den letzten Jahren in der Fortbildung der Bediensteten des Justiz- vollzugs der Schwerpunkt im Bereich Rechtsextremismus lag, ist aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen für das Jahr 2015 eine Fortbildungsveranstaltung „Politischer Extremismus heute: Islamistischer Fundamentalismus, Rechts- und Linksextremismus“ geplant. Die Fortbildung informiert über diese Begriffe und ihre Hintergründe, über gegenwärtige Entwicklungen in Deutschland und ihre Relevanz für die Arbeit im Justizvollzug. Das vom Bundeskriminalamt und dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof herausgege- bene Merkblatt für Justizvollzugsbedienstete über Indikatoren zum Erkennen islamistisch-terroris- tischer Zusammenhänge ist in der jeweils aktuellen Fassung den zuständigen Bediensteten der niedersächsischen Justizvollzugsanstalten bekannt. Danach werden Feststellungen, die strafrecht- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2143 3 lich relevant sein könnten, den örtlich zuständigen Polizeidienststellen oder dem Landeskriminalamt mitgeteilt. Die abhängig vom Einzelfall gegebenenfalls erforderlichen weiteren Maßnahmen werden zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Justizvollzugseinrichtung abgestimmt. Antje Niewisch-Lennartz (Ausgegeben am 20.10.2014) Drucksache 17/2143 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/1930 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Jan-Christoph Oetjen, Hillgriet Eilers und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 02.09.2014 „Vom Knast in den Dschihad“ - in Niedersachsen auch? Antwort der Landesregierung