Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3401 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3132 - Wortlaut der Anfrage Abgeordneten Uwe Schwarz, Holger Ansmann, Marco Brunotte, Immacolata Glosemeyer, Dr. Christos Pantazis, Andrea Schröder-Ehlers und Dr. Thela Wernstedt (SPD), ein- gegangen am 04.03.2015 Droht in Niedersachsen ein Fachkräftemangel in der Physiotherapie? Physiotherapeuten leisten eine qualifizierte und wichtige Arbeit im Rahmen unseres Gesundheits- systems. Dennoch sind sie aufgrund von Schulgeldkosten für ihre Ausbildung gegenüber anderen Gesundheitsfachberufen benachteiligt. Der Deutsche Verband für Physiotherapie e. V. kritisiert, dass schon jetzt der Nachwuchs ausbliebe. Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat im Juli 2014 zu den Ausbildungsgängen der 17 bundesrechtlich geregelten Gesundheitsfachberufe eine Studie veröffentlicht. Nach dieser verzeichnen die Ausbildungen zur Physiotherapeutin bzw. zum Physio- therapeuten rückläufige Zahlen. Im Schuljahr 2011/2012 waren 10,1 % weniger Physiotherapeuten in Ausbildung als im Schuljahr 2007/2008. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Wie hoch ist die Zahl der Physiotherapiepraxen in Niedersachsen, und wie hat sich diese Zahl in den letzten zehn Jahren entwickelt? 2. Wie hoch ist Zahl der Auszubildenden in der Physiotherapie in Niedersachsen, und wie hat sich diese in den letzten zehn Jahren entwickelt? 3. Wie viele Personen haben im Jahr 2014 die Ausbildung zur Physiotherapeutin bzw. zum Phy- siotherapeuten begonnen, wie viele haben sie abgebrochen, und wie viele haben sie abge- schlossen? 4. Wie beurteilt die Landesregierung die Entwicklung für die kommenden zehn Jahre insbeson- dere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels? 5. Zeichnet sich ihrer Meinung nach in Niedersachsen ein Fachkräftemangel in der Physiothera- pie ab? 6. Welche Schulgeldkosten fallen für die Ausbildung der Physiotherapie in Niedersachsen pro Person, pro Jahr und pro Ausbildung an welchen Ausbildungsstellen und insgesamt durch- schnittlich an? 7. Welche Möglichkeiten der Kostenentlastung gibt es für die Auszubildenden in welchem Um- fang? 8. Werden die Auszubildenden in der Physiotherapie in anderen Bundesländern vom Schulgeld befreit? 9. Wie beurteilt die Landesregierung die Bestrebungen von Physiotherapeuten, dass gesetzlich Krankenversicherte einen direkten Zugang zu ihrer Leistungserbringung erhalten? (An die Staatskanzlei übersandt am 12.03.2015) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3401 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Kultusministerium Hannover, den 24.04.2015 - 01-0 420/5-3132 - Artikel 74 Abs. 1 Nr. 19 GG gibt dem Bund im Wege der konkurrierenden Gesetzgebung das Recht, die Zulassung zu den Gesundheitsfachberufen zu normieren. Von diesem Recht hat der Bund Gebrauch gemacht und den Bildungsgang Physiotherapie mit dem Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie (Masseur- und Physiotherapeutengesetz - MPhG) vom 26.05.1994 (BGBl. I S. 1084), zuletzt geändert durch Artikel 45 des Gesetzes vom 06.12.2011 (BGBl. I S. 2515), gere- gelt. Die Länder führen das Gesetz aus und überwachen die Schulen. Das Niedersächsische Schulgesetz ist nicht einschlägig. Die Finanzierung des Bildungsganges ist nach § 17 a des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) vom 10.04.1991 (BGBl. I S. 886), zuletzt geändert durch Artikel 16 a des Gesetzes vom 21.07.2014 (BGBl. I S. 1133), durch einen Zuschlag über die Pflegesätze gesichert, wenn die Schulen mit Krankenhäusern verbunden sind. Von den insgesamt 31 Schulen für Physiotherapie in Niedersachsen sind sieben Schulen mit Krankenhäusern verbunden. Somit macht die Mehrzahl der Schulen von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch und finanziert die Ausbildung durch ein Schul- geld. Eine staatliche Finanzierung oder Förderung findet nicht statt. Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt: Zu 1: Gegenwärtig sind in Niedersachsen 4 296 Praxen für physikalische Therapie und Physiotherapie zur Behandlung der Versicherten der Gesetzlichen Krankenkassen zugelassen, in 2005 waren es 2 929 Praxen. Der Anstieg um 1 337 Praxen entspricht einer Steigerung von rund 46 %. Laut Heilmittelbericht 2014 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK liegt die Anzahl der Leis- tungserbringer für physikalische Therapie und Physiotherapie in Niedersachsen bei 64,3 Leis- tungserbringern je 100 000 gesetzlich Versicherte, der Bundesdurchschnitt liegt bei 60,5. Nur in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen liegt die Leis- tungserbringerdichte höher. Zu 2: Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die im Schuljahr 2014/2015 eine Ausbildung zur Physio- therapeutin oder zum Physiotherapeuten absolvieren, beträgt zum Stichtag 15.11.2014 insgesamt 2 108. Die Entwicklung der Schülerzahlen im Verlauf der letzten zehn Jahre ist der folgenden Ta- belle zu entnehmen: Schuljahr Schülerinnen und Schüler 2005/2006 2 709 2006/2007 2 701 2007/2008 2 609 2008/2009 2 586 2009/2010 2 469 2010/2011 2 426 2011/2012 2 400 2012/2013 2 361 2013/2014 2 209 2014/2015 2 108 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3401 3 Zu 3: Im Schuljahr 2014/2015 haben insgesamt 810 Schülerinnen und Schüler die Ausbildung zur Physi- otherapeutin oder zum Physiotherapeuten begonnen. Im Schuljahr 2014/2015 haben 665 Auszubil- dende die Prüfung erfolgreich absolviert. Angaben über Ausbildungsabbrüche werden im Rahmen der auf das Schuljahr bezogenen Statistik nicht erhoben. Nach den Angaben der Schulen im Rahmen einer gesonderten Abfrage (30 Rückmeldungen von insgesamt 31 Schulen) haben 152 Schülerinnen und Schüler die Ausbildung im Jahr 2014 abge- brochen. Zu 4: Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wird die Zahl der Schülerinnen und Schüler auch in den folgenden Jahren rückläufig sein. Hinzu kommt, dass die Physiotherapieausbildung, die in nicht geringer Zahl von Schülerinnen und Schülern mit einer Hochschulzugangsberechtigung absolviert wird, mit anderen attraktiven Ausbildungen oder Studiengängen konkurriert. Nicht zuletzt aufgrund der allgemeinen Entwicklung der Zahl der Abgängerinnen und Abgänger der allgemeinbildenden Schulen und der vielfältigen beruflichen Alternativen ist auch in Zukunft nicht mit steigenden Schülerzahlen in der Physiotherapie zu rechnen. Dennoch haben sich die nieder- sächsischen Schulen selbst bei rückläufigen Schülerzahlen erfolgreich am Markt behauptet und bieten eine hochwertige Ausbildung an. Zu 5: Nach Auskunft der Berufsverbände ist ein Fachkräftemangel in Niedersachsen bereits vorhanden und deutlich zu spüren. Die dort organisierten Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten berich- ten, dass freie Stellen teilweise monatelang - trotz aktiver Bemühungen - nicht besetzt werden kön- nen. Diese Situation entspricht offenbar der bundesweiten Lage in diesem Bereich des Arbeitsmarktes. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat im Juli 2014 aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages in einem Gutachten den Fachkräftemangel in 139 Berufsgattungen auf Basis der Da- ten der Bundesagentur für Arbeit dargestellt. Danach kommen im Bereich der Physiotherapie auf 100 freie Stellen 53 Arbeitslose. Nach dem Gutachten deutet dies auf einen starken Engpass für die Fachkräftesicherung hin. Andererseits liegen im Bereich der physikalischen Therapie und Physiotherapie bisher keine Be- schwerden von Versicherten bzw. Patientinnen und Patienten über fehlende Behandlungszeiten oder mangelnde Therapiekapazitäten vor. Aus Patientensicht sowie vor dem Hintergrund der seit Jahren stark steigenden Zahl der Praxen ist somit ein Fachkräftemangel nicht eindeutig feststellbar. Zu 6: Die Höhe des Schulgeldes ist aufgrund unterschiedlicher Kostenträger nicht einheitlich. Sie variiert nach eigenen Angaben der Schulen in der Spanne zwischen 60 Euro bis 368 Euro monatlich. Le- diglich eine (nach dem KHG geförderte) Schule verzichtet gänzlich auf die Erhebung eines Schul- geldes. Die durchschnittliche Höhe des Schulgeldes beträgt 287 Euro. Die Verteilung ist der fol- genden Tabelle zu entnehmen: Anzahl der Schulen Schulgeld in Euro 1 0 3 60 bis 200 9 201 bis 300 17 301 bis 368 Zusätzlich zum Schulgeld können Aufwendungen anfallen für Lehrmittel, Arbeitskleidung, Fahrtkos- ten sowie Anmelde- und Prüfungsgebühren. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3401 4 Zu 7: Es bestehen Fördermöglichkeiten nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz sowie nach dem SGB III durch die Agentur für Arbeit. Ferner ist die Beantragung eines Bildungskredits nach dem Bildungskreditprogramm möglich. Da es sich jeweils um individuelle Förderungen handelt, sind kei- ne Angaben zum Umfang möglich. Zu 8: Zu dieser Fragestellung liegen keine detaillierten Angaben der Länder vor. Nach den Informationen des Deutschen Verbandes für Physiotherapie (ZVK) e. V. vom Januar 2015 fallen Schulgelder in vergleichbarem Umfang an. In den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wurden nach der Wiedervereinigung Sondervereinbarungen mit den Kostenträgern geschlossen, sodass die Höhe des Schulgeldes überwiegend unter dem Niveau der anderen Länder liegt. In Baden-Württemberg können Schulen, die nicht nach dem KHG geför- dert werden, eine Finanzhilfe beantragen. Zu 9: Das Bundesverwaltungsgericht differenziert in seiner Entscheidung vom 26.08.2009 - VG AN 9 K 07.03319 - zwischen den Heilberufen, die eigenverantwortlich körperliche und seeli- sche Leiden behandeln dürfen (Ärztinnen und Ärzte, Zahnärztinnen und Zahnärzte, Psychothera- peutinnen und Psychotherapeuten, Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker), und den Heilhilfsberufen oder Gesundheitsfachberufen, die zur Krankenbehandlung grundsätzlich nur aufgrund ärztlicher Verordnung befugt sind. Das gesetzlich fixierte Berufsbild der Physiotherapeutinnen und Physiothe- rapeuten zählt zur zweiten Gruppe. Danach bedarf eine physiotherapeutische Behandlung vorheri- ger ärztlicher Verordnung. Ein direkter Patientenzugang für Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten würde zunächst um- fangreiche rechtliche Änderungen erfordern. Unter anderem wäre zu klären, ob eine bedarfsorien- tierte Zulassungssteuerung oder Zulassungsbegrenzung, wie sie beispielsweise für Ärztinnen und Ärzte gilt, etabliert werden müsste. Auch wäre zu berücksichtigen, ob nicht eine umfassende und übergreifende diagnostische Abklä- rung des Krankheitsbildes sicherzustellen wäre. In diesem Zusammenhang findet auf der Bundes- ebene zurzeit eine Diskussion dieser Thematik statt. Der Ausgang sollte abgewartet werden. In Vertretung des Staatssekretärs Michael Markmann (Ausgegeben am 04.05.2015) Drucksache 17/3401 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3132 - Wortlaut der Anfrage Abgeordneten Uwe Schwarz, Holger Ansmann, Marco Brunotte, Immacolata Glosemeyer, Dr. Christos Pantazis, Andrea Schröder-Ehlers und Dr. Thela Wernstedt (SPD), eingegangen am 04.03.2015 Droht in Niedersachsen ein Fachkräftemangel in der Physiotherapie? Antwort der Landesregierung