Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/3654 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/3397 - Zwischen Kopftuchurteil und „Idschaza“ - Welche Voraussetzungen gelten für Lehrkräfte im islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Björn Thümler und Kai Seefried (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 28.04.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 04.05.2015 Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung vom 05.06.2015, gezeichnet In Vertretung des Staatssekretärs Jan ter Horst Vorbemerkung der Abgeordneten Mit Beginn des Schuljahres 2013/2014 ist der islamische Religionsunterricht in Niedersachsen als ordentliches Unterrichtsfach eingeführt worden. In einer Pressemitteilung des Kultusministeriums vom 16. Dezember 2013 heißt es hierzu: „Der Unterricht basiert auf einem staatlichen Lehrplan sowie entsprechenden Lern- und Lehrmaterialien, die vom Land im Einvernehmen mit dem Beirat für islamischen Religionsunterricht erlassen bzw. zugelassen worden sind. (…) Erteilt wird der islamische Religionsunterricht von derzeit landesweit 25 Lehrkräften, die sowohl fachwissenschaftlich und -didaktisch als auch pädagogisch ausgebildet sind. Alle verfügen über die islamische Lehrer- laubnis, die sogenannte Idschaza.“ Am 13. März 2015 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss zum Kopftuch- verbot für Lehrerinnen in Nordrhein-Westfalen und entschied, dass „ein pauschales Verbot religiö- ser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht ver- einbar ist“ (Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. März 2015). Vorbemerkung der Landesregierung Das Unterrichtsfach Islamische Religion wird in Niedersachsen nach einem fast zehnjährigen Mo- dellversuch im Primarbereich seit dem Schuljahr 2013/2014 als ordentliches Unterrichtsfach an Grundschulen - aufsteigend ab dem 1. Schuljahrgang - unterrichtet. In den Schulen des Sekundar- bereichs I wird dieses Unterrichtsfach seit Beginn des Schuljahrs 2014/2015 aufsteigend ab dem 5. Schuljahrgang angeboten. Derzeit werden an insgesamt 55 öffentlichen niedersächsischen Schulen 2 373 Schülerinnen und Schüler der Jahrgänge 1 bis 5 verschiedener Schulformen von insgesamt 32 Lehrkräften in diesem Fach unterrichtet. Diese Zahlen werden im Rahmen der stufenweise erfolgenden Einführung vo- raussichtlich weiter wachsen. Die Einrichtung des neuen Faches als ordentliches Unterrichtsfach erfolgte wie beim evangelischen und katholischen Religionsunterricht auf der Grundlage der §§ 124 bis 127 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG). Das Unterrichtsfach Islamische Religion basiert auf einem Kerncurricu- lum, das vom Land in Übereinstimmung mit dem Beirat für den islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen verfasst und erlassen wurde. Für den Primarbereich wurde bereits im Jahr 2010 das entsprechende Kerncurriculum erstellt. Für den Sekundarbereich I ist das Kerncurriculum zum 01.08.2014 in Kraft getreten. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3654 2 Eingestellt werden können Bewerberinnen und Bewerber mit einer grundständigen Lehramtsaus- bildung, einer zertifizierten Qualifizierung aufgrund einer Weiterbildungsmaßnahme oder als Quer- einsteigerin oder Quereinsteiger. Der universitäre Teil der Ausbildung der Lehrkräfte für Islamische Religion erfolgt in Niedersachsen an der Universität Osnabrück. Zugangsvoraussetzung für die Immatrikulation für den dreijährigen Bachelorstudiengang Islamische Religion im Bachelorstudien- gang „Bildung, Erziehung und Unterricht“ ist die allgemeine Hochschulreife. Das Studium hat einen Umfang von sechs Semestern (Regelstudienzeit). An den Bachelorabschluss schließt sich ein zweijähriger Masterstudiengang an, dessen Abschluss (Master of Education) die Voraussetzung für die reguläre Übernahme in den Vorbereitungsdienst und die spätere Einstellung als Lehrerin oder Lehrer in den Schuldienst ist. Theologische Lehrinhalte werden durch Religionspädagogik und Fachdidaktik ergänzt. Im Rahmen des Modellversuchs wurden bereits in einer umfangreichen Weiterbildungsmaßnahme des Niedersächsischen Landesinstituts für schulische Qualitätsentwicklung Lehrkräfte für einen Einsatz im Fach Islamische Religion qualifiziert. Wie in allen anderen Unterrichtsfächern besteht die Möglichkeit des Quereinstiegs. Für bereits sich im Landesdienst befindende Lehrerinnen und Leh- rer gibt es regelmäßig Fortbildungsangebote. Islamische Religion wird als bekenntnisorientierter Religionsunterricht erteilt, deshalb bedarf die Tä- tigkeit als Lehrerin oder Lehrer der Erteilung einer Lehrerlaubnis (Idschaza) durch den Beirat für den islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen; entsprechende Lehrerlaubnisse sind auch für den Unterricht Evangelische Religion (Vokation) und Katholische Religion (Missio canonica) er- forderlich. 1. Verfügen alle derzeit in Niedersachsen eingesetzten Lehrkräfte für islamischen Religi- onsunterricht über die sogenannte Idschaza? Ja. 2. Welche Voraussetzungen müssen Lehrkräfte mitbringen, um im Fach „Islamische Reli- gion“ eingesetzt werden zu können? Im Hinblick auf die erforderliche Qualifikation wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 3. Wurden die Einstellungsvoraussetzungen bzw. -bedingungen seit Dezember 2013 ver- ändert? Wenn ja, welche Änderungen wurden vorgenommen und warum? Nein. 4. Kann der Bedarf an islamischen Religionslehrkräften derzeit gedeckt werden? In den Schuljahren 2013/2014 und 2014/2015 konnte der von den Schulen gemeldete Bedarf an is- lamischem Religionsunterricht weitestgehend gedeckt werden. 5. Wie entwickelt sich der zukünftige Bedarf an Lehrkräften für den islamischen Religi- onsunterricht? Da die Einführung des Unterrichtsfaches aufsteigend seit dem Schuljahr 2013/2014 in Schuljahr- gang 1 und seit Beginn des Schuljahrs 2014/2015 in Schuljahrgang 5 erfolgt, wird mit einem all- mählichen Anstieg des Bedarfs an Lehrkräften für das Fach Islamische Religion gerechnet. Konkre- te Zahlen für das kommende Schuljahr werden im Zusammenhang mit den Anmeldungen der Schülerinnen und Schüler ermittelt. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3654 3 6. Welche Maßnahmen trifft das Land, um den zukünftigen Bedarf ohne Herabsetzung der Qualitätsanforderungen zu decken? Bei der Einstellung von Lehrkräften für Islamische Religion wird auf die Einhaltung der beschriebe- nen Qualitätsstandards geachtet. Deshalb werden Stellen mit Bewerberinnen und Bewerbern mit abgeschlossener Lehramtsausbildung und im Falle von Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern mit vergleichbaren akademischen Qualifikationen besetzt. Für sich bereits im Dienst befindende Lehrerinnen und Lehrer gibt es Fortbildungsangebote. 7. Welche Veränderungen ergeben sich aus Sicht der Landesregierung durch den Be- schluss des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot für Lehrerinnen in Nord- rhein-Westfalen a) für die Einstellungsvoraussetzungen und -bedingungen im Fach „Islamische Reli- gion“, b) für die Einstellungsvoraussetzungen und -bedingungen in anderen Fächern? a) Durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 27.01.2015 (1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10) ergeben sich für die Einstellungsvoraussetzungen und die Einstellungsbedin- gungen im Fach „Islamische Religion“ keine Veränderungen. Bei der Erteilung von Religions- unterricht dürfen Lehrkräfte in ihrem Erscheinungsbild ihre religiöse Überzeugung gemäß § 127 Abs. 2 NSchG ausdrücken. b) Das Bundesverfassungsgericht hat mit der zuvor zitierten Entscheidung vom 27.01.2015 ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräf- ten wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität an öffentlichen Schulen für verfassungswidrig erklärt. Das Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gewährleistet auch Lehrerinnen an öffentli- chen Schulen grundsätzlich die Freiheit, aus religiösen Gründen ein Kopftuch zu tragen. Dies betrifft Lehrkräfte aller Unterrichtsfächer gleichermaßen. Das Tragen eines Kopftuchs stellt dementsprechend grundsätzlich auch keinen Hinderungsgrund für eine Einstellung dar. 8. Welche Auswirkungen erwartet die Landesregierung durch den genannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts auf die übrigen Bereiche des Landesdienstes, z. B. Po- lizeidienst, Justizvollzug, Richterdienst und allgemeine Verwaltung? § 56 Abs. 1 des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG) regelt für Beamtinnen und Beamte das Verbot der Gesichtsverhüllung bei Ausübung des Dienstes. Dies umfasst nicht das Tragen ei- nes Kopftuches. Es besteht insofern in der Folge des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten Kopftuchverbot kein gesetzlicher Änderungsbedarf im NBG. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat auch keine unmittelbaren Auswirkungen auf die niedersächsische Justiz. Es gibt keine gesetzliche Regelung, die Justizangehörigen das Tragen ei- nes Kopftuchs verbietet. Die gesetzliche Grundlage für Regelungen zum Tragen von Dienstkleidung findet sich in § 56 Abs. 2 NBG. Danach ist die Beamtin oder der Beamte verpflichtet, nach näherer Bestimmung der obersten Dienstbehörde Dienstkleidung zu tragen, soweit dies üblich oder erforderlich ist. Die Re- gelung gilt nach § 2 Abs. 1 des Niedersächsischen Richtergesetzes für Richterinnen und Richter entsprechend. Das Tragen von Dienstkleidung für den Polizeibereich ist im Erlasswege geregelt. Innerhalb der Polizei Niedersachsen hat es bislang im Hinblick auf das Tragen eines Kopftuches keinen einschlägigen Fall gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat als Grenze für das Tragen eines Kopftuches, das nachvollzieh- bar von der Trägerin aus religiösen Gründen als verpflichtend verstanden wird, den Maßstab der hinreichend konkreten Gefahr für andere Verfassungsgüter wie die negative Glaubensfreiheit und das Neutralitätsgebot des Staates aufgestellt. Es kann auch für die allgemeine Verwaltung nicht Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/3654 4 von vornherein ausgeschlossen werden, dass im Einzelfall entsprechende Konfliktlagen bei Bür- gerkontakten oder der dienstlichen Zusammenarbeit auftreten können. Die weitere Entwicklung bleibt insgesamt abzuwarten. (Ausgegeben am 15.06.2015) Drucksache 17/3654 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/3397 - Zwischen Kopftuchurteil und „Idschaza“ - Welche Voraussetzungen gelten für Lehrkräfte im islamischen Religionsunterricht in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Björn Thümler und Kai Seefried (CDU), eingegangen am 28.04.2015 Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums