Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3086 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2382 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Marco Brunotte (SPD), eingegangen am 19.11.2014 Hooligans in Niedersachsen Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze registriert bundesweit Fußball-Gewalttäter in der Da- tei „Gewalttäter Sport“. Diese Datei wird vom Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW ge- führt. Seit 1994 gibt es die Datei, in der mit Stand 09.03.2012 insgesamt 13 032 Personen gespei- chert waren. In der Speicherung wird nach Kategorie B (bei Gelegenheit gewaltneigend) und Kategorie C (zur Gewalt entschlossen) unterschieden. Eine Speicherung wird vorgenommen, wenn im Zusammen- hang mit einer Sportveranstaltung nach einem definierten Katalog an Straftaten ein Ermittlungsver- fahren eingeleitet oder eine rechtskräftige Verurteilung vorgenommen wird. Unter Kenntnis dieser Umstände frage ich die Landesregierung: 1. Wie viele Fans der Kategorie B (gewaltbereite/-geneigte Personen) aus Niedersachsen sind der Landesregierung bekannt (bitte getrennt nach Vereinen aufschlüsseln)? 2. Wie viele Fans der Kategorie C (gewaltsuchende Personen) aus Niedersachsen sind der Landesregierung bekannt (bitte getrennt nach Vereinen aufschlüsseln)? 3. Welche Vorkommnisse mit der Hooligan-Szene in Niedersachsen seit dem Jahr 2008 sind der Landesregierung bekannt? 4. Wie beurteilt die Landesregierung die Entwicklung der Hooligan-Szene? 5. Mit welchen Maßnahmen begegnet die Landesregierung der Hooligan-Szene? 6. Wie stärkt die Landesregierung friedliche Fankultur in den Fußballstadien? 7. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Verdrängung von zivilcouragierten Ult- ras, die sich gegen rechte Tendenzen in den Stadien engagieren? 8. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung über personelle Verbindungen der Hooli- gan-Szene und der rechtsextremen Szene in Niedersachsen vor? 9. Gab es in Niedersachsen gemeinsame Aktionen von Hooligans und Rechtsextremisten? 10. Wie beurteilt die Landesregierung die bundesweite Kritik an der Zentraldatei „Gewalttäter Sport“? Es wird von Kritikern angeführt, dass die Datei ein Mittel der Repression mit weitre i- chenden Folgen (Stadionverbote, Ausreiseverbote) sei, und die „Arbeitsgemeinschaft Fanan- wälte“ spekuliert, dass die Datei einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht standhalten werde. Das Verwaltungsgericht Hannover stellte mit Urteil vom 22.05.2008 fest, dass für die Eintragung in die Zentraldatei die Rechtsgrundlage fehle. (An die Staatskanzlei übersandt am 26.11.2014) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3086 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 04.03.2015 für Inneres und Sport - 24.16-12310/5-12276/14 - Der Führung der Verbunddatei „Gewalttäter Sport“ liegt die Errichtungsanordnung des Bundeskri- minalamts vom 13.06.2013 zugrunde. Insoweit wird die Datei „Gewalttäter Sport“ nicht bei dem Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste in Nordrhein-Westfalen geführt. Verbunddateien sind vom Bundeskriminalamt als Zentralstelle für den elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern geführte Dateien des polizeilichen Informationssystems, wobei die jeweils von den Län- dern in eigener Zuständigkeit gewonnenen Daten dezentral und unmittelbar in das Verbundsystem eingegeben und diese Daten im System für alle Verbundteilnehmer zum Abruf bereitgehalten wer- den. Die Datei „Gewalttäter Sport“ dient der Verhinderung gewalttätiger Auseinandersetzungen und sonstiger Straftaten im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen, insbesondere Fußballspielen, durch eine recherchefähige Erfassung bestimmter aufgeführter Anlässe. Speichergründe sind ne- ben den katalogisierten Straftaten u. a. auch polizeirechtliche Maßnahmen zur Verhinderung von anlassbezogenen Straftaten. Eine Erfassung der Kategorie B (gewaltbereit/-geneigt) bzw. C (Ge- walt suchend) zur Person ist nicht Bestandteil der laut Errichtungsanordnung zulässigen personen- bezogenen Daten. Eine Zuordnung von Anhängern der jeweiligen Vereine zu den Kategorien B bzw. C erfolgt im Rahmen des standardisierten Informationsaustausches Fußball durch die zuständigen Polizei- dienststellen. Die Szenenbeschreibungen und -zusammensetzungen werden in den sogenannten vereinsbezogenen Informationspaketen gesammelt. Darüber hinaus werden diese Informationen in den spieltagsbezogenen Informationsübermittlungen innerhalb der Polizeien der Länder und des Bundes vor und nach den Spielen verwendet. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1 und 2: Von den niedersächsischen Polizeidirektionen werden in den jeweiligen Anhängerschaften der nie- dersächsischen Fußballvereine derzeit ca. 1 500 Personen in die Kategorie B bzw. Kategorie C eingeordnet. Davon entfallen auf die Vereine: Kategorie B Kategorie C gesamt Hannover 96 250 200 450 VfL Wolfsburg 100 40 140 Eintracht Braunschweig 300 140 440 VfL Osnabrück 120 60 180 Goslarer SC 08 7 0 7 TSV Havelse 5 0 5 SV Meppen 100 10 110 VfB Oldenburg 60 40 100 SV Wilhelmshaven 8 6 14 1. SC Göttingen 05 35 8 43 TuS Celle 10 0 10 BSV Kickers Emden 20 0 20 gesamt 1 015 504 1 519 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3086 3 Zu 3: Im Zusammenhang mit den aufgeführten Vorkommnissen kann eine eindeutige Differenzierung zwischen Hooligans und anderen gewaltbereiten Personen in Reihen der Anhängerschaften von Fußballvereinen nicht vorgenommen werden. Im Folgenden werden die Vorfälle dargestellt, die von den niedersächsischen Polizeidirektionen als sogenanntes hooligantypisches Verhalten bezeichnet werden: 25.04.2009 Bundesliga, Hannover 96 - 1. FC Köln Körperliche Auseinandersetzungen zwischen jeweils zehn Personen aus Hannover und Köln. 09.11.2009 Regionalliga, SV Babelsberg - Hannover 96 II Auf der Rückreise wurde der u. a. von ca. 110 Hannoveraner Fans genutzte Zug am Haltepunkt Weddel angegriffen. Die zum Teil mit Eisenstangen bewaffneten Braunschweiger Gewalttäter setzten Pyrotechnik ein, zerschlugen mit Steinen die Scheiben der Wagons und warfen Böller in die Zugabteile. Durch diesen Angriff wurden auch unbeteiligte Zugreisende verletzt. 13.02.2010 Bundesliga, Hannover 96 - SV Werder Bremen Polizeiliche Maßnahmen verhindern eine geplante Auseinandersetzung zwischen jeweils 60 Personen aus Hannover sowie aus Bremen und Essen. 01.10.2010 Bundesliga, Hannover 96 - FC St. Pauli Verstärkte polizeiliche Präsenz verhindert weitere Aktionen von 30 Personen nach Anlegen von Vermummungen im Nahbereich von auswärtigen Anhängern. 09.04.2011 Bundesliga, Hannover 96 - 1. FSV Mainz 05 Kurz vor der Ankunft zahlreicher Personen einer gewaltbereiten Gruppierung aus Mainz werden im Nahbereich des Hauptbahnhofs Hannover 43 heimische Anhänger festgestellt. Durch starke Polizeipräsenz kommt es zu keinen Vorkommnissen. 15.09.2011 Europa League, Hannover 96 - Standard Lüttich Polizeiliche Präsenz verhindert eine offensichtlich in Stadionnähe geplante Auseinandersetzung von ca. 100 gewaltbereiten Personen mit auswärtigen Gleichgesinnten . 16.02.2012 Europa League, Hannover 96 - FC Brügge Aufklärungsmaßnahmen ergeben Hinweise auf eine Drittortauseinandersetzung zwischen ca. 50 Hooligans aus Brügge und heimischen Anhängern im Bereich Steintor sowie einen geplanten Angriff heimischer Gewalttäter auf den Fanmarsch der auswärtigen Anhänger. Dieses wird durch Polizeikräfte verhindert, dabei kommt es zum Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray. 18.03.2012 Bundesliga, Hannover 96 - 1. FC Köln Durch Aufklärungsmaßnahmen wird bekannt, dass hannoversche Gewalttäter eine Verabredung zu einer Drittortauseinandersetzung mit Gleichgesinnten aus Köln suchen . Daraufhin werden zwei Reisebusse mit Kölner Anhängern nach der Abfahrt von der BAB 7 im Bereich Hannover durchsucht. Es werden Mundschutzutensilien, Pfefferspray, Messer und diverse, teilweise bereits unter der Kleidung getragene, Leibchen aufgefunden. Nach Verfügung eines Aufenthaltsverbotes werden die Busse durch Polizeikräfte nach Köln begleitet. 05.05.2012 Bundesliga, Hannover 96 - 1. FC Kaiserslautern Vor Spielbeginn wird in der Eilenriede eine größere Personengruppe festgestellt. Dabei handelt es sich um jeweils ca. 20 Personen aus Hannover und Kaiserslautern , die offensichtlich eine körperliche Auseinandersetzung austragen wollen. Eintreffende Polizeikräfte nehmen 25 Personen in Gewahrsam. 19.05.2013 2. Bundesliga, Eintracht Braunschweig - FSV Frankfurt Im Anschluss an den letzten Spieltag der 2. Fußballbundesliga der Saison 2012/ 2013 am 19. Mai 2013 kam es in der Innenstadt zu einer spontanen Aufstiegsfeier. Vor einer Gaststätte versammelten sich etwa 300 heimische Personen, von denen später ca. 50 bis 60 die Außenbestuhlung eines angrenzenden Eiscafés zerstörten. Einschreitende Polizeikräfte wurden sofort angegriffen und massiv mit Gegenständen beworfen, am Boden liegende Polizeibeamte wurden geschlagen und getreten. 29 Polizeibeamte wurden infolge dieses Vorfalls zum Teil schwer verletzt. Insgesamt wurden gegen 44 zum Teil der Hooliganszene zuzurechnenden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3086 4 08.11.2013 Bundesliga, Hannover 96 - Eintracht Braunschweig Ansammlungen einer großen Anzahl von gewaltbereiten Anhängern im Bereich der hannoverschen Innenstadt und an den Stadioneingängen mit diversen gezielten Angriffen auf Sicherheitskräfte. Zu 4: Die Landesregierung verurteilt jede Form von Gewalt im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen. Insgesamt spielen die Hooligan-Szene als auch andere Gruppierungen gewaltbereiter Fußballan- hänger eine traurige Nebenrolle, deren Auswirkungen jedoch im Fokus der Öffentlichkeit stehen und entsprechend wahrgenommen werden. Ihr Anteil an den Besucherinnen und Besuchern von Fußballspielen bleibt mehr als gering. Sie sind in der Gesellschaft weder akzeptiert noch haben sie einen zunehmenden Einfluss auf die friedliche Fankultur nehmen können. Mit den in verschiedenen Städten unter dem Namen „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) durchgeführten Versammlungen hat die sich sonst selbst als unpolitisch verstehende Hooligansze- ne erstmals öffentlich wahrnehmbar anlässlich eines politischen Themas deutschlandweit mobili- siert. Zu 5: Maßnahmen gegen Gewalt im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen beziehen sich auf alle Personen, die durch entsprechendes Verhalten auffällig werden. Das Vorgehen ist nicht abhängig von einer Kategorisierung oder Bezeichnung, es orientiert sich vielmehr an den jeweiligen Erschei- nungsformen. Zu 6: Niedersachsen sieht in einem regelmäßigen und verlässlichen Dialog mit den Fußballfans einen wesentlichen Beitrag für die Stärkung der friedlichen Fankultur in Deutschland und zur Ächtung von Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen. Mit einer Auftaktveranstaltung am 5. August 2013 in Barsinghausen startete die Landesregierung gemeinsam mit dem Niedersächsischen Fußballverband mit der Kampagne „Gemeinsam FAIR - Für eine friedliche Fankultur“ ein umfangreiches mittel- bis längerfristiges Projekt mit dem Ziel der Verstärkung des Dialoges mit den Fans und zur Förderung einer friedlichen Fankultur. Unter dem Motto „Fußball - Emotionen und Leidenschaft - Kein Platz für Gewalt“ unterstützen neben der Kompetenzgruppe „Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit“ (KoFaS) der Deutsche Fußball- Bund, die Deutsche Fußballliga, der Landessportbund Niedersachsen e. V., die Gewerkschaft der Polizei Niedersachsen und alle niedersächsischen Vereine der Bundesligen bis zur Regionalliga Nord aktiv diese Kampagne. Die Unterstützung reicht von der Durchführung von Veranstaltungen bis zu den Präsentationen der Kampagne bei Fußballspielen in den niedersächsischen Spielstät- ten. In Zusammenarbeit mit bei Fußballspielen eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamten, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fanprojekte und der Vereine sowie Fans aller Vereine wer- den die Faktoren für negative Einflüsse und deren Auswirkungen im Zusammenhang mit Fußball- spielen untersucht und ausgewertet, um diese anschließend mit gezielten Projekten zu verändern. Dazu fanden im vergangenen Jahr unter wissenschaftlicher Begleitung der KoFaS verschiedene Workshops mit Vertretern der niedersächsischen Fanprojekte, mit den Fanbeauftragten der Vereine der Bundesligen und der 3. Liga in Niedersachsen sowie eine Fachtagung „Fankulturen - Ein poli- zeiinterner Dialog“ statt. Weitere Veranstaltungen befinden sich in Planung bzw. in Vorbereitung. Zu 7: Über eine Verdrängung von zivilcouragierten Ultras, die sich gegen rechte Tendenzen in den Sta- dien engagieren, liegen den niedersächsischen Polizeibehörden keine Erkenntnisse vor. Vielmehr berichten diese über aktive Fanszenen, die für ein offenes Weltbild und gegen Fremdenhass und Ausgrenzung eintreten. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3086 5 Zu 8: Die Kontakte zwischen Hooligans und Rechtsextremisten ergaben sich in erster Linie aus persönli- chen Beziehungen bzw. Kennverhältnissen, die u. a. aus gemeinsamen Stadionbesuchen resultie- ren. Darüber hinausgehende strukturelle Verbindungen beider Personengruppen sind den Sicher- heitsbehörden nicht bekannt. Zu 9: An der Versammlung der HoGeSa am 15. November in Hannover und deren Organisation waren sowohl Rechtsextremisten als auch Hooligans beteiligt. Die ca. 3 200 Versammlungsteilnehmerin- nen und -teilnehmer setzten sich nach polizeilichen Feststellungen aus jeweils ca. 45 % Hooligans und Angehörigen der rechten Szene sowie zu 10 % aus nicht zuzuordnenden Personen zusam- men. Zu 10: Der Landesregierung liegen keine Informationen vor, die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Datei „Gewalttäter Sport“ begründen. Die Urteile des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2008 und des Verwaltungsgerichts Hannover vom 22. Mai 2008 zur Rechtmäßigkeit der Datei „Gewalttäter Sport“ wurden bereits am 9. Juni 2010 durch das Bundesverwaltungsgericht aufgehoben. Darüber hinaus sind anhängige Verfahren auch im Hinblick auf die Verfassungsmä- ßigkeit der Datei nicht bekannt. Boris Pistorius (Ausgegeben am 10.03.2015) Drucksache 17/3086 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2382 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Marco Brunotte (SPD), eingegangen am 19.11.2014 Hooligans in Niedersachsen Antwort der Landesregierung