Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/4079 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/3777 - Welche Möglichkeiten nutzt die Landesregierung, um den Hochwasserschutz an der Este mit dem Erhalt der besonderen Kulturlandschaft im Alten Land in Einklang zu bringen? Anfrage des Abgeordneten Helmut Dammann-Tamke (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 25.06.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 07.07.2015 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 07.08.2015, gezeichnet Stefan Wenzel Vorbemerkung des Abgeordneten Das Buxtehuder Tageblatt berichtet in dem Artikel „Wenn an der Este der Pegel steigt“ vom 02.05.2015 über eine Podiumsdiskussion zum „Hochwasserschutz an der Este“, an der auch die Staatssekretärin im Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz (MU), Almut Kottwitz, teilgenommen hat. Hintergrund ist der seit Jahren schwelende Streit darüber, wie der Hochwasserschutz an der Este am besten anzugehen sei. Vorbemerkung der Landesregierung Grundlage für die Beantwortung der folgenden Fragestellungen bildet das nach der verheerenden Sturmflut von 1962 verabschiedete Niedersächsische Deichgesetz (NDG). Bei den Beratungen zu diesem Gesetz mussten insbesondere wasserwirtschaftliche und bautechnische Grundsatzfragen, die in den verschiedenen Küstengebieten seit alters her unterschiedlich beurteilt wurden, aufeinander abgestimmt werden. Ferner fanden die bei der vorhergegangenen Sturmflut gewonnenen Erkenntnisse Berücksichtigung. Dies hat das Gesetzgebungsverfahren zu dieser an sich schon nicht einfachen Gesetzesmaterie zu einer einheitlichen und neuzeitlichen Ausgestaltung besonders erschwert , wie auch aus der verhältnismäßig langen Beratungsdauer des Deichgesetzes vom Mai 1961 bis zum Februar 1963 zu erkennen ist. Schon nach früherem Recht dienten Deiche aus „Gründen des öffentlichen Wohls“ als „öffentliche Schutzwerke“, die unmittelbar dem Gemeinwohl zu dienen bestimmt waren und wegen dieser Zweckgebundenheit einem öffentlichen Sonderrecht unterstanden. Im Hinblick auf die Landessicherheit fordert auch das heute geltende Deichrecht den von seinem Regelungsgehalt betroffenen Bürgern zum Wohle der Allgemeinheit einiges ab, da der Schutz unseres 6 600 Quadratkilometer großen küstennahen Siedlungsgebiets vor den Gefahren der See bzw. der Siedlungsgebiete an den Flussläufen vor einem Hochwasserereignis im Binnenland Vorrang vor anderen Belangen haben muss. Das schließt nicht aus, dass die Bestimmungen des NDG an veränderte fachliche oder rechtliche Rahmenbedingungen angepasst werden, wie dies seit Inkrafttreten des Gesetzes im Jahr 1963 bereits mehrfach geschehen ist. Aus Sicht der Landesregierung ist mit dem Deichgesetz den mit dem Deichwesen befassten örtlichen Behörden und Verbänden ein Hilfsmittel an die Hand gegeben worden, mit dem die vielfältigen und nicht immer einfachen Herausforderungen des Küsten- und Hochwasserschutzes unter besonderer Beachtung des Allgemeinwohls eigenverantwortlich gelöst werden können und müssen . Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4079 2 1. Die Staatssekretärin gesteht im oben genannten Pressebericht den gewachsenen Dorfstrukturen an der Este eine spezielle Situation zu. Hält die Landesregierung damit diese historisch gewachsenen auf und am Deich gelegenen Deichhufendörfer für schutzwürdige Kulturgüter des Alten Landes? Ja. Aus übergeordneten Gründen der Landessicherheit müssen jedoch auch für die historisch gewachsenen auf und am Deich gelegenen Deichhufendörfer die deichgesetzlichen Regelungen gelten . 2. Wenn nein, ist der Landesregierung bewusst, dass einzelne Bauten unter Denkmalschutz stehen und das Dorf Estebrügge mit seiner Deichbebauung als Ganzes - inklusive seiner Lindenallee - als Ensemble unter Denkmalschutz steht? Entfällt. 3. In obigem Pressebericht wird die Staatssekretärin wie folgt zitiert: „Bei den Bäumen auf dem Deich ist das bereits geschehen: Solange sie stehen, bleiben sie, sind sie abgängig , werden sie nicht ersetzt.“ Sind die historisch gewachsenen Alleen oder Einzelbäume auf den Flussdeichen nach Ansicht der Landesregierung erhaltungswürdige Kulturgüter? Ja, selbstverständlich kann es sich bei den historisch gewachsenen Alleen oder Einzelbäumen auf den Flussdeichen um erhaltungswürdige Kulturgüter handeln. Es muss aber sichergestellt sein, dass ihre Erhaltung im Einzelfall mit den Belangen der Deichsicherheit vereinbar ist. 4. Ist es die beabsichtigte Strategie des Umweltministeriums, alle historisch gewachsenen Alleen oder Einzelbäume auf den Flussdeichen des Alten Landes sukzessive zu entfernen ? Aufgabe des Umweltministeriums ist es darauf zu achten, dass die Umsetzung der deichrechtlichen Bestimmungen durch die örtlichen Behörden rechtskonform erfolgt. Einzige Aufgabe eines Deiches ist es, das binnenseitige Gebiet vor Überflutung zu schützen. Gehölze auf Deichen beeinträchtigen deren Tragsicherheit, deren Unterhaltung und die Deichverteidigung. Ein Ersatz abgängiger Gehölze ist daher grundsätzlich nicht zulässig. 5. Steht die Landesregierung noch zum Bestandsschutz für die historische Deichbebauung im Alten Land? Ja. 6. Wenn ja, beinhaltet das auch den Umbau oder Neubau von renovierungsbedürftigen oder zerstörten Objekten? Das aus Artikel 14 des Grundgesetzes abgeleitete Rechtsinstitut des Bestandsschutzes verleiht einem rechtmäßig begründeten Bestand und seiner Nutzung grundsätzlich Durchsetzungskraft gegenüber neuen gegebenenfalls entgegenstehenden Gesetzen und Anforderungen. Will sich jemand auf Bestandsschutz berufen, so ist dessen Reichweite im Einzelfall zu prüfen. Umbauten, die sich im Rahmen der rechtmäßig bestehenden Nutzung halten, bleiben danach zulässig. Etwas anderes gilt bei abgebrannten Häusern oder Häusern, die abgerissen und durch einen Ersatzbau ersetzt werden sollen. Hier greift der Bestandschutz nicht. Hier wäre gegebenenfalls eine Ausnahmegenehmigung nach Deichrecht erforderlich und dann im Einzelfall zu entscheiden, ob und wie neu gebaut werden darf. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4079 3 7. Der zuständige Kreisbaurat wird in dem oben genannten Bericht wie folgt zitiert: „Wir als Landkreis versuchen, das Deichgesetz so auszulegen, dass die historische Kulturlandschaft erhalten werden kann, würden uns aber noch mehr gesetzlichen Spielraum wünschen.“ Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung - außer einer entsprechenden Änderung des Deichgesetzes selbst -, dieser Forderung nach mehr Spielraum nachzukommen? Die unteren Deichbehörden, d. h. die Landkreise, kreisfreien und großen selbstständigen Städte haben das NDG zu vollziehen, sofern nicht durch das Gesetz selbst oder die Zuständigkeitsverordnung etwas anderes bestimmt ist. Zur Zuständigkeit der unteren Deichbehörden gehört u. a. die Erteilung von Befreiungen. Sie haben auch sicherzustellen, dass die Träger der Deicherhaltung ihre Aufgaben erfüllen können. Die Landesregierung ist der Auffassung, dass den Deichbehörden dabei der erforderliche Spielraum verbleibt, um ihre Aufgabe auf der Grundlage des geltenden Rechts eigenverantwortlich erfüllen zu können. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. 8. Im Rahmen der Veranstaltung hat die Staatssekretärin ausführlich über den ganzheitlichen Hochwasserschutz gesprochen, der zum Ziel hat, den Flüssen im Oberlauf mehr Raum zu geben. Dies gelte ausdrücklich auch für kleinere Flüsse. In welcher Weise gehen diese Grundzüge des Hochwasserschutzes in die niedersächsischen Gesetzgebung , die entsprechenden Richtlinien des MU und die Genehmigungskriterien des NLWKN ein? Der Bund besitzt für den Wasserhaushalt die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit und hat für den Bereich des Hochwasserschutzes entsprechende Vollregelungen erlassen. Die Länder haben die Möglichkeit, diese bundesrechtlichen Vorschriften zu ergänzen bzw. zu konkretisieren. Für die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten ergänzen die §§ 115 und 116 des Niedersächsischen Wassergesetzes das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes als eigene niedersächsische Regelungen . Das Wasserhaushaltsgesetz des Bundes formuliert verschiedene Grundsätze, die bei der Gewässerbewirtschaftung und beim Gewässerausbau zu beachten sind. So sind an oberirdischen Gewässern so weit wie möglich natürliche und schadlose Abflussverhältnisse zu gewährleisten, und insbesondere durch Rückhaltung des Wassers in der Fläche ist der Entstehung von nachteiligen Hochwasserfolgen vorzubeugen. Ein Gewässerausbau, d. h. auch die Errichtung von Deichen und Dämmen, ist nur zulässig, wenn eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere eine erhebliche und dauerhafte, nicht ausgleichbare Erhöhung der Hochwasserrisiken oder eine Zerstörung natürlicher Rückhalteflächen, vor allem in Auwäldern, nicht zu erwarten ist. Diese gesetzlichen Grundsätze sind selbstverständlich auch bei den in Niedersachsen durchgeführten Zulassungsverfahren zu beachten. 9. Die Staatssekretärin hat im Juni 2014 auf der damaligen großen Runde zum Thema „Hochwasserschutz an der Este“ die Bildung eines Verbandes für die ganze Este gefordert . Das Umweltministerium kann gesetzlich so wie seinerzeit für die Weserverbände eine entsprechende Verbandsgründung erwirken. Welche Pläne hat die Landesregierung , um auch an der Este eine Verbandsgründung für den gesamten Flusslauf zu erreichen? Eine Zuständigkeit für die Gründung eines Verbandes für den gesamten Flusslauf der Este läge vorrangig bei den örtlichen Akteuren. Ein solcher Verband könnte nach dem Gesetz über Wasserund Bodenverbände durch einstimmigen Beschluss der Beteiligten, durch einen Mehrheitsbeschluss der Beteiligten sowie Heranziehung nicht einverstandener Beteiligter oder von Amts wegen errichtet werden. Die Errichtung von Amts wegen wäre Sache der zuständigen Aufsichtsbehörde, also in der Regel des Landkreises, in dem der Verband seinen Sitz haben soll. Im Übrigen hat Frau Staatssekretärin Kottwitz auf der angesprochen Veranstaltung keinesfalls die Bildung eines Verbandes für die ganze Este gefordert. Sie hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass eine solche Verbandsgründung durch das Land befürwortet und unterstützt werden würde. Auch Herr Minister Wenzel hat in der 70. Plenarsitzung des Landtages am 17.07.2015 deutlich gemacht, dass das Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4079 4 Land nicht beabsichtigt, sich in die bestehenden Zuständigkeiten vor Ort einzumischen, aber bei Bedarf gern beratend unterstützen wird. (Ausgegeben am 13.08.2015) Drucksache 17/4079 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/3777 Welche Möglichkeiten nutzt die Landesregierung, um den Hochwasserschutz an der Este mit dem Erhalt der besonderen Kulturlandschaft im Alten Land in Einklang zu bringen? Anfrage des Abgeordneten Helmut Dammann-Tamke (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 25.06.2015 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz