Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3313 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3144 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Marco Brunotte (SPD), eingegangen am 11.03.2015 Verteilung von Geldbußen in Niedersachsen - Transparenz oder Willkür? Jährlich werden in Deutschland zwischen 100 und 200 Millionen Euro an Bußgeldern durch die Justiz verteilt. Viele Vereine und Organisationen sind zur verlässlichen Aufgabenerfüllung auf die kontinuierliche Zuweisung dieser Mittel angewiesen. Transparency International kritisierte wieder- holt, dass bei Entscheidungen zur Verteilung von Geldbußen individuelle Nähen zu bestimmten Or- ganisationen die Vergabe beeinflussen könnten. Auch die Frage der grundsätzlichen Verteilungs- gerechtigkeit wird diskutiert. Am 15. August 1972 hat der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg nach Vergabeskandalen beschlossen, den Gerichten und Staatsanwaltschaften ein Sammelfondsverfahren für Bußgelder zur Verfügung zu stellen. Die Behörde für Justiz und Gleichstellung hat hierfür zehn Fördergebiete definiert: Straffälligen- und Bewährungshilfe, allgemeine Jugendhilfe, Hilfe für das behinderte Kind, Hilfe für Gesundheitsgeschädigte, Hilfe für Suchtgeschädigte, allgemeine Sozial- und Hinterbliebe- nenhilfe, Wissenschaft, Bildung, Kunst, Verkehrserziehung und Verkehrssicherheit, Natur- und Umweltschutz, Hilfe für Opfer von Straftaten. Über Verteilungsgremien werden zweimal jährlich diese Mittel ausgereicht. Diesen Gremien gehören je ein Richter, ein Staatsanwalt, ein Vertreter der Justizbehörde sowie ein beratendes Mitglied der Behörde für Arbeit, Soziales, Familien und In- tegration an. Im Einzelfall können Richter Direktzuweisungen an bestimmte Einrichtungen be- schließen. Im Jahr 2009 bezeichnete der Niedersächsische Landesrechnungshof in seinem Jahresbericht Richter u. a. wegen der Zuweisung von Geldauflagen als „gesteigert korruptionsgefährdet“. Der Landesrechnungshof schlug vor, dass bei Vergaben die Entscheidung begründet werden sollte. Dies wurde durch die damalige Landesregierung mit dem Verweis auf die richterliche Unabhängig- keit abgelehnt. Unter Kenntnis dieser Umstände frage ich die Landesregierung: 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über die Verteilung von Geldbußen in Nieder- sachsen? 2. Wie beurteilt die Landesregierung die Effektivität von Vergabesystemen für Geldauflagen wie z. B. in Hamburg? 3. Wie beurteilt die Landesregierung Geldbußen als verlässliche und notwendige Einnahmequel- le für Vereine und Organisationen? (An die Staatskanzlei übersandt am 17.03.2015) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Justizministerium Hannover, den 09.04.2015 - 4012 I – 404. 365 - Bußgelder aus Ordnungswidrigkeitenverfahren werden gemeinnützigen Einrichtungen nicht zuge- wiesen, da nach § 47 Abs. 3 OWiG die Einstellung des Verfahrens bei der Verfolgung von Ord- nungswidrigkeiten nicht von der Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3313 2 oder sonstige Stelle abhängig oder damit in Zusammenhang gebracht werden kann. Die Geldbu- ßen und die Nebenfolgen, die zu einer Geldzahlung verpflichten, fließen daher der Staatskasse zu. Geldauflagen zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung kommen in Ermittlungs- und Strafver- fahren im Falle der Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StPO, ferner als Bewährungsauflage gemäß § 56 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 59 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB oder in Gnadenverfahren in Betracht. Die Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind bei ihren Entscheidungen über die gemeinnützigen Empfänger der Zuweisungen von Geldauf- lagen frei. Das folgt für die Richterinnen und Richter schon aus ihrer verfassungsrechtlich gewähr- leisteten Unabhängigkeit, die jedwede Möglichkeit, auf die Verteilung der Gelder Einfluss zu neh- men, ausschließt. Häufig wird dabei von Richterinnen/Richtern und Staatsanwältinnen/Staatsanwälten aus Straf- zweckgesichtspunkten versucht, durch die Zuweisung an einen bestimmten Empfänger einen auf das Verfahren bezogenen Zweck zu verfolgen, in dem sie eine gemeinnützige Einrichtung beden- ken, deren Tätigkeitsgebiet einen inhaltlichen Zusammenhang zur Straftat, den Tatumständen oder den Beteiligten aufweist. Durch die tatbezogene Auswahl der gemeinnützigen Einrichtung findet nicht selten die gewünschte Auseinandersetzung des Täters mit seiner Tat statt, denn durch Geld- auflagen werden Straftäter wirkungsvoll an ihr begangenes Unrecht erinnert. Neben diesen spezialpräventiven Gesichtspunkten sollen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nach Nummer 93 Abs. 4 der bundeseinheitlichen Richtlinien für das Strafverfahren und das Buß- geldverfahren ferner beachten, dass bei der Auswahl des Zuwendungsempfängers insbesondere Einrichtungen der Opferhilfe, der Kinder- und Jugendhilfe, der Straffälligen- und Bewährungshilfe, der Gesundheits- und Suchthilfe sowie Einrichtungen zur Förderung von Sanktionsalternativen und Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen in angemessenem Umfang berücksichtigt werden. Hinter- grund dieser Regelung sind die Bedeutung der genannten Tätigkeitsfelder und die Wichtigkeit der in diesen justiznahen Bereichen tätigen gemeinnützigen Einrichtungen, die die Justiz bei der Erfül- lung ihrer Aufgaben unterstützen. Über diese Regelung hinaus bestehen in Niedersachsen keine weitergehenden Handlungsempfehlungen oder Weisungen. Solche finden sich auch nicht in der AV „Zuweisung von Geldauflagen an gemeinnützige Einrichtungen in Ermittlungs-, Straf- und Gnadenverfahren“ vom 03.10.1992. Nach dieser führt der Präsi- dent des Oberlandesgerichts Oldenburg zentral für Niedersachsen ein Verzeichnis der gemeinnüt- zigen Einrichtungen, die an der Zuweisung von Geldauflagen aus Ermittlungs-, Straf- und Gnaden- verfahren interessiert sind. Die Aufnahme in die sogenannte Oldenburger Liste begründet keinen Anspruch auf die Zuweisung von Geldauflagen. Sie dient auch nicht als Empfehlung, sondern ledig- lich der Information über interessierte Einrichtungen und wird den Strafrichtern, Staats- und Amts- anwälten in den Bezirken der Oberlandesgerichte und Generalstaatsanwaltschaften Braunschweig, Celle und Oldenburg lediglich als Orientierungshilfe zur Verfügung gestellt. Das Verzeichnis, wel- ches derzeit (Stand: 20.01.2015) 1 972 gemeinnützige Einrichtungen enthält, stellt zudem keine abschließende Aufzählung gemeinnütziger Einrichtungen dar. Es bleibt jeder Einrichtung, unab- hängig davon, ob sie in der Liste aufgeführt ist oder nicht, unbenommen, sich unmittelbar an die Staatsanwaltschaften oder Gerichte zu wenden, um bei diesen um eine Zuweisung von Geldaufla- gen zu werben. Von dieser Möglichkeit wird auch Gebrauch gemacht. Verschiedene Einrichtungen wenden sich in regelmäßigen Abständen an Richterinnen/Richter und Staatsanwältinnen/Staats- anwälte, um für ihre Einrichtung zu werben und Geldzuweisungen zu erhalten. Nach der oben genannten AV sind die gemeinnützigen Einrichtungen verpflichtet, dem Oberlan- desgericht Oldenburg bis zum 31. Januar eines jeden Jahres mitzuteilen, welche Geldbeträge ihnen im Vorjahr von niedersächsischen Gerichten und Staatsanwaltschaften zugewiesen worden sind. Zudem teilen sämtliche Oberlandesgerichte und Generalstaatsanwaltschaften dem Oberlan- desgericht Oldenburg bis zum 31. März eines jeden Jahres die im Vorjahr bedachten Einrichtungen und die Höhe der zugewiesenen Gesamtbeträge mit. Das Oberlandesgericht Oldenburg berichtet seinerseits dem Justizministerium bis zum 31. Mai eines jeden Jahres den Gesamtbetrag der Zu- weisungen des Vorjahres und legt Übersichten über die von den Gerichten und Staatsanwaltschaf- ten im Vorjahr bedachten gemeinnützigen Einrichtungen, einschließlich der zugewiesenen Auflagen vor, sofern die Zuweisungen 7 500 Euro überschritten haben. Der Bericht des Oberlandesgerichts Oldenburg ist dabei in die Bereiche Straffälligen- und Bewährungshilfe, Allgemeine Jugendhilfe, Hil- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3313 3 fe für Gesundheitsgeschädigte und Behinderte, Hilfe für Suchtgefährdete, Alten- und Hinterbliebe- nenhilfe, Allgemeines Sozialwesen, Verkehrserziehung und Verkehrssicherheit, Natur- und Um- weltschutz und Sonstiges unterteilt. Dieser Bericht wird im Justizministerium geprüft. Bei etwaigen Auffälligkeiten wird ein Nachbericht zu einzelnen Zuweisungen erfordert. Anlass für Beanstandun- gen gab es bisher nicht. Die beschriebene Verfahrensweise hat sich in Niedersachsen seit Jahren bewährt. Es besteht da- her kein Anlass, von der etablierten Vergabepraxis abzuweichen. Die Einrichtung eines Geldaufla- gensammelfonds ist vielmehr bereits im Jahr 2009 geprüft und letztlich für Niedersachsen als nicht geeignet verworfen worden. Bei Einführung eines Geldauflagensammelfondsverfahrens, bei dem die in diesen einfließenden Gelder durch ein Entscheidungsgremium verteilt werden, wird der mit der Erteilung der Geldauflage verfolgte Zweck häufig nicht mehr erreicht. Denn meist werden von den Gerichten und Staatsanwaltschaften gemeinnützige Einrichtungen ausgewählt, deren Tätigkeit einen inhaltlichen Zusammenhang zu den Umständen der Tat oder den Beteiligten aufweist, wodurch eine Auseinandersetzung des Täters mit seiner Tat gefördert werden soll. Dies würde bei Benennung nur eines Fördergebietes und anschließender zentraler Vergabe der Geldauflage ent- fallen. Ferner steht in einem Flächenland wie Niedersachsen bei Einführung eines Sammelfonds- verfahrens zu befürchten, dass insbesondere kleinere Einrichtungen keine bzw. deutlich weniger Zuweisungen erhielten. Zwingende Gründe, die Einführung eines Sammelfondsverfahrens erneut in Erwägung zu ziehen, liegen nicht vor. Die Richterinnen und Richter und die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte werden gleichwohl vom Justizministerium in regelmäßigen Abständen auf die Richtlinie zur Korruptionsprävention und Kor- ruptionsbekämpfung in der Landesverwaltung (Antikorruptionsrichtlinie), die auch bei der Zuwei- sung von Geldauflagen in Ermittlungs- und Strafverfahren zu beachten ist, hingewiesen. Dies ist zuletzt im Dezember 2014 erfolgt. Da die Regierungsfraktionen im Koalitionsvertrag vereinbart haben, für mehr Transparenz zu sor- gen, als dies unter der vorangegangenen Landesregierung der Fall war, prüft das Justizministerium derzeit allerdings, ob und unter welchen Voraussetzungen es zulässig ist, die gemeinnützigen Ein- richtungen als Empfänger von Zuweisungen und die ihnen zugewiesenen Geldauflagen ab einem bestimmten erheblichen Betrag jährlich zu veröffentlichen. Diese Prüfung ist noch nicht abge- schlossen. Dies vorangeschickt, beantworte ich die Fragen im Namen der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Siehe Vorbemerkung. Zu 2: Die Effektivität von Vergabesystemen für Geldauflagen in anderen Bundesländern wie z. B. in Hamburg kann die Landesregierung nicht beurteilen. Wegen der für das Flächenland Niedersach- sen zu beachtenden Besonderheiten und des gebotenen Schutzes auch kleinerer Vereine wird auf die Vorbemerkungen verwiesen. Zu 3: Die Landesregierung kann dies für den Einzelfall nicht verlässlich beurteilen, weil sie keinen Ein- blick in die wirtschaftliche Struktur der gemeinnützigen Vereine hat. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass insbesondere kleine und regionale gemeinnützige Vereine, bisweilen aber auch überregionale Organisationen auf die Zuweisung von Geldauflagen angewiesen sind. Antje Niewisch-Lennartz (Ausgegeben am 16.04.2015) Drucksache 17/3313 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3144 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Marco Brunotte (SPD), eingegangen am 11.03.2015 Verteilung von Geldbußen in Niedersachsen - Transparenz oder Willkür? Antwort der Landesregierung