Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/4096 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/3907 - Schulreform in Frankreich als mögliche Bedrohung für die deutsch-französische Freundschaft - Was unternimmt die Landesregierung? Anfrage des Abgeordneten Björn Thümler (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 09.07.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 15.07.2015 Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums namens der Landesregierung vom 10.08.2015, gezeichnet In Vertretung Michael Markmann Vorbemerkung des Abgeordneten Laut einem Artikel der FAZ vom 15. April 2015 plant Frankreichs Bildungsministerin Najat VallaudBelkacem eine Reform der einheitlichen Mittelschule, in deren Folge bereits mit Beginn des nächsten Schuljahres das Angebot an Deutschunterricht an Frankreichs staatlichen Schulen stark eingeschränkt werden soll. Konkret sollen die bilingualen Klassen sowie die sogenannten Europaklassen , in denen verstärkter Fremdsprachenunterricht angeboten wird, wegfallen. Die Vereinigung zur Entwicklung der deutschen Sprache in Frankreich prophezeit bereits „das programmierte Ende des Deutschunterrichts“ (vgl. Spiegel-Online, 21.04.2015) und hat eine gleichnamige Petition an Präsident François Hollande gerichtet. Experten in Deutschland und Frankreich sind besorgt und sehen durch die geplanten Änderungen die Grundlagen der deutsch-französischen Freundschaft infrage gestellt. Bestehende Städtepartnerschaften, die Deutsch-Französische Hochschule, Schüleraustausche oder die Programme des Deutsch-Französischen Jugendwerks könnten u. a. in Mitleidenschaft gezogen werden. Seit 1985 hat auch das Land Niedersachsen partnerschaftliche Beziehungen zu der französischen Region Haute Normandie. Landesweit bestehen über 165 Städtepartnerschaften. Vorbemerkung der Landesregierung Die französische Bildungsministerin plant eine Reform des Collège (Sekundarstufe 1), die auch den Deutschunterricht betrifft. So ist vorgesehen, Deutsch als zweite Fremdsprache später beginnen zu lassen und die Wochenstundenzahl zu reduzieren. Deutsch als erste Fremdsprache soll nur noch möglich sein, wenn Deutschunterricht bereits in der Grundschule erteilt wurde; die Anzahl der französischen Grundschulen mit diesem Angebot ist aber noch sehr gering und eine erhebliche Steigerung ist nicht abzusehen. Als Effekt ist zu erwarten, dass die Anzahl der Deutschlerner zurückgehen und das Niveau der Fremdsprachenkenntnisse sinken wird. Die Abschaffung der „Classes Bilingues“, die mit ihrem intensiven Deutsch-Angebot oft als Alleinstellungsmerkmal für Schulen, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler gelten, hat vermutlich erhebliche Auswirkungen auf die Einrichtung von „Abi-Bac-Klassen“ in der französischen Sekundarstufe 2 (Lycée). Es ist zu erwarten, dass dadurch auch in Deutschland dieses besondere deutschfranzösische Unterrichtsangebot und der damit verbundene Bildungsabschluss rückläufig sein wird, da in diesem Programm jeweils eine deutsche und eine französische Schule zusammenarbeiten. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4096 2 Inwieweit auch die binationalen Austauschprogramme des Deutsch-Französischen Jugendwerks (DFJW) betroffen sein werden, lässt sich nur schwer abschätzen; eine gewisse Rückläufigkeit ist aber nicht auszuschließen. Der Rückgang des Deutschunterrichts hat auch Auswirkungen auf die Situation der französischen Deutschlehrkräfte, für die in einigen Regionen schon zurzeit kein ausreichendes Unterrichtsdeputat zur Verfügung steht, sodass sie an mehreren, teilweise entfernt liegenden Schulen eingesetzt werden . Durch die geplante Reform könnte die Gefahr bestehen, dass Deutsch als Lehramtsstudium weiter an Attraktivität verliert. Die Deutsch-Französische-Agenda 2020 formuliert Ziele der zukünftigen binationalen Zusammenarbeit . Unter Nummer 3 der Agenda 2020 ist auch das Gebiet „Bildung“ aufgeführt; dazu heißt es unter Punkt 5: „Das Erlernen der Sprache des Partnerlands muss angeregt und gefördert werden (…)“. Es stellt sich die Frage, ob die vorgesehene Reform nicht im Widerspruch zur Agenda 2020 steht. Inzwischen liegen unterschiedliche Petitionen und Stellungnahmen zu diesem Thema vor, so z. B. durch die amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz den Bevollmächtigten für die Deutsch-Französische Zusammenarbeit im Bildungsbereich sowie den Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten. Die Europaministerkonferenz wird das Thema voraussichtlich in ihrer Sitzung im November ebenfalls aufgreifen. In allen Äußerungen wird in unterschiedlicher Intensität die Sorge um den Bestand deutsch-französischer Schul- und/oder Projektpartnerschaften oder gar der deutsch-französischen Freundschaft geäußert. Diese Einschätzung wird aus Sicht der Landesregierung nicht in vollem Maße geteilt. Zwischen Deutschland und Frankreich bzw. zwischen Niedersachsen und mehreren französischen Regionen haben sich seit Abschluss des Elysée-Vertrages auch im Bildungsbereich Strukturen entwickelt und Verbindungen ergeben, die Schwankungen in der jeweiligen Bildungspolitik durchaus ausgleichen können. 1. Wie beurteilt die Landesregierung die geplanten Reformen in Frankreich? Die Landesregierung beurteilt die Reformen kritisch, wenn diese im Ergebnis dazu führen, dass die Anzahl der Deutschlerner an französischen Schulen zurückgeht und das Niveau der Fremdsprachenkenntnisse sinkt. 2. Besteht aufgrund der angedachten Reformen Sorge, dass die niedersächsischen Beziehungen zu unserem Nachbarland Frankreich gefährdet werden? Die Sorgen um den grundsätzlichen Bestand der sehr guten deutsch-französischen Beziehungen werden von der Landesregierung nicht geteilt. 3. Plant die Landesregierung, sich für den Erhalt des Deutschunterrichts an französischen Schulen einzusetzen? Wenn ja, wie will sie gegen die geplanten Reformen vorgehen ? Die Landesregierung wird gegenüber den französischen Partnern im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Bedenken aufzeigen, die gegen eine Einschränkung des Deutschunterrichts bestehen. So unterstützt Niedersachsen beispielsweise Bemühungen der Kultusminister- und Europaministerkonferenz , entsprechende Verbesserungen auf französischer Seite zu erreichen. 4. Wie fördert die Landesregierung in Niedersachsen den Erhalt und den Ausbau der deutsch-französischen Freundschaft? Die Landesregierung unterstützt den Erhalt und den Ausbau der deutsch-französischen Freundschaft vor allem in der Zusammenarbeit mit der Region der Haute-Normandie, mit der unser Bundesland bereits seit 1985 partnerschaftlich verbunden ist. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4096 3 5. Gibt es in Niedersachsen spezielle Schüleraustauschprogramme mit Frankreich? Wenn ja, welche? In Ergänzung zu den individuellen Austauschprogrammen des DFJW (Brigitte-Sauzay, Voltaire) bietet das Kultusministerium in Zusammenarbeit mit den französischen Partnerakademien Rouen, Reims, Toulouse und Aix-Marseille die Vermittlung von Schüleraustauschen über drei Monate an. Unter www.echanges.nibis.de wurde dazu eine eigene Internetseite mit Vermittlungsdatenbank eingerichtet. Jährlich können dadurch bis zu 100 niedersächsische Schülerinnen und Schüler zusätzlich zu den DFJW-Maßnahmen in Austausche vermittelt werden. In Niedersachsen werden zusätzlich jährlich ca. 200 deutsch-französische Gruppenaustausche an Schulen durchgeführt und mit ca. 170 000 Euro aus Mitteln des DFJW gefördert. 6. Gibt es in Niedersachsen die Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler, das AbiBac, den gleichzeitigen Erwerb der allgemeinen Hochschulreife (Abitur) und des Baccalauréat (Bac) zu absolvieren? Wenn ja, an welchen Gymnasien ist dies möglich und wie viele Schülerinnen und Schüler haben das AbiBac in den letzten fünf Schuljahren (2009/2010, 2010/2011, 2011/2012, 2012/2013, 2013/2014) absolviert? In Niedersachsen besteht die Möglichkeit, an der Käthe-Kollwitz-Schule Hannover das AbiBac abzulegen . Es haben das AbiBac in den letzten fünf Jahren absolviert: 2009/2010: 11 Schülerinnen und Schüler im ersten AbiBac in Niedersachsen, 2010/2011: 10 Schülerinnen und Schüler, 2011/2012: 6 Schülerinnen und Schüler, 2012/2013: 9 Schülerinnen und Schüler, 2013/2014: 10 Schülerinnen und Schüler. Trotz entsprechender Bemühungen des Kultusministeriums und der Niedersächsischen Landesschulbehörde konnten bisher keine weiteren Schulen zur Teilnahme an AbiBac gewonnen werden. 7. Gibt es in Niedersachsen die Möglichkeit, Studiengänge im Rahmen der DeutschFranzösischen Hochschule zu besuchen? Wenn ja, um welche Studiengänge handelt es sich, und an welchen Hochschulen werden diese angeboten? Die Technische Universität Braunschweig, die Stiftung Universität Hildesheim sowie die Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth sind deutsche Mitgliedshochschulen der Deutsch-Französischen Hochschule. Kennzeichnendes Merkmal der Deutsch-Französischen Hochschule ist die Unterstützung von sogenannten binationalen Studienprogrammen, die zu einem doppelten Abschluss führen müssen. Folgende binationale Studienprogramme werden an den drei niedersächsischen Mitgliedshochschulen mit Unterstützung der Deutsch-Französischen Hochschule angeboten: 1. Technische Universität Braunschweig (TUBS) gemeinsam mit der Université de Technologie Compiègne (UTC): Master of Science an der TUBS sowie diplôme d'ingénieur an der UTC in folgenden Fachrichtungen sowie Vertiefungsrichtungen: – Bio- und Chemieingenieurwesen, – Maschinenbau, – Energie- und Verfahrenstechnik, – Allgemeiner Maschinenbau, – Materialwissenschaften, – Mechatronik, – Produktions- und Systemtechnik, – Kraftfahrzeugtechnik, – Luft- und Raumfahrttechnik, Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4096 4 – Mobilität und Verkehr, – Funktionsspezifische Ausrichtung, – Verkehrsträgerspezifische Ausrichtung, – Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau. Das Studienprogramm an der Technischen Universität Braunschweig setzt sich zusammen aus einem dreijährigen Bachelor- und einem zweijährigen Masterstudium. Die BachelorStudierenden beginnen mit dem 5. Semester ihr dreisemestriges Studium in Frankreich, bevor sie die letzten drei Semester des Masterstudiums wieder an der TUBS absolvieren. 2. Stiftung Universität Hildesheim gemeinsam mit der Aix-Marseille Université: Deutsch-französischer Doppelmaster Master of Arts in Kulturvermittlung/Médiation Culturelle de l'Art Dieses zweijährige Studienprogramm setzt sich aus jeweils einem Studienjahr an den beiden Partneruniversitäten zusammen (die Reihenfolge kann frei bestimmt werden). Das Angebot richtet sich an Absolventinnen und Absolventen kulturwissenschaftlicher und künstlerischer Bachelorstudiengänge, die ästhetisch-künstlerische Kenntnisse mitbringen sowie gute Kenntnisse in Deutsch und Französisch nachweisen können. 3. Die Hochschule Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth gemeinsam mit der Université de Haute Alsace (Colmar): Bachelor of Arts Tourismuswirtschaft deutsch-französisch der Jade-Hochschule sowie DUT/Diplôme Universitaire de Technologie „Techniques de Commercialisation“ und Licence Professionnelle „Conduite de Projets Touristiques“ des IUT in Colmar. Das siebensemestrige Studienprogramm setzt für deutsche Bewerberinnen und Bewerber gute Kenntnisse der französischen Sprache voraus. Das Programm besteht aus fünf Semestern in Wilhelmshaven sowie zwei Semestern in Colmar. Die Studierenden haben die Wahl zwischen mindestens einem von drei möglichen Studienschwerpunkten: Management der Reiseveranstalter und Reisemittler, Destination Management sowie Management im Gesundheitstourismus . 8. Wie viele Schülerinnen und Schüler lernen an niedersächsischen Schulen im aktuellen Schuljahr 2014/2015 Französisch? Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen im Schuljahr 2014/2015 laut Erhebung zur Unterrichtsversorgung an allgemeinbildenden Schulen zum Stichtag 22.09.2014 das Fach Französisch belegen, beläuft sich auf insgesamt 113 777 Schülerinnen und Schüler. An den Schulen in freier Trägerschaft haben laut Erhebung zum 22.09.2014 insgesamt 12 733 Schülerinnen und Schüler das Fach Französisch belegt. Es wird darauf hingewiesen , dass sich diese Summe auf den Primarbereich, den Sekundarbereich I und den Sekundarbereich II bezieht. Darin enthalten sind auch die Schülerinnen und Schüler, die Französisch als Wahlunterricht belegen. Es wird ferner darauf hingewiesen, dass die Zahlen des Sekundarbereichs II sich ausschließlich auf die Angaben des Sekundarbereich II-Bogens beziehen. a) Wie viele von ihnen lernen Französisch als erste Fremdsprache? Wie haben sich diese Zahlen im Vergleich zu den letzten fünf Schuljahren (2009/2010, 2010/2011, 2011/2012, 2012/2013, 2013/2014) entwickelt? Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die Französisch als 1. Fremdsprache belegen, ist für die Schuljahre 2009/2010 bis 2014/2015 - getrennt nach öffentlichen allgemeinbildenden Schulen und Schulen in freier Trägerschaft - der folgenden Tabelle zu entnehmen. Die Daten beziehen sich ausschließlich auf den Sekundarbereich I. Im Sekundarbereich I konnte sich Französisch als 1. Fremdsprache bundesweit nur in den grenznahen Ländern, insbesondere im Saarland, etablieren. In Niedersachsen ist, wie auch in allen an- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4096 5 deren Bundesländern, Englisch die nachgefragte 1. Fremdsprache. Die Zahlen erklären sich aus dem Rückgang der Nachfrage. Schuljahr Französisch als 1. Fremdsprache öff. in fr. Tr. 2009/2010 160 2 2010/2011 89 1 2011/2012 101 1 2012/2013 16 0 2013/2014 10 0 2014/2015 8 98 b. Wie viele von ihnen lernen Französisch als zweite Fremdsprache? Wie haben sich diese Zahlen im Vergleich zu den letzten fünf Schuljahren (2009/2010, 2010/2011, 2011/2012, 2012/2013, 2013/2014) entwickelt? Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die Französisch als 2. Fremdsprache belegen, ist für die Schuljahre 2009/2010 bis 2014/2015 - getrennt nach öffentlichen allgemeinbildenden Schulen und Schulen in freier Trägerschaft - der folgenden Tabelle zu entnehmen. Die Daten beziehen sich ausschließlich auf den Sekundarbereich I. Schuljahr Französisch als 2. Fremdsprache öff. in fr. Tr. 2009/2010 102 899 9 370 2010/2011 101 480 9 367 2011/2012 100 711 9 535 2012/2013 96 684 9 216 2013/2014 92 943 8 847 2014/2015 91 568 8 680 c. Wie viele von ihnen lernen Französisch als dritte Fremdsprache? Wie haben sich diese Zahlen im Vergleich zu den letzten fünf Schuljahren (2009/2010, 2010/2011, 2011/2012, 2012/2013, 2013/2014) entwickelt? Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler, die Französisch als 3. Fremdsprache belegen, ist für die Schuljahre 2009/2010 bis 2014/2015 - getrennt nach öffentlichen allgemeinbildenden Schulen und Schulen in freier Trägerschaft - der folgenden Tabelle zu entnehmen. Die Daten beziehen sich ausschließlich auf den Sekundarbereich I. Schuljahr Französisch als 3. Fremdsprache öff. in fr. Tr. 2009/2010 745 340 2010/2011 807 346 2011/2012 1.012 313 2012/2013 692 419 2013/2014 527 393 2014/2015 790 404 Die leicht sinkenden Schülerzahlen sind mit der steigenden Attraktivität der spanischen Sprache bei Eltern sowie Schülerinnen und Schülern zu erklären. Dennoch bleibt Französisch weiterhin vor Latein und Spanisch die meist gelernte zweite Fremdsprache in Niedersachsen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4096 6 9. Plant die Landesregierung, die Wochenstundenzahl im Fach Französisch an den einzelnen Schulformen zu erhöhen oder abzusenken? Wenn ja, um jeweils wie viele Stunden und warum (bitte nach Schuljahrgängen getrennt darstellen)? Nein. (Ausgegeben am 19.08.2015) Drucksache 17/4096 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/3907 - Schulreform in Frankreich als mögliche Bedrohung für die deutsch-französische Freund-schaft - Was unternimmt die Landesregierung? Anfrage des Abgeordneten Björn Thümler (CDU) an die Landesregierung,eingegangen am 09.07.2015 Antwort des Niedersächsischen Kultusministeriums