Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2602 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2297 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Karl-Heinz Bley (CDU), eingegangen am 30.10.2014 Ist die Beteiligung von Kommunen an Windkraftanlagen in ihrem Gebiet zulässig? Im Rahmen der sogenannten Energiewende soll die deutsche Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Nutzung der Windenergie. Windenergieanlagen stellen einen Eingriff in Landschaft und Natur dar. Sie werden daher von Tei- len der Bevölkerung abgelehnt. Bei manchen Projekten wird versucht, die Bürger in sogenannten Bürgerwindparks an den Wind- energieanlagen zu beteiligen, um die Akzeptanz der Anlagen in der Bevölkerung zu erhöhen. In Rheinland-Pfalz wurde die Gemeindeordnung daher so geändert, dass den Kommunen die Be- teiligung an Windenergieanlagen in ihrem Gebiet rechtlich zweifelsfrei möglich ist. Auch in Niedersachsen möchten sich Gemeinden aus diesen Gründen an Windenergieanlagen be- teiligen, so etwa die Gemeinde Bösel im Landkreis Cloppenburg. Der Landkreis Cloppenburg reich- te daher am 10.06.2014 beim Innenministerium eine Anfrage zur kommunalrechtlichen Zulässigkeit ein. Diese wurde erst am 12.09.2014 beantwortet. Fraglich ist, ob die Beteiligung von Kommunen an Windenergieanlagen in ihrem Gemeindegebiet nach den §§ 136 und 137 NKomVG zulässig ist, und insbesondere, ob ein hinreichender öffentli- cher Zweck vorliegt. Das Innenministerium verneint dies, wenn der produzierte Strom nicht vorran- gig der Versorgung der Gemeinde dienen solle. Der Kommentar von Prof. Ipsen zum Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz schreibt zur Frage, wann der notwendige öffentliche Zweck der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen vor- liegt: „Es muss also die Wahrnehmung einer sozial-, gemeinwohl- und damit einwohnernützlichen Aufgabe vorliegen.“ Ich frage die Landesregierung: 1. Kann die Beteiligung einer Kommune an Windenergieanlagen in ihrem Gemeindegebiet, um die Akzeptanz dieser Anlagen zu erhöhen, die Wahrnehmung einer sozial-, gemeinwohl- und damit einwohnernützlichen Aufgabe und damit einen öffentlichen Zweck darstellen? 2. Wenn ja zu Frage 1: Welche Voraussetzungen müssen dazu erfüllt sein? 3. Wenn nein zu Frage 1: Plant die Landesregierung eine Änderung des Kommunalwirtschafts- rechts, damit wird die Beteiligung von Kommunen an Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien zulässig ist? 4. Wie bewertet die Landesregierung die Regelung in § 85 der Gemeindeordnung von Rhein- land-Pfalz hinsichtlich des Betriebs von Windkraftanlagen durch Kommunen? 5. Sind der Landesregierung Beteiligungen von Kommunen an Windenergieanlagen bekannt? 6. Wenn ja zu Frage 5: Welche Beteiligungen welcher Kommunen an welchen Windenergiean- lagen mit welchen Erzeugungskapazitäten sind der Landesregierung bekannt? 7. Wie bewertet die Landesregierung die Beteiligung von Kommunen an Windenergieanlagen? 8. Welche Energieversorger in kommunalem Mit- oder Alleineigentum besitzen Windenergiean- lagen oder sind an solchen beteiligt? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2602 2 9. Warum brauchte das Innenministerium drei Monate, um die Anfrage des Landkreises Clop- penburg zu beantworten? 10. Darf sich die Gemeinde Bösel mit einem 1/15-Anteil an einem Windpark in ihrem Gemeinde- gebiet beteiligen? (An die Staatskanzlei übersandt am 06.11.2014) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 09.12.2014 für Inneres und Sport - 33.1-10005(§136) - Von niedersächsischen Kommunen sind in der jüngeren Zeit verstärkt Initiativen mit dem Ziel ein- geleitet worden, die Energiewende in Deutschland zu unterstützen. Neben der Gründung von so- genannten Klimaschutzagenturen durch Kommunen, von denen Energieberatungen in Haushalten und Unternehmen angeboten werden, ist dem Ministerium für Inneres und Sport bekannt gewor- den, dass Kommunen eigene Beiträge zur Energiewende auch durch unmittelbar eigene wirtschaft- liche Betätigungen anderer Art zu verwirklichen beabsichtigen. Dazu zählen auch Vorhaben der Kommunen, bei denen sich diese mit einem zum Teil erheblichen finanziellen Aufwand an Investo- rengemeinschaften für den Bau und Betrieb von Windkraftanlagen beteiligen wollen. Im Fall der Gemeinde Bösel, die etwa 7 500 Einwohner hat, sind durch den Landkreis Cloppenburg Fragen zur kommunalrechtlichen Zulässigkeit in der Vorgehensweise und rechtlichen Umsetzung eines Beteili- gungsprojekts der Gemeinde an das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport gerichtet worden. Es ging darum, dass die Gemeinde Bösel selbst eine Windkraftanlage - vorgesehen war die Errichtung einer GmbH für diesen Zweck - käuflich erwerben wollte, die als Teil eines Wind- parks von insgesamt 15 derartigen Anlagen auf dem Gebiet der Gemeinde errichtet worden ist. Die Gemeinde hätte einen nicht unbeträchtlichen Millionenbetrag für ihren Einstieg in dieses Projekt aufwenden müssen. Zu den einzelnen Details ist mitgeteilt worden, dass sich die gesamten Auf- wände und Erträge des Investments der Gemeinde Bösel zu 1/15 aus einem Pool ergeben würden, ebenso der Kaufpreis. Die Möglichkeit, sich als Kommune wirtschaftlich zu betätigen, steht unter dem verfassungsrechtli- chen Schutz der kommunalen Selbstverwaltung aus Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes. Der sachliche Schutzbereich dieser Verfassungsnorm sichert die kommunale Wirtschaftstätigkeit jedoch nur, soweit sie gegenständlich und räumlich eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft ist. Be- tätigungen, die in einem reinen Gewinnstreben bestehen, begründen kein in diesem Sinne anzu- nehmendes öffentliches Interesse. Genau diesen Rechtsrahmen bestimmt das Niedersächsische Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) in § 136 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1. Der Text der Vorschriften lautet: „Die Kommu- nen dürfen sich zur Erledigung ihrer Angelegenheiten wirtschaftlich betätigen. Sie dürfen Unter- nehmen nur errichten, übernehmen oder wesentlich erweitern, wenn und soweit (1.) der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertigt.“ In ihrer vollständigen Fassung lautet die auf die Auslegung dieser Bestimmungen gerichtete und vom Fragesteller in seiner Anfrage nur auszugsweise zitierte Kommentierung von Prof. Ipsen des- halb auch folgerichtig (Kom. zu § 136 RN 9): „Auch wenn das niedersächsische Kommunalverfassungsrecht - anders als andere Kommunalge- setze - keine ausdrückliche Negativabgrenzung vorgenommen hat, wird man davon ausgehen kön- nen, dass eine reine Gewinnerzielungsabsicht keine Rechtfertigung des öffentlichen Zwecks dar- stellt. Denn die Leistungen und Lieferungen der kommunalen Unternehmen müssen im Aufgaben- bereich der Gemeinde liegen und eine im öffentlichen Interesse gebotene Versorgung der Einwoh- ner zum Ziel haben. Es muss also die Wahrnehmung einer sozial-, gemeinwohl- und damit einwoh- nernützlichen Aufgabe vorliegen. Dieses Verständnis hat eine gewisse Nähe zu den europarechtli- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2602 3 chen Vorgaben im Rahmen des Beihilferechts nach Artikel 106 Abs. 2 AEUV, welcher von Dienst- leistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse spricht.“ Die vollständige Wiedergabe des Kommentartextes lässt erkennen, dass die damit beschriebene Erfüllung einer (einwohnernützlichen) öffentlichen Aufgabe durch ein gegenüber den Einwohnerin- nen und Einwohnern zu erbringendes konkretes Waren- oder Dienstleistungsangebot des von der Kommune mit der Aufgabenwahrnehmung betrauten kommunalen Unternehmens gekennzeichnet ist. Liegt der kommunalen wirtschaftlichen Betätigung ein solches Unternehmensprinzip zugrunde, gilt das klassische Marktprinzip. Den Einwohnerinnen und Einwohnern der Kommune bleibt der Er- werb der von dem Unternehmen hergestellten oder gehandelten Waren freigestellt bzw. es unter- liegt ihrer freiwilligen Entscheidung, die von dem Unternehmen bereitgestellten Dienstleistungen gegen ein dafür gefordertes Entgelt auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Liegt ein derartiges Kunden-/Lieferantenverhältnis der Betätigung der Kommune zugrunde, kann nicht vordergründig darauf geschlossen werden, es sei mit dieser Betätigung lediglich beabsichtigt, Gewinne für den kommunalen Haushalt zu erzielen. Im Gegensatz dazu erfüllt ein lediglich auf die Akzeptanzerhöhung der Einwohnerschaft zu einem Bürgerwindparkprojekt gerichtetes Investment einer Kommune die von § 136 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NKomVG aufgestellten Voraussetzungen nicht in hinreichender Weise. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Nein. Auf die Vorbemerkungen wird verwiesen. Dem für die Fragestellung gebildeten Fall erman- gelt es bezüglich des ihm zugrunde liegenden Zwecks an einem konkreten Leistungsverhältnis zwi- schen dem kommunalen Beteiligungsunternehmen und den Einwohnerinnen und Einwohnern der Kommune. Zu 2: Entfällt. Zu 3: Nein. Zu 4: Die Landesregierung kommt bei ihrer Bewertung zu dem Ergebnis, dass die Vorschriftenlage in den Ländern Rheinland-Pfalz und Niedersachsen, soweit diese in Bezug auf die von der Anfrage er- fassten Gegenstände steht, identisch ist (§ 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Gemeindeordnung Rhein- land-Pfalz im Vergleich zu § 136 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 NKomVG). Zu 5 und 6: Der Landesregierung sind einzelne Beteiligungen bzw. Beteiligungsabsichten von Kommunen an Windenergieanlagen/-projekten bekannt geworden. Eine systematische Erfassung direkter und indi- rekter Beteiligungen und deren Ausgestaltungsdetails erfolgt jedoch nicht. Zu 7: Langfristiges Ziel der Landesregierung ist eine Energieversorgung aus bis zu 100 % erneuerbaren Energien. Rückgrat der regenerativen Stromerzeugung ist die Windenergienutzung. Diese Rolle wird sie auch künftig einnehmen. Kommunen haben das Recht, Stadt- oder Gemeindewerke zu errichten. Diese können Stromer- zeugungsanlagen selbst betreiben oder sich an diesen ganz oder teilweise beteiligen. Die Landes- regierung begrüßt, wenn Energieversorgungsunternehmen sich aktiv für die Energiewende enga- gieren und ihre Erzeugungs- und Beschaffungsstruktur entsprechend ausrichten. Dies gilt auch für kommunale Stadt- und Gemeindewerke. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2602 4 Zu 8: Eine systematische Erfassung direkter und indirekter Beteiligungen an Stadtwerken, Energiever- sorgungsunternehmen und deren Tochtergesellschaften wird nicht durchgeführt. Entsprechend lie- gen keine systematischen Kenntnisse über direkte oder indirekte kommunale Beteiligungen und demzufolge über Teil- oder Gesamteigentümerschaften von Kommunen an Windenergieanlagen vor. Zu 9: Zur Beantwortung der Anfrage des Landkreises Cloppenburg waren diverse Nachfragen erforder- lich, die sich erst im Rahmen der Bearbeitung ergaben. Zu 10: Ja, aber unter der Voraussetzung, dass die Gemeinde die Vermarktung der durch die im Windpark errichteten Windkraftanlagen erzeugten elektrischen Energie in ihrem Gemeindegebiet als unter ih- rer Regie betriebene Eigenversorgung vorsieht und auch die im Übrigen noch insoweit maßgebli- chen Bestimmungen des kommunalen Wirtschaftsrechts erfüllt werden. Boris Pistorius (Ausgegeben am 05.01.2015) Drucksache 17/2602 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2297 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Karl-Heinz Bley (CDU), eingegangen am 30.10.2014 Ist die Beteiligung von Kommunen an Windkraftanlagen in ihrem Gebiet zulässig? Antwort der Landesregierung