Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3620 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3041 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Miriam Staudte (GRÜNE), eingegangen am 27.02.2015 Erfüllt der Salzstock Gorleben die Mindestanforderungen an ein wirksames Mehrbarrieren- system? In der Antwort auf die Kleine schriftliche Anfrage in der Drucksache 17/2359 hat die Landesregie- rung dargelegt, dass wissenschaftliche Erkenntnisse den Salzstock Gorleben als ungeeignet für die Lagerung von Atommüll ausweisen. Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung: 1. Warum ist ein wirksames Mehrbarrierensystem von großer Bedeutung für die Sicherheit bei der Endlagerung hoch radioaktiven Atommülls, und auf welche wissenschaftlichen Grundla- gen beruft sich die Landesregierung für diese Aussage? 2. In welchem Verhältnis steht das Sicherheitskriterium Mehrbarrierensystem zu der Anforde- rung nach einem einschlusswirksamen Gebirgsbereich? 3. Welches sind die Hauptelemente eines wirksamen geologischen Mehrbarrierensystems? 4. Welche Funktion kommt einem überlagernden Deckgebirge zu, und welche Anforderungen hinsichtlich Gesteinsausbildung, Aufbau sowie hydrogeologischer und hydraulischer Situation muss es erfüllen? 5. Welche Mindestanforderungen muss ein solches Mehrbarrierensystem bei Salzstockstandor- ten nach Einschätzung der Landesregierung erfüllen? 6. Erfüllt der Salzstock Gorleben-Rambow die Mindestanforderungen an ein wirksames Barrie- rensystem? 7. Wie bewertete die Landesregierung die Darstellung der GNS (Gesellschaft für Nuklearser- vice), der Tonschicht im Deckgebirge über dem Salzstock Gorleben-Rambow käme keine si- cherheitstechnisch relevante Barrierenfunktion zu (Vergleiche FAQs auf endlagerung.de, http://www.endlagerung.de/language=de/6886/faq)? 8. Wie hoch ragt die höchste Erhebung des Salzstocks Gorleben-Rambow, der „Steile Zahn“, an die Oberfläche heran, und inwiefern stellt dies ein sicherheitstechnisches Risiko dar? 9. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung vor, inwiefern die Temperaturentwicklung der Abfälle die Integrität der Barrierewirkung des Wirtsgesteins Salz beeinträchtigen kann? (An die Staatskanzlei übersandt am 04.03.2015) Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3620 2 Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 01.06.2015 für Umwelt, Energie und Klimaschutz - MinBüro-01425/17/7/08-0030 - Die Kleine Anfrage beantworte ich namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Mit der Endlagerung radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen wird das Ziel verfolgt, Mensch und Umwelt vor den potenziell schädlichen Auswirkungen von Schadstofffreisetzungen aus den Abfällen langfristig zu schützen (AkEnd [2002]: Auswahlverfahren für Endlagerstandorte. Emp- fehlungen des AkEnd - Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte. Köln.). Konkret soll also verhindert werden, dass radioaktive Stoffe - auf welchem Weg auch immer - in die Biosphäre und damit in die Lebenswelt der Menschen gelangen. Der Begriff „Mehrbarrierensystem“ beschreibt dabei die Kombination von Barrieren, die den radioaktiven Stoffen auf ihrer Ausbreitung in Richtung Biosphäre „im Wege sind“ (Appel und Kreusch [2006]: Das Mehrbarrierensystem bei der Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Salzstock). Die nachfolgenden Kriterien und Sicherheitsanforderungen wurden in den letzten Jahren entwickelt, um die Eignung einer geologischen Formation zur Lagerung hoch radioaktiver Stoffe zu definieren: 1. Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle des Bundesministeriums für Umwelt, Reaktorsicherheit und Naturschutz (Stand Sept. 2010), 2. RSK 1983 Reaktor-Sicherheitskommission (1983): Sicherheitskriterien für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk. - Bundesanzeiger, Jg. 35, Nr. 2 vom 05.01.1983, S. 45/46, Bonn, 3. Ermittlung mehrerer alternativer Standorte in der Bundesrepublik Deutschland für eine indust- rielle Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungsanlage - Entwicklungsvorhaben gefördert vom Bun- desministerium für Forschung und Technologie (1974). Frankfurt/M-Höchst, KEWA Kern- brennstoff-Wiederaufarbeitungs-GmbH. Zur Bewertung verschiedener Salzformationen entwickelte die Bundesanstalt für Geowissenschaf- ten und Rohstoffe (BGR) Kriterien und Sicherheitsanforderungen, die Grundlage der nachfolgenden Studie waren: „Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (1995): Endlagerung stark wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen Deutschlands - Unter- suchung und Bewertung von Salzformationen - Im Auftrag des BMU, BGR-Archiv-Nr. 111089, Hannover“. Laut der BGR-Salzstudie von 1995 würde u. a. nach den folgenden Negativkriterien eine Salzstruk- tur als ungeeignet einzustufen sein: – nicht ausreichende Tiefenlage des Daches der Struktur, bzw. zu große Tiefenlage des Daches oder nicht ausreichendes Volumen im Teufenbereich (Volumen-Kriterium), – Fehlen einer ausreichend vollständigen Überdeckung mit Rupelton oder älteren tonigen Sedimenten (Barriere-Kriterium) und – anderweitig existierend oder geplante Nutzung des Wirtskörpers oder seines Umfeldes (Kriteri- um der „Unverritztheit“). Das Barriere-Kriterium war auch schon in der KEWA-Studie von 1974 und in den Sicherheitsanfor- derungen der RSK von 1983 als ein entscheidendes Eignungskriterium für einen Standort ausge- wiesen worden. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3620 3 Mit der Veröffentlichung der Sicherheitsanforderungen mit Stand 30.09.2010 hatte das BMU dem Bundesamt für Strahlenschutz aktuelle Maßstäbe für ein Endlager für wärmeentwickelnde radioak- tive Abfälle vorgegeben. Neu war hier u. a., dass das o. g. Barriere-Kriterium nicht mehr auftritt. Vielmehr wurde auf das am Anfang der 2000er-Jahre favorisierte Konzept des einschlusswirksa- men Gebirgsbereichs (ewG) abgehoben. Nach diesem Konzept muss der die Abfälle umschließen- de Gebirgsbereich so beschaffen sein, dass nur geringfügige, Mensch und Umwelt nicht schädi- gende Mengen daraus austreten können. Die Überdeckung der das Endlager aufnehmenden, Ge- steinsformation mit einer schützenden Tongesteinsschicht wird hier nicht mehr erwähnt. Im Rahmen der Arbeit der Kommission „Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ sollen nunmehr Vorschläge für Entscheidungsgrundlagen wie Sicherheitsanforderungen, Mindestanforderungen sowie Ausschluss- und Abwägungskriterien erarbeitet werden. Es zeichnet sich ab, dass auf eine Kombination der Schutzfunktionen des ewG und des diesen überlagernden Gesteins nicht verzich- tet werden soll. Zu 2: Der Begriff des ewG wurde im Jahr 2002 vom AkEnd eingeführt. Er ist demnach der wichtigste Teil eines Mehrbarrierensystems. Definitionsgemäß muss der ewG innerhalb der geologischen Barriere des Mehrbarrierensystems Endlager den entscheidenden Beitrag zum Einschluss der Abfälle für den geforderten Isolationszeitraum leisten (AkEnd [2002]: Auswahlverfahren für Endlagerstandorte. Empfehlungen des AkEnd - Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte. Köln.). Die Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle haben im Jahr 2010 festgelegt, dass die Integrität des ewG maßgeblich für den Schutz von Mensch und Umwelt vor Schäden durch ionisierende Strahlen in der Nachverschlussphase des Endlagers ist. Die radioaktiven Abfälle müssen demnach in diesem Gebirgsbereich so eingeschlossen sein, dass sie dort verbleiben und allenfalls geringfügige Stoffmengen diesen Gebirgsbereich verlassen kön- nen (BMU [2010]: Sicherheitsanforderungen an die Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle, Stand 30. September 2010. - BMU, 22 S.). Zu 3: Das Wirtsgestein und gegebenenfalls weitere geologische Formationen oberhalb oder unterhalb des Wirtsgesteinskörpers. Zu 4: Die Sicherheitskriterien des BMU von 1983 definieren das Deck- und Nebengebirge als möglichen Teil eines Mehrbarrierensystems. Nach Appel und Kreusch (2006) kommt dem Deckgebirge zunächst die unmittelbare Schutzfunkti- on für den Erhalt und Integrität des Wirtsgesteins sowie den ewG zu. In Bezug auf das Wirtsgestein Salz wird dort dem Deckgebirge u. a. die Funktion des Schutzes gegen Auflösung des Wirtsgestein und die Rückhaltung der Radionuklide für den Fall zugeschrieben, dass der Zutritt von Lauge an die Abfälle nicht zuverlässig ausgeschlossen werden kann oder bei der Beschreibung des Endla- ger-Salzstocks bzw. bei der Prognose seiner künftigen Entwicklung sicherheitsrelevante Unsicher- heiten bestehen bleiben. Zu 5: Mindestanforderungen dienen der Identifizierung von Gebieten, in denen die geologischen Struktu- ren die Anforderungen an das Isolationsvermögen und die Teufenlage erfüllen. Die Nichteinhaltung der Mindestanforderungen führt zum Ausschluss der Gebiete (AkEnd [2002]: Auswahlverfahren für Endlagerstandorte. Empfehlungen des AkEnd - Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte. Köln.). Die Landesregierung ist der Auffassung, dass ein ungestörtes Deckgebirge eine wichtige Schutz- funktion hinsichtlich des Erhalts und der Integrität des Wirtgesteins Salz sowie des Rückhalts von Radionukliden für den Fall vorstellt, dass der Zutritt von Lauge an die Abfälle nicht zuverlässig aus- geschlossen werden kann oder bei der Beschreibung des Endlager-Salzstocks bzw. bei der Prog- nose seiner künftigen Entwicklung sicherheitsrelevante Unsicherheiten bestehen bleiben. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3620 4 Zu 6: Die Landesregierung ist der Überzeugung, dass der Salzstock die Anforderungen der KEWA- Kriterien von 1974, des BMI von 1983 und die Kriterien der BGR-Salzstudie von 1995 an ein wirk- sames Barrieresystem nicht erfüllt. Zu 7: Die Einschätzung der GNS Gesellschaft für Nuklear-Service mbH: „Der Tonschicht im Deckgebirge kommt somit keine sicherheitstechnisch relevante Barrierenfunktion zu“, (Webseite der GNS Gesellschaft für Nuklear-Service mbH unter endlagerung.de) teilt die Landesregierung nicht. Zu 8: Im geologischen Gutachten zur „Schacht- und Endlagerproblematik Gorleben“ von Duphorn (DUPHORN, K. [1988]: Geologisches Gutachten zur Schacht- und Endlagerproblematik Gorleben. - Gutachten im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion, 141 S., 23 Abb., 3 Tab., 4 Anl.; Kiel) wird die Hö- he des „Steilen Zahns“ mit 172 m u. N.N. angegeben. Nach derzeitigem Kenntnisstand handelt es sich bei dem steilen Zahn um einen Bereich von An- hydritgestein, der von der Subrosion weniger stark betroffen war. Nach Appel und Kreusch (2006) ist die entstehungsbedingte Vergesellschaftung von Steinsalz mit Gesteinstypen (vor allem Kalisalzen, Anhydrit, Salzton) mit für die Endlagerung potenziell ungünsti- gen Eigenschaften als „konfigurativ ungünstig“ zu beurteilen. Demnach sind Kalisalze durch teilwe i- se deutlich höhere Löslichkeit als Steinsalz gekennzeichnet, wodurch es zu besonderen Lösungs- phänomenen kommen kann (vorauseilende Subrosion). Die Gesteinstypen Anhydrit und Salzton reagieren bei mechanischer Beanspruchung leichter mit Rissbildung. Zu 9: Der Einfluss der Temperatur durch die Zerfallswärme der Radionuklide und den damit bewirkten Wärmeeintrag in das Wirtsgestein ist eine der grundlegenden Größen in einem Endlager. Die Tem- peraturänderung im Einlagerungsbereich führt zu einer Beanspruchung des umgebenden Gebirges durch den Aufbau mechanischer Spannungen und Verformungen. Darüber hinaus wirken sich Temperaturänderungen u. a. auf die Eigenschaften des Wirtsgesteins, die Reaktionsgeschwindig- keit von chemischen Vorgängen und auf das Materialverhalten der Barrieren in einem Endlagersys- tem aus. Stefan Wenzel (Ausgegeben am 09.06.2015) Drucksache 17/3620 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/3041 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Miriam Staudte (GRÜNE), eingegangen am 27.02.2015 Erfüllt der Salzstock Gorleben die Mindestanforderungen an ein wirksames Mehrbarrierensystem? Antwort der Landesregierung