Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/4603 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4434 - „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs“ in Niedersachsen - Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung und wie beurteilt sie die IGMG? Anfrage der Abgeordneten Marco Brunotte, Michael Höntsch, Dr. Thela Wernstedt und Dr. Christos Pantazis (SPD) an die Landesregierung, eingegangen am 15.10.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 20.10.2015 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 10.11.2015, gezeichnet Boris Pistorius Vorbemerkung der Abgeordneten Die „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“ (IGMG) ist eine islamische Bewegung mit Aktivitäten in Europa und auf anderen Kontinenten. Die Ursprünge liegen in der Türkei. Die IGMG fußt ideologisch auf Necmettin Erbakan, der eine neue Großtürkei auf Basis eines islamistischen Staatsverständnisses forderte. Allein in Deutschland hat die IGMG mehrere Zehntausend Mitglieder. 1972 wurde die erste Organisation in Deutschland in Braunschweig gegründet. Es folgten Organisationseinheiten im gesamten Bundesgebiet. Sie betreibt in Deutschland zahlreiche Einrichtungen (u. a. Moscheen) und organsiert vielfältige Angebote. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beschreibt die IGMG als eine Organisation mit einem antidemokratischen Staatsverständnis, die westliche Werte ablehne und eine Demokratiedistanz fördere . Die Sicherheitsbehörden der Bundesländer haben unterschiedliche Einschätzungen. In mehreren Bundesländern wird die IGMG mit antisemitischen Tendenzen in Verbindung gebracht und ihr eine Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung attestiert. Die „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“ werde von einem türkischen Nationalismus geprägt. Nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Mannheim dürfen Mitglieder der IGMG wegen „Demokratiegefährdung“ nicht eingebürgert werden. Niedersachsen definiert die IGMG ab 2015 nicht mehr als Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes . Dies teilte Innenminister Boris Pistorius bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2014 mit. Es habe sich ein Loslösungsprozess aus dem Einflussbereich der MilliGörüs -Bewegung in der Türkei entwickelt, und es seien keine extremistischen Bezüge mehr feststellbar . Vorbemerkung der Landesregierung Die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) ist Teil einer breiter aufgestellten Bewegung, die sich auf die Millî-Görüş-Ideologie bezieht. Der niedersächsische Verfassungsschutz beobachtete bei der IGMG als der bis dahin größten in Deutschland legalistischen Organisation im Bereich des Islamismus bereits seit einigen Jahren Anzeichen für einen fortschreitenden Loslösungsprozess aus dem Einflussbereich der Millî-Görüş-Bewegung in der Türkei. Sowohl auf diesen Loslösungsprozess als auch auf die Tatsache, dass auch schon in der Vergangenheit nicht alle Mitglieder der Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4603 2 IGMG eine extremistische Zielsetzung vertraten, wurde regelmäßig in den Verfassungsschutzberichten hingewiesen. Inzwischen wird die IGMG zunehmend auf unterschiedlichen Ebenen offiziell in gesellschaftspolitische Entscheidungsprozesse eingebunden, so z. B. in die Deutsche Islamkonferenz (DIK). Überdies hat die Organisation durch das Entstehen weiterer, der Millî-Görüş-Bewegung zuzuordnender Vereinigungen in Deutschland ihren singulären Charakter als Repräsentantin der in Europa lebenden Anhänger des türkischen Politikers Necmettin Erbakan verloren. Um diesen Entwicklungen Rechnung zu tragen, wurde im Verfassungsschutzverbund vereinbart, zukünftig ein Sammelbeobachtungsobjekt Millî-Görüş-Bewegung einzurichten, wobei neben der Erbakan-Stiftung, der Saadet Partisi, der Zeitung „Milli Gazete“ und der Organisation Ismail Ağa Cemaati die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş die mitgliedsstärkste Repräsentantin der Bewegung ist. Mittlerweile sind die „Erbakan-Treuen“ zunehmend in den neuen Organisationen Erbakan-Stiftung, Saadet Partisi und Ismail Ağa Cemaati zu finden. In Niedersachsen ist diese Gesamtentwicklung besonders deutlich festzustellen, wobei insbesondere bei der niedersächsischen IGMG im Gegensatz zu anderen Regionalverbänden keine extremistischen Bezüge mehr festgestellt werden können . Aufgrund des nicht mehr nachweisbaren Extremismus wird keine Beobachtung der IGMG durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz mehr durchgeführt. Daher kann nur in allgemeiner Form zur IGMG Stellung genommen werden. 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über Strukturen der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs“ in Niedersachsen? Der Landesregierung ist bekannt, dass die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş Strukturen in Niedersachsen unterhält. Da aber im Hinblick auf diese Organisation kein politischer Extremismus mehr nachweisbar ist, sammeln die Sicherheitsbehörden keine Informationen mehr zu Strukturen der IGMG in Niedersachsen. 2. Wie viele Moscheen in Niedersachsen an welchen Orten werden der IGMG zugerechnet ? Der Landesregierung ist bekannt, dass die Islamische Gemeinschaft Millî Görüş an vielen Orten in Niedersachsen Moscheen unterhält. Da aber im Hinblick auf diese Organisation kein politischer Extremismus mehr nachweisbar ist, sammeln die Sicherheitsbehörden keine Informationen mehr zu Moscheen der IGMG in Niedersachsen. 3. Wie hat sich die ideologische Ausrichtung der IGMG in den letzten Jahren entwickelt? Siehe Vorbemerkung. 4. Gibt es personelle, organisatorische und inhaltliche Zusammenhänge zwischen IGMG und der Organisation „Graue Wölfe“? Sowohl in der Millî-Görüş- wie auch in der Ülkücü-Bewegung („Graue Wölfe“, wörtlich „Idealisten“) spielt der türkische Nationalismus eine Rolle. Jedoch unterscheiden sich beide Ausformungen beträchtlich . In der Millî-Görüş-Bewegung herrscht eine Verherrlichung des Osmanischen Reiches vor, während in der Ideologie der Ülkücü-Bewegung eine nationalistische und rassistische Überhöhung der Türkei und des Türkentums bei gleichzeitiger Abwertung anderer Ethnien propagiert wird. Über personelle und organisatorische Zusammenhänge zwischen der IGMG und den sogenannten Grauen Wölfen liegen der Landesregierung keine Informationen vor. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4603 3 5. Aus welchen Gründen definiert die Landesregierung die IGMG in Niedersachsen seit 2015 nicht mehr als Beobachtungsobjekt? Siehe Vorbemerkung. 6. Haben sich Aktivitäten ehemaliger Anhängerinnen und Anhänger der IGMG, die zu einer Einstufung als Beobachtungsobjekt geführt haben, in andere Organisationen verlagert ? Falls ja, in welche, und wie werden diese beurteilt? Siehe Vorbemerkung. 7. Wie wird die unterschiedliche Definition der IGMG im Verbund der Verfassungsschutzbehörden in Deutschland diskutiert? Warum nehmen andere Bundesländer eine andere Einschätzung vor? In der Vergangenheit zeigte sich, dass sich der oben beschriebene Reformprozess in den verschiedenen Landesverbänden der IGMG mit unterschiedlicher Geschwindigkeit vollzog. Entsprechend dieser Geschwindigkeit nehmen die Bundesländer eine unterschiedliche, länderbezogene Einschätzung vor. (Ausgegeben am 17.11.2015) Drucksache 17/4603 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortungmit Antwort der Landesregierung- Drucksache 17/4434 „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs“ in Niedersachsen - Welche Erkenntnisse hat dieLandesregierung und wie beurteilt sie die IGMG? Anfrage der Abgeordneten Marco Brunotte, Michael Höntsch, Dr. Thela Wernstedt undDr. Christos Pantazis (SPD)