Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2724 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2468 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling und Christian Dürr (FDP), eingegangen am 13.11.2014 Cannabis im Straßenverkehr Wenn man als Autofahrer von Behörden kontrolliert und ein THC-Gehalt von mindestens einem Nanogramm pro Milliliter Blutserum im Körper nachgewiesen wird, gilt die Fahrt als Drogenfahrt. Wer zum ersten Mal bei einer so definierten Drogenfahrt angehalten und kontrolliert wird, zahlt ein Bußgeld von 500 Euro und wird seinen Führerschein für einen Monat los. Beim zweiten Mal fallen 1 500 Euro an, und der Führerschein wird drei Monate lang eingezogen. Liegt der nachgewiesene THC-Wert aber unter dem Grenzwert, fallen ordnungstechnisch keine Bußgeldbescheide an. Auch wer bei der Kontrolle nicht unter Cannabiseinfluss steht, aber welches bei sich trägt, wird strafrechtlich verfolgt. Dabei geht es um Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, in diesem Falle meistens „Besitz“ oder „Erwerb“. Diese Verfahren werden aber oft eingestellt, da die Mengen im Bagatellbereich liegen und zum Eigenverbrauch bestimmt waren. So ist es beispielsweise einer Frau ergangen, die das Burg-Herzberg-Festival bei Alsfeld in Hessen besuchen wollte. Die letzten Kilometer der Anreise legte die Frau aus Mainz mit dem Taxi zurück. Das Taxi wurde von der Poli- zei angehalten, und sie wurde kontrolliert. Dabei hat die Polizei 1,2 g Marihuana und 1,5 g Ha- schisch eingezogen. Die Mengen waren sehr gering, daher hat die zuständige Staatsanwaltschaft das Verfahren nach kurzer Zeit eingestellt. Verwaltungstechnisch bekommen die betroffenen Personen meistens Bescheid von der für sie zu- ständigen Führerscheinbehörde. Dabei ist es egal, ob die Fahrt als Drogenfahrt zu bezeichnen ist oder nicht oder ob die Betroffenen oder der Betroffene in egal welcher Menge Cannabis bei sich trug und nicht konsumierte. In diesen Schreiben fordert die Behörde den oder die Beschuldigte auf, auf eigene Kosten ein Drogenscreening durchzuführen, ein fachärztliches Gutachten erstellen zu lassen oder Ähnliches, um die Eignung der Person zum Kraftfahrzeugführer zu prüfen. Liegen die Ergebnisse nicht spätestens 14 Tage nach Erhalt des Schreibens vor, geht die Führerscheinstelle von einer „Nichteignung“ aus und entzieht den Führerschein auf unbefristete Zeit. Ein Widerspruch hat hierbei keine aufschiebende Wirkung, und auf die Betroffenen kommen meist teure Gutachten oder eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung zu. Die Fahrerlaubnisbehörde stützt sich bei ihrem Vorgehen auf § 14 Abs. 1 Satz 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung. Auch dieses Schicksal ereil- te die Frau aus Mainz. Nachdem das Verfahren der Staatsanwaltschaft eingestellt worden war, be- kam sie ein Schreiben von ihrer Fahrerlaubnisbehörde, in welchem aufgefordert wurde, ein Dro- genscreening in Form einer Urinprobe durchzuführen und das spätestens drei Tage nach Erhalt des Schreibens, da der Vorfall im Taxi „erhebliche Zweifel“ an ihrer Verkehrstauglichkeit habe auf- kommen lassen. Das Screening sei notwendig, um die Bedenken hinsichtlich der Eignung der Frau zum Führen eines Kraftfahrzeugs auszuräumen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied 2002, dass speziell für Cannabis der Besitz ge- ringer Mengen und der gelegentliche Konsum ohne Verkehrsbezug keine Fahreignungszweifel be- gründen könnten und betreffende Untersuchungsaufforderungen verfassungswidrig seien. Das BVerfG urteilte u. a. deshalb so, weil der Führerschein für viele Menschen von existenzieller Be- deutung ist. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung das strafrechtliche Vorgehen? 2. Wie bewertet die Landesregierung das verwaltungsrechtliche Vorgehen? 3. Wie bewertet die Landesregierung das Urteil des BVerfG von 2002? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2724 2 4. Wie bewertet die Landesregierung den oben geschilderten Sachverhalt? 5. Inwiefern sieht die Landesregierung einen Konflikt zwischen dem strafrechtlichen Verfahren und dem verwaltungsrechtlichen Verfahren? 6. Inwiefern sieht die Landesregierung das Urteil des BVerfG von 2002 korrekt angewandt? (An die Staatskanzlei übersandt am 05.12.2014) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 07.01.2015 für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Z3-01424/0020/2468/Straßenverkehr - Nach § 31 a Abs. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG) kann die Staatsanwaltschaft ohne Zustimmung des Gerichts von der Verfolgung eines Vergehens nach § 29 Abs. 1, 2 oder 4 BtMG absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öf- fentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt. Im Gem. RdErl. d. MJ u. d. MI v. 7. 12. 2012 „Anwendung des § 31 a Abs. 1 BtMG und Bearbeitung von Ermittlungsverfahren in Strafsachen gegen Betäubungsmittelkonsumenten“ (Nds. MBl. 2012 Nr. 46, S. 1253) heißt es dazu u. a.: „Bezieht sich die Tat auf den Umgang mit Cannabisprodukten ausschließlich zum Eigenverbrauch in einer Bruttomenge von nicht mehr als sechs Gramm und verursacht die Tat keine Fremdgefähr- dung, so kann die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gemäß § 31 a BtMG einstellen (Ziff. 2.1.1).“ Der Gem. RdErl. geht des Weiteren von einem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung dann aus, wenn die Tat nachteilige Auswirkungen auf die Sicherheit des öffentlichen Stra- ßenverkehrs befürchten lässt, Ziff. 2.3.4. Nach § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen. Ein sol- cher Mangel liegt vor bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis (Nr. 9.2.1 der Anlage 4). Der gele- gentliche Konsum schließt die Fahreignung noch nicht aus, es sei denn, es erfolgt keine Trennung von Konsum und Fahren, es werden zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe gebraucht oder es liegt Kontrollverlust vor (Nr. 9.2.2 der Anlage 4). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begrün- den, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Klärung ein ärztliches Gutachten nach § 14 Abs. 1 FeV an. Bei Besitz von Cannabis ist die Beibringungsaufforderung nur dann ermessensgerecht, wenn der Eigenkonsum nicht ausgeschlossen ist und entweder Anhaltspunkte für fehlendes Trennungs- vermögen zwischen Konsum und Fahren (BVerfG, Beschluss vom 08.07.2002 - 1 BvR 2428/95) oder regelmäßigen Konsum (Nds. OVG, Beschluss vom 03.06.2010 - 12 PA 41/10) vorliegen. Al- lein aus dem Besitz geringfügiger Mengen Cannabis lässt sich nicht auf einen regelmäßigen, die Fahreignung ausschließenden, Konsum schließen. Auch der einmalige oder gelegentliche Konsum von Cannabis ohne Bezug zum Straßenverkehr rechtfertigt keine Überprüfungsmaßnahme. Dies entspricht der geltenden Erlasslage in Niedersachsen, die regelmäßig an die obergerichtliche Rechtsprechung angepasst wird, so auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2002. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2724 3 Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Die Landesregierung bewertet das strafrechtliche Vorgehen hessischer Strafverfolgungsbehörden nicht. Zu der in Niedersachsen geltenden Erlasslage wird auf die Vorbemerkungen verwiesen. Zu 2: Zu dem Vorgehen der hessischen Verwaltungsbehörde kann von hier nicht Stellung genommen werden, da weder dieser Einzelfall noch die Erlasslage in Hessen bekannt ist. Zur verwaltungs- rechtlichen Rechtslage im Allgemeinen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Zu 3: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden nach § 31 BVerfGG die Verfassungsorga- ne des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden und sind daher einer Bewertung durch diese entzogen. Zu 4: Auf die Beantwortung zu Frage 2 wird verwiesen. Zu 5: Der genannte Gem. RdErl. nimmt nachteilige Auswirkungen auf den Straßenverkehr im Zusam- menhang mit Betäubungsmittelvergehen ausdrücklich in Bezug. Das bedeutet einerseits, dass es einen Widerspruch in der Rechtsordnung darstellen würde, wenn strafrechtlich ein Absehen von der Strafverfolgung deshalb als sachgerecht zu erachten ist, weil ei- ne nachteilige Auswirkung auf die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs nicht zu befürchten ist, gleichzeitig aber die Führerscheinbehörde wegen exakt desselben Verstoßes und ohne Hinzu- treten weiterer Umstände von einer Nichteignung der/des Beschuldigten bzw. der/des Betroffenen ausgeht. Andererseits muss es der Führerscheinbehörde selbstverständlich unbenommen bleiben, solche weiteren Umstände, die im Ermittlungsverfahren entweder nicht bekannt geworden oder aber nicht von Relevanz waren, für die Frage nach der Geeignetheit eines Fahrerlaubnisinhabers in einer Ge- samtschau zu berücksichtigen, sodass es im Einzelfall zu divergierenden strafrechtlichen und ver- waltungsrechtlichen Entscheidungen kommen kann. Eine konkretere Antwort kann auf der Grundlage eines nur kursorisch geschilderten Sachverhaltes, dessen Überprüfung niedersächsischen Behörden und der Landesregierung nicht möglich ist, nicht gegeben werden. Zu 6: Auf die Beantwortung zu Frage 2 wird verwiesen. Olaf Lies (Ausgegeben am 15.01.2015) Drucksache 17/2724 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2468 - Cannabis im Straßenverkehr Antwort der Landesregierung