Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3326 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3130 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Christian Grascha, Almuth von Below-Neu- feldt, Björn Försterling und Christian Dürr (FDP), eingegangen am 05.03.2015 Sind Sanitätshäuser in Niedersachsen in ihrer Existenz gefährdet? Bundesweit protestieren Sanitätshäuser gegen die zunehmende Praxis von Krankenkassen, Auf- träge überregional auszuschreiben. Viele Unternehmer fürchten um ihre Existenz und sehen die wohnortnahe Versorgung und Qualität gefährdet. Durch die Ausschreibungen wollen die Krankenkassen ihre Kosten senken. Statt vom Sanitätshaus vor Ort erhalten die Versicherten ihre Hilfsmittel wie Rollator und Rollstuhl von einem Anbieter, der allein für ein großes Gebiet zuständig ist. Das ist zwar nicht grundsätzlich neu und für Produkte wie Windeln durchaus üblich. Die Aufnahme von anderen Bereichen, wie Standard-, Leichtgewicht- und Toilettenrollstühle in den Ausschreibungsbereich, könnte aber für viele Sanitätshäuser existenz- bedrohend sein. In Niedersachsen sind nicht nur die Arbeitsplätze in Gefahr, sondern auch die Versorgung der Kun- den. Die Ausschreibung kann zu Dumpingpreisen, langen Lieferzeiten, hohen Zuzahlungen für Versicherte und dem Wegfall von Service führen. Und auch Sicherheitsmängel sind möglich; denn bisher kümmerten sich die Sanitätshäuser vor Ort auch um das Anpassen und die Reparatur der Rollstühle, beispielsweise um das Anziehen der Bremsen. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Sind die Kassen zu dieser Art der Ausschreibung gezwungen, und, wenn nicht, welche Kas- sen praktizieren diese überregionalen Ausschreibungen? 2. Teilt die Landesregierung die Sorge der Unternehmer bezüglich der Gefahren für Arbeitsplät- ze und Versorgungssicherheit? 3. Sieht die Landesregierung Möglichkeiten, hier einzugreifen, und, wenn ja, welche? (An die Staatskanzlei übersandt am 12.03.2015) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 13.04.2015 für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - 106.31 - 15 02 54 0505 - Das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) regelt in den §§ 126 ff. die Versorgung der Versicher- ten in der gesetzlichen Krankenversicherung mit Hilfsmitteln. Vertragspartner der Krankenkassen können nur Leistungserbringer sein, die die Voraussetzungen für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllen. Die Kranken- kassen stellen sicher, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. Hilfsmittel dürfen an Versicherte nur auf der Grundlage von Verträgen nach § 127 Abs. 1, 2 und 3 SGB V abgegeben werden. Die gesetzlichen Krankenkassen entscheiden im eigenen Ermessen, ob sie den Vertrag ausschreiben oder die wirtschaftliche Versorgung mit Hilfsmitteln über Verträge mit Leistungserbringern oder Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbrin- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3326 2 ger sicherstellen. Ausschreibungen und Verhandlungsverträge stehen gleichberechtigt nebenei- nander. Daneben sind Einzelvereinbarungen mit einem Leistungserbringer möglich. Sie kommen immer dann zustande, wenn Verträge nicht im Wege der Ausschreibung oder im Verhandlungswe- ge geschlossen werden. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Spitzenorganisationen der Leistungserbrin- ger auf Bundesebene haben sich auf „Gemeinsame Empfehlungen gemäß § 127 Abs. 1 a SGB V zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen“ verständigt. Die Empfehlungen stellen für die Krankenkassen eine Hilfe bei der Entscheidung über die Durchführung von Ausschreibungen dar. Sie ent- binden nicht von der Verpflichtung der Krankenkassen, jeweils auftragsbezogen im Einzelfall unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Rechtsentwicklung über die Durch- führung von Ausschreibungen zu entscheiden. So können insbesondere die Vertragslandschaft der einzelnen Krankenkassen, der konkrete Regelungsinhalt der Verträge, die Leistungserbringerstruk- tur im Versorgungsgebiet und das jeweilige Auftragsvolumen eine wesentliche Rolle bei der Ent- scheidungsfindung spielen. Die Krankenkassen haben zudem ihren Versorgungsauftrag besonders zu berücksichtigen und bei ihren vertraglichen Überlegungen darauf zu achten, dass die Sicherstellung medizinisch notwendi- ger, aber auch wirtschaftlicher Versorgung der Versicherten auch langfristig nicht gefährdet wird und der Wettbewerb aufrechterhalten bleibt. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Zur Möglichkeit von Ausschreibungen im Rahmen der Versorgung mit Hilfsmitteln wird auf die Vor- bemerkung verwiesen. Eine zunehmende Praxis von gesetzlichen Krankenkassen, Verträge im Bereich der Hilfsmittelver- sorgung überregional auszuschreiben kann für Niedersachsen nicht bestätigt werden. Die AOK Niedersachsen berichtet, dass sie sich in den letzten Jahren fast ausschließlich für den Abschluss von Verträgen auf dem Verhandlungswege entschieden hat. Sie hat aktuell lediglich Ver- träge zur Versorgung ihrer Versicherten mit bestimmten Elektrostimulationsgeräten (sogenannte TENS 1 - und EMS 2 -Geräte) nach vorangegangener europaweiter Ausschreibung ab dem 01.08.2013 mit zwei überregional tätigen Fachanbietern abgeschlossen. In diesem Bereich erfolgte die Versorgung laut Darstellung der AOK Niedersachsen auch bereits vor dem 01.08.2013 im We- sentlichen durch deutschlandweit tätige Anbieter, sodass es zu keiner nennenswerten Veränderung im örtlichen Sanitätsfachhandel gekommen ist. Im Bereich der Rollstuhlversorgung hat sich die AOK Niedersachsen im Herbst 2014 gegen eine europaweite Ausschreibung entschieden und neue Vereinbarungen gemäß § 127 Abs. 2 SGB V mit den Leistungserbringerverbänden der in Niedersachsen ansässigen Sanitäts- und Fachhandelsbe- triebe (insbesondere den Innungen) abschließen können. Der BKK Landesverband Mitte berichtet, dass Einzelheiten zur Ausschreibungspraxis einzelner Be- triebskrankenkassen in Niedersachsen dort nicht vorliegen. Die Hilfsmittelversorgung wird von den Betriebskrankenkassen in der Regel aber über Verträge nach § 127 Abs. 2 SGB V sichergestellt. Im Bereich der bundesunmittelbaren Ersatzkassen liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor, welche Ersatzkassen überregionale Ausschreibungen durchführen. Die Knappschaft berichtet, dass sie in den letzten acht Jahren lediglich zweimal von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit der Ausschreibung Gebrauch gemacht hat. Als bundesunmittelbarer Versicherungsträger ist die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau grundsätzlich für den Bereich der Hilfsmittelverträge nicht mehr zuständig, sie ist bestrebt, bundeseinheitliche Verträge in diesem Bereich über die Knappschaft und in Anlehnung an die dortigen Verträge zu schließen. Gemeinsame überregionale Ausschreibungen mit der Knapp- 1 Transkutane Elektrische Nervenstimulation 2 Elektromyostimulation Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3326 3 schaft sind insoweit denkbar. Allerdings sind in Niedersachsen bereits geschlossene regionale Ver- träge auch für die Landwirtschaftliche Krankenkasse nach wie vor gültig. Die IKK classic, die zugleich die Aufgaben eines Landesverbandes für die Innungskrankenkassen in Niedersachsen wahrnimmt, berichtet, dass Sie in der jüngeren Vergangenheit die Form der Aus- schreibung im Bereich der Hilfsmittelversorgung nicht gewählt hat und die Versorgung durch Ver- träge mit entsprechenden Leistungserbringern auf der Grundlage des § 127 Abs. 2 SGB V schließt. Zu 2: Durch die im Hilfsmittelverzeichnis (§ 139 SGB V) festgelegten Anforderungen an die Qualität der Versorgung und der Produkte soll sichergestellt werden, dass Preisvorteile bei Verträgen auf der Basis von Ausschreibungen nicht zulasten der Versorgungsqualität gehen. Außerdem werden in § 127 SGB V Rahmenbedingungen festgelegt, wonach die notwendige Beratung der Versicherten und sonstige erforderliche Dienstleistungen (z. B. Wartung, Reparatur) sowie eine wohnortnahe Versorgung der Versicherten zu gewährleisten sind. An den Empfehlungen zur Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen sind die Organisationen der Leis- tungserbringer beteiligt, und für versichertenbezogen individuell anzufertigende Hilfsmittel oder Versorgungen mit hohem Dienstleistungsanteil gelten Ausschreibungen in der Regel nicht als zweckmäßig. Diese Regelungen tragen auch dem Erhalt von Arbeitsplätzen Rechnung. Aktuell gibt es keine Erhebungen dazu, ob Arbeitsplätze durch Ausschreibungen gefährdet sind, zumal diese nur für vereinzelte Produktgruppen zum Tragen kommen. Zu 3: Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung führt die Rechtsaufsicht über die AOK Niedersachsen sowie einzelne Betriebskrankenkassen. Die Rechtsaufsicht erstreckt sich auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht, das für die Versicherungsträger maßgebend ist (§ 87 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch). Ein Rechtsverstoß der landesunmittelbaren Krankenkas- sen in Niedersachsen mit Blick auf die Hilfsmittelversorgung ist nicht ersichtlich. Cornelia Rundt (Ausgegeben am 22.04.2015) Drucksache 17/3326 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3130 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Christian Grascha, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling und Christian Dürr (FDP), eingegangen am 05.03.2015 Sind Sanitätshäuser in Niedersachsen in ihrer Existenz gefährdet? Antwort der Landesregierung