Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2639 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2314 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegan- gen am 30.10.2014 Die umstrittene Informationspolitik der Justizministerin - Sollten vielleicht die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit nicht getrübt werden? Am Mittwoch, dem 8. Oktober 2014, wurde ein entflohener Sicherungsverwahrter aus Rosdorf auf dem Göttinger Bahnhof nach sechs Tagen Flucht gefasst. Während eines begleiteten Ausgangs in Hannover im Vorfeld der Einheitsfeierlichkeiten war der Sicherungsverwahrte seiner weiblichen Be- gleiterin entwischt. Das Justizministerium ließ nach dem Bekanntwerden des Falls verlautbaren, dass von dem Entflo- henen keine Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten ausgehe. Im Nachhinein stellte sich her- aus, dass er wegen zahlreicher Verbrechen zu insgesamt 41 Jahren Haft verurteilt worden war. Die Polizei hat den Sicherungsverwahrten im Rahmen ihrer Fahndung als gefährlich eingestuft. Ferner behauptete das Justizministerium zunächst, dass der Sicherungsverwahrte zuvor neun Freigänge ohne Beanstandung absolviert hätte. Kurze Zeit später musste das Justizministerium einräumen, dass er im vergangenen Jahr bei einem Ausgang entflohen war. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wer im Justizministerium wurde durch wen zu welchem Zeitpunkt von dem Vorfall unterrich- tet? 2. Wurde Ministerpräsident Weil vor dem Hintergrund der Feierlichkeit zum Tag der Deutschen Einheit unverzüglich informiert, um die Sicherheitslage neu beurteilen zu können? 3. Wurde Innenminister Pistorius vor dem Hintergrund der Feierlichkeit zum Tag der Deutschen Einheit unverzüglich informiert, um die Sicherheitslage neu beurteilen zu können? 4. Wie gelangte das Justizministerium zu seiner Auffassung, dass der entflohene Sicherungs- verwahrte „nicht gefährlich“ sei? 5. Inwieweit waren die Justizministerin und der Staatssekretär an der Einschätzung, dass der entflohene Sicherungsverwahrte „nicht gefährlich sei“, beteiligt? 6. Wie bewertet die Landesregierung, dass die Polizei den entflohenen Sicherungsverwahrten entgegen der Einschätzung des Justizministeriums als „gefährlich“ eingestuft hat? 7. Wer hat die Entscheidung getroffen, dass die Öffentlichkeit und die Parlamentarier erst nach der Feierlichkeit zum Tag der Deutschen Einheit informiert werden sollen? (An die Staatskanzlei übersandt am 10.11.2014) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Justizministerium Hannover, den 11.12.2014 - 4427 I - 305. 122 - Am 2. Oktober 2014 gegen 12:30 Uhr ist ein in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf untergebrachter Sicherungsverwahrter bei einem Begleitausgang am Maschsee in Hannover entwichen. Er konnte am 8. Oktober 2014 gegen 17:00 Uhr im Göttinger Hauptbahnhof von der Bundespolizei verhaftet Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2639 2 werden. Nach eigenem Bekunden befand er sich auf dem Rückweg in die nahe gelegene Justiz- vollzugsanstalt Rosdorf. Entsprechend einer mit dem Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen des Niedersächsischen Landtages mit dem Justizministerium getroffenen Vereinbarung setzte das Justizministerium die Landtagsverwaltung am 2. Oktober 2014 gegen 20:00 Uhr über das außerordentliche Vorkommnis in Kenntnis. Die Öffentlichkeit wurde am Folgetag gegen 16:15 Uhr durch Pressemitteilung des Justizministeriums informiert. Am 8. Oktober 2014 unterrichtete die Justizministerin die Mitglieder des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen in der 33. Sitzung des Ausschusses umfassend über das außerordentliche Vorkommnis. Ferner wurde zusätzlich zu der bereits bestehenden Zielfahndung ab etwa 10:00 Uhr die Öffentlichkeitsfahndung nach dem entwichenen Sicherungsverwahrten eingeleitet. Noch am selben Tage konnte der Sicherungsverwahrte verhaftet werden. Die Öffentlichkeit wurde darüber durch Pressemitteilung des Justizministeriums vom 8. Oktober 2014 gegen 17:40 Uhr in- formiert, die Landtagsverwaltung am 9. Oktober 2014 gegen 09:15 Uhr mit ergänzenden Hinweisen zur Weiterleitung der Informationen an die Abgeordneten des Ausschuss für Rechts- und Verfas- sungsfragen und an die Abgeordneten des Unterausschusses „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“. Dies vorangeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Das Justizministerium ist am 2. Oktober 2014 nach telefonischer Vorankündigung von der Justiz- vollzugsanstalt Rosdorf gegen 14:45 Uhr durch schriftlichen Bericht über die Entweichung des Sicherungsverwahrten in Kenntnis gesetzt worden. Die Mitteilung erfolgte an den stellvertretenden Leiter des Referates 304 der Abteilung Justizvollzug im Justizministerium. Dieser unterrichtete ge- gen 16:30 Uhr per E-Mail die Justizministerin, den Justizstaatssekretär, den Pressesprecher, die Leiterin des Büros der Justizministerin, die Leiterin der Abteilung Justizvollzug, den Leiter der Abtei- lung Straf- und Strafprozessrecht, Soziale Dienste und die Referatsleiterin bzw. Referatsleiter der Referate 301, 303, 304 und 305 der Abteilung Justizvollzug. Einige der Empfänger der E-Mail konn- ten die Nachricht wegen Abwesenheiten nicht zeitnah zur Kenntnis nehmen. Zu 2: Die Regierungssprecherin und der stellvertretende Regierungssprecher sind im Laufe des Nachmit- tags des 2. Oktober 2014 vom Justizministerium über den Vorfall informiert worden. Die Regie- rungssprecherin ihrerseits hat anschließend den Herrn Ministerpräsidenten und den Chef der Staatskanzlei informiert; für eine weitergehende Erörterung, wie sie die Fragesteller mit ihrer For- mulierung „um die Sicherheitslage neu beurteilen zu können“ vermuten, bestand keine Veranlas- sung. Dies war Aufgabe der zuständigen Stellen im Justizministerium und der Polizeidirektion Han- nover und wurde auch von dort wahrgenommen. Zu 3: Nein. Das Landespolizeipräsidium wurde am 2. Oktober 2014 von der Polizeidirektion Hannover, also von der für die Durchführung aller im Zusammenhang mit dem Einsatz zu den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit stehenden Maßnahmen verantwortlichen Behörde, informiert. Für eine unverzügliche Information des Ministers bestand keine Veranlassung. Zu 4: In der Pressemitteilung des Justizministeriums vom 3. Oktober 2014 heißt es, dass nach gutachter- licher Einschätzung nicht die Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten von dem Sicherungsver- wahrten ausgehe. Die Einschätzung fußt auf einem Gutachten und einer ergänzenden gutachterli- chen Stellungnahme des Prognosezentrums im niedersächsischen Justizvollzug bei der Justizvoll- zugsanstalt Hannover zur Frage der Lockerungseignung vom 22. April 2013 und 10. Mai 2013. Die Sachverständigen des Prognosezentrums kommen darin zu dem Ergebnis, dass nicht zu erwarten ist, dass der Sicherungsverwahrte in begleiteten Ausgängen erhebliche Straftaten begehen wird. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2639 3 Zu 5: Es wird auf die Antwort zu Frage 4 Bezug genommen. Die Justizministerin und der Justizstaatssek- retär sind an der Begutachtung von Gefangenen oder Sicherungsverwahrten nicht beteiligt. Zu 6: Die gutachterliche Prognose zur Gefahr von Flucht und Missbrauch bei vollzugsöffnenden Maß- nahmen erfolgt zu einem anderen Zeitpunkt und unter anderen Voraussetzungen als die polizeili- che Gefährdungseinschätzung im Rahmen der Fahndung nach einem Entweichen. Die polizeiliche Beurteilung der potenziellen Gefährlichkeit der entwichenen Person erfolgte, nach- dem sich der Sicherungsverwahrte am 2. Oktober 2014 bei einem Begleitausgang entzogen hatte. Grundlage für die polizeiliche Gefährdungsbewertung waren dabei die bis dahin vorliegenden In- formationen über den Sicherungsverwahrten und die Erkenntnisse, die sich aus der mehrtägigen Flucht ergaben, da nicht auszuschließen war, dass der Entwichene Straftaten begehen könnte, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Zu 7: Es wird auf die Vorbemerkung Bezug genommen. Die Öffentlichkeit wurde durch Pressemitteilung des Justizministeriums nach Billigung durch die Justizministerin während der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit über die Entweichung des Sicherungsverwahrten informiert. Antje Niewisch-Lennartz (Ausgegeben am 06.01.2015) Drucksache 17/2639 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2314 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Dr. Marco Genthe und Dr. Stefan Birkner (FDP), eingegangen am 30.10.2014 Die umstrittene Informationspolitik der Justizministerin - Sollten vielleicht die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit nicht getrübt werden? Antwort der Landesregierung