Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/4805 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4215 - Was macht Kinder und Jugendliche in Niedersachsen psychisch krank? Anfrage der Abgeordneten Annette Schwarz (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 04.09.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 14.09.2015 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 30.11.2015, gezeichnet Cornelia Rundt Vorbemerkung der Abgeordneten Die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) berichtete am 1. Juli 2015 unter der Überschrift „Auf dem Land fehlen Psychiater für junge Leute“ über eine Fachtagung an der Medizinischen Hochschule Hannover. Dort informierte der Chefarzt der Lüneburger Klink für Kinder- und Jugendpsychiatrie , Herr Dr. Alexander Naumann, darüber, dass derzeit jedes fünfte Kind und jeder fünfte Jugendliche als psychisch auffällig gelte und 10 % der Kinder sogar deutlich behandlungsbedürftig seien. Herr Dr. Naumann begründete dies mit dem zunehmenden Leistungsdruck und Freizeitstress . Gleichzeitig nehme der Rückhalt für junge Leute in der Kirche, in Sportvereinen oder in der Familie ab. Die psychischen Belastungen für Kinder hätten sich in den vergangen Jahren geändert. Eine aktuelle Studie der Universität Bielefeld weist ebenfalls auf einen hohen Stresslevel bei Kindern und Jugendlichen hin: 18 % der Kinder und 19 % der Jugendlichen in Deutschland leiden unter hohen Anspannungen. Stress wird dabei definiert als Ungleichgewicht zwischen wahrgenommenen Anforderungen und der subjektiven Fähigkeit, diese Anforderung zu erfüllen. 39 % der Zwölf- bis Sechzehnjährigen haben an drei oder mehr Tagen pro Woche mindestens einen festen Termin nach der Schule wie Musik-, Fußball- oder Schwimmunterricht. 60,2 % der Kinder geben dabei an, nur manchmal oder nie nach ihrer Meinung gefragt werden, 85,6 % werden erst gar nicht in die eigene Freizeitplanung mit eingebunden. Die Folgen hiervon sind typische Burn-Out-Symptome wie Einschlafprobleme, Kopf- oder Bauchschmerzen , Müdigkeit sowie Aggressivität, begleitet von niedriger Problemlösungskompetenz, geringem Selbstwertgefühl und daraus resultierender Angst zu versagen. Auffällig ist, dass 87,3 % der Eltern nicht an eine Überforderung ihres Kindes glauben und 50 % der Eltern angaben, alles dafür zu tun, um ihr Kind zu fördern. Offenbar ausgelöst durch die Sorge der Eltern um die zukünftigen beruflichen Perspektiven ihrer Kinder, fehlt diesen der nötige Freiraum für eine kindliche Selbstbestimmung. Frau Gesundheitsministerin Cornelia Rundt kündigte in dem HAZ-Bericht an, dass bis Ende des Jahres ein Landespsychiatrieplan vorgelegt werde, um Versorgungslücken und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Ein besonderes Augenmerk solle hierbei auf die Kinder- und Jugendpsychiatrie gelegt werden. Vorbemerkung der Landesregierung Alle Studien und Untersuchungen zusammengenommen lassen eine Auffälligkeitsrate in Bezug auf psychische Erkrankungen von 15 % bis 21 % bei Kindern und Jugendlichen als belegbar erscheinen , wobei einige Studien auch auf Befragungen der Eltern und deren Wahrnehmung beruhen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4805 2 Relevante epidemiologische Studien zeigen bei den leichteren seelischen Erkrankungen aus dem kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich keine prägnante oder deutliche Steigerung in den vergangenen ca. zehn Jahren. Sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich hat Niedersachsen in den vergangenen zehn Jahren eine sehr positive Entwicklung der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie aufzuweisen. Die Zahl der Kinder- und Jugendpsychiater und -therapeuten, Tageskliniken sowie Institutsambulanzen hat erheblich zugenommen. Trotz dieser positiven Entwicklung gibt es einige wenige Gebiete ohne Niederlassung. Hierbei handelt es sich um die Landkreise Cloppenburg, Holzminden, Osterholz, Osterode am Harz, Peine, Schaumburg, Wesermarsch und Wittmund. Eine Bedarfsplanung durch die kassenärztliche Vereinigung erfolgt erst seit dem Jahr 2013 und hat sich noch nicht auf alle Gebiete ausgewirkt. Im Bereich der stationären und teilstationären Angebote konnte die Versorgung in den vergangenen Jahren wesentlich verbessert werden, sodass Niedersachsen in der Fläche gut aufgestellt ist. Diese Versorgung gilt es weiter zu optimieren. Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Kinder und Jugendliche ist außerdem die Bildung einer besonderen Besuchskommission speziell für den Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Niedersachsen in Vorbereitung. 1. Welche Faktoren sind nach Kenntnis der Landesregierung überwiegend Auslöser für die psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen insbesondere der leichteren Form? Unter Erkrankungen der leichteren Form werden insbesondere Burn-out, Kopfschmerzen und psychosomatische Störungen verstanden. Als Grund gilt die höhere Leistungsanforderung gegenüber Kindern bereits ab dem frühesten Lebensalter vonseiten der Eltern und der Bezugspersonen. Schließlich führt die zunehmende Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Krankheiten, die Aufklärung über diese durch Fernsehen und Medien, insbesondere auch über seelische Erkrankungen wie Bulimie, Posttraumatische Belastungsstörungen, Zwangserkrankungen usw., in den letzten Jahrzehnten zu einer Vermehrung der gestellten Diagnosen, da die Schwelle der Diagnoseerstellung bzw. der Schilderung gegenüber Ärztinnen/Ärzten durch Eltern gerade auch für „leichtere “ Verläufe sinkt bzw. gesunken ist. Aufgrund verbesserter Wissenssituation der Kinder und Jugendlichen selbst und vor allem aber auch der Eltern, Sorgeberechtigten und Lehrer nimmt die Angst- und Schamschwelle, Hilfe zu suchen, ab. 2. Wenn Prävention Vorrang vor Therapie haben soll, wo sieht die Landesregierung Handlungsbedarf , um die Rahmenbedingungen für Kinder und Jugendliche zu verbessern? Einen wichtigen Beitrag leisten die Schulen, da diese umfangreiche Programme und Materialien zur Verfügung stellen, um Schülerinnen und Schüler in ihrem gesundheitsförderlichen Verhalten zu unterstützen . Neben Maßnahmen zur Prävention physischer Beanspruchungen, wie Programmen zur Bewegungsförderung, zur Ernährung, zur Suchtprävention oder dem Schutz vor Krankheiten, können auch Programme zum sozialen Lernen und zur psychischen Gesundheit abgerufen werden. Diese Maßnahmen der primären gesundheitlichen Prävention werden durch Angebote zur Förderung der Resilienz wie „Klasse 2000“ oder „Fit for Life“ und Angebote zur Steigerung der sozialen Kompetenzen wie „Lions Quest“ oder „Mobbing-Interventionsteams“ ergänzt. Schülerinnen und Schülern sowie Eltern steht im Einzelfall bei Bedarf als sekundäres Präventionsangebot auch ein umfangreiches psychosoziales schulinternes Beratungs- und Unterstützungssystem von Beratungslehrkräften und schulpsychologischen Dezernentinnen und Dezernenten zur Verfügung. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4805 3 3. Welche familienorientierten Angebote bzw. Unterstützungen werden von der Landesregierung gefördert, damit Kinder und Jugendliche eine höhere Resilienz erlangen können ? Neben den Schulen leistet in Niedersachsen der Hilfeansatz von Familienhebammen einen anerkennenswerten Beitrag, um die Resilienz von Kindern zu erhöhen. Schwangere Frauen und Mütter von Neugeborenen und Säuglingen in belasteten Lebenslagen und/oder mit medizinischen Risiken sollen möglichst frühzeitig in der Schwangerschaft, spätestens jedoch sobald wie möglich nach der Entbindung erreicht werden, um umfassende Hilfe anbieten und die möglichen oder sich anbahnenden physischen und emotionalen Defizite der Kinder frühzeitig erkennen und beheben zu können . Im Zentrum der Arbeit steht die Förderung der Bindung und Beziehung von Müttern und Vätern und ihren Kindern, wobei festgestellt wurde, dass Hebammen einen guten Zugang zu dieser schwierigen Zielgruppe finden und auch von Frauen mit Migrationshintergrund akzeptiert werden. In 2015 erhält die Stiftung „Eine Chance für Kinder“ Landesmittel in Höhe von 320 000 Euro (für das Konzept der Stiftung zur Zusammenarbeit der Kinder- und Jugendhilfe mit dem Gesundheitswesen , die Qualifizierung von Familienhebammen und Familiengesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und weitere Maßnahmen). Ein Schwerpunkt der Förderung aus der Bundesinitiative Frühe Hilfen ist die Finanzierung des Einsatzes von Familienhebammen in den Kommunen. Von 2012 bis 2015 wurden für diesen Schwerpunkt rund 4,3 Millionen Euro eingesetzt. Auch in den kommenden Jahren werden in Niedersachsen jährlich ca. 1,5 Millionen Euro für den Einsatz von Familienhebammen oder vergleichbaren Berufsgruppen , die mittlerweile flächendeckend in allen Jugendamtsbezirken eingesetzt werden, bereitstehen . Weiterhin fördert das Land Familienerholungsurlaube und Familienfreizeiten, die für Familien für Entlastung vom Alltag sorgen und Anregung für den Alltag bieten, wobei Familien mit behinderten Kindern und Alleinerziehende besondere Berücksichtigung genießen. Familienfreizeiten beinhalten pädagogische Angebote zu Ehe-, Familien- und Erziehungsfragen sowie Fragen der gesundheitlichen Vorsorge. Für die Förderung nach der Richtlinie Familienerholung stehen jährlich 909 000 Euro zur Verfügung. 4. Welche grundlegenden Verbesserungen sind vom noch vorzulegenden Landespsychiatrieplan wann zu erwarten? Auf Basis eines öffentlichen Vergabeverfahrens wurde der Zuschlag für die Erstellung des Landespsychiatrieplans der Bietergemeinschaft Gesellschaft für Forschung und Beratung im Gesundheitswesen mbH - FOGS GmbH/ceus consulting - im Juli 2014 erteilt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist der Landespsychiatrieplan noch nicht dem Ministerium für Soziales , Gesundheit und Gleichstellung vorgelegt worden. Der Landespsychiatrieplan soll die ambulanten , teil- und vollstationären Hilfen für Menschen mit psychischen Störungen aller Altersgruppen berücksichtigen . Der Zeitplan sieht vor, dass ein erster Entwurf des Landespsychiatrieplans Anfang des Jahres 2016 vorgelegt werden soll. Deshalb ist es zurzeit nicht möglich, über Verbesserungen zu berichten. (Ausgegeben am 11.12.2015) Drucksache 17/4805 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4215 Was macht Kinder und Jugendliche in Niedersachsen psychisch krank? Anfrage der Abgeordneten Annette Schwarz (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung