Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/4302 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/3984 - Ungleichbehandlungen bei Versorgungsformen für Menschen in der Phase F Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling und Christian Dürr (FDP) an die Landesregierung, eingegangen am 24.07.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 30.07.2015 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 18.09.2015, gezeichnet Cornelia Rundt Vorbemerkung der Abgeordneten Zur Klassifikation neurologischer Erkrankungen wurde ein Phasenmodell von A bis F definiert. Die Phase F ist gekennzeichnet durch schwere und schwerste Schädigungen des Nervensystems. Die Patientinnen und Patienten leiden unter meist schweren, wahrscheinlich bleibenden oder fortschreitenden Funktionsstörungen. In der Phase F werden Menschen behandelt, bei denen in den letzten Monaten der Phasen B und C kein weiterer funktioneller Zugewinn erreicht werden konnte, bei denen jedoch aufgrund von Ursachen , Krankengeschichte und Verlauf der Schädigung langfristig eine positive Prognose zur Erreichung der Behandlungs- und Rehabilitationsfähigkeit in den Phasen B, C und D besteht. Für diese Menschen ist die Kostenübernahme bei ambulanter Versorgung durch einen Gerichtsentscheid des Bundessozialgerichts anerkannt, und die Kosten werden von den Kassen finanziert. Bei einer stationären Versorgung hingegen werden die Betroffenen oder deren Angehörige nach wie vor verpflichtet, einen Großteil der Behandlungskosten selbst aufzubringen. Vorbemerkung der Landesregierung Für den in der Phase F betreuten Personenkreis gibt es in Niedersachsen die sogenannten Phase -F-Einrichtungen. Hierbei handelt es sich um Pflegeheime, die sich konzeptionell auf einen Personenkreis mit außergewöhnlich hohem Behandlungspflegeaufwand spezialisiert haben und deren Pflegesätze den damit verbundenen personellen und technischen Mehraufwand berücksichtigen. Die Pflegesätze der Phase-F-Einrichtungen liegen - teilweise deutlich - über denen „normaler“ Altenpflegeheime und differieren von Einrichtung zu Einrichtung. Um die Betroffenen und ihre Angehörigen finanziell zu entlasten, haben die Verbände der gesetzlichen Krankenkassen in Niedersachsen, die in der Landesarbeitsgemeinschaft Niedersachsen Phase F zusammengeschlossenen Einrichtungsträger sowie das Land Niedersachsen (vertreten durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung [MS]) am 13.09.2009 die „Empfehlung zur Kostenübernahme nach § 37 Abs. 2 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) für Pflegebedürftige in zugelassenen Pflegeeinrichtungen nach dem Phase F-Konzept“ vereinbart. Die Empfehlung sieht vor, dass der Anspruch der Versicherten gegenüber ihrer Krankenkasse auf Erstattung von Kosten für den besonderen behandlungspflegerischen Aufwand in Phase-F-Einrichtungen durch die Vereinbarung von einrichtungsspezifischen Pauschalen abgegolten wird, die in Niedersachsen einheitlich als prozentualer Anteil an der nach §§ 82 Abs. 1 Nr. 1, 84, 85 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) vereinbarten Pflegevergütung wie folgt berechnet werden: Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4302 2 – für Versicherte in der Pflegestufe I: 10 % der vorgenannten Pflegevergütung, – für Versicherte in der Pflegestufe II: 15 % der vorgenannten Pflegevergütung, – für Versicherte in der Pflegestufe III: 20 % der vorgenannten Pflegevergütung, – für Versicherte, die als Härtefall nach § 43 Abs. 3 SGB XI anerkannt sind: 25 % der vorgenannten Pflegevergütung. Abschließend werden diese Vergütungen über einen gesonderten Vertrag gemäß § 132 a SGB V zwischen den Krankenkassen und den Trägern einer stationären Spezialeinrichtung der Phase F vereinbart. Das Land ist hierbei nicht Vertragspartner. Zurzeit verhandeln die Träger der stationären Spezialeinrichtungen der Phase F mit den Verbänden der Gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen über eine Neufassung der o. g. Empfehlung und in diesem Rahmen u. a. auch über eine Erhöhung der pauschalen Anteile der Krankenkassen. Die Landesregierung begrüßt ausdrücklich, dass diese Verhandlungen geführt werden. 1. Wie hoch sind die monatlichen Kosten für die Behandlungspflege im Schnitt in ambulanten und stationären Einrichtungen je Patient und Monat? Hinzuweisen ist zunächst darauf, dass es im ambulanten Bereich sowohl eine Versorgung der Pflegebedürftigen im Sinne einer Einzelbetreuung im angestammten häuslichen Umfeld als auch sogenannte ambulant betreute Wohngemeinschaften gibt, in denen mehrere intensiv pflegebedürftige Personen von einem oder mehreren Pflegediensten betreut und gepflegt werden. Bei diesen Wohngemeinschaften handelt es sich nicht um „Einrichtungen“ im sozialrechtlichen Sinne, da die Pflegebedürftigen auch in einer Wohngemeinschaft über eine eigene Häuslichkeit verfügen. Zur Einzelbetreuung im sogenannten häuslichen Umfeld und der Anzahl ambulant betreuter Wohngemeinschaften für intensiv Pflegebedürftige liegen den hierzu befragten Landesverbänden der Kranken- und Pflegekassen in Niedersachsen keine validen Daten vor, da eine gesonderte statistische Erfassung für diesen Personenkreis nicht erfolgt. Insofern können auch zu den durchschnittlichen monatlichen Kosten der Behandlungspflege im ambulanten Bereich keine Angaben gemacht werden. Eine aktuelle Abfrage bei den in Niedersachsen zuständigen Heimaufsichtsbehörden der Landkreise und Städte hat ergeben, dass dort gemäß § 7 Abs. 5 des Niedersächsischen Heimgesetzes (NHeimG) der Betrieb von insgesamt sieben ambulant betreute Wohngemeinschaften für intensivpflegebedürftige Menschen - insbesondere Wachkomapatienten - mit Kapazitäten für insgesamt 60 Personen angezeigt wurde. Mitgeteilt wurde darüber hinaus, dass zurzeit drei weitere IntensivPflege -Wohngemeinschaften für insgesamt 40 Personen in Planung seien. Die in den stationären Einrichtungen - neben der grundpflegerischen Betreuung - tatsächlich entstehenden monatlichen Kosten für behandlungspflegerische Maßnahmen können ebenfalls mangels entsprechender Daten weder von den Pflegekassen noch vonseiten des Landes konkret beziffert werden. 2. Wie groß ist der Anteil, den Betroffene oder deren Angehörige bei einer Unterbringung in einer stationären Einrichtung selbst aufbringen müssen? Der von den Betroffenen oder deren Angehörigen selbst aufzubringende Anteil ist einrichtungsindividuell und von der Pflegestufe abhängig. Die monatlichen Beträge liegen zwischen 1 129,28 Euro und 2 834,80 Euro, der durchschnittliche Monatsbetrag liegt bei 1 982,04 Euro. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4302 3 3. Sofern zu Frage 2 kein einheitlicher Wert zu nennen ist, wie groß ist der Anteil minimal, maximal und im Schnitt? Auf die Antwort zu Frage 2 wird verwiesen. 4. Mit welcher Begründung wird hinsichtlich der Kostenübernahme zwischen ambulanten und stationären Einrichtungen unterschieden? Der jeweilige Leistungsanspruch der Pflegedürftigen im Rahmen der Pflegeversicherung für ambulante und stationäre Pflege ist im SGB XI gesetzlich geregelt. Bei ihrer Leistungsgewährung sind die Pflegekassen an die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben des Bundesgesetzgebers gebunden . Für vollstationäre Pflege ist der Leistungsanspruch der Pflegebedürftigen in § 43 SGB XI geregelt. Mit Absatz 2 dieser Regelung hat der Gesetzgeber zum Inhalt der Leistungen bei vollstationärer Pflege ausdrücklich klargestellt, dass die Pflegekassen im Rahmen der entsprechenden pauschalen Leistungsbeträge die pflegebedingten Aufwendungen, die Aufwendungen der sozialen Betreuung und die Aufwendungen für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege übernehmen. Hinsichtlich der für Niedersachsen getroffenen Vereinbarung zu der pauschalen Übernahme von Kosten der Behandlungspflege in Phase-F-Einrichtungen durch die Krankenkassen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Die Übernahme der Kosten der Behandlungspflege durch die Pflegekasse bei stationärer Pflege über § 43 SGB XI wurde durch das 1. SGB-Änderungsgesetz vom 31.05.1996 aufgenommen. Entsprechend der Gesetzesbegründung wurde hiermit eine weitreichende und dauerhafte Entlastung der Pflegebedürftigen verfolgt (BT-Drs. 13/3696 S. 14). Zudem führte die Bundesregierung in der BT-Drs. 13/3854 aus, dass eine Übernahme der Kosten der Behandlungspflege durch die Krankenkassen zu unerwünschten und nicht verkraftbaren Beitragssteigerungen im Bereich der Lohnnebenkosten führen würde. Durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung wurde für Personen, für die im Rahmen der vollstationären Dauerpflegeversorgung sehr hohe Kosten für den behandlungspflegerischen Aufwand anfallen, die Regelung des § 37 Abs. 2 SGB V eingeführt. Danach sollte für einen eng begrenzten Personenkreis, wie Wachkomapatienten oder Dauerbeatmete, in den Verträgen zwischen den Krankenversicherungen und den Pflegeeinrichtungen nach § 132 a Abs. 2 SGB V eine Kostenübernahme vereinbart werden. Hinsichtlich der hiernach getroffenen Regelungen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Abweichend davon haben Pflegebedürftige gemäß § 36 SGB XI bei häuslicher Pflege Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe) in Form von pauschalen Leistungsbeträgen. Eine § 43 Abs. 2 SGB XI entsprechende Regelung gibt es für die ambulante Pflege nicht. Neben den Leistungen der Pflegeversicherung nach dem SGB XI kommen für entsprechend gepflegte Personen daher auch Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach SGB V in Betracht. Hierbei handelt es sich gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V und entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Az.: B 3 KR 9/04R) insbesondere um verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen. 5. Ist diese Begründung aus Sicht der Landesregierung tragfähig und, wenn ja, warum, bzw. wenn nein, warum nicht? Die Regelung im Pflegeversicherungsgesetz, dass Leistungen der häuslichen Krankenpflege in stationären Pflegeeinrichtungen über die Leistungen der Pflegeversicherung mit abgedeckt sind und nur (im Ausnahmefall) nach § 37 SGB V die Krankenkassen einen besonders hohen medizinisch behandlungspflegerischen Aufwand in solchen Einrichtungen übernehmen müssen, ist aus Sicht der Landesregierung ein finanzieller Fehlanreiz gesetzt worden. Für die Pflegebedürftigen und gegebenenfalls ihre unterhaltspflichtigen Angehörigen erscheint eine Betreuung und Pflege in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft häufig attraktiver als eine Betreuung und Pflege in einer stationären Spezialeinrichtung der Phase F. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4302 4 Die Länder haben mit Beschluss der 91. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder am 26. und 27.11.2014 in Mainz den Bund aufgefordert , die dargestellte Schnittstelle zwischen Pflege- und Krankenversicherungsrecht und die Ungleichbehandlung von Ansprüchen auf krankenpflegerische Leistungen im ambulanten und stationären Bereich zu beseitigen. Bislang ist der Bund in dieser Richtung nicht initiativ geworden. 6. Worin genau besteht der Unterschied bei der Unterbringung von Wachkomapatienten in einem speziellen Pflegeheim bzw. in einer Wohngemeinschaft? Die Unterbringung von Wachkomapatienten in einem speziellen Pflegeheim oder in einer Wohngemeinschaft unterscheidet sich zunächst in der Form der Leistungserbringung durch den Anbieter der Pflegedienstleistung. Bei (speziellen) Pflegeheimen handelt es sich um stationäre Versorgungsformen , während es sich bei Wohngemeinschaften um ambulante Versorgungsformen handelt. Kennzeichnend für ein Pflegeheim ist, dass Wohnraum, Verpflegung und Betreuung grundsätzlich aus einer Hand erbracht oder vorgehalten werden. Diese fallen daher unter den Geltungsbereich des Heimgesetzes. Demgegenüber muss bei ambulant betreuten Wohngemeinschaften keine Identität zwischen Vermieter und Dienstleister bestehen. Entsprechend sind Pflegeheime regelmäßig Heime im Sinne des NHeimG. Wohngemeinschaften können unter den Anwendungsbereich des NHeimG fallen, soweit sie die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Ob es sich bei einer Wohngemeinschaft für Wachkomapatienten um ein Heim handelt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Auf die unter Frage 4 dargestellten Unterschiede der leistungsrechtlichen Behandlung der stationären und ambulanten Pflege von Wachkomapatienten wird verwiesen. Eine ambulante und teilstationäre Versorgung von Personen mit schweren und schwersten neurologischen Störungen ist vom Grundsatz her möglich. Wenn jedoch die ambulante Versorgung nicht gesichert werden kann, bedarf es der vollstationären Versorgung in einer Pflegeeinrichtung. Für Bewohnerinnen und Bewohner spezieller Pflegeheime gelten die Regelungen des „Rahmenkonzept zur vollstationären Pflege von Schädel-Hirngeschädigten in Pflegeeinrichtungen der Phase F in Niedersachsen vom 09.10.2000“. Das Rahmenkonzept ist von der Landesarbeitsgemeinschaft Niedersachsen der Phase F unter beratender Mitwirkung des MS, der Landesverbände der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen und des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen erstellt worden (http://www.ms.niedersachsen.de/themen/soziales/pflegever sicherung/landespflegeausschuss_empfehlungen/landespflegeausschuss-14002.html). 7. Wie hat sich die Zahl der ambulanten Intensivpflegeplätze in Niedersachsen in den letzten fünf Jahren entwickelt? Hierzu liegen weder den Verbänden der Pflegekassen noch dem Land verwertbare Erkenntnisse vor. (Ausgegeben am 25.09.2015) Drucksache 17/4302 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/3984 Ungleichbehandlungen bei Versorgungsformen für Menschen in der Phase F Anfrage der Abgeordneten Sylvia Bruns, Almuth von Below-Neufeldt, Björn Försterling und Christian Dürr (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung