Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3066 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2828 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP), eingegangen am 26.01.2015 Praktika und Berufsausbildungen für Zugewanderte Für eine gelungene Integration von Zugewanderten ist es neben Sprachkursen und der Ermögli- chung von Partizipationsmöglichkeiten im gesellschaftlichen Leben notwendig, dass diese Men- schen auch einer Arbeit nachgehen. Dabei muss es sich jedoch nicht zwingend immer um Festan- stellungen, befristete Beschäftigungen oder „Minijobs“ handeln, sondern auch für die nach Deutsch- land und Niedersachsen kommenden Menschen können Praktika oder Hospitationen Perspektiven schaffen, bei der Orientierung helfen oder einen ersten Einstieg in den hiesigen Arbeitsmarkt bie- ten. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Inwiefern ist es für Asylsuchende in Niedersachsen möglich, ein Praktikum zu absolvieren? a) Inwiefern besteht für Geduldete in Niedersachsen die Möglichkeit, ein Praktikum zu ab- solvieren? b) Inwiefern können Flüchtlinge in Niedersachsen mit Aufenthaltsgestattung ein Praktikum absolvieren? 2. Inwiefern ist es für Asylsuchende in Niedersachsen möglich, eine Berufsausbildung zu begin- nen? a) Inwiefern besteht für Geduldete in Niedersachsen die Möglichkeit, eine Berufsausbildung zu beginnen? b) Inwiefern können Flüchtlinge mit Aufenthaltsgestattung in Niedersachsen eine Berufs- ausbildung beginnen? (An die Staatskanzlei übersandt am 03.02.2015) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 27.02.2015 für Inneres und Sport - 61.21-12230/ 10-75 - Die Landesregierung teilt die Auffassung, dass Asylbewerberinnen und -bewerbern sowie gedulde- ten Ausländerinnen und Ausländern der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt weitestgehend und frühzeitig ermöglicht werden sollte. Daher begrüßt die Landesregierung ausdrücklich, dass die bundesrechtlichen Rahmenbedingungen des Arbeitsmarktzugangs für diesen Personenkreis in den letzten eineinhalb Jahren deutlich verbessert worden sind. Beispielhaft wird auf folgende Maßnahmen verwiesen: – Mit der am 01.07.2013 in Kraft getretenen Neufassung der Beschäftigungsverordnung (BeschV) ist bei Asylbewerberinnen und -bewerbern sowie bei Geduldeten die Aufnahme einer Berufs- ausbildung ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit möglich; zudem ist nach vierjähri- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3066 2 gem ununterbrochenen Aufenthalt das Zustimmungserfordernis für die Erteilung einer Beschäf- tigungserlaubnis generell hinfällig geworden (§ 32 Abs. 2 bis 4 BeschV). – Mit dem am 06.09.2013 in Kraft getretenen „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU“ wurde das für Asylbewerberinnen und -bewerber geltende Beschäftigungsverbot von zwölf auf neun Monate verkürzt (§ 61 Abs. 2 Asylverfahrensgesetz - AsylVfG). – Mit dem am 06.11.2014 in Kraft getretenen „Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten und zur Erleichterung des Arbeitsmarktzugangs für Asylbewerber und gedul- dete Ausländer“ wurde das für Asylbewerberinnen und -bewerber geltende Beschäftigungsver- bot von neun auf drei Monate und für Geduldete von einem Jahr auf drei Monate verkürzt (§ 61 Abs. 2 AsylVfG, § 32 Abs. 1 BeschV). – Mit der am 11.11.2014 in Kraft getretenen (und am 10.11.2017 außer Kraft tretenden) Änderung der BeschV entfiel die im Rahmen des Zustimmungsverfahrens der Bundesagentur für Arbeit erforderliche Vorrangprüfung (Prüfung, ob für den Arbeitsplatz deutsche oder bevorrechtigte ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Verfügung stehen) für diesen Perso- nenkreis nach 15-monatigem Aufenthalt sowie dann von Anfang an, wenn sie nach § 32 Abs. 5 in Verbindung mit § 2 Abs. 2, § 6 und § 8 BeschV – eine akademische Beschäftigung in einem sogenannten Mangelberuf ausüben und ein Jah- resgehalt von mindestens 37 752 Euro erhalten, – einen Mangelberuf, der eine qualifizierte Berufsausbildung voraussetzt, ausüben oder – praktische Tätigkeiten als Voraussetzung für die Anerkennung ausländischer Berufsqualifi- kationen ausüben. Der aufenthaltsrechtliche Zugang von Ausländerinnen und Ausländern aus Nicht-EU-Staaten zum deutschen Arbeitsmarkt wird über Nebenbestimmungen gesteuert, die gegebenenfalls zu dem Auf- enthaltstitel, der Aufenthaltsgestattung oder der Duldung zu erteilen sind. Soweit die Beschäftigung nicht bereits per Gesetz erlaubt ist oder nach den Festlegungen in der BeschV nicht der Zustim- mung der Bundesagentur für Arbeit bedarf, erfolgt eine Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit durch die Ausländerbehörde in einem behördeninternen Verfahren, bei dem lediglich ein Verwal- tungsakt ergeht („One-stop-government“). Generell hängt die Frage, ob Ausländerinnen und Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung ermöglicht werden kann, von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status ab: – Soweit sie ein Asylverfahren in Deutschland betreiben, ist ihr Aufenthalt kraft Gesetz für die Dauer des Asylverfahrens gestattet (Aufenthaltsgestattung, § 55 AsylVfG). Nach dreimonatigem Aufenthalt kann seitens der Ausländerbehörde die Ausübung einer Beschäftigung mit vorheriger Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erlaubt werden (§ 61 Abs. 2 AsylVfG). In bestimmten Fällen, beispielweise bei Aufnahme einer Berufsausbildung, ist die Zustimmung der Bunde- sagentur nicht erforderlich (§ 32 Abs. 2 und 4 BeschV). Nach 15-monatigem Aufenthalt entfällt die Vorrangprüfung bei der Bundesanstalt für Arbeit, die grundsätzlich innerhalb des Zustim- mungsverfahrens vorzunehmen ist (§ 32 Abs. 5 BeschV); nach insgesamt vierjährigem Aufent- halt entfällt diese Zustimmungspflicht insgesamt (§ 32 Abs. 3 und 4 BeschV). – Soweit Ausländerinnen und Ausländer im Besitz einer Duldung sind, gelten die für Inhaberinnen und Inhaber einer Aufenthaltsgestattung dargestellten Regelungen entsprechend mit der Aus- nahme, dass eine Berufsausbildung und andere nicht der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedürfende Beschäftigungen ohne zeitlichen Mindestaufenthalt erlaubt werden können (§ 32 Abs. 1 BeschV). Die niedersächsischen Ausländerbehörden sind im Rahmen der letzten, jährlich stattfindenden Dienstbesprechung mit dem Ministerium für Inneres und Sport angehalten worden, bei den zur Aufenthaltsgestattung oder Duldung verfügten Nebenbestimmungen hinsichtlich des Arbeitsmarkt- zugangs im Regelfall folgende standardisierten Auflagen zu verwenden: – Nach dreimonatigem Aufenthalt: „Beschäftigung nur mit Genehmigung der Ausländerbehörde gestattet“ Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3066 3 – Nach vierjährigem Aufenthalt: „Beschäftigung gestattet“ Die Ergebnisse dieser Dienstbesprechungen haben Erlasscharakter. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Die unter den Ziffern 1 und 1 b beschriebenen Personenkreise sind identisch, da es sich bei Inha- berinnen und Inhabern von Aufenthaltsgestattungen um Asylbewerberinnen und Asylbewerber handelt. Da die nachfolgenden Ausführungen auch für Geduldete gelten, ist von einer separaten Beantwortung der Frage in Ziffer 1 a abgesehen worden. Die Durchführung eines Praktikums, das – vorgeschriebener Bestandteil einer schulischen Ausbildung oder eines Studiums ist oder zur Er- reichung des Ausbildungszieles nachweislich erforderlich ist oder – im Rahmen eines von der Europäischen Union oder der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit finanziell gefördert wird, bedarf nicht der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit (§ 32 Abs. 2, § 15 Nr. 1 und 2 BeschV). In diesen Fällen kann die Ausländerbehörde die Beschäftigung durch eine entsprechende Ände- rung der zur Aufenthaltsgestattung oder Duldung erteilen Nebenbestimmung zulassen. Alle übrigen Praktika bedürfen der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Diese Situation wurde sowohl seitens der kommunalen Ausländerbehörden wie auch seitens des Ministeriums für Inneres und Sport als unbefriedigend empfunden, da Angehörige dieser Perso- nenkreise in aller Regel nicht ein „qualifiziertes“ Praktikum, sondern ein erstes „Hineinschnuppern“ in Arbeitsabläufe überhaupt nachfragen. Daher wurde seitens des Ministeriums für Inneres und Sport eine gleichermaßen unbürokratische wie praktikable Auslegung dergestalt favorisiert, dass ein unentgeltliches und zeitlich befristetes Praktikum nicht als Beschäftigung im aufenthaltsrechtli- chen Sinne (§ 2 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz in Verbindung mit § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch) angesehen wird und deswegen auch weder einer Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit noch einer Entscheidung der Ausländerbehörde bedarf. Vor dem Hintergrund der in Einzelfällen bekannt gewordenen Entscheidungspraxis der Bundes- agentur für Arbeit, unentgeltliche Praktika schon deswegen als nicht zustimmungsfähig anzusehen, weil sie nach deren Auffassung keine „richtigen“ Praktika seien, trat das Ministerium für Inneres uns Sport an den Bund mit der Bitte um Klärung heran. Das Bundesministerium des Innern teilt hierzu in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Ar- beit und Soziales mit, dass der Begriff „Praktikum“ ein umgangssprachlicher Begriff sei, der für die verschiedensten Fallkonstellationen verwandt werde. Eine pauschale Aussage, ob ein Praktikum eine Beschäftigung nach § 7 Viertes Sozialgesetzbuch und damit eine Beschäftigung im aufent- haltsrechtlichen Sinne darstelle, könne daher nicht getroffen werden. Ob es sich um eine abhängi- ge Beschäftigung handelt, hänge insbesondere von der Weisungsabhängigkeit und der Eingliede- rung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers ab. Daher dürfte - so das Bundesministerium des Innern weiter - eine Hospitation, wie sie in der Dienst- anweisung der Bundesagentur für Arbeit beschrieben werde, regelmäßig eher keine abhängige Be- schäftigung im Sinne des § 7 Viertes Sozialgesetzbuch darstellen, da es dort insbesondere an der Eingliederung in den Betrieb fehle und auch das Weisungsverhältnis bei einem vorübergehenden, kurzfristigen „Hereinschnuppern“ nicht besonders ausgeprägt sein dürfte. Jedoch bedürfe es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts einer Gesamtbetrachtung des Einzelfalls. Maßge- bend seien dabei immer die tatsächlichen Verhältnisse. Vor diesem Hintergrund könne die Einschätzung des Ministeriums für Inneres und Sport, ein un- entgeltliches und zeitlich befristetes Praktikum stelle keine Beschäftigung im aufenthaltsrechtlichen Sinne dar, so nicht geteilt werden. Da jeder Einzelfall anders sein könne und eine generelle Bewer- tung nicht möglich sei, werde es für einen gangbaren Weg gehalten, die Bundesagentur für Arbeit Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3066 4 in Zweifelsfällen zu beteiligen, damit die Merkmale für das Vorliegen einer Beschäftigung dort ge- prüft werden könnten. Das Ministerium für Inneres und Sport hat die niedersächsischen Ausländerbehörden am 19.11.2014 per E-Mail auf diese Rechtsauffassung hingewiesen und ergänzend ausgeführt, dass „keine Bedenken (bestehen), ein umgangssprachlich als Praktikum bezeichnetes ‚Hereinschnup- pern‘ in Arbeitsabläufe aufenthaltsrechtlich als Hospitation und damit nicht als Beschäftigung im aufenthaltsrechtlichen Sinne zu behandeln“ und die Bundesagentur für Arbeit in Zweifelsfällen beteiligt werden kann. Soweit es sich bei einem Praktikum nicht um eine Beschäftigung im aufenthaltsrechtlichen Sinne handeln sollte, kann dieses jederzeit aufgenommen werden, ohne dass es einer besonderen Er- laubnis o. Ä. bedarf. Kommt die Ausländerbehörde, gegebenenfalls nach Beteiligung der Bunde- sagentur für Arbeit, zu dem gegenteiligen Ergebnis, ist deren Zustimmung einzuholen. Sollte diese versagt werden, darf das gewünschte Praktikum seitens der Ausländerbehörde nicht erlaubt wer- den. Zu 2 und 2 b: Die unter den Ziffern 2 und 2 b beschriebenen Personenkreise sind identisch, da es sich bei Inha- berinnen und Inhabern von Aufenthaltsgestattungen um Asylbewerberinnen und Asylbewerber handelt. Ihnen kann nach dreimonatigem Aufenthalt die Aufnahme einer Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf seitens der Ausländerbehörde durch eine entsprechende Ausgestaltung der zur Aufenthaltsgestattung verfügen Nebenbestimmungen erlaubt werden; auf die Vorbemerkungen wird insoweit verwiesen. Eine Beteiligung und Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist nicht erforderlich. Zu 2 a: Geduldeten Ausländerinnen und Ausländern kann die Aufnahme einer Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf seitens der Ausländerbehör- de ohne Einhaltung einer Wartefrist durch eine entsprechende Ausgestaltung der zur Duldung ver- fügten Nebenbestimmungen erlaubt werden; auf die Vorbemerkungen wird insoweit verwiesen. Eine Beteiligung und Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit ist nicht erforderlich. Boris Pistorius (Ausgegeben am 09.03.2015) Drucksache 17/3066 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2828 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen (FDP), eingegangen am 26.01.2015 Praktika und Berufsausbildungen für Zugewanderte Antwort der Landesregierung