Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/4493 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4281 - Rotmilane und Windenergie Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Dr. Stefan Birkner (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 15.09.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 23.09.2015 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 21.10.2015, gezeichnet In Vertretung der Staatssekretärin Kay Nitsche Vorbemerkung der Abgeordneten Der Rotmilan (Milvus milvus) ist ein Greifvogel aus der Familie der Habichtartigen (Accipitridae). Seine bevorzugten Lebensräume sind Agrarlandschaften mit Feldgehölzen, oft auch Parklandschaften und an Offenland grenzende strukturierte Waldränder, seltener Heide- und Moorgebiete. Wichtig ist, dass Bäume als Niststandorte zur Verfügung stehen. Oft kommt es zu Nutzungskonflikten zwischen Rotmilanen und Windenergieanlagen. Aus diesem Grund geben die Hinweise des NLT zu Naturschutz und Windenergie einen Mindestabstand von 1 000 m zu Brutplätzen von Rotmilanen vor. Vorbemerkung der Landesregierung Das globale Verbreitungsgebiet des Rotmilans ist klein und beschränkt sich fast ausschließlich auf Teilräume in Europa. Besonders Deutschland trägt für diese Vogelart mehr Verantwortung als für jede andere, da hier mehr als 50 % des Weltbestandes leben. Der Rotmilan brütet in abwechslungsreichen Wald-Offenland-Gebieten, wobei ein hoher Grünlandanteil für die Nahrungssuche im Offenland förderlich ist. Der Rotmilan zeigt gegenüber Windenergieanlagen kein Meideverhalten. Da die Balzflüge im Frühjahr, das Thermikkreisen und auch die Nahrungsflüge zum Teil in Höhe der Rotoren der Windenergieanlagen stattfinden, besteht für die Art ein erhöhtes Kollisionsrisiko. 1. Wie viele Rotmilane gibt es in Niedersachsen? Ausweislich des Atlasses der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen, der im Jahr 2014 erschienen ist, weist Niedersachsen im Mittel einen aktuellen Brutbestand von 1 100 Paaren auf. 2. Wie aktuell sind die Daten über die Reviere des Rotmilans? Die der Staatlichen Vogelschutzwarte im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz vorliegende Datenlage zu Rotmilanrevieren in Niedersachsen umfasst den Zeitraum 2006 bis 2012. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich um einen synoptischen Datensatz handelt, der nicht auf jeweils jährlich vollständigen landesweiten Bestandserhebungen beruht . Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4493 2 3. Wie viele Rotmilane wurden in den vergangenen drei Jahren von Windenergieanlagen getötet? Funde von Vogelschlagopfern an Windenergieanlagen werden in der sogenannten Schlagopferdatei der Staatlichen Vogelschutzwarte in Brandenburg zentral für das gesamte Bundesgebiet dokumentiert . Mit Stand vom 01.06.2015 sind in dieser Datei bundesweit 270 Rotmilane als Schlagopfer von Windenergieanlagen registriert, davon 24 in Niedersachsen. Bei diesen Zahlen ist zu berücksichtigen , dass es sich nicht um systematisch erhobene Daten handelt, sondern um Zufallsfunde. Vor diesem Hintergrund ist von einer tatsächlich höheren Anzahl an Schlagopfern auszugehen. Wie hoch diese Dunkelziffer ist, kann aufgrund fehlender systematischer Untersuchungen derzeit nicht benannt werden. 4. Wie hat sich die Population in Niedersachsen in den vergangenen fünf Jahren entwickelt ? Da keine jährlichen landesweiten Bestandserhebungen vorliegen, kann über eine Entwicklung der letzten fünf Jahre keine Aussage getroffen werden (siehe auch Antwort zu Frage 2). Aus Bestandserhebungen bzw. fundierten Bestandsschätzungen der Jahre 1985, 1990, 1995, 2000, 2006 und 2011 ist in diesem Zeitraum ein insgesamt weitgehend stabiler Brutbestand abzuleiten, der um die 1 000 Paare liegt. 5. Geht die Landesregierung von einer wachsenden Population in den kommenden Jahres aus und, wenn ja, in welchem Maße? Mit Blick auf die unter Frage 4 skizzierte Bestandsentwicklung ist derzeit ein Anwachsen der Rotmilanpopulation in Niedersachsen kaum zu erwarten. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass sich die Lebensbedingungen für den Rotmilan derzeit eher verschlechtern (z. B. durch den vermehrten Anbau von Energiepflanzen, der zu einer Verminderung des Nahrungsangebots bzw. der Nahrungserreichbarkeit führen dürfte). 6. Würde eine wachsende Population nach Auffassung der Landesregierung neue Reviergründungen zur Folge haben, und, wenn ja, kann die Landesregierung bereits Standorte absehen, wo dies der Fall sein könnte? Ein Bestandsanstieg ist in der Regel mit der Besiedlung neuer Habitate/Brutreviere verbunden. Das Ausmaß einer Arealausweitung im Zusammenhang mit einem potenziellen Populationsanstieg ist von diversen biotischen und abiotischen Faktoren abhängig und lässt sich aktuell nicht seriös, weder räumlich noch zeitlich, prognostizieren. 7. Falls Frage 6 mit Ja beantwortet wurde: Welche Folgen hat dies konkret für die Genehmigung von geplanten Windenergieanlagen in diesen Gebieten? Bei der Zulassung von Windenergieanlagen ist das Artenschutzrecht des § 44 des Bundesnaturschutzgesetzes zu beachten. Dies gilt unabhängig davon, wie lange das Brutvorkommen einer windsensitiven Art bereits besteht. Um artenschutzrechtliche Konflikte zu vermeiden, wird das Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz neben dem Windenergieerlass auch einen Leitfaden zur Umsetzung des Artenschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen herausgeben. Dieser sieht in Bezug auf die windsensitive Brutvogelart Rotmilan vertiefte Raumnutzungsanalysen dann vor, wenn a) Windenergieanlagen im Radius von 1 500 m um einen besetzten Horst geplant sind oder b) sich möglicherweise Hauptflugkorridore zu Nahrungshabitaten im Radius von bis zu 4 000 m um den Horst befinden, die durch den geplanten Windpark führen. In beiden Fällen kann ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko nicht von vornherein ausgeschlossen werden, sodass hier ein erhöhter Untersuchungsbedarf besteht. Ein solcher erhöhter Untersuchungsbedarf kann dann vermieden werden, wenn der Standort für die geplanten Anlagen außerhalb dieser Gefährdungsbereiche liegt. Das hier skizzierte Vorgehen unterscheidet sich nicht von Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4493 3 den Hinweisen des Niedersächsischen Landkreistages oder den Empfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten. 8. Gibt es Windenergieanlagen in Niedersachsen, die trotz nachgewiesenen Rotmilanbestands genehmigt und gebaut wurden, und, wenn ja, wo? Der Landesregierung liegen dazu keine Daten vor. Allerdings sind solche Fälle nicht auszuschließen , da in Niedersachsen bereits Windenergieanlagen errichtet worden sind, bevor das hohe Kollisionsrisiko für den Rotmilan bekannt wurde. 9. Wie aktuell müssen Daten über das Vorkommen von Rotmilanen sein, um eine Baugenehmigung für eine Windenergieanlage in einem Gebiet erteilen zu können? Die Entscheidung über die Zulassung von Windenergieanlagen setzt grundsätzlich aktuelle Bestandsaufnahmen der Vorkommen entscheidungserheblicher Arten voraus, die infolge des Baus oder Betriebs der Anlagen in artenschutzrechtlich relevanter Weise in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Der Rotmilan gehört zu diesen Arten. Üblicherweise sind dies Daten, die im selben Jahr oder nur wenige Jahre, also verhältnismäßig kurz, vor der Planung oder Zulassung der Anlagen gewonnen wurden. Es können auch ältere Daten verwendet werden, sofern nicht aufgrund von offenkundigen, für das Vorkommen dieser Arten relevanten Veränderungen in Natur und Landschaft die Verwertbarkeit dieser Daten in Zweifel steht oder nicht mehr gegeben ist. Unbrauchbar werden frühere Daten mit einem bestimmten Zeitablauf nicht automatisch. Als Orientierung wird üblicherweise ein Zeitraum von fünf Jahren angenommen. Aufgrund der in der Natur dynamischen Prozesse empfiehlt es sich, bei der Planung und Zulassung von Windenergieanlagen - so wie bei anderen Natur und Landschaft beanspruchenden Planungen auch - Daten aus früheren Bestandsaufnahmen vorsorglich ergänzend mit einzubeziehen, falls diese vorliegen. Dies ist beim Rotmilan insbesondere auch deswegen zweckmäßig, weil die Art im Laufe der Zeit zwischen verschiedenen Nestern eines Reviers wechselt und die Zulassung der Anlagen diese Dynamik möglichst berücksichtigen sollte, um das Risiko einer Verletzung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände weitgehend zu vermeiden. (Ausgegeben am 03.11.2015) Drucksache 17/4493 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4281 Rotmilane und Windenergie Anfrage der Abgeordneten Dr. Gero Hocker und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz