Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2907 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2682 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Otto Deppmeyer (CDU), eingegangen am 22.12.2014 Vorfall in der JVA Hannover am 5. Dezember 2014 - Gefahr unterschätzt und Beweisaufnah- me verschleppt? Die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) berichtete am 17. Dezember („Trotz Warnung: Häft- ling sticht auf Mitgefangenen ein“) von zwei Gewalttaten in der JVA Hannover am 5. Dezember 2014: „Wie erst jetzt bekannt wurde, ging der 27-jährige Ahmed M. am 5. Dezember mit einem Besteck- messer auf seinen Mitgefangenen Florian D. los. Das 23 Jahre alte Opfer trug einen 15 cm langen Schnitt am Hals davon, der die Halsschlagader nur knapp verfehlte. Anschließend warf Ahmed M. einen zerbrochenen Teller auf einen weiteren Mitgefangenen und verletzte diesen ebenfalls am Hals. Die Gefängnisleitung hat Strafanzeige gegen Ahmed M. erstattet.“ Zuvor soll Ahmed A. seinen Selbstmord angekündigt haben, bei dem er andere mitnehmen werde. Er sei daraufhin laut der HAZ zugespielten Unterlagen zunächst in einem besonders gesicherten Haftraum untergebracht worden, aber wenig später in eine normale Zelle verlegt worden. Laut Be- richt der HAZ sei die Polizei nach den Angriffen nicht eingeschaltet worden, was manchem in der JVA sauer aufstieße. Deswegen sei eine Beweisaufnahme, wie sie in solchen Fällen üblich sei, nicht erfolgt. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Was genau ist bei dem Vorfall in der JVA Hannover am 5. Dezember 2014 passiert? 2. Welche Vollzugsbediensteten (Funktionsbezeichnung) waren wie beteiligt? 3. Wann und wie wurde das Justizministerium über den Vorfall unterrichtet, und was veranlasste das Justizministerium daraufhin? 4. Wann und wie wurden die Justizministerin und der Staatssekretär über den Vorfall unterrich- tet, und was veranlassten sie daraufhin? 5. Wer hat entschieden, dass die Polizei zunächst nicht hinzugezogen wurde? 6. Warum fand keine Beweissicherung zu den beiden Angriffen statt? 7. Wer hat entschieden, dass von Ahmed M. keine Gefahr mehr ausgehe? 8. Auf welcher Grundlage wurde diese Entscheidung getroffen? 9. Wie werden solche Entscheidungen in vergleichbaren Fällen in den Justizvollzugsanstalten in Niedersachsen getroffen? 10. Gab es Hinweise, die auf die Gefährlichkeit von Ahmed M. hinwiesen, wenn ja, welche? 11. Wegen welcher möglichen Straftaten wird gegen Ahmed M. nach dem Vorfall in der JVA Han- nover ermittelt? 12. In welchen Fällen, auf welcher Rechtsgrundlage und zu welchem Zweck wird der sogenannte besonders gesicherte Haftraum zur Unterbringung von Gefangenen genutzt? 13. Warum wurden die Mitglieder des Rechtsausschusses und des Unterausschusses für Justiz- vollzug nicht vor der Berichterstattung der HAZ über diesen Vorfall unterrichtet? (An die Staatskanzlei übersandt am 09.01.2015) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2907 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Justizministerium Hannover, den 03.02.2015 - 4434 I – 304. 1037 - Am 27.11.2014 wurde der seinerzeit 27-jährige syrische Staatsangehörige M. aufgrund des Haftbe- fehls des Amtsgerichs Hannovers vom 10.11.2014 wegen des Verdachts der gefährlichen Körper- verletzung verhaftet und zum Vollzug der Untersuchungshaft in der JVA Hannover aufgenommen. In dem Aufnahmeersuchen an die JVA Hannover hat das Amtsgericht Hannover u. a. die gemein- same Unterbringung mit einem anderen Untersuchungsgefangenen sowie die Teilnahme an ge- meinsamen Freizeitveranstaltungen genehmigt und auf eine Suizidgefahr sowie unter Umständen eine paranoide Störung und Angststörung hingewiesen. In dem Zugangsgespräch in der JVA Hannover am Tag der Aufnahme wirkte der Untersuchungs- gefangene M. stabil und kooperativ. Als suizidpräventive Maßnahme wurde er dennoch gemeinsam mit einem anderen Untersuchungsgefangenen auf einen Doppelhaftraum untergebracht. Der medi- zinische und der psychologische Dienst wurden unterrichtet. Am 03.12.2014 musste gegen den Untersuchungsgefangenen wegen der in erhöhtem Maß beste- henden Gefahr der Selbsttötung oder der Selbstverletzung als besondere Sicherungsmaßnahme die Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände an- geordnet werden (§ 81 Abs. 1 und 2 Nr. 5 NJVollzG). Diese Maßnahme wurde vom Anstaltsarzt am 03.12.2014 empfohlen und in der Folge vom sogenannten Inspektor vom Dienst angeordnet. Am 04.12.2014 gegen ca. 11.00 Uhr wurde die Maßnahme von der zuständigen Vollzugsabteilungslei- terin beendet. Dem vorausgegangen war ein Gespräch zwischen dem Untersuchungsgefangenen M., der Vollzugsabteilungsleiterin, einer psychologischen Fachkraft und dem Anstaltsarzt, in dem der Untersuchungsgefangene ruhig und zukunftsorientiert wirkte und die vom Anstaltsarzt verord- nete Medikation einnahm. Der Untersuchungsgefangene M. wurde daraufhin in einen Doppelhaft- raum gemeinsam mit einem anderen Untersuchungsgefangenen im Unterkunftshaus 5 verlegt. Am 05.12.2014 gegen 17.20 Uhr hörte ein Stationsbediensteter, der sich im 2. Obergeschoss des Unterkunftshauses 5 aufhielt, aus dem 1. Obergeschoss Geschrei und Geräusche von zerbrechen- dem Porzellan. Er eilte in das 1. Obergeschoss. Auf dem Weg dorthin kam ihm ein Untersuchungs- gefangener entgegen, der eine blutende Schnittwunde am Hals hatte und davon sprach, dass er vor dem Untersuchungsgefangenen M. weglaufe, der ein Messer mit sich führe. Der Stationsbe- dienstete löste sofort Alarm aus. Im 1. Obergeschoss angekommen, konnte er noch sehen, wie der Untersuchungsgefangene M. einem weiteren Untersuchungsgefangenen eine Porzellanscherbe in den Nackenbereich warf. Der Untersuchungsgefangene M. wollte anschließend auch den Bediens- teten angreifen und eine Porzellanscherbe in seine Richtung werfen, wurde jedoch von einem wei- teren Untersuchungsgefangenen, der sich dem Untersuchungsgefangenen M. von hinten näherte, abgelenkt. In diesem Moment gelang es dem Stationsbediensteten, den Untersuchungsgefangenen M. zu Boden zu bringen und mit Unterstützung weiterer nach der Alarmierung eintreffender Be- diensteter zu fixieren. Der herbeigerufene Anstaltsarzt übernahm die medizinische Versorgung der verletzten Gefange- nen. Die mutmaßlich angegriffenen Gefangenen erlitten Schnittwunden im Nacken bzw. an der lin- ken Halsseite, die vom Anstaltsarzt chirurgisch versorgt werden konnten. Der Untersuchungsge- fangene M. trug eine Schnittwunde am Kopf davon, die ebenfalls vom Anstaltsarzt medizinisch ver- sorgt wurde. Gegen den Untersuchungsgefangenen M. wurde wegen der in erhöhtem Maß bestehenden Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen als besondere Sicherungsmaßnahme erneut die Unterbrin- gung in einem besonders gesicherten Haftraum angeordnet (§ 81 Abs. 1 und 2 Nr. 5 NJVollzG). Die Porzellanscherben des zerbrochenen Tellers, die mutmaßlich für die Angriffe auf Mitgefangene und den beabsichtigten Angriff auf den Bediensteten genutzt wurden sowie das mutmaßlich zur Verletzung eines Mitgefangenen genutzte Anstaltsmesser lagen auf dem Flur der Station im 1. Obergeschoss und wurden durch die Bediensteten der JVA sichergestellt. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2907 3 Da der mutmaßliche Angriff auf Mitgefangene durch den Untersuchungsgefangenen M. aus Sicht des Vollzuges unerwartet geschah und im Vorfeld keine Anzeichen für den Gewaltausbruch er- kennbar waren, wurden noch in den späten Abendstunden die beteiligten Untersuchungsgefange- nen durch den Inspektor vom Dienst angehört sowie deren Hafträume durchsucht. Diese Maßnah- men dienten der Ursachenklärung für den Gewaltausbruch und damit der Verhinderung weiterer tätlicher Auseinandersetzungen unter den Gefangenen. In der Anhörung hat der Untersuchungsge- fangene M. die Messerattacke eingeräumt und eine psychische Behandlung eingefordert. Ein Mitarbeiter der JVA Hannover unterrichtete am 05.12.2014 telefonisch den Anstaltsleiter der JVA Hannover und einen Mitarbeiter des Justizministeriums über den Vorfall. Zu diesem Zeitpunkt war die spätere Einschätzung des Anstaltsarztes, dass ein tieferer Schnitt am Hals bei einem der mutmaßlichen Opfer die Halsschlagader hätte verletzen können, noch nicht bekannt. Die JVA Hannover hat mit Schreiben vom 10.12.2014 bei der Polizeidirektion Hannover Strafanzei- ge erstattet. Mit Unterbringungshaftbefehl vom 23.12.2014 ordnete das Amtsgericht Hannover die einstweilige Unterbringung des Untersuchungsgefangenen M. in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Ich verweise auf die Vorbemerkung. Zu 2: Insgesamt acht Bedienstete der Laufbahngruppe 1, zweites Einstiegsamt der Fachrichtung Justiz im Justizvollzug (ehemals mittlerer allgemeiner Justizvollzugsdienst) wurden im Rahmen der An- wendung des unmittelbaren Zwanges im Zusammenhang mit der Fixierung des Untersuchungsge- fangenen M. tätig. Außerdem haben drei weitere Bedienstete (zwei Sanitäter und der Anstaltsarzt) die medizinische Versorgung der Verletzten sichergestellt. Zu 3: Am 05.12.2014 um 17.53 Uhr wurde ein Mitarbeiter des Referates 304 des Justizministeriums tele- fonisch von dem Inspektor vom Dienst (über den Vorfall unterrichtet. Ein schriftlicher Bericht unter Beifügung der Ergebnisse der Anhörungen der beteiligten Gefangenen wurde angefordert, der am Sonntag, den 07.12.2014 um 22.51 Uhr einging und im Laufe des 08.12.2014 im Justizministerium ausgewertet wurde. Zu 4: Frau Justizministerin und Herr Staatssekretär wurden schriftlich per Mail am 08.12.2014 um 16.59 Uhr unterrichtet. Zu diesem Zeitpunkt war das aus vollzuglicher Sicht Erforderliche bereits veranlasst. Der Sachverhalt war umfassend aufgeklärt und die Strafanzeige in Vorbereitung. Zu 5: Der Anstaltsleiter der JVA Hannover. Zu 6: Beweissichernde Maßnahmen wurden durchgeführt. Ich verweise insoweit auf die Vorbemerkung. Zu 7: Ich verweise auf die Vorbemerkung. Zu 8: Ich verweise auf die Vorbemerkung. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2907 4 Zu 9: Bei der Entscheidung über die Anordnung oder Aufhebung von besonderen Sicherungsmaßnah- men nach § 81 NJVollzG handelt es sich um Einzelfallentscheidungen. Regelmäßig wirken an die- sen Entscheidungen die an der Behandlung der oder des betreffenden Gefangenen maßgeblich beteiligten Bediensteten unterschiedlicher Fachrichtungen (Psychologischer Dienst, Medizinischer Dienst, Vollzugsabteilungsleitung) mit. Befindet sich die oder der Gefangene in ärztlicher Behand- lung oder bildet ihr oder sein seelischer Zustand den Anlass der Maßnahme, ist nach § 84 Abs. 2 Satz 1 NJVollzG grundsätzlich vorher die Ärztin oder der Arzt zu hören. Zu 10: Nein. Ich verweise insoweit auf die Vorbemerkung. Zu 11: Das Polizeikommissariat Nordstadt ermittelt gegen den Untersuchungsgefangenen M. aufgrund des Vorfalls wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Zu 12: Gemäß § 81 NJVollzG können gegen eine oder einen Gefangenen besondere Sicherungsmaß- nahmen angeordnet werden, wenn nach ihrem oder seinem Verhalten oder aufgrund ihres oder seines seelischen Zustandes in erhöhtem Maß Fluchtgefahr oder die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen oder die Gefahr der Selbsttötung oder der Selbstverletzung besteht. Gemäß § 81 Abs. 2 Nr. 5 ist als besondere Sicherungsmaßnahme die Unterbringung in einem be- sonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände zulässig. Zu 13: Der Vorfall gehört nicht zu dem im Katalog der Unterrichtungspflichten gegenüber dem Unteraus- schuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ vereinbarten besonderen Vorkommnissen im Justizvoll- zug. Aufgrund der Berichterstattung in der Bild-Zeitung erfolgte am 16.12.2014 gleichwohl eine schriftliche Unterrichtung der Mitglieder des Unterausschusses. Eine ergänzende mündliche Unter- richtung in einer der nächsten Sitzungen des Unterausschusses durch die Fachabteilung ist ange- boten worden. Antje Niewisch-Lennartz (Ausgegeben am 17.02.2015) Drucksache 17/2907 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2682 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Otto Deppmeyer (CDU), eingegangen am 22.12.2014 Vorfall in der JVA Hannover am 5. Dezember 2014 - Gefahr unterschätzt und Beweisaufnahme verschleppt? Antwort der Landesregierung