Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3616 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3338 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Rainer Fredermann (CDU), eingegangen am 15.04.2015 Was tut die Landesregierung gegen die überdurchschnittlich hohen Krebsraten bei Feuer- wehrleuten? Das Hamburger Abendblatt berichtete in seiner Ausgabe vom 12. November 2014 über eine Initia- tive des Feuerwehrverbandes Hamburg zur Anerkennung von Krebserkrankungen als Berufskrank- heit. Am 21. Januar 2015 berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung, dass sich auch der Feuerwehrverband Niedersachsen diese Forderung zu eigen gemacht habe. Studien belegten laut diesen Artikeln, dass das Krebsrisiko bei Feuerwehrleuten nach fünfjährigem Feuerwehrdienst be- reits 20 % und nach fünfzehnjährigem Feuerwehrdienst um 30 % über dem Bevölkerungsdurch- schnitt liege. Grund sei, dass zwar Atemschutz und andere Präventionsmaßnahmen während des Einsatzes eine Kontamination verhinderten, die Giftstoffe jedoch nach dem Einsatz mit in die Wa- che getragen würden. In mehreren Ländern (u. a. Australien, Kanada, Norwegen, Dänemark) ist es bereits üblich, noch am Einsatzort die Einsatzkleidung zu wechseln und zu reinigen. Die Berufsfeuerwehr Braun- schweig plant als erste Feuerwehr in Niedersachsen einen Testlauf zu dieser Vorgehensweise. Ferner ist in Hamburg und Schleswig-Holstein die Einführung von Krebsvorsorgeuntersuchungen im Gespräch. In den angeführten Staaten sind Krebserkrankungen zudem als Berufskrankheiten für Feuerwehrleute anerkannt. Vom 28. bis 29. August 2014 kamen im norwegischen Bergen bereits zum dritten Mal Vertreter von Feuerwehren zum „Weltweiten Kongress zur Anerkennung von berufsbedingten Krebserkrankungen von Feuerwehreinsatzkräften“ zusammen, um Erfahrungen auszutauschen. 2006 berichtete das Journal of Occupational and Environmental Medicine (2006; 48: 1189-1202) von der Feststel- lung eines deutlich höherem Krebsrisiko für Feuerwehrleute. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Welche Krebsrisiken gibt es für Berufsfeuerwehrleute und Mitglieder der freiwilligen Feuer- wehren? 2. Sind der Landesregierung Studien zum höheren Krebsrisiko bei Feuerwehrleuten bekannt, und wie bewertet die Landesregierung diese? 3. Wie bewertet die Landesregierung den Vorschlag, zur Krebsprävention die Einsatzkleidung bereits am Einsatzort zu wechseln, um nachträgliche Kontaminationen zu vermeiden? 4. Wie steht die Landesregierung zur Forderung von Feuerwehrleuten nach Anerkennung von Krebserkrankungen als Berufskrankheit? 5. Erwägt das Land die Einführung von Krebsvorsorgeuntersuchungen? (An die Staatskanzlei übersandt am 21.04.2015) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3616 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 29.05.2015 für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung - 403-01425 - Vorbemerkung zum Versicherungsschutz: Wer unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich für ein Hilfeleistungsunternehmen tätig wird, steht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 12 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Angehörige der Berufsfeuerwehren unterliegen, sofern sie in ei- nem Beschäftigungsverhältnis stehen, nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII der gesetzlichen Unfallversi- cherung. Versehen sie hingegen ihren Dienst in einer Berufsfeuerwehr als Beamtin oder Beamter, was in Niedersachsen der Regelfall sein dürfte, sind sie nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versiche- rungsfrei. Sie unterliegen dann dem für Beamtinnen und Beamte geltenden Versorgungssystem. Zu den Versicherungsfällen der gesetzlichen Unfallversicherung gehören neben Arbeitsunfällen auch Berufskrankheiten (§§ 7, 9 SGB VII). Zuständig für die Durchführung der Unfallversicherung sind die Versicherungsträger (§ 114 SGB VII). Zuständiger Versicherungsträger für die nach § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII versicherten Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren ist im Land Nieder- sachsen die Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen (§ 128 Abs. 2 SGB VII in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 6 und der Verordnung über die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand und Be- soldungshöchstgrenzen für bestimmte Sozialversicherungsträger vom 14.12.2005, Nds. GVBl. 28/2005, S. 405). Vorbemerkung zur internationalen Vergleichbarkeit der Anerkennungspraxis bei Berufskrankheiten: Welche Erkrankungen in einem Staat als Berufskrankheiten anerkannt werden, wird von vielfältigen Faktoren bestimmt: Rechtstradition, Organisation der Sozialversicherung (z. B. Haftungsübernah- me durch die Unfallversicherung), Leistungen im Anerkennungsfall etc. Diese können von Land zu Land erheblich voneinander abweichen - was z. B. daran zu sehen ist, dass es europaweit keine einheitlichen Rechtsvorschriften über die Anerkennung von Berufskrankheiten gibt. Selbst das Mel- dewesen unterscheidet sich von Staat zu Staat. Aus der Anerkennung einer Erkrankung als Be- rufskrankheit in einem anderen Land kann also nicht automatisch abgeleitet werden, dass dieselbe Erkrankung auch in Deutschland als Berufskrankheit anerkannt werden könnte oder müsste. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Es besteht kein Zweifel daran, dass Feuerwehrleute im Einsatz einer Vielzahl von krebserzeugen- den Stoffen ausgesetzt sind. Beispielsweise können hier die einsatzbedingte Exposition gegenüber Asbestfasern oder die Exposition gegenüber Dieselmotoremissionen genannt werden. Weiterhin steht Schichtarbeit mit Störung des zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmus im Verdacht, Krebserkran- kungen auszulösen. Aufgrund der Heterogenität und auch der Komplexität des Einsatzgeschehens in den Freiwilligen Feuerwehren und den Berufsfeuerwehren, aber auch mit Blick auf die unter- schiedlichen Einsatzhäufigkeiten und Einsatzzeiten, ist eine abschließende Aufzählung oder eine Schätzung von Krebsrisiken naturgemäß kaum möglich. Zu 2: Eine zusammenfassende Bewertung von Studien zum Krebsrisiko hat die IARC 1 (International Agency for Research on Cancer) im Jahr 2010 veröffentlicht (Monographie 98 2 ). Danach besteht 1 Die Internationale Agentur für Krebsforschung, kurz IARC ist eine Einrichtung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). 2 IARC Monographs on the Evaluation of Carcinogenic Risks to Humans. Volume 98: Painting, Firefighting, and Shiftwork, Lyon, 2010 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3616 3 eine begrenzte Evidenz für eine krebserzeugende Wirkung beim Menschen durch berufliche Belas- tungen als Feuerwehrkraft („Firefighter“). Abschließend wird die berufliche Belastung als „Firefigh- ter“ als „möglicherweise krebserzeugend“ („possible carcinogenic“) eingestuft (Gruppe 2B). Nach dieser Bewertung der IARC ist damit eine Krebsauslösung bei Einsatzkräften der Feuerwehr durch Belastungen am Arbeitsplatz aber nicht bewiesen. Drei Krebsarten zeigten in den zugrunde liegenden Studien statistisch belegte erhöhte Risiken: Ho- denkrebs (50 % erhöhte Wahrscheinlichkeit), Prostatakrebs (30 % erhöhte Wahrscheinlichkeit) und Non-Hodgkin-Lymphome (20 % erhöhte Wahrscheinlichkeit). Die überwiegende Anzahl der Studien stammten aus den USA. Hier ist aber fraglich, ob die dort zugrunde liegenden Arbeitsplatzbelas- tungen auf die Verhältnisse in Deutschland übertragbar sind (z. B. dadurch, dass eine persönliche Schutzausrüstung weniger regelmäßig getragen wird oder häufiger die Bekämpfung von Waldbrän- den ansteht u. ä.). Aktuellere Studien konnten z. B. ein erhöhtes Risiko für Hodenkrebs und Non- Hodgkin-Lymphome nicht bestätigen (Skandinavien, Pukkala und Mitarbeiter 2014). Dafür waren die Risiken für andere Krebslokalisationen (z. B. Hautkrebs um etwa 30 %) erhöht. Auch in einer amerikanischen Studie fanden sich für andere Krebserkrankungen erhöhte Risiken (hier: Lungen- krebs und Leukämie um 39 bzw. 45 %), nicht aber z. B. für Prostatakrebs (Daniels und Mitarbeiter 2015). Im Ergebnis ist die Frage nach einem insgesamt oder für einzelne Krebsarten erhöhten Risiko für Einsatzkräfte der Berufs- und Freiwilligen Feuerwehren wegen der sehr unterschiedlichen Studien- ergebnisse bisher nicht eindeutig zu beantworten. Es gibt zwar Hinweise auf ein erhöhtes Risiko, ein eindeutiger wissenschaftlicher Beleg steht jedoch noch aus. Generell ist der wissenschaftliche Nachweis eines Zusammenhangs aufgrund der Vielzahl potenzi- ell krebserzeugender Stoffe und anderer Belastungen (Schichtarbeit) mit zudem differierenden Wirkorten und der je nach Einsatzbedingungen und Aufgabe im Einzelfall sehr unterschiedlichen Belastung schwierig. Ergebnisse aus Tierversuchen, die einen Zusammenhang stützen würden, liegen nicht vor. Es ist ebenfalls nicht gesichert, auf welchem Wege die genannten Krebserkran- kungen durch die Tätigkeit bei der Feuerwehr ausgelöst werden könnten. Studien aus Deutschland sind der Landesregierung, bis auf eine kleine und damit nur begrenzt aussagefähige Studie aus dem Jahr 2003 (Stang und Mitarbeiter) zu Hodenkrebs, nicht bekannt. Diese Studie ging in die Bewertung durch die IARC mit ein. Studien des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen liegen hierzu nicht vor. Für die Ab- leitung von Präventionsmaßnahmen wären aus epidemiologischer Sicht bessere Expositionsdaten erforderlich, um möglicherweise genaue Faktoren zu identifizieren, die zu den erhöhten Krebsrisi- ken führen. Das Fehlen geeigneter Daten erschwert die Übertragbarkeit bisheriger Studien auf die niedersächsische Situation; auch können kaum individuelle Risikoprofile für einzelne Feuerwehr- einsatzkräfte abgeleitet werden (zur Verdeutlichung: Nur von insgesamt 70 000 im Epidemiologi- schen Krebsregister Niedersachsen registrierten an Krebs erkrankten Personen liegen Angaben zum Beruf vor, darunter waren nur 71 Erkrankte mit der Angabe „Feuerwehr“). Zu 3: Nach Angaben der Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen wird im Bereich der Freiwilligen Feuer- wehr bereits heute an der Einsatzstelle die Einsatzkleidung gewechselt, wenn eine Exposition ge- genüber gesundheitsgefährdenden Stoffen nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Deswegen sind für Angehörige der Freiwilligen Feuerwehren schon heute bestimmte Maßnahmen der Verhält- nis- und Verhaltensprävention vorgesehen, beispielsweise: – Tragen von der Einsatzsituation angepasster persönlicher Schutzausrüstung, – Verwenden von mehrschichtiger bzw. mehrlagiger Einsatzkleidung, die verhindert, dass sie von Gefahrstoffen durchdrungen wird oder dass sich Gefahrstoffe auf ihr festsetzen, – Austausch der Einsatzkleidung bereits an der Einsatzstelle, wenn eine Exposition gegenüber gesundheitsgefährdenden Stoffen nicht sicher ausgeschlossen werden kann (wie oben bereits erwähnt), Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3616 4 – Verhinderung von Kontaminationsverschleppung durch Einrichten von Schwarz-Weiß-Bereichen in den Feuerwehreinrichtungen, – Einbau technischer Einrichtungen wie z. B. Abgasabsauganlagen. Gemäß Auskunft der Berufsfeuerwehr Hannover wird der Kleidungswechsel vor Ort vergleichbar gehandhabt, wobei die Einsatzkräfte anhand ihrer Erfahrung im Einzelfall entscheiden, ob der Klei- dungswechsel bereits am Einsatzort erfolgen muss. Zu 4: Krebserkrankungen können bereits jetzt nach den Regularien der Berufskrankheitenverordnung (BKV) als Berufskrankheit bzw. Dienstunfall anerkannt werden. Beispielsweise seien genannt: 1. Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV: Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildun- gen der Harnwege durch aromatische Amine, 2. Nr. 1319 der Anlage 1 zur BKV: Larynxkarzinom durch intensive und mehrjährige Exposition gegenüber schwefelsäurehaltigen Aerosolen, 3. Nr. 4104 der Anlage 1 zur BKV: Lungenkrebs oder Kehlkopfkrebs durch Asbest, 4. Nr. 4113 der Anlage 1 zur BKV: Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwas- serstoffe. Bei der Bewertung der unter Fragen Nr. 1 und 2 genannten erhöhten Krebsrisiken ist jedoch zu be- rücksichtigen, dass vor Aufnahme einer neuen Berufskrankheit in die deutsche Liste der Berufs- krankheiten der BKV in der Regel eine Verdopplung des Risikos (100 % erhöhte Wahrscheinlich- keit) im Vergleich zur unbelasteten Bevölkerung gefordert wird. Zum Vergleich: Die Wahrschein- lichkeit, durch Passivrauchbelastung Lungenkrebs zu erwerben, ist gegenüber Nichtbelasteten um etwa 20 bis 30 % (1,3-fach) erhöht. Die Wahrscheinlichkeit für aktive Raucher, an Lungenkrebs zu erkranken ist mindestens 10-fach erhöht. Der Spitzenverband der Unfallversicherungsträger, die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), verweist ebenfalls auf die unter Frage Nr. 2 erwähnte Studie der IARC. Gesicherte Er- kenntnisse einer Humankanzerogenität entsprechend den Anforderungen an die Einführung einer Berufskrankheit oder die Anerkennung einer Erkrankung wie eine Berufskrankheit in Deutschland lassen sich auch aus Sicht des DGUV nicht ableiten. Allgemein muss bei der Bewertung von Stu- dien beachtet werden, dass das erhöhte Risiko für einzelne Krebsarten bei Feuerwehrleuten noch kein Beleg dafür ist, dass die versicherte Tätigkeit ursächlich für dieses erhöhte Risiko ist. Zur wei- teren Hintergrundinformation ist in der Anlage das Merkblatt der DGUV zu Berufskrankheiten beige- fügt. Eine pauschale Anerkennung einer Krebserkrankung als Berufskrankheit bei Feuerwehrleuten ist daher weder möglich noch sachgerecht, da dies eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Be- rufsgruppen/Arbeitnehmern aufgrund der dort geltenden, strengeren Beweisanforderungen bedeu- ten würde. Zu 5: Grundsätzlich stehen allen Feuerwehrkräften die etablierten Krebsfrüherkennungsuntersuchungen (wie z. B. auf Haut-, Brust-, Prostata- und Darmkrebs) entsprechend den Krebsfrüherkennungs- richtlinien zur Verfügung. Pflicht-, Angebots- und Wunschvorsorge werden durch die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) vom 18.12.2008 (BGBl. I, S. 2768) geregelt, die nach § 2 Abs. 1 der von der Feuerwehr-Unfallkasse Niedersachsen erlassenen Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention “ auch für Versicherte in den Freiwilligen Feuerwehren des Landes Niedersachsen gilt. Ziel der ArbMedVV ist es, durch Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge arbeitsbedingte Er- krankungen einschließlich Berufskrankheiten frühzeitig zu erkennen und zu verhüten. Im Rahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge ist bereits jetzt eine auf die berufliche Belastung ausgerichtete Vorsorgeuntersuchung im Rahmen einer Wunschvorsorge nach § 5 a der ArbMedVV möglich. Die zusätzliche Einführung von Krebsvorsorgeuntersuchungen ist daher nicht erforderlich. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3616 5 Zusätzlich werden im Rahmen der regelmäßigen Überprüfung der Atemschutztauglichkeit (G 26) alle ein bis drei Jahre Blut- und Urinwerte auch im Hinblick auf mögliche Krebsfrühsymptome unter- sucht. Im Übrigen ist der Nutzen ungezielter Krebsvorsorgeuntersuchungen vielfach nicht ausrei- chend belegt. Cornelia Rundt (Ausgegeben am 09.06.2015) Drucksache 17/3616 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3338 - Wortlaut der Anfrage des Abgeordneten Rainer Fredermann (CDU), eingegangen am 15.04.2015 Was tut die Landesregierung gegen die überdurchschnittlich hohen Krebsraten bei Feuerwehrleuten? Antwort der Landesregierung