Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3331 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3168 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Otto Deppmeyer (CDU), eingegangen am 12.03.2015 Ist die medizinische Versorgung in den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten gewähr- leistet? Die Neue Presse (NP) berichtete am 10.03.2015 unter der Überschrift „Rätsel um den Tod eines Häftlings“ über den Tod eines Insassen der Justizvollzugsanstalt Sehnde. Dort heißt es: „Warum musste Harry V. sterben? Der Tod des 55-Jährigen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Sehnde be- schäftigt zurzeit Mitarbeiter von Justizministerium und Staatsanwaltschaft, Mediziner - und auch Mithäftlinge.“ Die NP berichtet, dass der 55-Jährige am Abend des 13.01.2015 über Schmerzen in der Brust ge- klagt habe. Laut NP soll er deswegen eine Tablette erhalten haben. Einen Notarzt habe man nicht für ihn gerufen. Am nächsten Morgen sei er dann tot aufgefunden worden. Eine Obduktion habe laut NP inzwischen eine kardiologische Todesursache ergeben. Außerdem berichtete die Neue Presse am 10.03.2015 („Anstaltsärztin schon seit Monaten weg“), dass die hauptamtliche Anstaltsärztin seit Längerem nicht im Dienst sei. Die ärztliche Versorgung werde gegenwärtig nach Angaben des Ministeriums durch Vertragsärzte aber gewährleistet. Nach § 56 Abs. 1 des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes sorgt die Vollzugsbehörde für die Gesundheit der Gefangenen. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Todesfälle gab es in den Jahren 2013, 2014 und bislang im Jahr 2015 in welchen niedersächsischen Justizvollzugsanstalten, und was war jeweils die Todesursache? 2. Gab es seit dem Todesfall in Sehnde weitere Todesfälle aufgrund von Herzversagen in nie- dersächsischen Justizvollzugsanstalten? 3. Wie viele Ärzte (Vollzeiteinheiten) sind in den Justizvollzugsanstalten beschäftigt? 4. Trifft es zu, dass die Stelle der hauptamtlichen Anstaltsärztin in der Justizvollzugsanstalt Sehnde aktuell zwar besetzt ist, diese aber gegenwärtig nicht im Dienst ist? 5. Wenn ja bei Frage 4: Wie lange ist dies schon der Fall, und wann wird die Stelleninhaberin wieder im Dienst sein? 6. In wie vielen Fällen in welchen Justizvollzugsanstalten sind gegenwärtig welche Dienstposten für medizinisches Personal unbesetzt oder ist der oder die jeweilige Stelleninhabende gegen- wärtig nicht im Dienst? 7. Welche Vorgaben macht das Justizministerium für die medizinische Versorgung und konkret für die Erkrankung von Insassen, und können diese gegenwärtig in der JVA Sehnde eingehal- ten werden? 8. Gibt es zeitliche Vorgaben für das Erreichen von medizinischer Soforthilfe bei Notfällen in den Justizvollzugsanstalten? 9. Wie lang ist die durchschnittliche Wartezeit für Gefangene auf Behandlungstermine in den Justizvollzugsanstalten? 10. Wie viele Eingaben oder Beschwerden gab es in den letzten drei Jahren beim Justizministeri- um wegen mangelhafter medizinischer Versorgung in den niedersächsischen Justizvollzugs- anstalten, und was wurde daraufhin jeweils veranlasst? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3331 2 11. Wie viele Defibrillatoren sind in den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten vorhanden, und wie wird ihre Einsatzbereitschaft gewährleistet? (An die Staatskanzlei übersandt am 18.03.2015) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Justizministerium Hannover, den 08.04.2015 - 4550 I - 302.2. 430 - Die medizinische Versorgung der in niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen untergebrach- ten Gefangenen und Sicherungsverwahrten ist gesetzlich geregelt (vgl. insbesondere §§ 56 ff. des Niedersächsischen Justizvollzugsgesetzes [NJVollzG] und §§ 58 ff. des Niedersächsischen Siche- rungsverwahrungsvollzugsgesetzes [Nds. SVVollzG]). Für Art und Umfang der medizinischen Leistungen für Gefangene und Sicherungsverwahrte gelten die Vorschriften des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs und die aufgrund dieser Vorschriften getroffenen Regelungen entsprechend (sogenanntes Äquivalenzprinzip), soweit in den Justizvoll- zugsgesetzen nicht etwas anderes bestimmt ist (vgl. insbesondere § 59 NJVollzG und § 61 Nds. SVVollzG). Die ärztliche Versorgung der Gefangenen und Sicherungsverwahrten in den Justizvollzugseinrich- tungen wird durch hauptamtliche Anstaltsärztinnen und Anstaltsärzte sowie durch Ärztinnen und Ärzte gewährleistet, die auf Honorarbasis für die Justizvollzugseinrichtungen tätig werden. Aufgrund des allgemein bestehenden Ärztemangels, der sehr anspruchsvollen Tätigkeit als Ärztin oder Arzt im Justizvollzug und der finanziellen Rahmenbedingungen sind geeignete Bewerberinnen und Bewerber für die hauptamtliche Tätigkeit im Justizvollzug trotz vielfältiger Bemühungen nicht immer leicht zeitnah zu gewinnen. Um dem entgegenzuwirken, würde u. a. auf Initiative Nieder- sachsens die Aufnahme der angestellten Ärztinnen und Ärzte in den Tarifvertrag Ärzte und damit eine deutliche finanzielle Besserstellung gegenüber der früheren Eingruppierung im TV-L erreicht. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Namen der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Im Jahr 2013 sind insgesamt elf Gefangene während der Inhaftierung verstorben. Die Todesfälle betrafen nachfolgend bezeichnete Justizvollzugseinrichtungen und waren auf folgende Todesursa- chen zurückzuführen: Justizvollzugseinrichtung Todesursache JVA Hannover, verstorben in einem öffentlichen Krankenhaus Infektionskrankheit JVA Hannover Blutung aus einem Aorten-Aneurysma JVA Lingen Suizid JVA Lingen, verstorben in einem öffentlichen Krankenhaus Kombination aus akutem Atemwegsversagen bei entzündlicher Veränderung der großen und kleinen Luftwege und einem toxischen Multiorganversagen bei akuter entzündlicher Veränderung der Bauchspeicheldrüse JVA Lingen, verstorben in einem öffentlichen Krankenhaus Sepsis aufgrund einer ausgeprägten Bauchfellentzündung . Ursächlich war ein in die Bauchhöhle durchgebrochenes Magengeschwür aus krankhafter innerer Ursache. JVA Lingen, verstorben in einem öffentlichen Krankenhaus Lungenkarzinom JVA Oldenburg Suizid JVA Rosdorf Lungenkarzinom Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3331 3 Justizvollzugseinrichtung Todesursache JVA Sehnde Suizid JVA Wolfenbüttel Suizid JVA Wolfenbüttel Suizid Im Jahr 2014 sind insgesamt acht Gefangene während der Inhaftierung verstorben. Die Todesfälle betrafen nachfolgend bezeichnete Justizvollzugseinrichtungen und waren auf folgende Todesursa- chen zurückzuführen: Justizvollzugseinrichtung Todesursache JVA Bremervörde, verstorben in einem öffentlichen Krankenhaus Herzstillstand JVA Hannover Eine anatomisch-morphologisch zweifelsfrei nachweisbare Todesursache hat die rechtsmedizinische Untersuchung nicht ergeben. Es fanden sich keine Hinweise auf Gewalteinwirkung von fremder Hand. JVA Hannover Eine sicher zu benennende pathologischanatomisch nachweisbare Todesursache hat die rechtsmedizinische Untersuchung nicht ergeben . JVA Lingen Suizid JVA Lingen Krebserkrankung JVA Lingen Herzinfarkt JVA Oldenburg Suizid JVA Wolfenbüttel Herzinfarkt Im Jahr 2015 sind bis zum 31.03. insgesamt fünf Gefangene während der Inhaftierung verstorben. Die Todesfälle betrafen nachfolgend bezeichnete Justizvollzugseinrichtungen und waren auf fol- gende Todesursachen zurückzuführen: Justizvollzugseinrichtung Todesursache JVA Celle Ileus JVA Hannover Herzinfarkt JVA Sehnde Herzinfarkt JVA Uelzen Suizid JVA Celle Verdacht auf Herzinfarkt oder Lungenembolie Zu 2: In der Justizvollzugsanstalt Hannover ist am 26.01.2015 ein Gefangener an Herz- und Kreislaufver- sagen verstorben. Bei dem Tod eines Gefangenen der Justizvollzugsanstalt Celle am 30.03.2015 besteht der Verdacht auf Herzinfarkt oder Lungenembolie. Der Unterausschuss Justizvollzug und Straffälligenhilfe des Ausschusses für Rechts- und Verfas- sungsfragen ist davon jeweils unterrichtet worden. Dem liegt eine Absprache zwischen dem Aus- schuss und dem Justizministerium zugrunde, den Ausschuss u. a. über Todesfälle von Gefangenen zu unterrichten. Zu 3: In den niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen sind nach der aktuellen Personalstatistik 21,94 hauptamtliche und 12,23 nebenamtliche Ärztinnen und Ärzte (einschließlich Psychiaterinnen und Psychiatern und Zahnärztinnen und Zahnärzten) beschäftigt. Zu 4 und 5: Die Stelle einer hauptamtlichen Anstaltsärztin oder eines hauptamtlichen Anstaltsarztes in der Jus- tizvollzugsanstalt Sehnde war bis einschließlich 13.03.2015 besetzt. Die Stelleninhaberin befand sich seit dem 28.07.2014 aus persönlichen Gründen nicht mehr im Dienst. Seit dem 14.03.2015 ist Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3331 4 die Stelle unbesetzt. Die ärztliche Versorgung in der Justizvollzugsanstalt Sehnde wird derzeit durch sechs Ärztinnen und Ärzte, die auf Honorarbasis stundenweise beschäftigt sind, sicherge- stellt. Zu 6: Auf die nachstehende Tabelle wird verwiesen. Justizvollzugseinrichtung Anerkannter Personalbedarf Hauptamtliche Ärztinnen und Ärzte (Vollzeiteinheiten) Unbesetzte Stellenanteile (Vollzeiteinheiten) Bremervörde 0,00 * 0,00 0,00 Celle 1,00 1,00 0,00 Hameln 1,50 1,50 0,00 Hannover 5,00 4,04 0,96 Lingen(einschl. JVK) 11,50 7,00 4,50 Meppen 2,00 1,00 1,00 Oldenburg 2,00 3,00 0,00 Rosdorf 1,00 0,00 1,00 Sehnde 3,00 0,65 2,35 Uelzen 1,00 0,75 0,25 Vechta 1,00 1,00 0,00 JVA für Frauen Vechta 1,00 1,00 0,00 Wolfenbüttel 2,00 1,00 1,00 Gesamt 32,00 21,94 10,06 * Die Aufgabe ist im Rahmen des ÖPP-Vertrages übertragen Die unbesetzten Stellenanteile bei den hauptamtlichen Ärztinnen und Ärzten werden durch die Be- schäftigung von 12,23 nebenamtlichen Ärztinnen und Ärzten ausgeglichen, die in den Justizvoll- zugseinrichtungen auf Honorarbasis tätig sind. Zu 7: Die medizinische Versorgung im Justizvollzug erfolgt nach den gesetzlichen Vorgaben, die durch Verwaltungsvorschriften und Erlasse, z. B. zur Substitution von Gefangenen und Sicherungsver- wahrten, konkretisiert und deren rechtmäßige Anwendung durch Maßnahmen der Dienst- und Fachaufsicht überprüft und sichergestellt werden. Dem Justizministerium liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die medizinische Versorgung in der Justizvollzugsanstalt Sehnde nicht diesen Vorgaben entsprechen würde. Zu 8: Für die Notfallversorgung von Gefangenen und Sicherungsverwahrten sind die jeweils vor Ort ein- gesetzten Ärztinnen und Ärzte, das sonstige medizinische Personal und auch alle anderen Be- diensteten verantwortlich, die im konkreten Einzelfall Hilfe leisten könnten. Alle Bediensteten des Justizvollzuges sind gehalten, bei Unfällen, plötzlichen Erkrankungen oder sonstigen Notfällen Ers- te Hilfe auch ohne ärztliche Anordnung zu leisten. Dabei ist es selbstverständliche und gängige Praxis, dass Bedienstete in Abwesenheit des ärztlichen Dienstes Erste Hilfe leisten, bis der alar- mierte Rettungsdienst oder die Anstaltsärztin oder der Anstaltsarzt eingetroffen ist. Zeitliche Vorga- ben bestehen darüber hinaus nicht. Zu 9: Durchschnittliche Wartezeiten für Termine beim ärztlichen Dienst werden in den niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen nicht erfasst. In allen Justizvollzugseinrichtungen des Landes Nieder- sachsen gibt es regelmäßige Sprechstunden des ärztlichen Dienstes. Die Sprechstunden sind so einzurichten, dass die zur Sprechstunde angemeldeten Gefangenen und Sicherungsverwahrten ausreichend gesundheitlich betreut, versorgt und behandelt werden können. Jeder Gefangene und Sicherungsverwahrte muss die Möglichkeit haben, mindestens einmal wö- chentlich den ärztlichen Dienst sprechen zu können. Der ärztliche Dienst steht auch außerhalb der Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3331 5 Sprechstunden zur Verfügung, wenn sofortige ärztliche Hilfe geboten ist. Darüber hinaus wird der Rettungsdienst alarmiert bzw. der Notarzt gerufen, soweit dies im Einzelfall geboten ist. Zu 10: Alle Eingaben und Beschwerden von Gefangenen und Sicherungsverwahrten, die an das Justizmi- nisterium gerichtet werden, werden statistisch erfasst. Wird dabei die medizinische Versorgung be- anstandet, wird unverzüglich geprüft, ob Sofortmaßnahmen zu veranlassen sind; insbesondere wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass unmittelbare Gefahr für Leib und Leben besteht. In der Regel wird die betreffende Justizvollzugseinrichtung um schriftlichen Bericht und zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes sowie zur Übersendung zweckdienlicher Unterlagen, z. B. aus den Gesundheitsakten, aufgefordert. Die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes setzt eine Erklärung der Einsenderin oder des Einsenders über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht voraus, um der Eingabe oder Beschwerde inhaltlich weiter nachgehen zu können. Über alle Eingaben und Beschwerden zu medizinischen Sachverhalten entscheidet das Justizmi- nisterium unter Beteiligung der Ärztlichen Referentin oder des Ärztlichen Referenten im Justizminis- terium. Die Ärztliche Referentin oder der Ärztliche Referent prüft, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen der Dienst- oder Fachaufsicht zu ergreifen sind. In der Zeit vom 01.01.2012 bis zum 19.03.2015 sind beim Justizministerium insgesamt 1 567 Ein- gaben und Beschwerden von Gefangenen und Sicherungsverwahrten eingegangen. Davon betra- fen 165 Eingaben und Beschwerden ausschließlich medizinische Sachverhalte, die gesondert er- fasst werden. Bei der Mehrzahl der Vorgänge handelt es sich um andere Eingaben und Beschwerden, bei denen sich die Einsenderin oder der Einsender neben anderen Punkten gelegentlich auch über medizini- sche Sachverhalte beschwert. Eine Durchsicht und Nachverfolgung über das jeweils Veranlasste bei diesen Eingaben und Beschwerden ist im Rahmen der Beantwortung einer Kleinen Anfrage mit zumutbarem Aufwand nicht zu leisten. Die Auswertung wurde deshalb auf die 165 ausschließlich medizinischen Eingaben und Beschwer- den begrenzt. Drei dieser 165 Eingaben und Beschwerden haben Anlass gegeben, im Rahmen der medizinischen Fachaufsicht näher tätig zu werden. In einem Fall wurde 2012 in der Justizvollzugsanstalt Sehnde ein im Rahmen eines Disziplinarver- fahrens erteiltes „Sportverbot“ aufgehoben. In einem weiteren Fall wurde die Justizvollzugsanstalt Bremervörde 2013 dazu angehalten, von ei- ner Kostenbeteiligung des Gefangenen beim gewährten Zahnersatz abzusehen. Schließlich wurde die Justizvollzugsanstalt Hannover 2014 um eine veränderte Dosierung eines einem Gefangenen verordneten Medikaments durch einen ärztlichen Referenten des Justizministeriums ersucht. Zu 11: In den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten sind derzeit insgesamt 49 Defibrillatoren vorhan- den. Die Anschaffung weiterer Geräte ist geplant. Die Einsatzbereitschaft der Defibrillatoren wird nach Anweisung der Hersteller durch entsprechend eingesetztes und geschultes medizinisches Personal sichergestellt, das hierfür gesondert beauf- tragt wurde. Antje Niewisch-Lennartz (Ausgegeben am 22.04.2015) Drucksache 17/3331 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3168 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Otto Deppmeyer (CDU), eingegangen am 12.03.2015 Ist die medizinische Versorgung in den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten gewährleistet? Antwort der Landesregierung