Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2328 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/1906 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Dr. Max Matthiesen, Annette Schwarz und Adrian Mohr (CDU), eingegangen am 27.08.2014 Setzt sich die Landesregierung für eine Anhebung des Mindestalters für Prostituierte ein? Der Landtag hat mit einer Entschließung vom 25.06.2014 (Drs. 17/1678) die Landesregierung auf- gefordert, sich u. a. mit den Gewerkschaften und dem Verband von Sexarbeiterinnen 1 für die Erstel- lung von Mindeststandards in der Prostitution einzusetzen. Ein solcher Mindeststandard könnte ein Mindestalter von 21 Jahren für eine Tätigkeit in der Prostitution sein, um insbesondere jüngere Frauen aus Osteuropa vor sexueller Ausbeutung zu schützen. § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB stellt es bereits jetzt unter Strafe, eine Person unter 21 Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitu- tion zu bringen, und betont somit die besondere Schutzbedürftigkeit junger Erwachsener. Der „Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleitungen (BesD)“ teilt nun in einer Pressemitteilung vom 14.08.2014 mit, er verfolge mit Besorgnis die Verhandlungen zwischen SPD und Union zur Prostitutionsregulierung: „Die möglicherweise gut gemeinte Anhebung des Mindestalters auf 21 Jahre geht an der Lebenswirklichkeit in der Branche vorbei. Junge Erwachsene mit einem drin- genden Verdienstbedürfnis werden sich ungeachtet des Verbots in der Sexarbeit betätigen. Ihr so- mit illegalisierter Status würde in dieser schützenswerten Altersgruppe Ausbeutung und Abhängig- keit Tür und Tor öffnen. Bereits jetzt führt die Sonderstellung junger Erwachsener im Menschen- handelsparagraph § 232 StGB, nach dem bereits eine einvernehmliche Unterstützung beim Be- rufseinstieg kriminalisiert werden kann, dazu, dass jungen Anfängerinnen viele sichere Arbeitsplät- ze verwehrt bleiben.“ Wir fragen die Landesregierung: 1. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass eine Tätigkeit in der Prostitution jungen Men- schen einen sicheren Arbeitsplatz bietet? Falls ja, weshalb? 2. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass gerade § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB dazu führt, dass derzeit „jungen Anfängerinnen viele sichere Arbeitsplätze verwehrt bleiben“? Falls ja, weshalb? 3. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass eine Tätigkeit in der Prostitution für junge Er- wachsene „mit einem dringenden Verdienstbedürfnis“ generell alternativlos ist? Falls ja, wes- halb? 4. Ist es nach Auffassung der Landesregierung angesichts der in Deutschland in den letzten zwölf Jahren vollzogenen Entwicklung im Prostitutionsgewerbe gesellschaftspolitisch erstre- benswert, der schützenswerten Altersgruppe der 18- bis unter 21-Jährigen eine Tätigkeit in der Prostitution weiterhin zu erlauben, anstatt ihr diese durch eine Heraufsetzung des Min- destalters auf 21 Jahre künftig zu verwehren? Falls ja, weshalb? 5. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass der Verzicht auf eine Anhebung des Mindestal- ters auf 21 Jahre für eine Tätigkeit in der Prostitution dazu beiträgt, dass die Altersgruppe der 18- bis unter 21-Jährigen von Ausbeutung und Abhängigkeit weniger betroffen ist als bei einer Anhebung des Mindestalters auf 21 Jahre? Falls ja, weshalb? 6. Ist die Landesregierung der Auffassung, dass die Heraufsetzung des Mindestalters auf 21 Jahre für eine Tätigkeit in der Prostitution dazu beitragen könnte, dass kriminelle Schlep- 1 Gemeint ist wohl der „Bundesverband der Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (bufas)“ bzw. der „Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleitungen (BesD)“. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2328 2 perbanden künftig keine - oder zumindest weniger - unter 21-jährige osteuropäische Frauen mit falschen Versprechungen nach Deutschland locken? Falls nein, weshalb nicht? (An die Staatskanzlei übersandt am 02.09.2014) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 05.11.2014 für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - 202 - Im Rahmen der Debatte um die gesetzliche Regulierung von Prostitutionsstätten und zur besseren Bekämpfung von Zwangsprostitution und Menschenhandel wird auch die Anhebung der Altersgren- ze für legale Prostitution auf 21 Jahre diskutiert. Begründet wird diese Forderung mit der besonde- ren Schutzbedürftigkeit junger Frauen. Dem stehen das Selbstbestimmungsrecht von jungen voll- jährigen Prostituierten, die Gefahr ihrer Kriminalisierung und des Abdrängens in die Illegalität mit den Folgen ihrer schlechteren Erreichbarkeit für soziale und gesundheitliche Angebote gegenüber. Sowohl auf Bundesebene als auch vonseiten der Bundesländer besteht hier noch erheblicher Bera- tungs- und Klärungsbedarf, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verbot der Prostitutions- ausübung junger Frauen und Männer oder ein Verbot der Inanspruchnahme der sexuellen Dienst- leistungen mit welchen Sanktionsmöglichkeiten in Betracht kommt. Im Rahmen des beabsichtigten Gesetzgebungsverfahrens zu einem Prostituiertenschutzgesetz durch die Bundesregierung Anfang nächsten Jahres wird über eine mögliche Regelung unter Ein- beziehung der Stellungnahmen der Verbände und von Expertinnen und Experten aus der Rechts- praxis und der Arbeit mit Betroffenen entschiedenen werden. Es wird davon ausgegangen, dass im Beteiligungs- und Anhörungsverfahren auch eine Klärung der Frage der besonderen Gefährdung junger Erwachsener durch Abhängigkeit und Ausbeutung erfolgt, die eine realistische Einschätzung zur Notwendigkeit gesetzlicher Reglementierung dieses Bereichs ermöglicht. Die Landesregierung ist durch Entschließung des Landtages vom 25.06.2014 (Drs. 17/1678) u. a. aufgefordert, einen Runden Tisch Prostitution Niedersachsen einzurichten und sich mit den Ge- werkschaften und dem Verband von Sexarbeiterinnen für die Erstellung von Mindeststandards ein- zusetzen. Im Rahmen der Arbeit des Gremiums des Runden Tisches mit Vertretungen aus Politik, Verwaltung und Praxis und bei der möglichen Erstellung von Mindeststandards wird die Schutz- möglichkeit auch von jungen Prostituierten eine zu behandelnde, wichtige Fragestellung sein. Den einzelnen Beratungsgegenständen des Gremiums, seiner Erkenntnisse und möglichen Schlussfol- gerungen können aber insoweit nicht vorweg gegriffen werden. Ferner existieren verschiedene strafrechtliche Regelungen im Strafgesetzbuch im Zusammenhang mit der Prostitution, die dem besseren Schutz von Prostituierten dienen und dazu beitragen, dass sie ihre Tätigkeit sicherer ausüben können. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Das Prostitutionsgewerbe ist - wie jeder andere Wirtschaftsbereich auch - heterogen. Es gibt eine Vielzahl von Tätigkeitsbereichen wie die Arbeit in Bordellen und Laufhäusern, in Clubs, Privatwoh- nungen oder sogenannten Lovemobilen, die Arbeit auf dem Straßenstrich oder als Escortservice mit exklusiven, hochpreisigen Leistungsangeboten. Die Ausübung der Tätigkeit kann sowohl in per- sönlich geführten Betrieben, in Einpersonen-Betrieben als auch in Großbordellen erfolgen mit sehr unterschiedlichen Arbeitsbedingungen, Verdienst- und Schutzmöglichkeiten für die Prostituierten. Eine allgemeingültige Antwort ist insoweit nicht möglich. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2328 3 Zu 2: Nach § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB 2 wird u. a. derjenige bestraft, der eine Person unter 21 Jahre zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution bringt. Tatbestandsmäßiges Handeln erfordert danach, dass der Täter die Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution veranlasst, das Opfer mithin dazu bestimmt. Es genügt dafür regelmäßig nicht, dass der Täter einer Person unter 21 Jahren das blo- ße Angebot unterbreitet, der Prostitution nachgehen zu können, beispielsweise durch das Zurver- fügungstellen eines Zimmers. Daraus folgt zum einen, dass junge Prostituierte unter 21 Jahren freiwillig der Prostitution nachge- hen können und auch faktisch die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme und des Erhalts von dafür er- forderlichen Räumlichkeiten haben, da den Anbietern bei gegebener Freiwilligkeit insoweit keine Strafverfolgung droht. Zum anderen folgt daraus, dass jungen Anfängerinnen, die in der Ausübung der Prostitution einen Arbeitsplatz sehen und sich dafür entscheiden, der Zugang zu diesen Ar- beitsplätzen nicht durch den Straftatbestand des § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB verwehrt wird. Den niedersächsischen Lagebildern „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ der letzten Jahre sowie dem aktuellen Lagebild sind folgende Opferzahlen im Bereich der Altersgrup- pen unter 21 Jahre zu entnehmen: Die Zahlen basieren auf polizeilichen Ermittlungsverfahren, die auf Grundlage des § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB, der sogenannten Schutzklausel, initiiert wurden. Opferzahlen im Bereich Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung Alter Jahre 2010 2011 2012 2013 14-17 jährige 7 4 13 3 18-20 jährige 23 23 67 26 u-21 insgesamt 30 27 80 29 Gesamtopferanzahl 66 53 121 49 Anteil u-21 46 % 51 % 66 % 59 % Der Anteil an Menschenhandelsopfern im Bereich der Heranwachsenden bzw. Minderjährigen im Verhältnis zur Gesamtopferanzahl ist hierbei erkennbar hoch. Adäquate Feststellungen sind auch den Bundeslagebildern „Menschenhandel“ zu entnehmen. Im Bundeslagebild „Menschenhandel 2013“ 3 heißt es hierzu: „Mit 279 Opfern (51 %) war rund die Hälfte der Opfer unter 21 Jahre alt. Ur- sächlich dafür ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Umstand, dass Personen dieser Altersgruppe aufgrund der Strafnormierung des § 232 Absatz 1 Satz 2 StGB deutlich einfacher als Opfer von Menschenhandel identifiziert werden können.“ Zu 3: Nein. Zu 4: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Zu 5: Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Zu 6: Eine Heraufsetzung des Mindestalters auf 21 Jahre würde eine zusätzliche Hürde schaffen, die es kriminellen Schlepperbanden erschweren würde, unter 21-jährige osteuropäische Frauen mit fal- schen Versprechen nach Deutschland zu locken. 2 Strafgesetzbuch in der Fassung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. April 2014 (BGBl. I S. 410) 3 Hrsg. vom Bundeskriminalamt, Wiesbaden, Stand 2013 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2328 4 Da bisher keine empirischen Untersuchungen zu grenzüberschreitenden Wirkungen entsprechen- der Verbotsnormen im intereuropäischen Kontext vorliegen, können keine weitergehenden belast- baren Aussagen gemacht werden, etwa zum Umfang der Verhinderung von Schleppertätigkeiten. Cornelia Rundt (Ausgegeben am 13.11.2014) Drucksache 17/2328 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/1906 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Dr. Max Matthiesen, Annette Schwarz und Adrian Mohr (CDU), eingegangen am 27.08.2014 Setzt sich die Landesregierung für eine Anhebung des Mindestalters für Prostituierte ein? Antwort der Landesregierung