Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2558 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2302 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Dr. Marco Genthe (FDP), eingegangen am 30.10.2014 Muslimische Gefängnisseelsorger in Niedersachsen (Teil 2) Ein wichtiger Bestandteil in der Betreuung von Häftlingen ist der Einsatz von Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Dieser soll den Gefangenen die Möglichkeit geben, streng vertraulich über Probleme und persönliche Anliegen zu reden. Die Seelsorger genießen in den Justizvollzugsanstalten (JVA) daher bei den Häftlingen großes Vertrauen. Seit Ende 2012 haben die muslimischen Gefangenen auch das Recht auf eine muslimische Seelsorgerin oder einen muslimischen Seelsorger. Laut einer Pressemitteilung des Justizministeriums vom 14.10.2014 kommen diese in Niedersachsen meist aus den Landesverbänden der Schura oder des DITIB, einige agieren aber auch als freie Seelsor- gerin oder freier Seelsorger. Eine Arbeitsgruppe solle laut der Pressemitteilung entscheiden, wie viele und welche Personen als Seelsorger (Imane) oder als freie Seelsorgehelfer (Laien) eingestellt werden. In der Antwort auf die Anfrage „,Vom Knast in den Dschihad‘ - in Niedersachsen auch?“ (17/2143) der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Jan-Christoph Oetjen, Hillgriet Eilers und Dr. Stefan Birkner (FDP) berichtet die Landesregierung zudem über Gespräche, die vor der Einstellung einer Seelsor- gerin oder eines Seelsorgers zwischen dieser oder diesem und der JVA-Leitung stattfinden. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Gibt es noch weitere Verbände außer DITIB und Schura, die muslimische Seelsorgerinnen und Seelsorger auswählen und vorschlagen dürfen? 2. Wie viel Prozent aller in Niedersachsen agierenden muslimischen Organisationen werden durch die Schura und den DITIB repräsentiert, und wie viel Prozent der Muslime in Nieder- sachsen gelten als nicht organisiert bzw. repräsentiert und werden daher von der Landesre- gierung nicht einbezogen? 3. Woher kommen die freien Seelsorger, und wie werden diese Personen ausgewählt? 4. Wie definiert sich der den christlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern „angenäherte Status“ der muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger? 5. Welche konkreten Kriterien entscheiden über die Auswahl einer Person als muslimischer Seelsorger, und wie lässt sich das Auswahlverfahren überprüfen bzw. nachvollziehen? 6. Wie setzt sich die oben genannte Arbeitsgruppe zusammen, und wie wird deren Arbeit über- prüft? 7. In der oben genannten Pressemitteilung heißt es weiterhin, dass der Vollzug „seinerseits Fortbildungsbedarf zu Besonderheiten der muslimischen Seelsorge“ hat. Was ist an dieser Stelle konkret geplant? 8. Welche Vorkehrungen werden getroffen und welche Maßnahmen werden eingeleitet, wenn die JVA-Leitung den bestätigten Verdacht hat, dass ein angestellter Seelsorger versucht, In- sassen zu radikalisieren? 9. Wie oft ist es bisher vorgekommen, dass eine vorgeschlagene muslimische Seelsorgerin oder ein vorgeschlagener muslimischer Seelsorger nach einem Vorstellungsgespräch mit der zu- ständigen JVA-Leitung abgelehnt wurde? (An die Staatskanzlei übersandt am 06.11.2014) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2558 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Justizministerium Hannover, den 04.12.2014 - 4561 I - 305. 106 - Inhaftierte haben ein Recht auf religiöse Betreuung durch Seelsorgerinnen und Seelsorger ihrer Religionszugehörigkeit. Auf Wunsch ist ihnen zu helfen, mit einer Seelsorgerin oder einem Seel- sorger ihrer Religionszugehörigkeit in Verbindung zu treten (vgl. u. a. § 53 Abs. 1 NJVollzG und § 55 Abs. 1 Nds. SVVollzG). Dieses Recht gilt auch für Inhaftierte muslimischen Glaubens. Der Ab- schluss der Vereinbarung zwischen dem Landesverband der Muslime in Niedersachsen e. V., Schura Niedersachsen, dem DITIB Landesverband der Islamischen Religionsgemeinschaften Nie- dersachsen und Bremen e. V. und dem Niedersächsischen Justizministerium zur Seelsorge im Jus- tizvollzug im Dezember 2012 schafft keinen Rechtsanspruch auf religiöse Betreuung, sondern re- gelt im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen die Zusammenarbeit der am Ver- tragsschluss beteiligten Verbände mit dem Justizministerium und enthält darüber hinaus Empfeh- lungen zur Ausgestaltung der Zusammenarbeit vor Ort in den Justizvollzugseinrichtungen (vgl. Vorwort der Vereinbarung, diese ist veröffentlicht auf der Homepage des Justizministeriums unter „Themen/Justizvollzug“). Dies vorangeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Die in der Vorbemerkung genannte Vereinbarung schließt nicht aus, dass auch weitere Verbände Seelsorgerinnen und Seelsorger für Gefangene muslimischen Glaubens benennen, wenn dafür zur Gewährleistung der gesetzmäßigen Rechte der Inhaftierten Anlass besteht. Die beiden Verbände sind bislang die einzigen Verbände, mit denen eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit geschlos- sen wurde. Angestrebt wird eine vergleichbare Vereinbarung mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V. Die Vereinbarung soll Teil der von der Landesregierung geplanten Gesamtvereinbarung mit der Alevitischen Gemeinde Deutschland e. V. werden. Zu 2: Nach Artikel 137 Abs. 3 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung, der gemäß Artikel 140 des Grund- gesetzes Bestandteil der Verfassung ist, ordnet und verwaltet jede Religionsgemeinschaft ihre An- gelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Damit unter- liegt auch die innere Ordnung einer Religionsgemeinschaft ihrem Selbstbestimmungsrecht, sodass für Religionsgemeinschaften weder Melde- noch Registrierungspflichten bestehen. Daher kann auch die Landesregierung nur in beschränktem Umfang Einblick in die Strukturen von Religions- gemeinschaften nehmen. Der Landesregierung liegen keine Angaben zu den angefragten Zahlen vor. Zu 3: Der Begriff der „freien“ Seelsorgehelferinnen und Seelsorgehelfer ist im Gesetz angelegt (vgl. § 179 Abs. 3 NJVollzG und § 115 Abs. 3 Nds. SVVollzG) und unterscheidet diese insbesondere von den Seelsorgerinnen und Seelsorgern, die im Einvernehmen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Hauptamt bestellt oder vertraglich verpflichtet werden (vgl. § 179 Abs. 1 NJVollzG und § 115 Abs. 1 Nds. SVVollzG). Nach dem Gesetz besteht bei freien Seelsorgehelferinnen und Seelsorge- helfern mithin keine Verpflichtung, diese für ihre Tätigkeit förmlich zu berufen. Entsprechend § 4 der in der Vorbemerkung genannten Vereinbarung sind aber auch die „freien“ muslimischen Seelsorgehelferinnen und Seelsorgehelfer im Oktober 2014 förmlich berufen worden. Dadurch wird ge- währleistet, dass die an der Vereinbarung beteiligten muslimischen Verbände Auswahl, Qualifikati- on und Fortbildung auch dieser Personen in gleicher Weise wie bei den Seelsorgerinnen und Seel- sorgern regeln und das Justizministerium und die Justizvollzugseinrichtungen eine bessere Über- sicht über alle zur Betreuung von Gefangenen muslimischen Glaubens eingesetzten Personen er- halten und diese gezielter auf ihre Tätigkeit im Justizvollzug vorbereiten können. Ergänzend wird Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2558 3 deshalb auf die Antwort auf Frage 5 zur Auswahl der muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsor- ger Bezug genommen. Zu 4: Regelungen zum Status von Seelsorgerinnen und Seelsorgern muslimischen Glaubens ergeben sich unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. § 179 NJVollzG, § 115 Nds. SVVollzG und § 19 Abs. 3 JAVollzO). Danach sind Seelsorgerinnen und Seelsorger grundsätzlich im Hauptamt zu bestellen oder vertraglich zu verpflichten. Wenn die geringe Zahl der Angehörigen einer Religionsgemein- schaft eine Bestellung im Hauptamt oder eine vertragliche Verpflichtung nicht rechtfertigt, ist die seelsorgerische Betreuung auf andere Weise zuzulassen (vgl. § 179 Abs. 2 NJVollzG und § 115 Abs. 2 Nds. SVVollzG). Da die Zahl der Inhaftierten muslimischen Glaubens, die Bedarf nach seel- sorgerischer Betreuung geäußert haben, noch keine hauptamtliche Bestellung oder vertragliche Verpflichtung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern muslimischen Glaubens bei einzelnen Justiz- vollzugseinrichtungen rechtfertigt, werden die seelsorgerischen Bedarfe derzeit nach Maßgabe der im Dezember 2012 geschlossenen Vereinbarung gedeckt. Die Vereinbarung enthält in § 4 Rege- lungen zum Status der Seelsorgerinnen und Seelsorger. Auswahl und Bestellung entspricht im We- sentlichen dem Verfahren bei der Berufung von Seelsorgerinnen und Seelsorgern der christlichen Kirchen. Hauptunterschied ist, dass den Seelsorgerinnen und Seelsorgern muslimischen Glaubens auf Grundlage der Vereinbarung bislang nur eine Entschädigung für Zeitversäumnis, für Nachteile bei der Haushaltsführung und für Verdienstausfall entsprechend der Regelungen für ehrenamtliche Richterinnen und Richter nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz gewährt wird, den christlichen Kirchen auf Grundlage der Staatskirchenverträge des Landes stattdessen weit- überwiegend die Gehaltskosten für die im Justizvollzug eingesetzten Seelsorgerinnen und Seelsor- ger erstattet werden. Zu 5: Die Auswahl der im Justizvollzug eingesetzten muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorger er- folgte in der Vergangenheit zuvorderst auf Ebene der Justizvollzugseinrichtungen, sofern Bedarfe nach seelsorgerischer Betreuung bekannt waren oder wurden. Kontakte zu muslimischen Seelsor- gerinnen und Seelsorgern wurden u. a. über die christlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger oder über das türkische Generalkonsulat in Hannover hergestellt. Durch die in der Vorbemerkung ge- nannte Vereinbarung sind nunmehr die am Vertragsschluss beteiligten muslimischen Verbände verpflichtet, Auswahl, Qualifikation und Fortbildung der im Justizvollzug eingesetzten Seelsorgerin- nen und Seelsorger in eigener Verantwortung zu regeln (vgl. § 4 der Vereinbarung). Die Auswahl in eigener Verantwortung entspricht der Verantwortung der Kirchen bei der Berufung christlicher Seelsorgerinnen und Seelsorger im Justizvollzug. Die Landesregierung kann deshalb nicht beantworten, welche Kriterien die muslimischen Verbände bei der Auswahl der im Justizvollzug eingesetzten Seelsorgerinnen und Seelsorger im Einzelfall zugrunde legen oder gelegt haben. Zur Qualifikation der im Justizvollzug eingesetzten Seelsorgerinnen und Seelsorger wird auf die Antwort der Landesregierung auf Frage 3 der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe, Jan-Christoph Oetjen, Hillgriet Ehlers und Dr. Stefan Birkner (FDP) „Muslimische Gefängnisseelsorger in Niedersachsen“ (Drs. 17/1920) Bezug genommen. Bei allen im Justizvollzug eingesetzten Seelsorgerinnen und Seelsorgern findet vor der Berufung in der Regel ein Kontaktgespräch mit der Leitung der Justizvollzugseinrichtung statt, in der die betref- fende Person tätig werden soll. Dabei wird u. a. die Motivation zur Aufnahme der Tätigkeit erfragt und aufgrund des persönlichen Eindrucks bewertet, ob die betreffende Person für einen Einsatz in einer Justizvollzugseinrichtung geeignet ist. Eine Berufung durch das Justizministerium erfolgt auf Grundlage des Berichtes der betreffenden Anstalt nach Durchführung dieses Kontaktgespräches. Zu 6: Die Einrichtung der Arbeitsgruppe basiert auf der Regelung in § 9 der in der Vorbemerkung ge- nannten Vereinbarung. Die Arbeitsgruppe dient der Fortentwicklung und Evaluation der Zusam- menarbeit. Beteiligt sind Vertreter der am Vertragsschluss beteiligten Verbände und des Justizmi- nisteriums sowie Vertreter aus dem Kreis der Anstaltsleitungen und der vor Ort eingesetzten mus- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2558 4 limischen Seelsorgerinnen und Seelsorger. Eine Überprüfung der Arbeit der Arbeitsgruppe erfolgt auf Ebene der Landesregierung im Rahmen der Dienst- und Fachaufsicht über die in der Arbeits- gruppe eingesetzten Vertreter des Justizministeriums. Zu 7: Fortbildungsbedarfe der Bediensteten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Justizvollzugs- einrichtungen werden im Erlasswege durch das Justizministerium erfragt werden, sobald erste Er- fahrungen mit der Neuausrichtung der Seelsorge für Inhaftierte muslimischen Glaubens vorliegen und ausgewertet wurden. Zu 8: Ein solcher Fall ist noch nicht bekannt geworden. Bestünde der Verdacht, dass Seelsorgerinnen oder Seelsorger im Justizvollzug Straftaten begehen, würde Strafanzeige gegen sie erstattet und der betreffenden Person von der Leiterin oder dem Leiter der betreffenden Justizvollzugseinrich- tung im Regelfall Hausverbot erteilt werden. Bei einer Beeinflussung, die der Resozialisierung eines Inhaftierten entgegen stehen oder die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährden könnte, wür- den die Maßnahmen im jeweiligen Einzelfall in enger Abstimmung zwischen der beteiligten Justiz- vollzugseinrichtung und dem Justizministerium unter Beteiligung der jeweils betroffenen Religions- gemeinschaft, soweit die Berufung der betreffenden Person im Einvernehmen mit dieser erfolgt ist, getroffen werden. Zu 9: In keinem Fall. Antje Niewisch-Lennartz (Ausgegeben am 05.01.2015) Drucksache 17/2558 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2302 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Dr. Marco Genthe (FDP), eingegangen am 30.10.2014 Muslimische Gefängnisseelsorger in Niedersachsen (Teil 2) Antwort der Landesregierung