Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2818 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2369 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Uwe Schwarz, Holger Ansmann, Marco Brunotte, Imma- colata Glosemeyer, Dr. Christos Pantazis, Andrea Schröder-Ehlers und Dr. Thela Wernstedt (SPD), eingegangen am 18.11.2014 Ist die Versorgung von Seniorinnen und Senioren mit „Essen auf Rädern“ im ländlichen Raum in Gefahr? In Niedersachsen klagen viele Anbieter, dass die Versorgung von Seniorinnen und Senioren mit Mahlzeiten und weiteren ambulanten Leistungen im ländlichen Raum nicht kostendeckend darstell- bar, d. h. nur unter Inkaufnahme von Defiziten zu leisten ist. Vor dem Hintergrund der geplanten Änderung des § 4 Abs. 18 des Umsatzsteuergesetzes kündigt der Paritätische Niedersachsen an, Mahlzeitendienste zukünftig einzustellen. Dies wäre eine fatale Entwicklung für die Kunden, die zum überwiegenden Teil behinderte, alte, kranke oder pflegebedürftige Personen sind und die sich alleine nicht mehr versorgen können. Hinzu kommt, dass sich die Tätigkeit der Fahrerinnen und Fahrer nicht nur auf das Liefern der Mahlzeit beschränkt, sondern auch kleine Hilfestellungen im Alltag umfasst. Für viele Seniorinnen und Senioren, die im ländlichen Raum aufgrund ihrer Immobi- lität auf eine solche Dienstleistung angewiesen sind, stellt der Kontakt mit den Fahrerinnen und Fahrern häufig den einzigen sozialen Kontakt am Tag dar. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie stellt sich gegenwärtig die Versorgung von Seniorinnen und Senioren mit „Essen auf Rä- dern“ und anderen ambulanten Leistungen insgesamt und vor allem im ländlichen Raum vor dem Hintergrund des demografischen Wandels dar? 2. Wie stellt sich die Anbieterstruktur im ländlichen Raum und in Ballungszentren dar (Verhältnis private und frei-gemeinnützige)? 3. Gibt es Leistungsunterschiede zwischen den privaten und den frei-gemeinnützigen Anbietern? 4. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, um die ambulante Versorgung und die Ver- sorgung mit „Essen auf Rädern“ von bedürftigen Menschen auch zukünftig im ländlichen Raum zu gewährleisten? 5. Welche Möglichkeiten der Einflussnahme sieht die Landesregierung, um das Gesetzgebungs- verfahren des BMF dahin gehend abzumildern, dass ambulante Leistungen gemeinnütziger Einrichtungen an Hilfsbedürftige weiterhin umsatzsteuerfrei bleiben? (An die Staatskanzlei übersandt am 24.11.2014) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 19.01.2015 für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - 102 – 01 425/01 - Die Landesregierung misst der Versorgung von Seniorinnen und Senioren mit Mahlzeitendiensten wie „Essen auf Rädern“ und weiteren ambulanten Leistungen insbesondere im ländlichen Raum e i- ne große Bedeutung bei. Der Grundgedanke der Mahlzeitendienste, Menschen, die dazu allein Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2818 2 nicht in der Lage sind, täglich mit einer warmen Mahlzeit zu versorgen, ist seit der Gründung dieser Angebote vor über 50 Jahren praktisch unverändert geblieben. Wurde das Essen in der Anfangs- phase noch in dreistöckigen „Henkelmännern“ verteilt, so haben sich die Mahlzeitendienste inzwi- schen zu einem modernen Serviceangebot weiterentwickelt. Sie sind oftmals eingebunden in eine Versorgungs- und Betreuungskette von ambulanter Pflege, familienentlastenden Diensten, mobilen Diensten, Hilfs- und Einkaufsdiensten, Sozialbetreuung bis hin zur Betreuung Schwerbehinderter. Dabei geht es nicht allein um das Essen, der soziale Kontakt ist vielen Menschen, insbesondere Seniorinnen und Senioren, mindestens genauso wichtig. Für viele ältere Menschen sind die Fahrer- innen und Fahrer der Mahlzeitendienste die einzige Ansprechpartnerin oder der einzige Ansprech- partner am Tag. Die Landesregierung ist der Auffassung, dass Daseinsvorsorge im ländlichen Raum für ein Flä- chenland wie Niedersachsen sicherstellen muss, dass alle Gebiete mit Angeboten zur sozialen Sicherung - und dazu gehören auch die Mahlzeitendienste - versorgt werden. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1 und 2: In Niedersachsen gibt es aktuell (Stand: Dezember 2014) insgesamt 143 Mahlzeitendienste wie „Essen auf Rädern“, die sich in der Trägerschaft der Freien Wohlfahrtspflege befinden. Hinsichtlich der Verteilung dieser Mahlzeitendienste auf die Landkreise, die kreisfreien Städte und die Region Hannover wird auf die beigefügte tabellarische Übersicht hingewiesen. Über die Anzahl und die Anbieterstruktur privater Mahlzeitendienste liegen der Landesregierung keine Informationen vor. Zu 3: Die Landesregierung hat keine Erkenntnisse über eventuelle Leistungsunterschiede zwischen pri- vaten und frei-gemeinnützigen Anbietern von Mahlzeitendiensten. Zu 4: Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Vorschriften über die Förderung der Freien Wohlfahrtspflege (Nds. GVBl. 2014, S. 429), das am 15.12.2014 vom Landtag mit breiter Mehrheit beschlossen wur- de, wurde die Gewährung der Finanzhilfe an die in der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Niedersachsen (LAG FW) zusammengeschlossenen Spitzenverbände auf eine eigene gesetzliche Grundlage gestellt. Dabei wurde auch der Betrag der Finanzhilfe um 1 Million Euro auf nunmehr 21,252 Millionen Euro jährlich erhöht. Aufgrund der geänderten Rechtslage und der Regelung in § 3 Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes zur Förderung der Freien Wohlfahrts- pflege (NWohlfFöG) wird zwischen dem Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung und den in der LAG FW zusammengeschlossenen Spitzenverbänden eine neue Vereinbarung ab- zuschließen sein. In dieser Vereinbarung wird auch zu regeln sein, für welche wohlfahrtspflegeri- schen Aufgaben die Finanzhilfe zu verwenden ist (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 NWohlfFöG). Die Landesregierung wird in den Gesprächen mit den Spitzenverbänden über den Abschluss der Vereinbarung im Rahmen ihrer Möglichkeiten darauf hinwirken, dass ein Teil der Finanzhilfe für den Erhalt und den Ausbau eines Netzes an Mahlzeitendiensten in frei-gemeinnütziger Trägerschaft insbesondere im ländlichen Raum verwendet wird, damit auch zukünftig die Versorgung bedürftiger Menschen mit Mahlzeitendiensten wie „Essen auf Rädern“ landesweit gewährleistet ist. Zu 5: Unter den näheren Voraussetzungen des § 4 Nr. 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1 sind die Leistungen von Wohlfahrtsverbänden und deren Mitgliedern von der Umsatzsteuer befreit. Diese Vorschrift beruht auf Artikel 132 Abs. 1 Buchst. g) der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (Richtlinie 2006/112/EG; MwStSystRL), soweit die Mitgliedstaaten danach unionsrechtlich verpflichtet sind, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Leistungen durch aner- kannte Einrichtungen mit sozialem Charakter im nationalen Recht von der Umsatzsteuer zu befrei- en. 1 Umsatzsteuergesetz vom 21. Februar 2005 (BGBl. I S. 386), zuletzt geändert durch Artikel 11 des Gesetzes vom 22. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2417) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2818 3 Der Landesregierung ist kein Gesetzgebungsverfahren bekannt, das derzeit eine Änderung des § 4 Nr. 18 UStG zum Gegenstand hätte. Der Gesetzesbeschluss des Bundestages vom 25.10.2012 zum Jahressteuergesetz 2013 enthielt zwar - der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses entsprechend (BT-Drs. 17/11190, Seite 50) - eine Neufassung des § 4 Nr. 18 UStG; diese ist letzt- lich aber nicht zustande gekommen. Nach der jüngeren höchstrichterlichen Rechtsprechung scheint der Gesetzgeber aber tatsächlich gehalten zu sein, Änderungen des § 4 Nr. 18 UStG vorzunehmen. Denn der Europäische Gerichts- hof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 15.11.2012 (C-174/11 „Zimmermann“) entschieden, dass die Begünstigung von amtlich anerkannten Wohlfahrtsverbänden und deren Mitgliedern durch die Be- freiung nach § 4 Nr. 18 UStG gegenüber anderen (nicht amtlich anerkannten) Unternehmen, die aber vergleichbare Leistungen erbringen, gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer verstößt. Aufgrund der insoweit also gebotenen Gleichbehandlung aller privat- rechtlichen Einrichtungen dürfte es künftig nicht mehr möglich sein, die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG bezüglich der Person des leistenden Unternehmers daran zu knüpfen, dass dieser ein Wohlfahrtsverband bzw. ein Mitglied eines solchen ist. Infolge des EuGH-Urteils vom 15.11.2012 hat der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 08.08.2013, V R 13/12, den Anwendungsbe- reich der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG bereits deutlich eingeschränkt. In seinem weiteren Urteil vom 01.12.2010, XI R 46/08, hatte der BFH außerdem bereits entschieden, dass die Umsät- ze eines Mahlzeitendienstes („Essen auf Rädern“) nicht unter die oben genannte Befreiung nach Artikel 132 Abs. 1 Buchst. g) MwStSystRL fallen, weil derartige Leistungen ihrer Art nach nicht nur von hilfsbedürftigen Menschen sondern auch von gesunden bzw. jungen Menschen in Anspruch genommen würden. Diese jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 4 Nr. 18 UStG ist bislang noch nicht amtlich im Bundessteuerblatt veröffentlicht worden und wird somit derzeit noch nicht allgemein von den Fi- nanzämtern angewendet. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Finanzgerichte für die Frage der Steuerbefreiung den § 4 Nr. 18 UStG künftig nur noch in der geschilderten Art anwenden werden. Auch aus Gründen der einfachen und gleichmäßigen Rechtsanwendung dürfte es geboten sein, dass der Gesetzgeber die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 18 UStG unter Berücksichtigung der be- sagten Rechtsprechung an die unionsrechtliche Grundlage des Artikels 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL anpasst. Nach dem oben genannten Gesetzesbeschluss des Bundestages zum Jah- ressteuergesetz 2013 wären demgegenüber die bisher nach § 4 Nr. 18 UStG befreiten Leistungen der Wohlfahrtsverbände und ihrer Mitglieder im Wesentlichen auch weiterhin von der Umsatzsteuer befreit gewesen. Ob auch künftig eine Umsatzsteuerbefreiung der Mahlzeitendienste der Wohlfahrtsverbände und ihrer Mitglieder möglich ist, könnte nach dem BFH-Urteil vom 01.12.2010, XI R 46/08, fraglich sein. Hierzu bleibt abzuwarten, ob und in welcher Ausgestaltung der Bund ein entsprechendes Gesetz- gebungsverfahren eröffnet. Cornelia Rundt Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2818 4 Anlage Landkreis Anzahl Region Hannover 7 Ammerland 0 Aurich 5 Celle 5 Cloppenburg 2 Cuxhaven 2 Diepholz 6 Emsland 9 Friesland 1 Gifhorn 2 Goslar 3 Göttingen 2 Grafschaft Bentheim 4 Hameln-Pyrmont 1 Harburg 3 Heidekreis 3 Helmstedt 5 Hildesheim 6 Holzminden 4 Leer 5 Lüchow-Dannenberg 1 Lüneburg 1 Nienburg/Weser 3 Northeim 2 Oldenburg 6 Osnabrück 10 Osterholz 1 Osterode am Harz 3 Peine 6 Rotenburg (Wümme) 3 Schaumburg 2 Stade 2 Uelzen 1 Vechta 5 Verden/Wesermarsch 3 Wittmund 1 Wolfenbüttel 2 Gesamt 127 Kreisfreie Städte Anzahl Braunschweig 2 Delmenhorst 1 Emden 3 Oldenburg 2 Osnabrück 2 Salzgitter 1 Wilhelmshaven 4 Wolfsburg 1 Gesamt 16 (Ausgegeben am 26.01.2015) Drucksache 17/2818 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2369 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Uwe Schwarz, Holger Ansmann, Marco Brunotte, Immacolata Glosemeyer, Dr. Christos Pantazis, Andrea Schröder-Ehlers und Dr. Thela Wernstedt (SPD), eingegangen am 18.11.2014 Ist die Versorgung von Seniorinnen und Senioren mit „Essen auf Rädern“ im ländlichen Raum in Gefahr? Antwort der Landesregierung Anlage