Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2967 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2327 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Reinhold Hilbers (CDU), eingegangen am 07.11.2014 Immer wieder gefährliche Straftäter auf der Flucht Am 14. September 2014 flüchtete der 21-jährige Ibrahim Sabani aus dem Maßregelvollzugszent- rum Niedersachsen-Brauel. Bevor er am 31. Oktober 2014 festgenommen wurde, soll er mehrere Raubüberfälle begangen haben. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung kommentierte am 1. November 2014 unter der Überschrift „Sicherheitsgefühl geht verloren“: „Natürlich hätte man die Öffentlichkeitsfahndung nach Ibrahim Sabani viel früher auslösen müssen. Natürlich müssen nach dem Ausbruch eines solchen Kalibers aus dem Maßregelvollzug sofort alle Polizeidienststellen informiert werden. (…) Die Landesregie- rung richtet damit großen Schaden an. Sie bringt Menschen in Gefahr und erschüttert ihr Sicher- heitsgefühl.“ Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Wann und in welchen Fällen gelten Entweichungen aus dem Maßregelvollzug in Niedersach- sen als „wichtiges Ereignis“? 2. Wann und durch wen (Funktionsbezeichnung genügt) wurden vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Oktober 2014 bei Entweichungen aus dem Maßregelvollzug Fahndungsmaßnahmen ein- geleitet? 3. Wie ist die übliche Meldepraxis bei der Entweichung von Straftätern aus dem Maßregelvollzug in Niedersachsen? 4. Welche polizeilichen Dienststellen werden im Fall einer Entweichung bzw. Flucht wann von der Klinikleitung informiert? 5. Was veranlassen die Polizeidienststellen daraufhin im Regelfall? 6. Wann konkret wurde das Polizeikommissariat Zeven über die Entweichung Sabanis infor- miert? 7. Was hat die Polizei in Zeven daraufhin wann konkret veranlasst? 8. Wann genau wurden welche Fahndungsmaßnahmen eingeleitet? 9. Wann genau wurde das Sozialministerium in Kenntnis gesetzt? 10. Was wurde im Sozialministerium daraufhin im Einzelnen veranlasst? 11. Wann genau und durch wen (Funktionsbezeichnung genügt) wurde Sozialministerin Rundt in Kenntnis gesetzt? 12. Was hat die Sozialministerin daraufhin veranlasst? 13. Wann wurden das LKA und die zentrale Lagestelle im MI von der Entweichung Sabanis in Kenntnis gesetzt? 14. Was haben das LKA und die zentrale Lagestelle daraufhin unternommen? 15. Wann wurde die Polizeidirektion Lüneburg über die Entweichung informiert? 16. Was hat sie daraufhin wann veranlasst? 17. Wann wurde die Polizeidirektion Oldenburg in Kenntnis gesetzt? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2967 2 18. Was hat sie daraufhin wann veranlasst? 19. Wann und durch wen (Funktionsbezeichnung genügt) wurde Innenminister Pistorius über die Entweichung Sabanis in Kenntnis gesetzt? 20. Was hat er daraufhin veranlasst? 21. Zu welchem Zeitpunkt wurde die Bevölkerung vor dem entflohenen Straftäter gewarnt, wer (Funktionsbezeichnung genügt) hat wann die Entscheidung über die Frage der Warnung der Bevölkerung getroffen, und inwiefern waren Innenminister Pistorius und/oder Sozialministerin Rundt über diese Entscheidung informiert und haben darauf Einfluss genommen? 22. Wann genau wurde die öffentliche Fahndung eingeleitet, warum wurde sie nicht früher einge- leitet, und wer (Funktionsbezeichnung genügt) hat wann entschieden, die Öffentlichkeitsfahn- dung nicht eher einzuleiten? 23. Waren der Innenminister oder die Sozialministerin über die Entscheidung, die Öffentlichkeits- fahndung nicht früher einzuleiten, informiert, und haben sie Einfluss auf diese Entscheidung genommen und, wenn ja, welchen und wenn nein, warum nicht? 24. Im Runderlass des Innenministeriums vom 1. August 2012 heißt es in der Regelung zum „Entweichen aus behördlichem Gehorsam“, es stelle ein wichtiges Ereignis dar, welches „unmittelbar an das Lagezentrum des MI, an das Lage- und Informationszentrum des Landeskri- minalamtes Niedersachsen, an die zuständigen und beteiligten niedersächsischen Polizeibe- hörden sowie an die Polizeiakademie Niedersachsen zu senden“ sei. Mussten demnach das LKA und das polizeiliche Lagezentrum des MI umgehend von der Flucht des Straftäters aus Brauel informiert werden? 25. Wieso hat vor diesem Hintergrund der Landespolizeipräsident in der Pressekonferenz am 31. Oktober 2014 vorgeschlagen, dass man „Informationen in ähnlichen Fällen künftig über eine Zentralstelle sammeln und verarbeiten“ sollte? 26. Warum wurde die Zielfahndung nach dem Gesuchten zunächst abgelehnt? 27. Gab es zwischen den Behörden Meinungsverschiedenheiten bei der Einschätzung des Grads der Gefährlichkeit des geflohenen Straftäters? 28. Wenn ja, welche? 29. Zu welchem Zeitpunkt stand für die Ermittler der Oldenburger Polizei mit hinreichender Wahr- scheinlichkeit fest, dass es sich bei dem Täter der jüngsten Raubüberfallserie im Oldenburger Land um den entflohenen Straftäter Sabani handeln könnte? 30. Gab es bei den vorhergehenden Taten von Sabani nach seiner Flucht Hinweise zur Täterbe- schreibung? 31. Trafen sie auf Sabani zu? 32. Hätte es vor diesem Hintergrund den Polizeibehörden im Landkreis Oldenburg bei der Suche nach dem Täter geholfen, bei der Verwertung der Hinweise zur Täterbeschreibung auf das Profil von Sabani zugreifen zu können? 33. Wie viele und welche Straftaten werden Sabani im Zeitraum nach seiner Flucht bis zur Ergrei- fung zugerechnet? 34. Welcher mögliche Schaden ist dadurch jeweils und insgesamt nach vorläufiger Einschätzung entstanden? 35. Welche Behörden bzw. Dienststellen treffen jeweils Einschätzungen über die Gefährlichkeit eines entflohenen Straftäters aus dem Maßregelvollzug? 36. Sieht das MI die Notwendigkeit, bestehende Regelungslücken zu schließen? 37. Haben die örtlichen Polizeidienststellen die Möglichkeit, zur Beurteilung der Gefährlichkeit ei- nes entflohenen Straftäters aus dem Maßregelvollzug übergeordnete Stellen wie beispiels- weise das LKA heranzuziehen? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2967 3 38. Wenn ja: In wie vielen Fällen haben die örtlichen Polizeidienststellen davon vom 1. Januar 2013 bis zum 31. Oktober 2014 Gebrauch gemacht? 39. Hat die Klinikleitung ein Mitwirkungsrecht und/oder eine Mitwirkungspflicht bei der Entschei- dung der Polizeidienststellen, welche Fahndungsmaßnahmen nach der Entweichung eines Straftäters aus dem Maßregelvollzug eingeleitet werden? 40. Treffen die Polizeidienststellen vor Ort Entscheidungen über einzuleitende Fahndungsmaß- nahmen eigenständig oder nach Abstimmung mit den übergeordneten Polizeidirektionen? 41. Werden auch das MS, das MI und/oder das LKA über die Ergebnisse dieses Entscheidungs- prozesses informiert? 42. Wenn nein: Warum nicht? 43. Gibt es Unterschiede bezüglich der Meldepraxis bei Entweichungen von Straftätern aus dem Maßregelvollzug, je nachdem, ob es sich um Einrichtungen des Landes (Brauel, Moringen, Rehburg) oder andere Träger handelt (beispielsweise Maßregelvollzug der Karl-Jaspers-Klinik in Wehnen, Landkreis Ammerland, oder Maßregelvollzug des Klinikums Region Hannover in Wunstorf)? (An die Staatskanzlei übersandt am 13.11.2014) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 12.02.2015 für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - 406.3 - 41588/09 - Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 Strafgesetzbuch [StGB] 1 ) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) wird bei solchen Straftätern angeordnet, bei denen das er- kennende Gericht eine psychische Krankheit bzw. eine Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen fest- stellt und zu der Erkenntnis gelangt, dass ohne Behandlung der Krankheit bzw. der Abhängigkeit weitere erhebliche rechtswidrige Straftaten zu erwarten wären. Eine Unterbringung nach § 64 StGB Satz 2 soll nur angeordnet werden, wenn eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht für die Suchttherapie gegeben ist. Liegen die Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB nicht mehr vor, erklärt das Gericht die Unter- bringung in einer Entziehungsanstalt für erledigt, § 67 d Abs. 5 Satz 1 StGB. Im Zusammenhang mit der Fahndung nach Personen, die aus behördlichem Gewahrsam entwei- chen, existieren entsprechende Regelwerke, die Maßnahmen und Zuständigkeiten im Detail be- schreiben. Es handelt sich dabei u. a. um die (bundesweit gültige) Polizeidienstvorschrift (PDV) 384.1 „Fahndung“ und den hierzu erlassenen niedersächsischen Landesteil. In den vorgenannten Vorschriften werden Standards für die Personen- und Sachfahndung sowie die polizeilichen Zuständigkeiten für die Fahndung nach Entwichenen geregelt. Danach ist für So- fortmaßnahmen im Rahmen der Fahndung grundsätzlich die Dienststelle zuständig, die auch für den Entweichungsort zuständig ist, während für die weitere Fahndung grundsätzlich die Dienststel- le zuständig ist, bei der die Kriminalakte für die entwichene Person geführt wird. Welche Maßnahmen oder Fahndungsarten (z. B. Zielfahndung oder Öffentlichkeitsfahndung) im Einzelnen sinnvoll und erforderlich sind, wird zwischen der zuständigen Polizeidienststelle sowie der zuständigen Staatsanwaltschaft abgestimmt und bestimmt sich einzelfallorientiert auf der Grundlage einer kontinuierlichen Lagebewertung. Dabei wird in jedem Einzelfall auch eine gefah- 1 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. April 2014 (BGBl. I S. 410) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2967 4 renprognostische Beurteilung hinsichtlich einer potenziellen Eigen- und/oder Fremdgefährdung durch die/den Entwichenen durchgeführt. Diese Beurteilung ist die Grundlage für die Initiierung und Durchführung der spezifischen Fahndungsmaßnahmen. Dabei werden sowohl Erkenntnisse der Polizei als auch der jeweiligen zuständigen Einrichtungen (u. a. aus dem Maßregelvollzug) strukturiert abgefragt und bewertet. Hauptkriterien für eine (polizei- liche) Bewertung sind u. a.: – Schwere der Tat, hohe Sozialschädlichkeit, hoher volkswirtschaftlicher Schaden, – hohe kriminelle Energie, welche die Begehung weiterer Straftaten erwarten lässt, – überregional bzw. international agierende Straftäterinnen oder -täter, – Höhe der Reststrafe oder Anordnung der Sicherungsverwahrung bei entwichenen Strafgefangenen , – besondere Gefahr für die Allgemeinheit, die von aus gerichtlich angeordneter Unterbringung Entwichenen ausgeht und – Ereignisse, die die Öffentlichkeit in besonderem Maße beunruhigen. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Gemäß Runderlass des Ministeriums für Inneres und Sport (MI) vom 01.08.2012 „Meldung wichti- ger Ereignisse und Erstattung von Verlaufsberichten“ (vgl. Nds. MBl. 2012 Nr. 26, S. 581) gelten Entweichungen aus dem behördlichen Gewahrsam, zu denen auch Entweichungen aus dem Maß- regelvollzug zu zählen sind, als wichtiges Ereignis. Zu 2: Eine statistische Erfassung aller Entweichungen und der in diesem Kontext eingeleiteten Fahn- dungsmaßnahmen erfolgt nicht. Insofern ist eine Beantwortung der Frage in der zur Verfügung ste- henden Zeit nicht möglich. Zu 3: Nach der Feststellung einer Entweichung eines oder einer Untergebrachten einer Maßregelvoll- zugseinrichtung, erfolgt von dort eine unverzügliche Unterrichtung der zuständigen Polizeidienst- stelle (Fahndungsersuchen), der zuständigen Vollstreckungsbehörde sowie des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (MS) als zuständiger Aufsichtsbehörde für den Maßregel- vollzug. Zu 4: Nach Feststellung einer Entweichung wird die örtlich zuständige Polizeidienststelle von der be- troffenen Maßregelvollzugseinrichtung unverzüglich unterrichtet (Fahndungsersuchen). Zu 5: Seitens der Polizeidienststelle, die für den Entweichungsort örtlich zuständig ist, werden nach ent- sprechender Unterrichtung über das Entweichen einer Person die erforderlichen Sofortmaßnahmen auf der Grundlage der entsprechenden Regelwerke (vgl. Vorbemerkung) eingeleitet bzw. durchge- führt. Dazu gehören im Regelfall die Durchführung einer Nahbereichsfahndung am Entweichungs- ort, soweit dieser bekannt ist, die Speicherung personenbezogener Informationen in den polizeili- chen Fahndungssystemen, die Ermittlung und Überprüfung von potenziellen Kontaktanschriften, die weitere Ermittlung von Hinweisen, die zu einer Wiederergreifung beitragen können und eine sachverhaltsbezogene Informationssteuerung mit sogenannten WE-Meldungen (Meldung eines wichtigen Ereignisses, vgl. Antwort zu Frage 1) an die vom Sachverhalt betroffenen Polizeidienst- stellen und -behörden, das Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA) und das MI. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2967 5 Zu 6: Das Polizeikommissariat Zeven wurde am Sonntag, 14.09.2014, 15:52 Uhr, über die Flucht Sa- banis informiert. Zu 7 und 8: Das zuständige Polizeikommissariat Zeven leitete unmittelbar nach Bekanntwerden des Entwei- chens die örtlichen Fahndungsmaßnahmen im Bereich Brauel/Zeven ein, d. h. die Suche nach dem Entwichenen. Diese Suche schloss auch einen PKW ein, da ein Untergebrachter aus dem MRVZN Brauel den Flüchtigen am Tag des Vorfalls dabei beobachtet haben wollte, dass dieser in Zeven in einen schwarzen Audi gestiegen sei. Weiterhin wurden die Polizeidienststellen, die für eine Überprüfung von Kontaktanschriften zustän- dig waren, telefonisch vorab und danach fernschriftlich, per WE-Meldung um 17.59 Uhr, zu einer entsprechenden Veranlassung aufgefordert. Gleichzeitig wurden durch die WE-Meldung die Poli- zeiinspektion Rotenburg um Fahndungsausschreibung sowie die örtlichen und überörtlichen Poli- zeidienststellen um Mitfahndung ersucht. Gleichzeitig wurden die für die spätere Fortführung der Fahndung zuständige Polizeiinspektion Delmenhorst/Oldenburg-Land, das LKA und das MI infor- miert. Zu 9: Das MS wurde am Sonntag, 14.09.2014, 16:19 Uhr, von der Entweichung in Kenntnis gesetzt. Zu 10: Seitens des MS wurde eine eingehende Prüfung der Entweichung durch die örtliche Vollzugsleitung veranlasst. Die sich hieraus ergebenden Erkenntnisse wurde genutzt, um bauliche Gegebenheiten und Arbeitsabläufe unter sicherheitstechnischen Aspekten zu analysieren. Die Analyse hat u. a. dazu geführt, das Stellen des mutmaßlichen Entweichungswegs zusätzlich mit Natodraht gesichert wurden. Zu 11: Frau Ministerin Rundt wurde am 15.09.2014, 16:27 Uhr, von einem Mitarbeiter des Ministerbüros über die Entweichung unterrichtet. Zu 12: Frau Ministerin Rundt hat sich umgehend über den Hergang der Entweichung sowie über die ver- anlassten Maßnahmen unterrichten lassen. Für eine darüber hinaus gehende sachverhaltsbezoge- ne Veranlassung durch Frau Ministerin Rundt persönlich bestand kein Anlass. Zu 13: Siehe Antwort zu Frage 7. Zu 14: Das Lagezentrum des MI veranlasst als Informations- und Kommunikationszentrale der Landesre- gierung keine operativen Maßnahmen. Im Rahmen der internen Informationssteuerung wurde Be- zug nehmend auf die Fragen 7 und 13 die WE-Meldung um 19:46 Uhr des gleichen Tages durch das Lagezentrum elektronisch an die Poststelle des Justizministeriums (MJ) sowie an den vom MJ für solche Sachverhalte genannten Personenkreis und an die Poststelle des MS weitergeleitet. Zu- sätzlich erhielt das Fachreferat 23 (Kriminalitätsbekämpfung) des MI ein Papierexemplar der WE- Meldung über den hausinternen Postgang. Das Lage- und Informationszentrums des LKA Niedersachsen steuerte die WE-Meldung am glei- chen Tag gegen 18:12 Uhr behördenintern an das für Angelegenheiten der Fahndung zuständige Dezernat 22. Am 15.09.2014 wurden durch das Dezernat 22 Abfragen in den zur Verfügung stehenden Aus- kunftssystemen der Polizei Niedersachsen durchgeführt. Zum Zeitpunkt der Abfragen lagen nach einer LKA-internen Bewertung keine weitergehenden Informationen vor, die die Aufnahme des Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2967 6 Flüchtigen als Zielperson i. S. d. PDV 384.1 (Zielfahndungsrelevanz) rechtfertigten. Deshalb wurde auf eine Abstimmung mit der für Fälle dieser Art zuständigen Direktionsfahndung (Polizeidirektion Oldenburg) verzichtet. Zu 15: Die Polizeidirektion Lüneburg wurde zeitgleich neben den zuvor bezeichneten Dienststellen (vgl. Antwort zu Frage 7) über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Zu 16: Es wurden die internen Meldewege bedient. Weitere Maßnahmen wurden nicht durchgeführt, da das Polizeikommissariat Zeven bereits alle erforderlichen Sofortmaßnahmen umgesetzt hatte. Zu 17: Die Polizeidirektion Oldenburg wurde zeitgleich neben den zuvor bezeichneten Dienststellen (vgl. Antwort zu Frage 7) über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt. Zu 18: Die weitere Veranlassung im Zusammenhang mit der Fahndung nach dem Entwichenen erfolgte durch die zur Polizeidirektion Oldenburg gehörende Polizeiinspektion (PI) Delmenhorst/Oldenburg- Land/Wesermarsch, die als kriminalaktenführende Dienststelle zuständig für die folgenden Fahn- dungsmaßnahmen war (s. Antwort zu Frage 7). Die PI Delmenhorst/Oldenburg-Land/Wesermarsch wurde vom Polizeikommissariat Zeven telefo- nisch vorab und durch Übersendung der WE-Meldung am Sonntag, 14.09.2014, 17:59 Uhr, über die Entweichung des Sabani in Kenntnis gesetzt. Am darauffolgenden Tag, Montag, 15.09.2014, führte die Organisationseinheit „Fahndung“ der PI die Fahndungsmaßnahmen fort. In diesem Zusammenhang fand zunächst eine umfangreiche Recherche in allen polizeilichen und außerpolizeilichen Informationssystemen statt, um weitere Anlauf- und Kontaktadressen des Sa- bani zu ermitteln. Am selben Tag wurden die bekannten Anlaufpunkte überprüft und Kontakt zu den Eltern des Flüchtigen aufgenommen. Außerdem wurden Lichtbilder des Sabani als Fahndungs- hilfsmittel beigezogen und es ergingen Hinweise an den Einsatz- und Streifendienst bezüglich des- sen Flucht aus dem Maßregelvollzug. Am 16.09.2014 informierte die Organisationseinheit Fahndung die Direktionsfahndung der Zentra- len Kriminalinspektion Oldenburg über die Flucht des Sabani. Zielrichtung des Informationsaustau- sches war es, Zielfahndungsmaßnahmen durch die Direktionsfahndung zu initiieren. Seitens der Di- rektionsfahndung Oldenburg/Zentralen Kriminalinspektion Oldenburg wurde daher die Anregung, eine Zielfahndung gegen Sabani einzuleiten, erstmalig am 18.09.2014 gegenüber der Staatsan- waltschaft (StA) Oldenburg vorgetragen. Im weiteren Verlauf wurde die StA Oldenburg diesbezüg- lich mehrfach (23.09.2014 und 24.09.2014) von der Direktionsfahndung kontaktiert; Zielfahn- dungsmaßnahmen wurden jedoch von der StA Oldenburg zunächst abgelehnt (vgl. Frage 26). Nach Bekanntwerden des Tatverdachts gegen den Flüchtigen wegen der Begehung mehrerer Raubüberfälle wurde die Zielfahndung auf der Grundlage einer Entscheidung der StA Oldenburg eröffnet. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden intensive regionale Kontrollmaßnahmen durch die zuständige Fahndungsstelle der PI Delmenhorst/Oldenburg-Land/Wesermarsch fortgesetzt und bekannte An- laufadressen zu unregelmäßigen Zeiten überprüft. Darüber hinaus wurde schließlich der gesamte Ermittlungskomplex ab dem 28.10.2014 in einer Ermittlungsgruppe gebündelt, die ausschließlich für die Person Sabani zuständig war. Weiterhin wurde mit Datum 28.10.2014 bei der StA Oldenburg die Durchführung einer Öffentlich- keitsfahndung gemäß § 131 b I StPO angeregt. Auf der Grundlage eines entsprechenden Be- schlusses des Landgerichts Oldenburg am 29.10.2014 wurde die Öffentlichkeitsfahndung ab dem 29.10.2014, ca. 17:30 Uhr, betrieben. Zu 19: Minister Pistorius wurde am 29.10.2014 durch einen Beschäftigten der Pressestelle unterrichtet. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2967 7 Zu 20: Der Minister hat einen detaillierten Bericht vom Landespolizeipräsidium angefordert. Für eine dar- über hinausgehende sachverhaltsbezogene Veranlassung durch Minister Pistorius bestand kein Anlass. Zu 21: Bei einer Personenfahndung unter Beteiligung der Öffentlichkeit ist danach zu unterscheiden, ob diese mit der Zielrichtung der Gefahrenabwehr unter den Voraussetzungen des Niedersächsischen Gesetz über die Sicherheit und Ordnung in Form einer Warnmeldung zu initiieren ist oder ob auf der Grundlage der Strafprozessordnung eine Öffentlichkeitsfahndung in Betracht zu ziehen ist. Nachdem die Zielfahndung nicht unmittelbar zum Erfolg führte, wurde von der PI Oldenburg-Stadt/ Ammerland gegenüber der StA Oldenburg die Öffentlichkeitsfahndung angeregt. Die Öffentlichkeitsfahndung wurde am 29.10.2014 auf der Grundlage eines Beschlusses des Land- gerichts Oldenburg eingeleitet. Am gleichen Tag wurde Minister Pistorius über den Sachverhalt und Frau Ministerin Rundt über die eingeleitete Öffentlichkeitsfahndung informiert. Im Übrigen vgl. Ant- wort zu Frage 12 und 20. Zu 22: Bis zum 27.10.2014 lagen die Voraussetzungen für eine Öffentlichkeitsfahndung gemäß § 131b I StPO aus Sicht der StA Oldenburg nicht vor. Die Öffentlichkeitsfahndung wurde am 28.10.2014, 08:18 Uhr, durch die PI Oldenburg-Stadt/Am- merland gegenüber der StA Oldenburg angeregt. Ansprechpartnerin war die Dezernentin, die die Anklage erhoben hatte, die der aktuellen Vollstre- ckung der Maßregel zugrunde liegt. Nachdem die Dezernentin zunächst beim insoweit unzuständi- gen Amtsgericht Zeven die Anordnung der Öffentlichkeitsfahndung, der Veröffentlichung von Abbil- dungen des flüchtigen Verurteilten sowie von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen be- antragt hatte, stellte sie auf einen Hinweis des Amtsgerichts Zeven vom Vormittag des 29.10.2014 unverzüglich inhaltsgleiche Anträge beim zuständigen Landgericht Oldenburg. Die StA wirkte am gleichen Tag außerdem darauf hin, dass die Anträge klarstellend auch durch das Amtsgericht Zeven, Jugendrichter als Vollstreckungsleiter, gestellt würden. Ein entsprechendes Schreiben des Amtsgerichts Zeven folgte. Am frühen Nachmittag des 29.10.2014 erließ das Landgericht Oldenburg - 1. Große Jugendkam- mer - die entsprechenden Beschlüsse und übermittelte sie direkt der zuständigen PI zur Umset- zung. Entsprechende Ausfertigungen dieser Beschlüsse wurden der StA Oldenburg insoweit am 29.10.2014 um 14:00 Uhr per Fax übersandt. Zu 23: Siehe Antwort zu Frage 21. Zu 24: Ja. Das Polizeikommissariat Zeven kam dieser Informationspflicht nach. Zu 25: Die Initiierung und Durchführung von Fahndungsmaßnahmen und der in diesem Zusammenhang erforderliche Informationsaustausch der Behörden unterliegen einer fortlaufenden Bewertung. Durch den Landespolizeipräsidenten wurde eine polizeiinterne Prüfung veranlasst, ob in entspre- chend gelagerten Fällen eine dienststellenübergreifende Bündelung von Informationen im LKA Nie- dersachsen - über die bereits etablierten Informationswege hinaus - effektiv zu einer Verbesserung von Fahndungsmaßnahmen beitragen könnte. Im Ergebnis dieser Prüfung wird das Landeskrimi- nalamt Niedersachsen zukünftig ein Monitoring sämtlicher Entweichungen durchführen, durch das eine einzelfallorientierte Unterstützung der Polizeibehörden und damit die Einhaltung eines gleich- mäßig hohen Qualitätsstandards bei Fahndungsmaßnahmen gewährleistet wird. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2967 8 Ob das „Monitoring“ im LKA Niedersachsen in ein neu einzurichtendes Kompetenzzentrum Fahndung einfließen wird oder in die bestehende Struktur des LKA Niedersachsen/Abt. 2 eingegliedert wird, wird derzeit geprüft. Zu 26: Die Direktionsfahndung Oldenburg/Zentrale Kriminalinspektion Oldenburg hatte die Frage nach Einleitung der Zielfahndung der für die Anklageerhebung zuständigen Dezernentin der StA Olden- burg am 17.09.2014 vorgetragen. Die Dezernentin lehnte - in Verkennung ihrer Zuständigkeit - die Zielfahndung insbesondere aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ab. Hintergrund war, dass sich an jenem Tag zunächst der Verteidiger des Verurteilten bei der zuständigen Dezernentin gemeldet und mitgeteilt hatte, er habe Kontakt zum entwichenen Ibrahim Sabani, der sich stellen wolle bzw. dass er, der Verteidiger, darauf hinwirken werde, dass Herr Sabani sich (kurzfristig) stelle. Hinter- grund der Flucht sei, dass der Verurteilte nicht zurück „in die Unterbringung“ gewollt habe. Ein Be- schluss darüber, dass die mit Urteil vom 23.05.2013 angeordnete Unterbringung in einer Entzie- hungsanstalt nicht weiter zu vollziehen ist, war bereits am 12.09.2014 durch das Amtsgericht Zeven ergangen, jedoch noch nicht rechtskräftig. Auf fernmündliche Nachfrage teilte die Polizei Zeven der Dezernentin sodann noch am 17.09.2014 mit, dass polizeiliche Fahndungsmaßnahmen bereits liefen und insoweit u. a. bereits mehrere An- laufadressen überprüft würden bzw. überprüft worden seien. Auch als sich am 23.09.2014 heraus- stellte, dass der Entwichene nicht erneut Kontakt zum Verteidiger aufgenommen hatte, sprachen ausweislich des Berichts der StA Oldenburg aus Sicht der Dezernentin folgende Gründe gegen die unverzügliche Anordnung der Zielfahndung: – Kein Entweichen aus der Sicherungsverwahrung. – Kein Entweichen aus einem psychiatrischen Krankenhaus. – Keine Verurteilung wegen eines Sexualdeliktes, Mordes oder Totschlag. – (Bis dahin:) Keine Hinweise auf neuerliche Straftaten des Entwichenen. Zu 27 und 28: Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Einschätzung der potenziellen Gefährlichkeit des Ent- wichenen gab es zwischen der zuständigen Polizeibehörde und der StA Oldenburg nicht. Im Er- gebnis einer eigenen Bewertung gelangte das Landespolizeipräsidium zu der Einschätzung, dass dem Flüchtigen nach vorliegenden Erkenntnissen gegebenenfalls eine potenziell größere Gefähr- lichkeit hätte zugemessen werden können. Anlässlich einer Pressekonferenz am 31.10.2014 wurde in diesem Zusammenhang durch den Lan- despolizeipräsidenten jedoch darauf hingewiesen, dass die Polizeidirektion Oldenburg bzw. die PI Delmenhorst/Oldenburg-Land/Wesermarsch im Rahmen ihrer eigenständigen Aufgabenerfüllung eine eigene Bewertung vorgenommen habe und diese insofern Bestand habe. Zu 29: Ab dem 22.10.2014 konnte Sabani aufgrund vorliegender Ermittlungsergebnisse sowie durch eine Videoaufzeichnung, die bei einem Raubüberfall in Hude (21.10.2014) gefertigt wurde, als mutmaß- licher Täter identifiziert werden. Zu 30 und 31: Ja. Jedoch unterschieden sich die Täterbeschreibungen bis zur Identifizierung Sabanis teilweise sehr bzw. sie widersprachen sich. Es existierten lediglich Übereinstimmungen allgemeiner Art be- züglich der Körpergröße (Beschreibung zwischen 170 cm und 185 cm; tatsächliche Größe 183 cm) und der Statur (breitschultrig, sportlich, kräftig). Darüber hinaus beging der Täter die Taten maskiert bzw. unter starker Verdeckung seiner Gesichtspartien. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2967 9 Zu 32: Es existierten unterschiedliche sowie widersprüchliche Zeugenangaben. Die vorliegenden Hinwei- se, u. a. Hinweise zur Körpergröße und Statur, reichten zu einer Zuordnung zur Person des Flüch- tigen nicht aus. Zu 33: Aktuell werden zu 21 Straftaten in der Zeit vom 24.09.2014 bis zum 26.10.2014 Ermittlungen ge- führt, für deren Begehung Sabani als Täter in Betracht kommt. Es handelt sich in allen Fällen um schwere räuberische Erpressung bzw. schweren Raub. Zu 34: In einem Fall wurde Schmuck im Wert von ca. 450 Euro erbeutet. In 16 Fällen wurden Bargeldbe- träge zwischen 70 und 2 150 Euro erbeutet. In vier Fällen handelt es sich um Versuchstaten. Die Gesamtschadensumme beträgt nach derzeitigem Ermittlungsstand (Dezember 2014) ca. 9 450 Eu- ro. Zu 35: Die jeweilige Einschätzung hinsichtlich der Gefährlichkeit erfolgt in Abstimmung der zuständigen Behörden. Im Regelfall nimmt die für die Fahndung zuständige Polizeidienststelle eine Bewertung vor, in die die bei anderen Behörden und Einrichtungen (Staatsanwaltschaften, Gerichten sowie Maßregelvollzugseinrichtungen) vorliegenden Erkenntnisse einfließen. Zu 36: Bestehende Regelungslücken sieht das MI nicht. Gleichwohl wurde u. a. der vorliegende Sachver- halt zum Anlass genommen, mit Vertreterinnen und Vertretern des MJ und des MS zu prüfen, ob die bestehenden Informationsabläufe zwischen der Polizei, den Staatsanwaltschaften und Gerich- ten, den Maßregelvollzugseinrichtungen sowie den einzelnen Ressorts weiter optimiert werden können. Infolgedessen wurden vorhandene Kommunikationsstrukturen, u. a. durch die Benennung von festen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern in den zuständigen Ressorts, optimiert. Auf das zukünftige Monitoring entsprechender Fälle durch das LKA Niedersachsen wird ergänzend hingewiesen (s. Antwort zu Frage 25). Zu 37: Die örtlichen Polizeidienststellen können grundsätzlich auf alle Informationen zugreifen, die bei den niedersächsischen Polizeibehörden vorliegen, so auch auf die des LKA Niedersachsen. Zu 38: Im Rahmen der Bewältigung von polizeilichen Sachverhalten ist es gängige Praxis, dass sich Poli- zeidienststellen untereinander beraten und Informationen sachverhaltsbezogen austauschen. Eine auswertbare Dokumentation dazu wird nicht geführt (vgl. Frage 2). Zu 39: Einen direkten Einfluss auf die Anordnung von konkreten Fahndungsmaßnahmen im Falle der Ent- weichung eines oder einer Untergebrachten einer Maßregelvollzugseinrichtung hat die Vollzugslei- tung nicht. Im Rahmen des Fahndungsersuchens werden jedoch alle relevanten Erkenntnisse weitergegeben, die sich im Rahmen der Unterbringung in der Maßregelvollzugseinrichtungseinrichtung ergeben haben und die bei der Entscheidung über Fahndungsmaßnahmen von der Polizei und/oder der Vollstreckungsbehörde verwendet werden können. Zu 40: Die Entscheidung über einzuleitende Fahndungsmaßnahmen erfolgt grundsätzlich eigenständig auf der Grundlage des niedersächsischen Landesteils der PDV 384.1 „Fahndung“ (s. Vorbemerkung). Das sofortige Reagieren auf polizeiliche Lagen stellt für die örtliche Polizeidienststelle ein Alltags- geschäft dar, sodass ausschließlich besondere Einzelfälle mit der übergeordneten Polizeibehörde Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2967 10 abgestimmt werden. So wird die übergeordnete Polizeibehörde beispielsweise einbezogen, wenn Fahndungsmaßnahmen von der örtlichen Polizeidienststelle angestrebt werden, die deren sachli- che Zuständigkeit überschreiten. Zu 41 und 42: Das MS, das MI sowie das LKA Niedersachsen werden durch die WE-Meldung über die Sofort- maßnahmen in Kenntnis gesetzt. Fahndungsmaßnahmen die über den Umfang der Sofortmaß- nahmen hinausgehen, werden dem oben genannten Adressatenkreis im Einzelfall berichtet. Zu 43: Die Meldepraxis von Entweichungen von in Maßregelvollzugseinrichtungen untergebrachten Straf- tätern ist unabhängig vom Träger der jeweiligen Einrichtung niedersachsenweit einheitlich geregelt. Cornelia Rundt (Ausgegeben am 19.02.2015) Drucksache 17/2967 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2327 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Reinhold Hilbers (CDU), eingegangen am 07.11.2014 Immer wieder gefährliche Straftäter auf der Flucht Antwort der Landesregierung