Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2604 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2300 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen und Sylvia Bruns (FDP), eingegan- gen am 30.10.2014 Die Forderungen der sudanesischen Flüchtlinge in Hannover Seit dem 24.05.2014 besteht auf dem Weißekreuzplatz in Hannover unweit des Hauptbahnhofs ein Camp sudanesischer Flüchtlinge. Seitdem fordern die dort lebenden Flüchtlinge bessere Lebens- bedingungen und weniger Einschränkungen durch Asylgesetze. Des Weiteren haben die Flüchtlin- ge einen Forderungskatalog verfasst. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie steht die Landesregierung einer Anerkennung dieser Personen als Schutzbedürftige und als Flüchtlinge gegenüber? 2. Inwiefern unterstützt die Landesregierung die Forderung, die aus dem Sudan Geflüchteten von der Dublin-II-Verordnung auszunehmen und deren Zurückführung so zu verhindern? 3. Wie steht die Landesregierung dem Vorhaben gegenüber, die Geflüchteten als „Gäste“ zu be- trachten und ihnen weiterhin einen Aufenthalt hier zu ermöglichen? 4. Inwiefern setzt sie Landesregierung sich dafür ein, dass die Asylanträge der Sudanesen und die entsprechenden Asylverfahren in den Verwaltungsgerichten möglichst zeitnah bearbeitet und durchgeführt werden? 5. Inwiefern besteht aus Sicht der Landesregierung die Möglichkeit, sudanesischen Flüchtlingen, die sich schon lange in Deutschland aufhalten, eine Arbeitserlaubnis zu erteilen? 6. Kommt für die Landesregierung eine dezentrale Unterbringung der sudanesischen Flüchtlinge in Hannover-Stöcken in Betracht? 7. Unterstützt die Landesregierung die Idee, für die Geflüchteten ein selbstorganisiertes Zentrum zu errichten? 8. Wie bewertet die Landesregierung, dass die sudanesischen Asylantragsstellerinnen und -steller sich an die sudanesische Botschaft wenden müssen, um einen Pass zu bekommen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass viele der Botschaftsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter verdächtigt werden, der sudanesischen Geheimpolizei anzugehören? 9. Unterstützt die Landesregierung eine mögliche Freilassung aller durch die Dublin-Verordnung in Abschiebehaft befindlichen sudanesischen Flüchtlinge? 10. Wie steht die Landesregierung der Gründung eines Komitees gegenüber, welches sich aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Interessengruppen zusammensetzen und die Planung und Umsetzung von Problemlösungsstrategien begleiten soll? (An die Staatskanzlei übersandt am 06.11.2014) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2604 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 08.12.2014 für Inneres und Sport - 61.2 – 12231/ 3 - Die Landesregierung tritt für ein weltoffenes Niedersachsen und für Humanität in der Flüchtlings-, Asyl- und Ausländerpolitik ein. Soweit es im Rahmen der Verantwortung des Landes möglich ist, hat die Landesregierung zahlreiche Maßnahmen getroffen, die die Lage der Flüchtlinge und Asyl- suchenden im Land verbessern. Die Neuausrichtung der Arbeit der Landesaufnahmebehörde, der Wechsel von Wertgutscheinen zu Geldleistungen für Asylsuchende, die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für den humanitären Auftrag der Härtefallkommission oder die Stärkung der Willkommenskultur sind hierfür nur einige Beispiele. Gleichwohl bleibt die Bewältigung der in den letzten Jahren stetig angestiegenen Flüchtlingszahlen eine große Herausforderung für das Land und für die Kommunen. Die drängenden Fragen können aber nicht allein auf Ebene des Landes oder der Kommunen gelöst werden. Daher wird sich die Landesregierung weiterhin dafür einsetzen, dass zum einen der Bund seiner Verantwortung in der Flüchtlings-, Asyl- und Ausländerpolitik gerecht wird. Zum anderen wird sie sich für eine humanitäre Weiterentwicklung der Flüchtlingspolitik auf europäischer Ebene stark machen. Bei den zu klärenden Fragen stehen dabei die Menschen im Mittelpunkt, die aus den für sie hoff- nungslosen Verhältnissen in ihren Heimatländern zum Teil unter Lebensgefahr fliehen und die u. a. in Niedersachsen Schutz suchen. Die Landesregierung hat daher Verständnis für Protestaktionen, mit denen Asylsuchende auf ihre Lage aufmerksam machen. Die Landesregierung ist jedoch auch der Auffassung, dass für alle Asylsuchenden die gleichen rechtlichen und humanitären Maßstäbe anzulegen sind, unabhängig davon, ob bestimmte Gruppen von Asylsuchenden durch Protestaktio- nen stärker im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Für alle Asylsuchenden müssen in gleicher Weise faire Verfahren unter dem Gesichtspunkt ihrer jeweiligen Schutzbedürftigkeit durchgeführt werden. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Für die Entscheidung über Asylanträge ist gemäß § 5 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) aus- schließlich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig. Die Landesregierung hat keinen Einfluss auf die dort getroffenen Entscheidungen. Zu 2: Das sogenannte Dublin-Verfahren ist ein in das nationale Verfahren zur Feststellung internationa- len Schutzes integriertes Zuständigkeitsbestimmungsverfahren. Grundlage ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des EU-Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von ei- nem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf inter- nationalen Schutz zuständig ist. Diese Dublin III-VO ist am 19. Juli 2013 in Kraft getreten und ihrem Artikel 49 zufolge ab dem 1. Januar 2014 - in Nachfolge der Dublin II-VO - unmittelbar anzuwen- den. Die Umsetzung obliegt in der Bundesrepublik Deutschland allein dem BAMF. Mit der dem BAMF eröffneten Ermessensklausel (sogenanntes Selbsteintrittsrecht) des Artikels 17 der Dublin III-VO und der mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. Au- gust 2013 (BGBl I S. 3474) seit September 2013 gesetzlich geregelten Möglichkeit des verwal- tungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes stehen Instrumente zur Verfügung, um im individuellen Fall dem besonderen Schutzbedürfnis des Einzelnen gerecht zu werden und von der Überstellung des Schutzsuchenden in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2604 3 Zu 3: Der aufenthaltsrechtliche Status von Drittstaatsangehörigen, die nach Deutschland einreisen, rich- tet sich nach dem jeweiligen Aufenthaltszweck, der verfolgt wird. Eine Betrachtungsweise als „Gäs- te“ für einen längerfristigen Aufenthalt sehen die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen nicht vor. Den sudanesischen Staatsangehörigen, die in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag stellen, wird der Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 55 AsylVfG zur Durchführung ihrer Asylver- fahren gestattet. Ihr weiterer Aufenthalt richtet sich nach der Entscheidung des BAMF über ihre An- träge. Im Falle einer Anerkennung erhalten sie gemäß § 25 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Auch für diejenigen, die beim BAMF keinen Erfolg haben bzw. hatten, eröffnen sich andere Mög- lichkeiten. Wenn sie bereits erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen haben und einige Jahre gedul- det in Deutschland leben, kann bei Nachweis der geforderten Integrationsleistungen grundsätzlich eine Begünstigung durch die geplante allgemeine gesetzliche Bleiberechtsregelung des § 25 b AufenthG in Betracht kommen. Zudem ist abgelehnten Asylbewerberinnen und -bewerbern nach Ablauf der Ausreisefrist aufgrund der Vollziehbarkeit ihrer Ausreiseverpflichtung grundsätzlich der Weg in die Härtefallkommission eröffnet. Zu 4: Die Landesregierung setzt sich generell dafür ein, dass Asylanträge möglichst zeitnah durch das zuständige BAMF beschieden werden. Ziel muss es sein, dass über Asylanträge grundsätzlich in- nerhalb von drei Monaten entschieden wird. Die Landesregierung unterstützt daher die auf der Mi- nisterpräsidentenkonferenz am 17. Oktober 2014 an den Bund gerichtete Forderung, durch eine bessere Personalausstattung im BAMF eine Beschleunigung der Verfahren und einen Abbau der Verfahrensrückstände zu erreichen. Soweit die verwaltungsgerichtlichen Verfahren von der Fragestellung angesprochen sind, ist darauf zu verweisen, dass die Landesregierung mit Blick auf die verfassungsrechtlich garantierte richterli- che Unabhängigkeit (Artikel 51 Abs. 4 LVerf) und die Gewaltenteilung (Artikel 2 Abs. 1 Satz 2 LVerf) gehindert, auf Gerichtsverfahren Einfluss zu nehmen. Zu 5: Eine Arbeitserlaubnis im Sinne einer eigenständigen behördlichen Entscheidung gibt es nicht mehr. Mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) am 1. Januar 2005 wurde das bis dahin be- stehende doppelte Genehmigungsverfahren (Aufenthaltstitel und Arbeitserlaubnis) durch ein kon- zentriertes Verfahren ersetzt, bei dem lediglich ein Verwaltungsakt ergeht („one-stop-government“). Seitdem wird der Zugang von Ausländerinnen und Ausländern aus Nicht-EU-Staaten zum Arbeits- markt über die zu dem Aufenthaltstitel, der Aufenthaltsgestattung oder der Duldung erteilten Ne- benbestimmungen gesteuert. Soweit die Beschäftigung nicht bereits per Gesetz erlaubt ist, erfolgt eine Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit durch die Ausländerbehörde. Spezielle Regelungen für den Zugang sudanesischer Staatsangehöriger zum Arbeitsmarkt existie- ren nicht. Generell hängt die Frage, ob Asylsuchenden oder geduldeten Personen die Aufnahme einer Beschäftigung ermöglicht werden kann, von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status ab: – Soweit sie als Asylberechtigte oder als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt worden sind oder ihnen subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, erhalten sie eine Auf- enthaltserlaubnis, die kraft Gesetz zur Ausübung jeder selbstständigen Tätigkeit und jeder Be- schäftigung berechtigt (§ 25 Abs. 1 und 2 AufenthG). Einer besonderen behördlichen Genehmi- gung oder Erlaubnis bedarf es nicht. – Soweit ein Abschiebungsverbot in Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention (§ 60 Abs. 5 AufenthG) oder wegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit (§ 60 Abs. 7 AufenthG) festgestellt worden ist, erhalten sie im Regelfall eine Aufent- haltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Für die Aufnahme einer Beschäftigung ist die Zu- stimmung der Bundesagentur für Arbeit nicht erforderlich (§ 31 Beschäftigungsverordnung - BeschV). Die Aufenthaltserlaubnis wird daher im Regelfall mit der Nebenbestimmung „Beschäf- tigung gestattet“ versehen. Einer weiteren behördlichen Genehmigung oder Erlaubnis bedarf es nicht. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2604 4 – Soweit sie ein Asylverfahren in Deutschland betreiben, ist ihr Aufenthalt kraft Gesetz für die Dauer des Asylverfahrens gestattet (Aufenthaltsgestattung, § 55 AsylVfG). Nach dreimonatigem Aufenthalt kann seitens der Ausländerbehörde die Ausübung einer Beschäftigung mit vorheriger Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erlaubt werden (§ 61 Abs. 2 AsylVfG). In bestimmten Fällen, beispielweise bei Aufnahme einer Berufsausbildung, ist die Zustimmung der Bunde- sagentur nicht erforderlich. Nach 15-monatigem Aufenthalt entfällt die Vorrangprüfung bei der Bundesanstalt für Arbeit, die grundsätzlich innerhalb des Zustimmungsverfahrens vorzunehmen ist. Nach insgesamt vierjährigem Aufenthalt entfällt diese Zustimmungspflicht insgesamt (§ 32 BeschV). – Soweit sie im Besitz einer Duldung sind, gelten die für Inhaberinnen und Inhaber einer Aufenthaltsgestattung dargestellten Regelungen entsprechend. – Soweit Personen keinen Aufenthaltstitel innehaben und weder im Besitz einer Aufenthaltsge- stattung noch einer Duldung sind, kann ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung nicht ermög- licht werden, da § 32 BeschV den Besitz einer Duldung oder einer Aufenthaltsgestattung vo- raussetzt. Zu diesem Personenkreis gehören insbesondere Personen, bei denen das BAMF festgestellt hat, dass ihr in Deutschland gestellter Asylantrag unzulässig ist, weil ein anderer EU-Staat für die Durchführung des Asylverfahren zuständig ist und denen deswegen seitens des BAMF die Abschiebung in diesen EU-Staat angeordnet worden ist (§§ 27 a, 34 a AsylVfG, sogenanntes Dublin-Verfahren). Zu 6: Für die Unterbringung der Ausländerinnen und Ausländer, die nach dem derzeit geltenden Nieder- sächsischen Aufnahmegesetz auf die Städte und Gemeinden verteilt werden, sind die Landkreise und kreisfreien Städte zuständig. Der niedersächsische Landesgesetzgeber hat über die bundes- rechtlichen Regelungen hinaus keine weiteren Vorgaben gemacht, sodass es den Landkreisen und kreisfreien Städten obliegt, über die zu gewährende Unterkunft und deren Ausgestaltung im Detail zu entscheiden. Dies gilt auch im Hinblick auf die sudanesischen Flüchtlinge, die sich in dem Camp auf dem Weißekreuzplatz unweit des Hauptbahnhofs Hannover engagieren. Zu 7: Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über die in der Fragestellung angesprochene Idee, ein selbstorganisiertes Zentrum zu errichten, vor. Zu 8: Ausländerinnen und Ausländer dürfen nur in das Bundesgebiet einreisen oder sich darin aufhalten, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen. Die Passpflicht wird grundsätzlich durch Vorlage eines Nationalpasses erfüllt. In den Fällen, in denen es Asylsuchenden nachweislich nicht möglich ist, in zumutbarer Weise einen Pass zu bekommen, wird im Einzelfall geprüft, ob ein Ersatzdokument ausgestellt werden kann. Auch für die sudanesischen Asylsuchen- den gilt somit, dass sie grundsätzlich verpflichtet sind, sich um die Ausstellung eines Nationalpas- ses zu bemühen. Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, dass Mitarbeiter der sudanesischen Auslands- vertretung der Geheimpolizei angehörten. Eine diesbezügliche Bewertung obliegt dem Auswärtigen Amt, das aufgrund der dort vorliegenden Erkenntnisse über den Sudan in eigener Zuständigkeit einschätzen kann, ob die Übermittlung persönlicher Daten an die hiesige Botschaft in Deutschland lebende sudanesische Staatsangehörige als auch deren im Sudan lebenden Familienangehörigen gefährden könnten. Soweit konkrete Hinweise über eine entsprechende Gefahrensituation vorlie- gen sollten, würden diese berücksichtigt. An potenziell gefährdete sudanesische Staatsangehörige würde keine Aufforderung ergehen, ihre Auslandsvertretung zum Zwecke der Passbeantragung aufzusuchen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2604 5 Zu 9: Die Landesregierung hat keine Veranlassung, die von der jeweils zuständigen unabhängigen Rich- terin oder dem jeweils zuständigen unabhängigen Richter auf der Grundlage der Dublin III-VO ge- prüfte und angeordnete Überstellungshaft überprüfen oder außer Vollzug setzen zu lassen. Dies gilt unabhängig von der Herkunft oder Staatsangehörigkeit der ausreisepflichtigen Personen. Zu 10: Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über die Gründung eines entsprechenden Komi- tees vor. Boris Pistorius (Ausgegeben am 06.01.2015) Drucksache 17/2604 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2300 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen und Sylvia Bruns (FDP), eingegan-gen am 30.10.2014 Die Forderungen der sudanesischen Flüchtlinge in Hannover Antwort der Landesregierung