Niedersächsischer Landtag  17. Wahlperiode Drucksache 17/4316 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4002 - Über wie viele Gewerkschafter speichert der Verfassungsschutz Daten? Anfrage der Abgeordneten Jens Nacke, Thomas Adasch und Angelika Jahns (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 20.07.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 31.07.2015 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 22.09.2015, gezeichnet Boris Pistorius Vorbemerkung der Abgeordneten Die BILD-Zeitung berichtete in ihrer Ausgabe vom 26.06.2015 („Noch mehr Gewerkschafter ausspioniert ?“) über die Speicherung von Daten über einen Funktionär der Gewerkschaft IG Metall. Daten über diesen wurden seit 2011 erhoben und gespeichert, wie der Verfassungsschutz dem Betroffenen auf einen Antrag auf Auskunft mitteilte. Laut Innenministerin prüfte eine „Task Force“ in den Jahren 2012 und 2013 alle Datensätze beim Verfassungsschutz. Eine Kritik dieser „Task Force“ an dieser Datenspeicherung ist nicht bekannt. Laut Auskunft des Verfassungsschutzes an den Gewerkschafter sollen die Daten nun erst gelöscht werden. Gegenüber dem NDR sagte der Landtagsabgeordnete Helge Limburg (Bündnis 90/Die Grünen) am 11.06.2015, der Fall sei exemplarisch für unberechtigte Datenspeicherungen in der Zeit des damaligen Innenministers Uwe Schünemann. Die BILD-Zeitung zitierte den Landtagsabgeordneten Helge Limburg (Bündnis 90/Die Grünen) weiter: „Es würde mich nicht wundern, wenn Daten über weitere Gewerkschafter gespeichert sind.“ Vorbemerkung der Landesregierung Die Beobachtung einer demokratischen Gewerkschaft durch den Verfassungsschutz wäre aus Sicht der Landesregierung ein vollständig inakzeptabler Vorgang. Die bundesdeutschen Gewerkschaften leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie. Gewerkschaften sind verlässliche Partner der Präventionsarbeit. Weder Gewerkschaften noch Gewerkschaftsfunktionäre in ihrer gewerkschaftlichen Funktion werden von Verfassungsschutz beobachtet. Allenfalls Einzelpersonen, soweit sie sich in extremistischen Organisationen betätigen, werden im Einzelfall gespeichert. Das Engagement, mit dem sich Gewerkschaften für unser Gemeinwesen engagieren, ist vorbildlich . Im Rahmen dieses Engagements kommt es auch zu Kontakten mit Gruppierungen und Personen , welche durch den niedersächsischen Verfassungsschutz beobachtet werden. Dieser Umstand allein darf aus Sicht der Landesregierung nicht zur Speicherung durch den Verfassungsschutz führen . Die präzise Abgrenzung zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und Extremismus ist dabei eine der wichtigsten und schwierigsten Aufgaben. Demokratischer Protest darf einerseits nicht diskreditiert werden, anderseits aber ist körperliche Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele in keinem Fall zu tolerieren. Daher ist es aus Sicht der Landesregierung unerlässlich, extremistische gewaltbereite Bestrebungen durch den Verfassungsschutz aufklären zu lassen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4316 2 Der Verfassungsschutz als Inlandsnachrichtendienst hat eine Frühwarnfunktion. Er soll helfen, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu erkennen. Um die notwendigen Erkenntnisse für eine dazu erfolgreiche, umfangreiche Analysetätigkeit zu erlangen, sind die Speicherung von personenbezogenen Daten und ein damit verbundener Eingriff insbesondere in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung leider nicht immer zu vermeiden. Diese Grundprämisse ändert auch die Novelle des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) nicht. Der Fokus muss daher auf Datensparsamkeit und einem sensiblen Umgang mit den gespeicherten Daten liegen. Der in dieser Legislaturperiode angestoßene Reformprozess hat auch einen sensibleren Umgang mit solchen personenbezogenen Daten zum Ziel. Zudem sollen Prozesse des Verfassungsschutzes transparenter, die Voraussetzungen an den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel strenger und die internen gesetzlichen Prüffristen enger werden. Gleichzeitig wurde eine intensive Debatte zur Frage des Extremismusbegriffs angestoßen, wovon ein Baustein die Dokumentationsstelle sein wird. Die Abgrenzung zum zivilgesellschaftlichen Engagement ist für eine Demokratie lebenswichtig ; dazu gehört es auch, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen einzubeziehen. Erstspeicherungen von personenbezogenen Daten unterliegen heute überdies dem Vier-Augen-Prinzip. Priorität hat zudem die Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Bewertung einzelner gesellschaftlicher Phänomene. Dementsprechend wurden bereits viele hausinterne Fortbildungsveranstaltungen zu sozialwissenschaftlichen Fragestellungen durchgeführt. Frau Verfassungsschutzpräsidentin Brandenburger hat im Rahmen der vertraulichen Unterrichtung des Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes am 25.06.2015 neben einer ausführlichen Unterrichtung über den Fall des gespeicherten Gewerkschaftsfunktionärs deutlich gemacht , dass mit der Novelle des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes weitere Schutzmechanismen eingezogen werden. So sollen insbesondere durch wesentlich engere Prüffristen Verdachtsfälle deutlich häufiger überprüft werden. Dadurch wäre sichergestellt, dass eine Verdachtsfallspeicherung tatsächlich nur in engen Zeitfenstern erfolgt. Lässt sich in angemessener Zeit der Verdacht nicht bestätigen, sind die personenbezogenen Daten im Zweifel zu löschen und scheidet eine Folgespeicherung aus. 1. Hält die Landesregierung die erstmalige Speicherung des Gewerkschafters durch den Verfassungsschutz für rechtswidrig? Wie in der Vorbemerkung dargelegt, erfolgt grundsätzlich die Speicherung von personenbezogenen Daten nicht wegen der Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Im Fall des der Presseberichterstattung zugrunde liegenden Falls des gespeicherten Gewerkschaftsfunktionärs ist die Landesregierung der Auffassung, dass die erstmalige Speicherung rechtmäßig erfolgt ist, weil die gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 8 NVerfSchG vorlagen. Danach ist die Speicherung einer Person zulässig , wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass die betroffene Person an einer Bestrebung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 NVerfSchG (Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung) beteiligt ist. Würde der Fall heute erstmalig zur Speicherung anstehen, wäre es unter Abwägung aller dem Einzelfall zugrunde liegenden Gesichtspunkte aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auch vertretbar, keine Speicherung vorzunehmen. 2. Wann und in welcher Intensität wurde der Fall durch die „Task Force“ geprüft? Der Fall des gespeicherten Gewerkschafters wurde am 21.11.2013 auf der Grundlage der in der Amtsdatei gespeicherten Erkenntnisse durch die Geschäftsstelle der Task Force überprüft. Die Amtsdatei enthält biographische Daten und Erkenntnistexte. Die Erkenntnistexte beinhalten zusammengefasste Ergebnisse aus der Auswertung von Informationen, wobei die Gesamtheit aller zu einer Person gespeicherten Erkenntnistexte in einem sogenannten Hinweisblatt aufgeführt ist. Dieses Hinweisblatt bildete die Basis der Überprüfung der Speicherung. Gegebenenfalls wurde noch der vorhandene Aktenrückhalt beigezogen; dies lässt sich den vorhandenen Unterlagen jedoch nicht entnehmen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4316 3 3. Zu welchem Ergebnis kam die „Task Force“ zur Datenspeicherung im Verfassungsschutz des Innenministeriums in dem Fall des Gewerkschafters der IG Metall? Die Task Force ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die erstmalige Speicherung rechtmäßig erfolgt ist. Nach überschlägiger Prüfung der Folgespeicherung, also der Fortsetzung der Speicherung, wurde auch diese zum damaligen Zeitpunkt nicht beanstandet. Rund zwei Jahre nach der Überprüfung bewertet sich der Sachverhalt anders. Nach intensiver Prüfung seitens des Ministeriums wurde deutlich, dass die Speichergründe für eine Folgespeicherung einer näheren Prüfung nicht standhielten. 4. Teilt der Innenminister die Einschätzung der „Task Force“? Der Innenminister bewertet keine Ergebnisse der Task Force zu einzelnen Personen. 5. Zu wie vielen weiteren hauptamtlichen Funktionären von Gewerkschaften sind beim niedersächsischen Verfassungsschutz Daten gespeichert? Hauptamtliche Funktionäre von Gewerkschaften wurden, wie in der Vorbemerkung dargestellt, nicht wegen ihrer Tätigkeit für eine Gewerkschaft gespeichert. Soweit Personen wegen der Verfolgung extremistischer Bestrebungen gespeichert wurden, ist nicht in jedem Fall bekannt, ob sie auch gewerkschaftlich tätig oder Mitglied einer Gewerkschaft sind. Da eine Speicherung nicht aufgrund der jeweiligen Gewerkschaftsmitgliedschaft erfolgt, ist auch eine strukturierte Suche nach entsprechenden Personenspeicherungen mit einem Gewerkschaftshintergrund nicht möglich. Daher wurden zur Bearbeitung dieser Anfrage Suchbegriffe entwickelt, um eventuell vorhandene Personenspeicherungen mit Gewerkschaftshintergrund herauszufiltern. Auf dieser Grundlage, die keine abschließende Aufzählung darstellen kann, wurde in allen Extremismusbereichen recherchiert. Entsprechend dieser Recherche sind in den Dateien des niedersächsischen Verfassungsschutzes insgesamt 21 Personen identifiziert worden, die einen ersichtlichen Gewerkschaftshintergrund haben . Für vier dieser 21 Personen kann eine hauptamtliche Funktionärstätigkeit in einer Gewerkschaft festgestellt werden. Von den 21 gespeicherten Personen sind 17 Personen allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft in einer aktuell linksextremistischen Partei gespeichert worden. Vier Personen sind gespeichert, weil entweder tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass sie an sonstigen extremistischen Bestrebungen nach § 3 Abs. 1 NVerfSchG beteiligt sind, oder aber dieser Verdacht sich bestätigt hat. 6. Zu wie vielen weiteren Gewerkschaftsmitgliedern sind beim niedersächsischen Verfassungsschutz gegenwärtig Daten gespeichert? Siehe Antwort zu Frage 5. (Ausgegeben am 01.10.2015) Drucksache 17/4316 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4002 Über wie viele Gewerkschafter speichert der Verfassungsschutz Daten? Anfrage der Abgeordneten Jens Nacke, Thomas Adasch und Angelika Jahns (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport