Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2773 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2591 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Dr. Gabriele Andretta (SPD), eingegangen am 10.12.2014 Ist es Wahlkampf, Vereine und ehrenamtlich Tätige zu fördern? Im Göttinger Tageblatt (GT) vom 20.11.2014 wird berichtet, dass das Göttinger Finanzamt dem So- zialverband die Aberkennung der Gemeinnützigkeit angedroht habe, weil er von einem Landtags- abgeordneten, der zugleich Vereinsmitglied ist, unterstützt worden sei. Corpus Delicti war eine Ein- ladung des Abgeordneten an seine Vereinskameradinnen und Vereinskameraden zu einer Mitglie- derversammlung zu sich nach Hause. Das aber sei aus Sicht des Finanzamtes Wahlkampf und somit eine nach § 55 der Abgabenordnung unzulässige „Zusammenarbeit“ und verbotene Förderung einer politischen Partei. Weiter heißt es im Bericht des GT-Redakteurs, dass beim Vorgehen der Finanzverwaltung besonders pikant sei, dass der im Finanzamt Göttingen für Vereine zuständi- ge Sachbearbeiter und CDU-Funktionär seinen Diensteifer ausschließlich gegen den SPD-Land- tagsabgeordneten entfaltete, seine ebenfalls für hohes ehrenamtliches Engagement bekannten CDU-Parteikollegen und Mandatsträger jedoch verschone. Weiter wird in dem Artikel berichtet, dass die kritische Überprüfung der Vereine durch das Finanz- amt Göttingen offenbar System habe. Berichten von Rechtsanwälten zufolge werde in etlichen Fäl- len durch die Auslegung von Protokollen und Tätigkeitsberichten versucht, die Gemeinnützigkeit von Vereinen in Zweifel zu ziehen. Die Erfahrung der Rechtsanwälte wird von vielen Vereinen be- stätigt, wie die weitere Recherche des GT zum Thema ergab. Im GT vom 06.12.2014 wird berich- tet, dass nach Bekanntwerden der Beschwerde des SPD-Landtagsabgeordneten sich „mehr als zwei Dutzend“ Vereine bei der Redaktion meldeten und sich über „Schikane“ und „engstirnige Auslegung “ bei der Prüfung der Gemeinnützigkeit der Vereinstätigkeit durch die Göttinger Finanzver- waltung beklagten. Die Begründung, warum Vereine nicht gemeinnützig sein sollen, werde teils als „aberwitzig“ empfunden oder konterkariere den Vereinszweck (vgl. GT Seite 16). Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wie bewertet sie rechtlich und fachlich das Vorgehen des Finanzamtes Göttingen gegenüber dem Sozialverband? 2. Dürfen Mandatsträger (Kommunalpolitiker, Landes-, Bundes- und Europaabgeordnete) sich in Vereinen engagieren und das Ehrenamt fördern, ohne dass diesen die Aberkennung der Ge- meinnützigkeit droht? 3. Gilt das gegebenenfalls auch für Menschen, die zwar noch über kein politisches Mandat ver- fügen, aber ein solches zukünftig anstreben und denen entsprechend Wahlkämpfe bevorste- hen? 4. Empfiehlt die Landesregierung Politikern, sich von Vereinen fernzuhalten und ihre Mitglied- schaften in diesen gegebenenfalls aufzukündigen, damit sie nicht in Verdacht geraten, Wahl- kampf zu machen, und gleichzeitig den Status der Gemeinnützigkeit zu gefährden? 5. Sollten Vereine vorsorglich eine entsprechende Klausel in ihre Satzungen einfügen, die be- sagt, dass politische Mandatsträger alle Vereinstätigkeiten und -ämter ruhen lassen müssen? 6. In wie vielen Fällen ist es seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamtes zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Vereinen gekommen? Wie verteilen sich diese Fälle auf die einzelnen Finanzämter des Landes? 7. Sieht die Landesregierung in dem Vorgehen des Finanzamtes Göttingen gegen gemeinnützi- ge Vereine eine Stärkung des Ehrenamtes? (An die Staatskanzlei übersandt am 17.12.2014) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2773 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Finanzministerium Hannover, den 14.01.2015 - O 1542 – 4/1968 – 31 3- An den Status der Gemeinnützigkeit sind verschiedene steuerliche Privilegien geknüpft, wie u. a. die Körperschaft- und Gewerbesteuerbefreiung, die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersat- zes sowie die Berechtigung zum Empfang steuerbegünstigter Spenden. Diese weitreichenden Ver- günstigungen erfordern es, dass Vereine, Stiftungen, Kapitalgesellschaften und andere Einrichtun- gen, die den Status der Gemeinnützigkeit anstreben, die Voraussetzungen des Gemeinnützigkeits- rechts (§§ 51 ff. der Abgabenordnung [AO]) erfüllen müssen. Eine Körperschaft ist steuerbegüns- tigt, wenn sie nach ihrer Satzung und ihrer tatsächlichen Geschäftsführung selbstlos, ausschließlich und unmittelbar die Allgemeinheit fördert. Die Satzungszwecke und die Art ihrer Verwirklichung müssen in der Satzung so genau bestimmt sein, dass aufgrund der Satzung geprüft und festgestellt werden kann, ob die satzungsmäßigen Voraussetzungen für die beantragte Steuervergünstigung gegeben sind. Die Satzung muss dabei grundsätzlich die in der Mustersatzung bezeichneten Fest- legungen (Anlage 1 zu § 60 AO) enthalten. Die Mustersatzung ist mit Wirkung vom 01.01.2009 als Gesetzesbestandteil in die Abgabenordnung aufgenommen worden (Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008 - BGBl. I 2008, S. 2794). Um Forderungen der steuerbegünstigten Organisationen nach mehr Rechts- und Planungssicher- heit nachzukommen, hat der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamtes vom 21.03.2013 (BGBl. I 2013, S. 556) die gesonderte Feststellung über die Einhaltung der sat- zungsmäßigen Voraussetzungen nach § 60 a der Abgabenordnung eingeführt. Hält die Satzung ei- ner Körperschaft die satzungsmäßigen Voraussetzungen nach den §§ 51, 59 bis 61 AO ein, wird dies seither durch einen Bescheid gesondert festgestellt, den die Körperschaft entweder auf Antrag oder spätestens im Rahmen der nächsten Veranlagung zur Körperschaftsteuer erhält. Genügt eine Satzung den Anforderungen der §§ 51, 59 bis 61 AO nicht, ist die Steuerbegünstigung zu versa- gen. Dies gilt grundsätzlich auch schon bei geringfügigen Verstößen. Die gesonderte Feststellung hat das Verfahren der sogenannten vorläufigen Bescheinigung abgelöst. Hierdurch wurde ein Ver- fahren geschaffen, das einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist und mit dem frühzeitig und verbindlich in Form eines Verwaltungsaktes die satzungsmäßigen Voraussetzungen festgestellt werden sollen. Dies erfordert allerdings auch eine gerichtsfeste Überprüfung durch das Finanzamt. Zur Prüfung, ob neben der Satzung auch die tatsächliche Geschäftsführung einer Körperschaft den gemeinnützigkeitsrechtlichen Anforderungen genügt und die Körperschaft die Steuervergünstigung zu Recht erhält, haben die Finanzämter Hinweisen auf für die Gemeinnützigkeit einer Körperschaft schädliche Betätigungen nachzugehen. Hierfür ist es notwendig, dass die Körperschaften dem Finanzamt neben der Satzung und der Steuererklärung zusätzlich weitere Unterlagen vorlegen. Hierzu gehören z. B. Einnahmen-Ausgaben-Rechnungen, Aufstellungen über das Vermögen am Ende des Kalenderjahres mit Nachweisen über die Bildung und Entwicklung der Rücklagen bzw. den Jahresabschluss (Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung) sowie Geschäfts- oder Tätigkeitsbe- richte. Darüber hinaus können die Finanzbehörden weitere Auskünfte und/oder die Vorlage weite- rer Unterlagen anfordern. Eine steuerbegünstigte Körperschaft muss ihre satzungsmäßigen Zwecke ausschließlich und un- mittelbar verwirklichen. Sie darf ihren Mitgliedern keine finanziellen und grundsätzlich auch keine sachlichen Zuwendungen zukommen lassen (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 AO). Die Körperschaft darf ihre Mittel weder für die unmittelbare noch für die mittelbare Unterstützung oder Förderung politi- scher Parteien verwenden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 AO). Der Umstand, dass ein Mitglied Unterstützungsleistungen an eine steuerbegünstigte Körperschaft erbringt, führt grundsätzlich nicht dazu, dass seitens der Körperschaft gegen das Gemeinnützig- keitsrecht verstoßen wird. Die steuerbegünstigte Körperschaft muss diese Unterstützungsleistung jedoch ausschließlich für ihre satzungsgemäßen Zwecke verwenden und darf sie insbesondere nicht ihren (anderen) Mitgliedern zuwenden. Werden Unterstützungsleistungen beispielsweise von einem Mitglied in Form von Sachzuwendungen im Rahmen einer Feierlichkeit der Körperschaft ge- leistet, muss das Finanzamt gegebenenfalls prüfen, ob die Zuwendung an die Körperschaft er- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2773 3 bracht wurde, worauf z. B. eine dem Zuwendenden ausgestellte Zuwendungsbestätigung hindeuten würde, oder ob die Zuwendung direkt an die Mitglieder - außerhalb der Sphäre der Körperschaft - gegeben wurde. Im ersten Fall dürfte die Unterstützungsleistung den (anderen) Mitgliedern nur zu- gutekommen, sofern es sich um bloße Annehmlichkeiten handelt, wie sie im Rahmen der Betreu- ung von Mitgliedern allgemein üblich und nach allgemeiner Verkehrsauffassung als angemessen anzusehen sind. Zu besonderen Anlässen - wie der Hauptversammlung - ist beispielsweise die un- entgeltliche oder verbilligte Bewirtung der Vereinsmitglieder in angemessenem Rahmen unschäd- lich für die Gemeinnützigkeit. Weiterhin ist das Ausschließlichkeitsgebot des § 56 AO zu beachten. Die tatsächliche Geschäfts- führung einer steuerbegünstigten Körperschaft muss auf die ausschließliche Erfüllung der sat- zungsmäßigen Zwecke gerichtet sein. Dies bedeutet, dass sie grundsätzlich nicht steuerbegünstigt ist, wenn sie neben ihrem steuerbegünstigten Zweck auch andere (steuerbegünstigte oder nicht steuerbegünstigte) Zwecke verfolgt, die in einer Gesamtschau nicht dem steuerbegünstigten Zweck untergeordnet sind, also nicht um des steuerbegünstigten Zwecks willen verfolgt werden, sondern einen eigenständigen Zweck der Körperschaft bilden. Nach dem bundesweit anzuwendenden An- wendungserlass zur Abgabenordnung zählen politische Zwecke grundsätzlich nicht zu den steuer- begünstigten Zwecken, da eine Beeinflussung der politischen Meinungsbildung den politischen Par- teien vorbehalten sein soll. Die Steuervergünstigung ist daher nicht zu gewähren, wenn eine Körperschaft nach ihrer Satzung oder im Rahmen ihrer tatsächlichen Geschäftsführung (auch) allgemeinpolitische Zwecke verfolgt. Demgegenüber ist eine gewisse Beeinflussung der politischen Meinungsbildung unbeachtlich, wenn die gemeinnützige Tätigkeit im Einzelfall zwangsläufig mit einer gewissen politischen Zielset- zung verbunden ist und die unmittelbare Einwirkung auf die politischen Parteien und die staatliche Willensbildung gegenüber der Förderung des steuerbegünstigten Zwecks in den Hintergrund tritt. Daher hält es auch der Bundesfinanzhof in ständiger Rechtsprechung für zulässig, wenn eine steu- erbegünstigte Körperschaft gelegentlich zu tagespolitischen Themen im Rahmen ihres Satzungs- zwecks Stellung nimmt, sofern die Tagespolitik nicht Mittelpunkt der Tätigkeit der Körperschaft ist oder wird, sondern der Vermittlung der Ziele der Körperschaft dient. Selbst ein Wahlaufruf für eine bestimmte Partei könnte für sich gesehen noch als gemeinnützigkeitsunschädlich betrachtet wer- den, wenn er nicht Ausdruck des politischen Selbstverständnisses der Körperschaft ist und nicht die konsequente Umsetzung einer umfassenden politischen Zielsetzung ist. Grundvoraussetzung ist jedoch, dass der mit der politischen Einflussnahme verfolgte steuerbegünstigte Zweck auch Sat- zungszweck der steuerbegünstigten Körperschaft ist. Ist dies nicht der Fall, verstößt die Körper- schaft im Rahmen der tatsächlichen Geschäftsführung selbst dann gegen das Ausschließlichkeits- gebot, wenn die verfolgten politischen Ziele grundsätzlich als gemeinnützig anerkannt werden könnten. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die kleine Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Aussagen zum Besteuerungsverfahren natürlicher oder juristischer Personen unterliegen dem Steuergeheimnis des § 30 AO. Die Finanzbehörden einschließlich des Finanzministeriums sind zur Wahrung des Steuergeheimnisses verpflichtet. Zu 2: Ja, im Rahmen der gemeinnützigkeitsrechtlichen Vorgaben. Zu 3: Ja, im Rahmen der gemeinnützigkeitsrechtlichen Vorgaben. Zu 4: Nein. Zu 5: Nein. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2773 4 Zu 6: Ein besonderes An- oder Aberkennungsverfahren ist im steuerlichen Gemeinnützigkeitsrecht nicht vorgesehen. Ob eine Körperschaft steuerbegünstigt ist, entscheidet das Finanzamt im Veranla- gungsverfahren durch Steuerbescheid (gegebenenfalls Freistellungsbescheid). Die Zahl der Fälle, in denen eine Körperschaft seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung des Ehrenamtes keinen Freistellungsbescheid erhalten hat, wird statistisch nicht erfasst. Zu 7: Die Landesregierung ist sich der enormen Bedeutung des Ehrenamts und des ehrenamtlichen En- gagements bewusst. Vereine und Stiftungen spielen in unserem demokratischen Gemeinwesen ei- ne wichtige Rolle. Sie übernehmen in der Gesellschaft eine oft prägende Rolle, pflegen und schaf- fen Kultur, unterstützen den Erhalt von Brauchtum und Traditionen, fördern und betreiben den Sport und engagieren sich im karitativen Bereich sowie in der Kinder- und Jugendarbeit. Bürgerin- nen und Bürger in den Vereinen leisten durch uneigennützige Arbeit und vielfältige Aktivitäten einen wertvollen Beitrag zum Gemeinwohl. Aus diesem Grund unterstützt und fördert der Staat das Ehrenamt und das ehrenamtliche Enga- gement in unterschiedlicher Weise. Gemeinnützige Organisationen erhalten eine umfangreiche Er- tragsteuerbefreiung und weitere Steuervergünstigungen, wenn sie die diesbezüglichen gesetzli- chen Vorgaben erfüllen. Die Besteuerungspraxis der niedersächsischen Finanzbehörden einschließlich des Finanzamts Göttingen besteht - dem gesetzlichen Auftrag in § 85 AO entsprechend - darin, die Steuern nach Maßgabe des Gesetzes gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Die Finanzämter sind somit verpflichtet zu prüfen, ob steuerbegünstigte Körperschaften ihre Steuervergünstigung zu Recht er- halten. Da die Finanzämter bundesweit geltende Steuergesetze im Auftrag des Bundes ausführen, haben sie hierbei auch die bundesweit geltenden Anwendungserlasse zur Abgabenordnung und zur Umsatzsteuer zu beachten. Peter-Jürgen Schneider (Ausgegeben am 21.01.2015) Drucksache 17/2773 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2591 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Dr. Gabriele Andretta (SPD), eingegangen am 10.12.2014 Ist es Wahlkampf, Vereine und ehrenamtlich Tätige zu fördern? Antwort der Landesregierung