Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/2968 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2480 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling und Christian Dürr (FDP), eingegangen am 13.11.2014 Aufkauf von Arztsitzen in Niedersachsen Der Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestags führt auf Seite 75 aus: „Die gesetzlichen Vorgaben zum Abbau von Überversorgung durch den Aufkauf von Arztsitzen werden von einer ,Kann‘- in eine ,Soll‘-Regelung überführt.“ Insbesondere im ländlichen Raum sind dringend erforderliche Nachbesetzungen mit Hausärztinnen und Hausärzten, aber auch mit anderen Fachärzten kaum noch möglich. Ein Mangel ist bereits greifbar. Bei der Berechnung des Versorgungsgrads sollen zukünftig ermächtigte Ärztinnen und Ärzte mit einberechnet werden. Dies führt zu einer Unschärfe in der Berechnung, da sich diese Ermächti- gungen in der praktischen Anwendung auf sehr spezialisierte Verrichtungen beschränken. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass Spezialisierungen von Fachärzten nicht hinreichend berücksichtigt werden. So gibt es beispielsweise im Bereich der Augenärztinnen und Augenärzte eine Differenzierung in operierende und konservativ Behandelnde. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie bewertet sie die Zielsetzung im Koalitionsvertrag der Bundesregierung für die 18. Legisla- turperiode des Deutschen Bundestags, die gesetzlichen Vorgaben zum Abbau von Überver- sorgung durch den Aufkauf von Arztsitzen von einer „Kann“- in eine „Soll“-Regelung zu über- führen? 2. Wie viele Arztsitze müssten demnach ab einer Überversorgung von 110 % und ab einer Überversorgung von 200 %, gegliedert nach Facharztgruppen und Planungsbezirken, von der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen aufgekauft werden? 3. Nach welchen Maßgaben wurde bisher und wird in Zukunft über den Aufkauf eines Arztsitzes entschieden, auch vor dem Hintergrund, dass künftig ermächtigte Ärztinnen und Ärzte in die Bedarfsberechnung einbezogen werden sollen sowie Spezialisierungen von Fachärzten nicht differenziert betrachtet werden? 4. Wie viele Patientinnen und Patienten müssen sich aufgrund des Aufkaufs von Arztsitzen vo- raussichtlich eine neue Ärztin bzw. einen neuen Arzt suchen? 5. Wie bewertet die Landesregierung die Entschädigungsregelungen für Ärztinnen und Ärzte, deren Arztsitz gegen deren Willen aufgekauft wird? 6. Inwiefern erachtet sie die geplanten Regelungen zum Aufkauf von Arztsitzen vor dem Hinter- grund der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes mit dieser sowie mit den Grundsätzen der Freiberuflichkeit als vereinbar? 7. Welches Honorarvolumen entgeht den Ärztinnen und Ärzten durch die Aufkaufplicht, wenn die Mittel für den Aufkauf aus der Gesamtvergütung zu entnehmen sind? 8. Befürchtet sie durch die Aufkaufplicht eine Verschärfung des Ärztemangels in Niedersachsen auch unter dem Aspekt, dass die Betrachtung statisch erfolgt und nicht hinreichend auf anste- hende Zurruhesetzungen von Ärztinnen und Ärzten Rücksicht nimmt? (An die Staatskanzlei übersandt am 10.12.2014) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2968 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 12.02.2015 für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - 106.32 - 15 02 51 - 02 - Im Koalitionsvertrag „Deutschlands Zukunft gestalten“ zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, geschlossen am 27.11.2013, ist u. a. erklärt worden, dass die gesetzliche Regelung in § 103 Abs. 3 a Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) 1 von einer „Kann“- in eine „Soll“-Vorgabe überführt wird. Nach der aktuellen Gesetzesfassung kann ein Zulassungsausschuss in einem wegen Überversor- gung gesperrten Planungsbereich einen Antrag auf Nachbesetzung eines Arztsitzes unter Berück- sichtigung bestimmter Ausnahmetatbestände ablehnen, wenn eine Nachbesetzung aus Versor- gungsgründen nicht erforderlich ist. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hat in diesem Fall eine Entschädigung in der Höhe des Verkehrswertes der Arztpraxis zu zahlen. Diese „Aufkaufregelung“ gilt seit dem 01.01.2013 und geht auf das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG) 2 der Bun- desregierung der 17. Legislaturperiode (CDU/CSU und FDP) zurück. Von dieser Möglichkeit haben die Zulassungsausschüsse bundesweit bislang einmal Gebrauch gemacht. Die Umsetzung der Vorgabe des Koalitionsvertrags ist im Entwurf der Bundesregierung für ein Ge- setz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungs- stärkungsgesetz - GKV-VSG) vorgesehen. Nach der Begründung im besonderen Teil des Gesetzentwurfs sollen mit der Änderung Vertrags- arztsitze, die für eine bedarfsgerechte Versorgung nicht benötigt werden, konsequent abgebaut werden, auch damit mehr Ärztinnen und Ärzte für die Versorgung der Patientinnen und Patienten in weniger gut versorgten Regionen zur Verfügung stehen. Auch bei der Soll-Regelung haben die Zu- lassungsausschüsse nach wie vor die Möglichkeit, einem Antrag auf Nachbesetzung eines Ver- tragsarztsitzes auch in bedarfsplanungsrechtlich überversorgten Planungsbereichen zu entspre- chen, wenn sie dies aus Versorgungsgründen für erforderlich halten. Versorgungsgründe für eine Nachbesetzung können beispielsweise dann anzunehmen sein, wenn ein besonderer lokaler oder qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf besteht oder ein Arztsitz einer speziellen Fachrichtung weiterhin benötigt wird. Weitere Versorgungsgründe sind denkbar. Dabei können auch Mitversor- gungsaspekte, Versorgungsbedürfnisse von Menschen mit Behinderung oder der Erhalt des be- sonderen Versorgungsangebots eines Medizinischen Versorgungszentrums oder einer Berufsaus- übungsgemeinschaft eine Rolle spielen. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Die Zielsetzung im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, zur Sicherstellung der flächendecken- den Versorgung die Anreize zur Niederlassung in unterversorgten Gebieten weiter zu verbessern, wird von der Landesregierung begrüßt. Die für die Sicherstellung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung zuständige Kassenärztli- che Vereinigung Niedersachsen (KVN) hält die geplante Neuregelung laut ihrer Stellungnahme vom 06.01.2015 nicht für ein probates Mittel. Die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen (im Folgenden: Landesverbände) halten Maßnahmen zum Abbau von Überversorgung für dringend notwendig und begrüßen die ge- 1 Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477, 2482), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2462) 2 BGBL I 211, S. 2983 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2968 3 planten Änderungen. Mittel- bis langfristig könnte damit eine Umsteuerung der ärztlichen Nieder- lassungen in schwächer versorgte Regionen und in die hausärztliche Versorgung bewirkt werden. Zu 2: Weder die bestehende Regelung in § 103 Abs. 3 a SGB V noch die im GKV-VSG vorgesehen Än- derungen sehen einen verpflichtenden „Aufkauf“ von Arztpraxen ab einem Versorgungsgrad von 110 % oder 200 % vor. Vielmehr haben die Zulassungsausschüsse bei Nachbesetzungsverfahren einzelfallbezogen zu prüfen, ob der Arztsitz aus Versorgungsgründen wiederzubesetzen ist (siehe auch Vorbemerkung). Daher ist Anzahl der Arztsitze, die oberhalb der o. g. Versorgungsgradgren- zen liegen, keine geeignete Größe zur Einschätzung der möglichen Auswirkungen der geplanten Gesetzesänderung. Die Landesverbände gehen davon aus, dass jährlich für etwa 160 bis 200 Arztsitze zu prüfen sein werde, ob diese trotz rechnerischer Überversorgung für die Versorgung noch erforderlich sind. Die Angabe einer konkreten Zahl oder auch eine valide Schätzung über „Aufkäufe“ von Arztsitzen ist nicht möglich. Zu 3: Über die Nachbesetzung eines Arztsitzes entscheiden die paritätisch mit KV- und Krankenkassen- vertreterinnen und -vertretern besetzten Zulassungsausschüsse. Nach Informationen der Landes- verbände ist es unter der bestehenden „Kann“-Regelung in Niedersachsen noch zu keiner und bundesweit nur zu einer Ablehnung eines Nachbesetzungsantrags gekommen. Mit der KVN sei abgestimmt worden, dass die Zulassungsausschüsse für ihre Entscheidungen sta- tistische Übersichten u. a. über die Fallzahlen der ausscheidenden Ärztin bzw. des ausscheidenden Arztes und der Vergleichsgruppe, Angaben über das Tätigkeitsspektrum der Praxis anhand der ab- gerechneten EBM-Ziffern 3 und über Sitz, Alter und Fallzahlen der anderen Ärztinnen und Ärzte der betroffenen Fachgruppe im Planungsbereich erhalten. Darüber hinaus können die Zulassungsaus- schüsse weitere Angaben und Daten für die Beurteilung heranziehen (siehe auch Vorbemerkung). Bei den Beschlüssen der paritätisch besetzten Zulassungsausschüsse gilt die einfache Stimmen- mehrheit. Bei Stimmengleichheit ist dem Antrag auf Nachbesetzung stattzugeben. Klagen gegen die Beschlüsse haben keine aufschiebende Wirkung. Zu 4: Hierzu liegen der Landesregierung keine Zahlen vor. Zu 5 und 6: Nach Auffassung der Landesregierung tragen die bisherigen Regelungen in § 103 Abs. 3 a f. SGB V mit der Orientierung von Entschädigungszahlungen am Verkehrswert der Arztpraxis den Er- fordernissen der Eigentumsgarantie in Artikel 14 GG ausreichend Rechnung. Das Eigentumsrecht unterliegt der Sozialbindung und gilt somit nicht unbeschränkt. Bei der nunmehr beabsichtigten Anpassung hat der Bundesgesetzgeber darauf zu achten, dass diese ebenfalls dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entsprechen hat, d. h. der Eingriff in das Eigentumsrecht insgesamt einem legitimen Zweck dienen sowie geeignet, erforderlich und ange- messen sein muss. Eine so gestaltete verfassungsgemäße Neuregelung stünde im Einklang mit der Freiberuflichkeit des Vertragsarztes. Die Landesverbände weisen darauf hin, dass zur Bestimmung des Verkehrswertes von Arztpraxen langjährige Erfahrungen bestehen, da dieser bisher bereits bei Nachfolgebesetzungen gemäß § 103 Abs. 4 Satz 8 SGB V zu berücksichtigen ist. Zu 7: Hierzu liegen der Landesregierung keine Zahlen vor. 3 Einheitlicher Bewertungsmaßstab Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/2968 4 Zu 8: Wie in der Vorbemerkung und in der Antwort zur Frage 1 dargelegt, erfolgt die Betrachtung nicht statisch. Die Prüfung eines Antrags auf Nachbesetzung hat die jeweilige konkrete Versorgungssitu- ation im zu beurteilenden Planungsbereich zu berücksichtigen. Es wird zu beobachten sein, wie die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung das Verfahren in den Zulassungsausschüssen umset- zen. Bei einer adäquaten Umsetzung geht die Landesregierung nicht von einer Schwächung der ärztlichen Versorgung in Niedersachsen aus. Cornelia Rundt (Ausgegeben am 19.02.2015) Drucksache 17/2968 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2480 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling und Christian Dürr (FDP), eingegangen am 13.11.2014 Aufkauf von Arztsitzen in Niedersachsen Antwort der Landesregierung