Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2146 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/1920 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Jan-Christoph Oetjen, Hillgriet Eilers und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 02.09.2014 Muslimische Gefängnisseelsorger in Niedersachsen Im Jahr 2012 unterzeichneten Vertreter muslimischer Landesverbände und der damalige Justizmi- nister Busemann eine Vereinbarung, in der die Betreuung muslimischer Strafgefangener in Nieder- sachsen durch muslimische Seelsorger geregelt wurde. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie viele muslimische Gefängnisseelsorger gibt es in Niedersachsen (bitte um Auflistung nach den einzelnen Justizvollzugsanstalten)? 2. Wer entscheidet, welche muslimischen Gefängnisseelsorger in welchen Justizvollzugsanstal- ten eingesetzt werden? 3. Wer bildet die muslimischen Gefängnisseelsorger aus? 4. Von wem werden die muslimischen Gefängnisseelsorger bezahlt? 5. Gibt es in niedersächsischen Justizvollzugsanstalten Gebetsräume für Muslime, und, wenn ja, in welchen? (An die Staatskanzlei übersandt am 08.09.2014) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Justizministerium Hannover, den 07.10.2014 - 4561I-305.105 - Am 10. Dezember 2012 haben der Landesverband der Muslime in Niedersachsen e. V., Schura Niedersachsen und der DITIB Landesverband der Islamischen Religionsgemeinschaften Nieder- sachsen und Bremen e. V. mit dem Justizministerium eine Vereinbarung zur Seelsorge im Justiz- vollzug geschlossen. Die Vereinbarung beruht auf der Regelung in Artikel 141 der Weimarer Reichsverfassung, die ge- mäß Artikel 140 des Grundgesetzes Bestandteil der Verfassung ist und Religionsgesellschaften den Zugang zu Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten garantiert. Weitergehende Ausprägung hat diese Regelung in den Justizvollzugsgesetzen des Landes, u. a. in den §§ 53 bis 55 und § 179 des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes (NJVollzG), gefunden. Danach darf einer oder ei- nem Gefangenen eine religiöse Betreuung durch eine Seelsorgerin oder einen Seelsorger ihrer o- der seiner Religionsgemeinschaft nicht versagt werden. Ihr oder ihm ist auf Wunsch zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einen Seelsorger ihrer oder seiner Religionsgemeinschaft in Verbindung treten zu können (vgl. § 53 Abs. 1 NJVollzG). Entsprechend und in Umsetzung der Vereinbarung ist eine ständige Arbeitsgruppe unter Beteili- gung der niedersächsischen Justizvollzugsanstalten, der dort tätigen Seelsorgerinnen und Seelsor- ger muslimischen Glaubens sowie der am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Landesver- bände und des Justizministeriums eingerichtet worden. Die bisherigen Sitzungen der Arbeitsgruppe haben insbesondere dazu gedient, die aktuelle Situation hinsichtlich der bei den Justizvollzugsan- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2146 2 stalten bereits zugelassenen Seelsorgerinnen und Seelsorger zu erheben, geeignete Personen für die Seelsorgearbeit in bislang nicht oder unzureichend versorgten Anstalten zu gewinnen und die nach der Vereinbarung vorgesehene förmliche Berufung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern muslimischen Glaubens, die für den 14. Oktober 2014 geplant ist, vorzubereiten. Mit der Berufung werden die Seelsorgerinnen und Seelsorger muslimischen Glaubens jeweils bestimmten Justizvoll- zugseinrichtungen zugeordnet und übernehmen u. a. die Verpflichtung, auf die seelsorgerischen Bedarfe der Gefangenen muslimischen Glaubens in der jeweiligen Einrichtung einzugehen. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Am 31. Juli 2014 waren in niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen insgesamt 25 muslimi- sche Seelsorger und Seelsorgehelfer nach Prüfung und Zulassung durch die jeweiligen Anstaltslei- tungen tätig. Diese verteilten sich wie folgt auf die Einrichtungen: – JVA Celle: 5, – JA Hameln 2, – JVA Hannover 6, – JVA Lingen (mit Abt. Osnabrück) 2, – JVA Oldenburg 4, – JVA Sehnde 1, – JVA Vechta (Abt. Delmenhorst) 1, – JVA Wolfenbüttel 4. Durch Initiative und Vermittlung der in der Vorbemerkung genannten Arbeitsgruppe konnten zwi- schenzeitlich zehn weitere Personen gewonnen werden, die bereit und geeignet sind, muslimische Seelsorge in niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen wahrzunehmen. Auf diese Weise wird es spätestens ab Oktober 2014 auch für Gefangene muslimischen Glaubens, die in den Justizvoll- zugsanstalten Bremervörde, Rosdorf, Uelzen, Vechta-Jungtäter und Vechta-Frauen/Abteilung Hil- desheim inhaftiert sind, ein ihrer Religion entsprechendes Angebot geben. Für die Justizvollzugs- anstalt für Frauen Vechta, Abteilung Hildesheim, stehen erstmals eine weibliche Seelsorgerin und eine Seelsorgehelferin zur Verfügung. Andere zuvor nur teilweise versorgte Justizvollzugseinrich- tungen wie die Jugendanstalt Hameln erhalten personelle Verstärkung. Zu 2: Die Zuordnung der muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger zu den jeweiligen Justizvoll- zugseinrichtungen richtet sich einerseits nach dem seitens der Gefangenen geäußerten Bedarf, andererseits nach den im Umkreis der Anstalt vorhandenen Moscheegemeinden und deren perso- neller Kapazität bzw. Bereitschaft, Gefangene aufsuchen und seelsorgerlich betreuen zu können. In mehreren Fällen hat die Zusammenarbeit zwischen der Justizvollzugsanstalt mit einer Anfrage bei einer der örtlichen Moscheegemeinden begonnen, in anderen Fällen sind Imame bzw. im Gemein- devorstand tätige Gemeindemitglieder von sich aus auf die Anstalten zugekommen mit der Bitte, Freitagsgebete oder Feiern zum Fastenbrechen mit Gefangenen durchführen zu können. Die Zu- sammenarbeit zwischen den Anstalten und den Moscheegemeinden ist örtlich unterschiedlich ent- wickelt. Wie oben ausgeführt, bemüht sich die o. a. Arbeitsgruppe, einen Ausgleich zwischen gut und unzureichend versorgten Standorten zu erreichen. Zu 3: Für die Qualifikation und Fortbildung sind gemäß o. a. Vereinbarung die genannten Landesverbän- de verantwortlich. Bei dem Landesverband DITIB, der ausschließlich türkischstämmige Moschee- gemeinden vertritt und dessen Imame in der Regel Beamte des türkischen Staates sind, verfügen die Seelsorger nach Angaben der Verbandsvertreter zu ca. 95 % über eine mehrjährige theologi- sche Hochschulausbildung sowie eine praktische Ausbildung in Gemeindearbeit. Für die Tätigkeit in Deutschland erhalten sie eine Weiterbildung, die sich auf den Spracherwerb, Länderkunde, Ge- meindearbeit in Deutschland und seelsorgerliche Aspekte bezieht. Demgegenüber verfügen weni- ger als die Hälfte der von den Moscheegemeinden der Schura entsandten Imame und Laienhelfer Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2146 3 nach Angaben der Verbandsvertreter über eine theologische Hochschul- oder Fachhochschulquali- fikation. Die Mehrheit der Imame habe sich die theologische und liturgische Befähigung (die v. a. in der Wahrnehmung des Amtes eines Vorbeters besteht) autodidaktisch angeeignet. Die Entschei- dung über die Befähigung eines Imams für die Tätigkeit in Justizvollzugsanstalten richte sich nach der Einschätzung des Gemeindevorstandes bzw. eines Gremiums des Landesvorstandes bezüg- lich der persönlichen und fachlichen Eignung des Bewerbers. Die oben genannte Arbeitsgruppe plant eine vollzugsspezifische Fortbildung, in der insbesondere neue Seelsorgerinnen und Seelsorger mit den Besonderheiten des Vollzuges und der Seelsorge im Vollzug vertraut gemacht werden. Es ist vereinbart, dass neu zugelassene muslimische Seelsorge- rinnen und Seelsorger, Seelsorgehelferinnen und Seelsorgehelfer eine mehrtägige Hospitations- phase in einer Anstalt absolvieren sollen. Zu 4: Die von dem Landesverband DITIB entsandten Imame erhalten als Staatsbeamte für ihre Tätigkeit in den Moscheegemeinden ein Grundgehalt. Demgegenüber nimmt nur ein geringer Teil der im Landesverband der Schura organisierten Imame diese Aufgabe im Rahmen einer dotierten Voll- zeitstelle wahr. Die Mehrheit übt diese Tätigkeit im Nebenberuf bzw. auf der Basis einer geringfügi- gen Beschäftigung aus. Manche von ihnen erhalten von den Gemeinden ein Taschengeld, Le- bensmittel und/oder eine mietfreie Unterkunft. Seitens des Landes Niedersachsens erhalten die bestellten muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger als Aufwandsentschädigung eine Pauschale von 12 Euro für jede Tätigkeit in den Jus- tizvollzugsanstalten (höchstens 144 Euro im Jahr). Im Falle die Pauschale übersteigender Kosten besteht Anspruch auf eine Entschädigung für Zeitversäumnis, für Nachteile bei der Haushaltsfüh- rung und für Verdienstausfall, die sich nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz richtet. Für diese Ausgaben sind in den laufenden Haushalt 44 000 Euro eingestellt. Zu 5: Einen speziell für Gefangene muslimischen Glaubens eingerichteten Gebetsraum gibt es bisher nur in der Justizvollzugsanstalt Hannover. In der Justizvollzugsanstalt Bremervörde ist ein feierlich, weltanschaulich neutral gestalteter Raum mit der Bezeichnung „3. Religion“ eingerichtet, der für re- ligiöse Veranstaltungen nichtchristlicher Religionen genutzt werden kann. In den anderen Justiz- vollzugseinrichtungen werden für religiöse Veranstaltungen, z. B. zur Durchführung der Freitagsge- bete, Mehrzweckräume genutzt, wobei diese für diesen Zweck entsprechend ausgestaltet werden. Antje Niewisch-Lennartz (Ausgegeben am 21.10.2014) Drucksache 17/2146 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/1920 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Jan-Christoph Oetjen, Hillgriet Eilers und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 02.09.2014 Muslimische Gefängnisseelsorger in Niedersachsen Antwort der Landesregierung