Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/4495 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4225 - IS-Prozess in Celle Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner, Dr. Marco Genthe, Jan-Christoph Oetjen und Christian Grascha (FDP) an die Landesregierung, eingegangen am 07.09.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 15.09.2015 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 22.10.2015, gezeichnet In Vertretung Stefanie Otte Vorbemerkung der Abgeordneten Am 01.09.2015 hat der in dem sogenannten IS-Prozess vor dem OLG Celle Angeklagte Ajoub B. u. a. behauptet, dass er in der JVA Sehnde seit 230 Tagen 23 Stunden am Tag völlig isoliert in einer Einzelzelle sei, dass er nur zu den Justizvollzugsbeamten Kontakt habe und sich vor den Justizbeamten vor der Abreise nach Celle nackt ausziehen müsse und sich regelmäßig Leibesvisitationen unterziehen müsse, während der Mitangeklagte Ebrahim H. B. solchen Beschränkungen nicht unterworfen sein soll. Vorbemerkung der Landesregierung Grundsätzlich stehen Gefangene, bei denen Hinweise oder Erkenntnisse dafür vorliegen, dass sie extremistische Überzeugungen vertreten, unter besonderer Beobachtung der Justizvollzugseinrichtungen . Sämtliche Maßnahmen dienen dem Ziel, zu verhindern, dass Gefangene mit rechtsextremistischem , linksextremistischem oder islamistischem Hintergrund ihre extremistischen Vorstellungen weiter verbreiten oder sich z. B. durch Außenkontakte (Besuche, Telefonate, Briefe) bestärken lassen. Es gehört zu den originären Aufgaben der Justizvollzugsbediensteten, Gefangene zu beobachten und Verhaltensänderungen wahrzunehmen. Von Gefangenen, die mit Radikalisierungsabsichten auffällig geworden sind, geht regelmäßig eine Störung des geordneten Zusammenlebens innerhalb der Anstalt aus. Die zur Störungsbehebung anzuordnenden Maßnahmen sind vielschichtig und reichen von einer verstärkten Beobachtung über Überwachungsmaßnahmen beim Besuch oder dem Schriftwechsel bis zur unausgesetzten Absonderung von Mitgefangenen. Ergänzend werden abhängig vom Einzelfall behandlerische, pädagogische und seelsorgerische Maßnahmen ergriffen, um auf die Gefangenen mit dem Ziel der Abkehr von den extremistischen Einstellungen einzuwirken. Gemäß § 82 Abs. 1 i. V. m. § 156 Abs. 1 NJVollzG ist die unausgesetzte Absonderung einer oder eines Gefangenen im Vollzug der Untersuchungshaft nur zulässig, wenn dies aus Gründen, die in der Person der oder des Gefangenen liegen, unerlässlich ist (Einzelhaft). 1. Sind die Schilderungen des Angeklagten Ajoub B. zutreffend, und wie stellen sich seine Haftbedingungen seit seiner Inhaftierung konkret dar? Gegen den Angeklagten Ajoub B. wurde in der Zeit vom 16.01.2015 bis zum 02.09.2015 Einzelhaft gemäß § 82 Abs. 1 i. V. m. § 156 Abs. 1 NJVollzGin der JVA Sehnde vollzogen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4495 2 In Niedersachsen wird Einzelhaft in Sicherheitsstationen vollzogen. Der Vollzug in den Sicherheitsstationen richtet sich nach einem Rahmenkonzept, das danach ausgerichtet ist, die dort untergebrachten Gefangenen wieder für den Normalvollzug zu befähigen bzw. die individuellen Risiken zu minimieren. Einzelhaft wird immer als Ultima Ratio angeordnet. Die Ausgestaltung der Einzelhaft ist angesichts des hohen Sicherheitsniveaus in besonderem Maße standardisiert. So erhalten die Gefangenen Einzelfreistunden, können Teeküchen und Sportangebote nur allein nutzen sowie mit Bediensteten und Besuchern kommunizieren. Der Schriftwechsel und die Telekommunikation werden nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen überwacht. Über Arbeitsangebote wird im Einzelfall entschieden. Nach jedem Verlassen und vor jedem erneuten Betreten der Sicherheitsstation werden die Gefangenen mit Entkleidung verbunden durchsucht. So soll vermieden werden, dass die Gefangenen unerlaubt Gegenstände mit sich führen. Auf richterliche Anordnung ist der Angeklagte Ajoub B. am 02.09.2015 in einen Einzelhaftraum einer Untersuchungshaftabteilung verlegt worden. Während der Aufschlusszeiten sowie der Freistunde hat er Kontakt zu Mitgefangenen dieser Untersuchungshaftabteilung. Kontrollen finden nach Maßgabe von § 77 i. V. m. § 156 Abs. 1 NJVollzG statt. Darüber hinaus unterliegt der Angeklagte richterlichen Anordnungen hinsichtlich der Überwachung der Außenkontakte. 2. Wie stellen sich die Haftbedingungen des weiteren Angeklagten Ebrahim H. B. seit seiner Inhaftierung im Vergleich dazu konkret dar? Gegen den Angeklagten Ebrahim H. B. wurde in der Zeit vom 21.11.2014 bis zum 25.11.2014 Einzelhaft gemäß § 82 Abs. 1 i. V. m. § 156 Abs. 1 NJVollzG in der Sicherheitsstation der JVA Sehnde vollzogen. Am 25.11.2014 wurde er in die JVA Rosdorf verlegt und ist seither in einer Untersuchungshaftabteilung in einem Einzelhaftraum untergebracht. Er unterliegt richterlichen Anordnungen hinsichtlich der Überwachung der Außenkontakte. 3. Wie wird gegebenenfalls die unterschiedliche Behandlung der Angeklagten begründet? Über die Unterbringung der Angeklagten wurde jeweils nach den Umständen des Einzelfalls entschieden . Bei dem Angeklagten Ajoub B. war dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters beim BGH zu entnehmen , dass Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er nicht nur Mitglied in einer terroristischen Vereinigung im Ausland war, sondern auch die Aufgabe übernahm, neue Mitglieder für die Vereinigung anzuwerben und zu einer Ausreise nach Syrien zu bewegen. Es bestand insoweit die Gefahr, dass der Angeklagte möglicherweise versuchen wird, auch Mitgefangene für terroristische Ziele zu gewinnen und für die terroristische Vereinigung anzuwerben. Darüber hinaus war durch den Ermittlungsrichter angeordnet worden, dass eine gemeinsame Unterbringung mit anderen Untersuchungsgefangenen nicht zulässig, die Verteidigerpost über das Gericht zu kontrollieren und die Übergabe von Gegenständen an bzw. von dem Verteidiger auszuschließen ist. Die Umsetzung der richterlichen Anordnungen und die Vermeidung weiterer Anwerbungsversuche innerhalb des Justizvollzuges konnte nur durch die Unterbringung des Angeklagten in Einzelhaft in einer Sicherheitsstation gewährleistet werden und waren von daher unerlässlich. Der Angeklagte Ebrahim H. B. wurde zunächst ebenfalls in einer Sicherheitsstation untergebracht, um eine Einschätzung der Persönlichkeit des Angeklagten und der Umstände, die zu der Inhaftierung geführt haben, vornehmen zu können. Angesichts des Tatvorwurfs bestand die Gefahr, dass von dem Angeklagten eine erhebliche Störung des geordneten Zusammenlebens innerhalb der Anstalt ausgehen würde. In seinem Fall war jedoch nicht davon auszugehen, dass er Mitgefangene versuchen würde, für terroristische Ziele zu gewinnen. Außerdem war eine Unterbringung in Gemeinschaft durch das AG Hannover und später durch den Ermittlungsrichter beim BGH für zulässig erklärt worden. Aus diesem Grund konnte der Angeklagte bereits nach kurzer Zeit in einer Untersuchungshaftabteilung untergebracht werden. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4495 3 4. Wer hat gegebenenfalls die verschärften Haftbedingungen des Angeklagten Ajoub B. aus welchen Gründen und auf welcher Rechtsgrundlage angeordnet? Für alle im Vollzug der Untersuchungshaft zu treffenden Entscheidungen und sonstigen Maßnahmen ist gemäß § 134 Abs. 1 NJVollzG die Vollzugsbehörde zuständig, soweit nicht eine Zuständigkeit des Gerichts vorgesehen ist. Das Gericht kann sich in jeder Lage des Strafverfahrens Zuständigkeiten allgemein oder im Einzelfall widerruflich vorbehalten. Die Vollzugsbehörde hat im Fall des Angeklagten Ajoub B. die Einzelhaft angeordnet, um den gerichtlichen Anordnungen zur Ausgestaltung der Untersuchungshaft zu entsprechen und weitere Rekrutierungsversuche innerhalb des Justizvollzuges zu unterbinden. 5. Seit wann sind diese Haftbedingungen dem Justizministerium bekannt? Das Justizministerium wurde am 22.11.2014 über die Anordnung der Einzelhaft bei dem Angeklagten Ebrahim H. B. und am 16.01.2015 über die Anordnung der Einzelhaft bei dem Angeklagten Ajoub B. informiert. Die weitere Unterbringung der beiden Angeklagten erfolgte jeweils in Abstimmung mit dem Justizministerium. 6. Ist es zutreffend, dass das LKA oder andere Sicherheitsbehörden versucht haben, den Angeklagten Ebrahim H. B. davon abzuhalten, ein Fernsehinterview zu geben, wie dies ausweislich der Braunschweiger Zeitung vom 01.09.2015 von dem Angeklagten behauptet worden ist? Das LKA Niedersachsen oder andere niedersächsische Sicherheitsbehörden haben nicht versucht, den Angeklagten Ebrahim H. B. davon abzuhalten, ein Fernsehinterview zu geben. Das LKA Niedersachsen wurde vom OLG Celle damit beauftragt, das geplante Interview u. a. optisch und akustisch zu überwachen. Zusätzlich wurde vom Senat explizit darauf hingewiesen, dass die Durchführung des Besuchs und des Gesprächs sowie der Aufzeichnungen auch von der Zustimmung des Angeklagten abhängen und er seine Zustimmung von weiteren Maßnahmen zu seinem Schutz abhängig machen kann. Der Angeklagte hatte zwei Tage vor dem geplanten Interview gegenüber Ermittlungsbeamten des LKA in der JVA Rosdorf angegeben, dass er von dem Termin noch gar nichts wisse und davon ausgehe, dass sein Gesicht und seine Stimme unkenntlich gemacht würden. In einem Schreiben des Verteidigers an das OLG Celle wurde mitgeteilt, dass sein Mandant bereit sei, ohne eine „Verpixelung “ des Gesichts oder eine Verfremdung der Stimme das Interview zu geben. Im Hinblick auf mögliche Sicherheits- und Gefährdungsaspekte war somit ein Aufklärungsgespräch mit dem Angeklagten erforderlich. Aus diesem Grund wurde am 10.07.2015 vor dem Interview durch Ermittlungsbeamte des LKA Niedersachsen erneut Gesprächskontakt zu dem Angeklagten Ebrahim H. B. in der JVA Rosdorf aufgenommen. Die Beschlüsse des OLG Celle im Zusammenhang mit dem Interview wurden dem Angeklagten dabei in Kopie übergeben, von ihm selbst gelesen und nach eigenem Bekunden vollständig verstanden. Er gab an, die betreffenden Beschlüsse bisher weder erhalten noch gesehen zu haben. Der Angeklagte wurde auf mögliche Sicherheits- und Gefährdungsaspekte hingewiesen, da er selbst weiterhin irrtümlich davon auszugehen schien, dass sein Gesicht und seine Stimme bei der Ausstrahlung des Interviews unkenntlich gemacht würden. Er wurde auch darüber belehrt, dass jegliche Aussagen während dieser Gesprächsaufzeichnung als Beweismittel in seinem Verfahren verwendet werden können. Das Interview mit dem Angeklagten Ebrahim H. B. wurde, wie von dem OLG Celle beschlossen, am 10.07.2015 der Zeit von ca. 14.35 Uhr bis ca. 16.50 Uhr durch den NDR durchgeführt. Der Niedersächsische Verfassungsschutz war im Vorfeld des Fernsehinterviews von dem Angeklagten Ebrahim H. B. in diese Thematik nicht involviert, sodass der Verfassungsschutz auch keinen Einfluss auf einen der Beteiligten ausüben konnte. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4495 4 7. Wenn ja, in welcher Art und Weise, durch wen, aus welchem Grund und auf welcher Rechtsgrundlage wurde versucht, den Angeklagten davon abzuhalten, ein Interview zu geben? Auf die Antwort zu Frage 6 wird verwiesen. (Ausgegeben am 03.11.2015) Drucksache 17/4495 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4225 IS-Prozess in Celle Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner, Dr. Marco Genthe, Jan-Christoph Oetjen und Christian Grascha (FDP) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums