Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3172 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2178 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Helge Limburg, Filiz Polat, Meta Janssen-Kucz und Julia Willie Hamburg (GRÜNE), eingegangen am 10.10.2014 Proteste gegen und Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Niedersachsen Im letzten Jahr machten die Proteste von Anwohnerinnen und Anwohnern gegen ein Flüchtlings- heim in Berlin-Hellersdorf bundesweit Schlagzeilen. Auch in diesem Jahr kam es bundesweit immer wieder zu Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte. So gab es laut Pro Asyl und der Amadeu-Anto- nio-Stiftung bundesweit bisher 18 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und 155 flüchtlings- feindliche Kundgebungen (http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/anschlaege-uebergriffe- und-hetzveranstaltungen-gegen-fluechtlinge-nehmen-zu/). Insgesamt wurden nach Angaben der Bundesregierung dieses Jahr bereits fast 60 politisch motivierte Straftaten im Umfeld von Flücht- lingsunterkünften begangen (siehe BT-Drucksachen 18/1593 und 18/2284). Auch in Niedersachsen kam es zu Angriffen auf Flüchtlinge und Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte („Rechtsradikale stören Nachbar-Treffen für Flüchtlingsheime“, Hamburger Abendblatt, 12.02.2014; „Zwei Sudanesi- sche Asylbewerber geschlagen und getreten“, kreiszeitung.de, 08.06.2014; „Brandstiftung in Neubau für Asylbewerberheim“, HAZ, 26.08.2014). Parteien wie die NPD oder andere rechtsradikale Gruppierungen nutzen und instrumentalisieren dabei oftmals vorhandene Proteste gegen Flücht- lingsunterkünfte oder gründen selbst Bürgerinitiativen, um so ihren ausländerfeindlichen Aktivitäten ein zivilgesellschaftliches Aussehen zu geben. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. An welchen Orten hat es nach Kenntnis der Landesregierung in den Jahren seit 2003 Protes- te gegen die Unterbringung von Flüchtlingen im Umfeld von geplanten oder schon bestehen- den Flüchtlingsunterkünften oder Wohnungen, in denen Flüchtlinge untergebracht wurden, gegeben (bitte nach Orten und Datum sowie Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf- listen)? 2. In welchen der unter Frage 1 genannten Fälle geht die Landesregierung davon aus, dass die Proteste maßgeblich von der NPD bzw. von Kameradschaften oder anderen rechtsradikalen Gruppen oder Organisationen initiiert, gesteuert oder unterstützt wurden (bitte angeben, wer jeweils initiierte, steuerte oder unterstützte)? 3. Zu wie vielen Straftaten kam es nach Kenntnis der Landesregierung im Zusammenhang mit den unter Frage 1 genannten Protesten, und wie viele davon fallen nach Einschätzung der Si- cherheitsbehörden in den Bereich der politisch motivierten Kriminalität -rechts- (PMK-rechts) (bitte nach Deliktgruppen angeben)? 4. a) Zu wie vielen Überfällen, Anschlägen, Sachbeschädigungen, tätlichen Angriffen auf aa) Flüchtlingsunterkünfte oder von Flüchtlingen bewohnte Wohnungen, bb) geplante bzw. im Bau befindliche Flüchtlingsunterkünfte kam es nach Kenntnis der Landesregierung jeweils in den Jahren seit 2003 (bitte nach Orten und Datum auflisten)? b) Wie viele davon fallen nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden in den Bereich der PMK-rechts? c) Welche Delikte wurden dabei jeweils begangen (bitte möglichst genau unter Angabe verwendeter Waffen oder Gegenstände bzw. direkter körperlicher Tätlichkeiten oder ver- baler Bedrohungen anführen)? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3172 2 d) Welche Angaben kann die Landesregierung jeweils zur Zahl der beteiligten mutmaßli- chen Täterinnen und Täter machen? e) Welche Angaben kann die Landesregierung jeweils zur Zahl der dabei verletzten Perso- nen (bitte zumindest nach Flüchtlingen und anderen untergliedern) sowie zur Art der Verletzungen machen? (An die Staatskanzlei übersandt am 16.10.2014) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 10.03.2015 für Inneres und Sport - 23.22-01425/2-2014 - Nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) wurde bundesweit im Jahr 2001 ein einheitlicher Kriminalpolizeilicher Meldedienst - Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) eingeführt, um eine bundeseinheitliche und differenzierte Aus- wertung und Lagedarstellung zu ermöglichen. Dem Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität -rechts- werden danach Straftaten zu- geordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhalts- punkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung einer „rechten“ Orientierung zuzu- rechnen sind. Dies trifft insbesondere auf Delikte zu, bei denen Bezüge zu völkischem Nationalis- mus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren. Zum 01.01.2014 wurde eine Änderung des Themenfeldkataloges des KPMD-PMK vorgenommen. Das Unterthema „gegen Asylunterkünfte“, zu denen jede Art der Unterkunft als direktes Angriffsziel zählt, wurde eingeführt, um einen besseren bundesweiten Lageüberblick über Angriffe auf Asylun- terkünfte zu erhalten. Mit dieser Änderung können daher alle „Angriffe auf Asylunterkünfte“, denen entweder eine politische Motivation zugrunde liegt oder bei denen eine politische Motivation nicht ausgeschlossen werden kann, erfasst und ausgewertet werden. Im Zeitraum zuvor erfolgte keine systematische Erfassung solcher Angriffe. Aus diesem Grund be- durfte es zur Beantwortung der Anfrage umfangreicher Auswertungen und Recherchen, bei denen eine weite Auslegung des Begriffs der „Flüchtlingsunterkunft“ vorgenommen wurde. Einbezogen wurden bestehende, im Bau befindliche sowie geplante Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsun- terkünfte und Wohnungen Asylbegehrender, Asylberechtigter, Personen mit Flüchtlingsschutz und hinsichtlich der Beantwortung der Frage 4 auch Angriffe auf genannte Personen innerhalb dieser Unterkünfte (mit Ausnahme von Konflikten der Bewohner untereinander). Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage auf Grundlage der Berichterstattung des Landes- kriminalamts Niedersachsen namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1 bis 3: Die Fragen 1 bis 3 werden wegen ihres Sachzusammenhanges gemeinsam beantwortet. Dabei wird in Abgrenzung zu Frage 4 der Begriff „Proteste“ auf versammlungsrechtliche Aktionen im Sin- ne des Versammlungsgesetzes eingegrenzt. Strafrechtliche relevante Vorfälle ohne versammlungs- rechtlichen Bezug werden unter Frage 4 aufgeführt. Angesichts der erst seit dem Jahr 2014 möglichen Erfassung und Auswertung von Straftaten „ge- gen Asylunterkünfte“ wurden zur Recherche nach im Sinne des KPMD-PMK -rechts- movierten „Protesten“ verschiedene Behelfsabfragen im polizeilichen Auskunftssystem NIVADIS Auswertung für den Zeitraum 01.01.2003 bis 10.10.2014 durchgeführt. Hierbei konnten keine entsprechenden „Proteste“ festgestellt werden. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3172 3 Im Rahmen einer vom Landeskriminalamt in diesem Zusammenhang erfolgten Anfrage bei den niedersächsischen Polizeibehörden konnten ebenfalls keine „Proteste“ gegen die Unterbringung von Flüchtlingen erhoben werden. Dementsprechend liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse über „Proteste“ gegen die Unterbringung von Flüchtlingen, gleich welcher Art, mit Beteiligung, Initiierung, Steuerung oder Unter- stützung von rechtsextremistischen Personen, Gruppen, Organisationen oder Parteien im Umfeld von entsprechenden Unterkünften vor. „Proteste“ gegen die Unterbringung von Flüchtlingen ohne staatsschutzpolizeiliche Relevanz, d. h. beispielsweise ohne die Teilnahme von Personen der rechtsextremistischen Szene oder der Ver- übung politisch motivierter Straftaten, sind in dem polizeilichen Vorgangsverarbeitungssystem nicht auswertbar. Zu 4: Im Betrachtungszeitraum 01.01.2003 bis 10.10.2014 wurden 12 strafrechtlich relevante Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Niedersachsen registriert. In zehn Fällen waren bestehende und in zwei Fällen im Bau befindliche Unterkünfte bzw. deren Bewohner (laufende Nummern 10 und 11 der Tabelle) betroffen. Sechs der zwölf Taten wurden als politisch motiviert eingestuft. Hiervon wurden vier Taten dem Phänomenbereich PMK -rechts- zugeordnet. Neben einer Tat wegen gefährlicher Köperverletzung und zwei Brandstiftungen wurden insgesamt neun Sachbeschädigungen verübt, wovon eine in Tateinheit mit einer Volksverhetzung und drei in Tateinheit mit dem Verwenden verfassungswidriger Organisationen begangen wurden. Zu fünf Taten konnten insgesamt sieben Tatverdächtige ermittelt werden. Bei der gefährlichen Körperverletzung erlitt ein Asylsuchender eine Platzwunde sowie eine Prellung am Fuß. Boris Pistorius Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3172 4 Anlage (Ausgegeben am 23.03.2015) Drucksache 17/3172 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2178 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Belit Onay, Helge Limburg, Filiz Polat, Meta Janssen-Kucz und Julia Willie Hamburg (GRÜNE), eingegangen am 10.10.2014 Proteste gegen und Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Niedersachsen Antwort der Landesregierung