Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3636 1 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2837 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Martin Bäumer, Karl-Heinz Bley, Angelika Jahns, Mechthild Ross-Luttmann und Bernd-Carsten Hiebing (CDU), eingegangen am 30.01.2015 Hat die Landesregierung das Ziel der Erleichterung der wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden in Hinblick auf die Energiewende aufgegeben? Mit der Kleinen schriftlichen Anfrage (Drs. 17/2297) wurde nach der Zulässigkeit von Beteiligungen der niedersächsischen Kommunen an Windkraftanlagen in ihrem Gemeindegebiet gefragt. Anlass hierzu waren Pläne der Gemeinde Bösel, sich an einer Windenergieanlage zu beteiligen, um die Akzeptanz der Anlage bei ihren Bürgerinnen und Bürgern zu fördern. Fraglich war jedoch die kom- munalrechtliche Zulässigkeit einer solchen Beteiligung. In ihrer Antwort vom 9. Dezember 2014 (Drs. 17/2602) beantwortet die Landesregierung die Frage, ob die Beteiligung einer Kommune an Windenergieanlagen in ihrem Gemeindegebiet, die Wahr- nehmung einer sozial-, gemeinwohl- und damit einwohnernützliche Aufgabe und damit einen öffent- lichen Zweck darstelle, mit „nein.“ Konkret darf laut Antwort der Landesregierung die Gemeinde Bösel sich an Windenergieanlagen in ihrem Gemeindegebiet nur dann beteiligen, wenn sie die Vermarktung der dadurch erzeugten elektrischen Energie als unter ihrer Regie betriebene Eigenversorgung vorsehe und die übrigen Bestimmungen des kommunalen Wirtschaftsrechts erfüllt würden. Die Antwort der Landesregierung bewertet die Beteiligung an einer Windenergieanlage als ein Un- ternehmen im Sinne des § 136 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG). Sie verneint aber das Vorliegen eines ausreichenden öffentlichen Zweckes, wodurch die Beteiligung zulässig wäre. Die Landesregierung geht in ihrer Antwort nicht darauf ein, warum die Beteiligung an Windenergie- anlagen überhaupt ein Unternehmen nach § 136 Abs. 1 NKomVG ist und warum kein Fall des § 136 Abs. 3 Nr. 2 NKomVG vorliegt. § 136 Abs. 3 Nr. 2 NKomVG bestimmt, dass Einrichtungen des Umweltschutzes keine Unterneh- men im Sinne der §§ 136 ff. NKomVG seien. Damit müsste der von der Landesregierung geforder- te, aber im Fall der Gemeinde Bösel verneinte öffentliche Zweck gar nicht vorliegen. In den einschlägigen Kommentierungen und Aufsätzen wird durchaus vertreten, dass Anlagen zur regenerativen Energieerzeugung zu den nichtwirtschaftlichen Einrichtungen zählen. Denn Anlagen, die zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) geschaffen und errichtet seien, dienten gerade nicht allein der Energieerzeugung, sondern erführen vielmehr die besondere Förderung des Gesetzes, weil sie insbesondere dem Interesse des Klima- und Umweltschutzes gemäß § 1 EEG zu dienen bestimmt und hierfür geeignet sind. Damit bestünde ihr Hauptzweck, zumindest ihr gleichrangig neben der Energieerzeugung stehen- der Zweck in der Förderung des Schutzes von Klima und Umwelt. (siehe hierzu R&R 2010, 18; Thiele in NKomVG; § 136, Ziffer 3; Freese in Blum, Häusler, Meyer, NKomVG, Kommentar, § 136, Rn. 32 ff.). Die Voraussetzungen des § 136 Abs. 1 NKomVG zur Zulässigkeit wären damit nicht mehr anzuwenden. Der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen in Niedersachsen enthält ferner auf Seite 20 die Ankündigung einer Generalüberholung des NKomVG. Ziel sei es dabei u. a., dass „die wirtschaftli- che Betätigung der Kommunen gerade im Hinblick auf die Energiewende erleichtert und abgesi- chert werden soll.“ Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3636 2 Auf die Frage 3 der vorherigen Anfrage (Drs. 17/2602), ob die Landesregierung eine Änderung des Kommunalwirtschaftsrechts plane, wenn die Beteiligung an einer Windenergieanlage in ihrem Ge- meindegebiet ihrer Ansicht nach gegenwärtig unzulässig sei, antwortete die Landesregierung: „Nein.“ Weitere Ausführungen machte sie zu dieser Frage nicht, sondern verwies später auf die Möglich- keit des Betriebs von Stromerzeugungsanlagen durch Stadt- oder Gemeindewerke. Nicht alle Ge- meinden in Niedersachsen verfügen jedoch über Stadt- oder Gemeindewerke. Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung: 1. Teilt die Landesregierung die Ansicht der zitierten Kommentare, dass die Beteiligung an Windenergieanlagen dem Umweltschutz dient und die Voraussetzungen des § 136 Abs. 1 NKomVG daher nicht erfüllt werden müssen? Wenn nein, warum nicht ? 2. Aus welchen Gründen hat sich die Landesregierung in ihrer Antwort (Drs. 17/2602) nicht mit dieser rechtlichen Möglichkeit auseinandergesetzt? 3. Gibt die Landesregierung das Ziel der Erleichterung der wirtschaftlichen Betätigung der Kom- munen, also die Änderung des § 136 NKomVG, trotz der dargestellten, eindeutigen Aussagen im Koalitionsvertrag auf? Oder ist die Antwort zu Frage 3 in der Drucksache 17/2602 falsch? 4. Wenn nein zu Frage 3: Welche Änderungen plant die Landesregierung, um entsprechend dem Koalitionsvertrag die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen im Hinblick auf die Ener- giewende zu erleichtern und abzusichern, und warum gehört die ausdrückliche Genehmigung der Beteiligung an Projekten zur regenerativen Energieerzeugung nicht dazu? 5. Welche niedersächsischen Gemeinden oder Städte haben keine Gemeinde- oder Stadtwer- ke? (An die Staatskanzlei übersandt am 04.02.2015) Antwort der Landesregierung Niedersächsisches Ministerium Hannover, den 26.05.2015 für Inneres und Sport - 33.1-10005(§136) - Die Landesregierung verfolgt das Ziel, die kommunalverfassungsrechtlich bestimmten Grenzen für kommunalwirtschaftliche Betätigungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge im Hinblick auf ihre einengenden Wirkungen zu lockern. Insbesondere sind davon die kommunalen Unternehmen im Energiewirtschaftssektor betroffen. Diese drohen im Wettbewerb zu unterliegen und sind in ihrer Existenz bedroht, wenn es ihnen nicht ermöglicht wird, in wirtschaftlicher Hinsicht einen Ausgleich für die in diesem Wirtschaftssektor ergriffenen Deregulierungsmaßnahmen erreichen zu können. Die Landesregierung bereitet zurzeit einen Gesetzentwurf vor, dessen Ziel es ist, entsprechende nachteilige Effekte des derzeit geltenden Gemeindewirtschaftsrechts aufzuheben. Vorgesehen ist auch, die darin enthaltene sogenannte Drittschutzklausel zu streichen. Bei einer gesetzlichen Um- setzung dieser Vorstellungen, die im Anschluss an die noch durchzuführenden Anhörungen dem Landtag noch in diesem Jahr zur Beratung vorgelegt werden sollen, können die in der Koalitions- vereinbarung geschilderten Ziele umfassend für den Wirkungsbereich der kommunalen Energie- versorgungsunternehmen umgesetzt werden. Ausgangslage für die Beantwortung der Kleinen Anfrage des Abgeordneten Bley (CDU) aus dem vergangenen Jahr war ausschließlich ein konkret angefragter Einzelfall mit seinen besonderen Ausprägungen in finanzieller Hinsicht und seiner vorhabentechnischen Planung. Ein Bezug zu der von der Landesregierung geplanten Novelle im Bereich des kommunalen Wirtschaftsrechts bestand hingegen nicht. Festzustellen ist daher, dass weder das bisherige Recht vorsieht, noch dass mit Blick auf die zukünftigen Änderungen geplant ist, dass ein schrankenloses Engagement von Kom- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3636 3 munen an Investorenprojekten für die Erzeugung von Energie aus Windkraft auf dem jeweiligen Gemeindegebiet erfolgen kann. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt: Zu 1: Nein. Die Beteiligung einer Kommune an Windenergieanlagen, die abgesehen davon, dass diese der Energieerzeugung nach den Bedingungen des EEG dienen, im Übrigen jedoch keinen weiteren ausreichenden Zweckbezug zu Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft aufweisen, kann nach Auffassung der Landesregierung nicht als Einrichtung im Sinne von § 136 Abs. 3 Nr. 2 NKomVG angesehen werden. Sie ist als wirtschaftliche Betätigung einzustufen und nur bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 136 Abs. 1 NKomVG zulässig. Eine andere rechtliche Einordung würde voraussetzen, dass diese Betätigung der Kommune grundsätzlich auch einen Teil der unmittelba- ren Verwaltungstätigkeit der Kommune bilden könnte, bei deren Aufgabenerfüllung die Kommune alternativ auch einen rechtlich unselbstständigen Eigenbetrieb errichten oder ihre Erledigung an ein in der Rechtsform einer kommunale Anstalt rechtlich selbstständiges kommunales Unternehmen delegieren könnte. Als Ausnahmefall ist die Rechtsformwahl eines privaten Unternehmens dafür anzusehen (§ 136 Abs. 4 Satz 4 NKomVG). Jenseits der Ansehung der Rechtsform muss man die- ses Unternehmen jedoch als öffentliche Einrichtung für die Zweckerfüllung einer kommunalen Auf- gabe erkennen können. Das NKomVG legt nicht eindeutig fest, wie eine öffentliche Einrichtung trennscharf abzugrenzen ist. Nach herkömmlicher Auffassung handelt es sich dann um eine Einrichtung, wenn sie durch Wid- mung einem bestimmten Kreis der Öffentlichkeit zur Benutzung zur Verfügung gestellt wird. Neben tatsächlich benutzbaren Gegenständen kann es sich auch um eine Sachgesamtheit oder nur um den Bestandteil einer Sache handeln. Zweck sowie Benutzungsart und -umfang werden durch die Widmung festgelegt. Sachen, die im Gemeingebrauch stehen, wie etwa die öffentlichen Straßen, fallen nicht darunter. In ihrer Funktion als öffentliche Einrichtung wird sie statusrechtlich der kommunalen Allzuständig- keit zugeordnet und der Zweck, dem sie als kommunale Einrichtung gewidmet ist, muss als Ange- legenheit der örtlichen Gemeinschaft gegen den Zuständigkeitsbereich der allgemeinen Politik ab- grenzbar sein. Hiernach sind Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben. Für ihren operativen Wirkungsbereich ist maßgeblich, dass sie zur freien Nutzbarkeit der Einwoh- nerinnen und Einwohner nach deren Bedürfnissen zur Verfügung steht, soweit dies nicht durch ei- nen insoweit erlassenen Anschluss- und Benutzungszwang eingeschränkt ist. Ein weiteres be- stimmendes Merkmal bei einer Einrichtung im Sinne von § 136 Abs. 3 Nr. 2 NKomVG ist, dass sie der wirksamen Ausübung eines steuernden Einflusses durch die kommunalen Entscheidungsträger im Hinblick auf ihre Zweckerfüllung und die Intensität der Aufgabenwahrnehmung unterliegen muss. Dies kann nach Auffassung der Landesregierung bei einem investiven Beteiligungsvorhaben einer Kommune an einem von privaten Investoren errichteten Unternehmen nicht als zutreffend angese- hen werden. Zu 2: Die Beteiligung einer Kommune an einer von privaten Investoren errichteten Windenergieanlage er- füllt nach wie vor nicht die notwendigen Voraussetzungen, um sie als kommunale Einrichtung im Sinne von § 136 Abs. 3 NKomVG ansehen zu können, wenn diese Anlage der allgemeinen Ener- gieerzeugung dient und für den von dieser Anlage erzeugten Strom kein eigener Zweckbezug be- steht (siehe Antwort auf Frage 1). Sie wäre nach der geltenden Rechtslage als rein kommerziell anzusehen. Weder aus der Fragestellung in der Drs. 17/2297 noch nach dem Zusammenhang, in den diese gestellt war, war augenscheinlich, dass von dem Fragesteller diesbezüglich nähere rechtliche Erläuterungen gewünscht waren. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3636 4 Zu 3: Die Landesregierung verfolgt selbstverständlich nach wie vor das Ziel, einengende Regelungen im Gemeindewirtschaftsrecht aufzuheben und verbindet dieses Vorhaben insbesondere auch - wie zwischen den die Landesregierung tragenden Parteien verabredet - mit einem auf die Energiewirt- schaft gerichteten Schwerpunkt. Vor dem Hintergrund, dass aber keine Absicht besteht, ein schrankenloses Engagement von Kommunen an Investorenprojekten für die Erzeugung von Ener- gie aus Windkraft auf dem jeweiligen Gemeindegebiet zuzulassen, war die Frage 3 aus der Anfrage des Abg. Bley (CDU) vom 30.10.2014 (Drs. 17/2297) mit Nein zu beantworten. Auf die Vorbemer- kungen wird verwiesen. Zu 4: Nach den derzeitigen Überlegungen der Landesregierung wird zu den Erleichterungen im Hinblick auf die Energiewende zählen, dass die derzeit im Allgemeinen geltenden Subsidiaritätsschranken gelockert werden und von der Anwendung des strikten Örtlichkeitsprinzips bei der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen u. a. in der Energieversorgung abgesehen werden soll. Eine unter Leis- tungsfähigkeitsgesichtspunkten zulässige Beteiligung von Kommunen an Windenergieprojekten soll bei einer entsprechenden örtlichen Betroffenheit kommunalwirtschaftlich ebenfalls erlaubt werden, selbst wenn keine Versorgung des Gemeindegebiets mit dem dort erzeugten Strom erfolgt. Zu 5: Der Landesregierung liegen keine ausreichenden Daten zur Beantwortung dieser Frage vor. Eine umfangreiche Abfrage bei den Kommunen wäre mit angemessenem Aufwand in der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich. Boris Pistorius (Ausgegeben am 10.06.2015) Drucksache 17/3636 Antwort auf eine Kleine schriftliche Anfrage - Drucksache 17/2837 - Wortlaut der Anfrage der Abgeordneten Martin Bäumer, Karl-Heinz Bley, Angelika Jahns, Mechthild Ross-Luttmann und Bernd-Carsten Hiebing (CDU), eingegangen am 30.01.2015 Hat die Landesregierung das Ziel der Erleichterung der wirtschaftlichen Betätigung von Gemeinden in Hinblick auf die Energiewende aufgegeben? Antwort der Landesregierung