Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/4815 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4284 - Sind Salafisten auch in Niedersachsen auf Rekrutierungstour unter Flüchtlingen? (Teil 1) Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner und Dr. Marco Genthe (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 16.09.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 24.09.2015 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 07.12.2015, gezeichnet In Vertretung Stephan Manke Vorbemerkung der Abgeordneten Am 08.09.2015 schrieb Die Tageszeitung, dass sich am Sonntag, dem 06.09.2015, Mitglieder der salafistischen Szene vor den Hamburger Messehallen eingefunden hätten, um dort mittels der Verteilung von Ausgaben des Koran mit Flüchtlingen in Kontakt zu treten. Unterdessen sollen Sicherheitskräfte sowie Flüchtlingshelfer, die sich zu diesem Zeitpunkt vor Ort aufhielten, beschimpft und bedroht worden sein. Zudem habe eine Gruppe jüngerer, weiblicher Salafistinnen einen Sichtschutz entfernt, sodass die Sicherheitskräfte einschreiten mussten. Der Vorfall an den Hamburger Messehallen wurde auch von Mitgliedern der Hamburgischen Bürgerschaft bestätigt. Laut Zeitungsbericht habe der „Islamische Staat“ (IS) seine Anhänger dazu aufgerufen, nach Europa zu kommen. Es sei Taktik, zum einen Flüchtlinge anzuwerben und zum anderen vermeintliche Flüchtlinge nach Europa zu schicken. Ferner sei einer der beteiligten Salafisten bereits im Rahmen von Koranverteilungen der Kampagne „Lies!“ in Hamburg aufgefallen. Bis Mitte August 2015 wurden 82 Koran-Stände angemeldet. 1. Sind der Landesregierung derartige Vorfälle aus Niedersachsen bekannt? Bisher gingen bei der Polizei Niedersachsen und dem niedersächsischen Verfassungsschutz ca. 20 Hinweise aus unterschiedlichen Quellen ein, wonach (mutmaßliche) Islamisten/Salafisten bzw. islamistische /salafistische Vereine gezielt in den Landesaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünften für eigene Belange und Ziele bei den hier untergebrachten Flüchtlingen werben würden. Dies geschieht beispielsweise durch die Verteilung von Flyern und Islam-Broschüren, die Lieferung von Hilfsgütern/Spenden, die Bereitstellung von Mitfahrgelegenheiten zum Freitagsgebet sowie die Einladung zu Veranstaltungen. In einem Fall wurde versucht, über die Beschäftigten der Unterkunft eine Namensliste der untergebrachten Flüchtlinge zu erlangen, was aber keinen Erfolg hatte. In zwei weiteren gleichgelagerten Fällen in Bremen und Hamburg wurden Personen aus Niedersachsen als Werber festgestellt. Islamisten versuchen auszunutzen, dass sich die Flüchtlinge in einer besonderen Form der sozialen Isolation befinden. Sie stellen ihre ideologischen Absichten zunächst in den Hintergrund und ein humanitäres Anliegen in den Vordergrund. Dies geschieht beispielsweise durch die Unterstützung bei Behördengängen, Dolmetscherangebote oder die Verteilung von Sachspenden. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich unter den Flüchtlingen eine Vielzahl an Opfern von Gewalthandlungen befindet, die auf die jihadistisch-salafistische Ideologie zurückzuführen sind, ist diese Strategie äußerst perfide. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4815 2 2. Was tut die Regierung, um dem Werben um Flüchtlinge vonseiten der Salafisten zu begegnen ? Um die Missionierung von Flüchtlingen zu verhindern, ist zunächst das Erkennen derartiger Radikalisierungsprozesse in und an Flüchtlingsunterkünften erforderlich. Hierzu müssen die Akteure, die unmittelbar mit Flüchtlingen in Kontakt treten, durch geeignete Schulungsmaßnahmen sensibilisiert werden. Die Polizei Niedersachsen steht hierzu im engen Informationsaustausch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesaufnahmebehörden und wird zudem in Abstimmung mit dem Niedersächsischen Verfassungsschutz gemeinsame Veranstaltungen zur Sensibilisierung der Beschäftigten in den Flüchtlingsunterkünften durchführen. Unter der Federführung der für Flüchtlingsangelegenheiten zuständigen Abteilung des Ministeriums für Inneres und Sport fanden am 09.09.2015 und 11.09.2015 zusammen mit dem Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA NI) und dem niedersächsischen Verfassungsschutz zwei Informationsveranstaltungen für die kommunalen Ausländerbehörden und die Vertreter der Landesaufnahmebehörden statt. Analog zu den bereits durchgeführten Sensibilisierungsveranstaltungen bei den Ausländerbehörden sollen künftig weitere Schulungen unter Beteiligung der Landesaufnahmebehörden, des niedersächsischen Verfassungsschutzes, des LKA NI sowie der örtlichen Polizeibehörden durchgeführt werden. Die Teilnehmenden sollen u. a. zu den Themen „Radikalisierung und Präventionsansätze im islamistischen Bereich“ unterrichtet sowie durch die Aushändigung von Informationsbroschüren nachhaltig sensibilisiert werden. Die erste Veranstaltung hat am 22.10.2015 in Braunschweig stattgefunden. Für die Landesaufnahmebehörden in Bramsche und Friedland sind ähnliche Veranstaltungen in Planung. Seitens der Präventionsstelle politisch motivierte Kriminalität (PPMK) des Landeskriminalamts Niedersachsen wurden die Polizeibehörden mit Rundschreiben vom 21.10.2015 auf die Kompaktinformation „Extremistischen Salafismus erkennen“ des Landes Nordrhein-Westfalen hingewiesen. Diese bietet eine sehr gute inhaltliche Grundlage für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Flüchtlingsunterkünften, um sie im Hinblick auf salafistische Aktivitäten und Radikalisierungsgefahren zu sensibilisieren. Diese Kompaktinformation wird zum Teil bereits durch die Polizei in Niedersachsen auf lokaler Ebene verwandt. Ferner wurde seitens der PPMK am 04.11.2015 eine Besprechung mit den für die Extremismusprävention zuständigen Ansprechpartnern des polizeilichen Staatsschutzes durchgeführt. Schwerpunktthema war hierbei die Sensibilisierung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Flüchtlingsunterkünften im Hinblick auf salafistische Bestrebungen. Im Ergebnis sollen auf örtlicher Ebene in Zukunft verstärkt entsprechende Sensibilisierungsveranstaltungen durchgeführt werden. Neben der Beobachtung und Analyse islamistischer Bestrebungen in Niedersachsen betreibt der niedersächsische Verfassungsschutz kontinuierlich Islamismusprävention. Diese Präventionsarbeit fokussiert die Aufklärungsarbeit über den Islamismus auf den Bereich Salafismus und den Prozess der Radikalisierung. Auf Nachfrage stellt der niedersächsische Verfassungsschutz seine Expertise in Vorträgen, Workshops und Hintergrundgesprächen zur Verfügung. Bisher wurden die Informationen zahlreich durch Städte und Kommunen, Parteien, Schulen und Universitäten sowie unterschiedliche zivilgesellschaftliche Einrichtungen angefragt. Parallel hierzu wird durch den niedersächsischen Verfassungsschutz eine Handreichung zum Thema „Auswirkungen der aktuellen Lage im Bereich Salafismus/Syrienproblematik in Niedersachsen auf Flüchtlingseinrichtungen“ erarbeitet, die an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Aufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünfte verteilt werden soll. Auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtungen werden etwaige Rekrutierungs- oder Agitationsversuche als besonderes Vorkommnis sofort an die Standortleitung gemeldet, und es werden Maßnahmen ergriffen, derartige Aktionen zu unterbinden (Aufforderung, das Gelände sofort zu verlassen , bei Zuwiderhandlung Anzeige, Hausverbot). Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4815 3 3. Welche Kenntnisse hat die Regierung darüber, dass IS-Angehörige und - Sympathisanten als Flüchtlinge nach Deutschland kommen? Deutschland ist derzeit - neben dem Flüchtlingszustrom aus Syrien und dem Irak - auch mit einer hohen Zahl irregulär einreisender Ausländer aus anderen Regionen, wie etwa dem Westbalkan, Afghanistan oder Eritrea, konfrontiert. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder erhalten in diesem Zusammenhang auch Hinweise auf Personen, die in Verbindung zu militanten Gruppierungen in Krisenregionen gestanden oder für diese gekämpft haben sollen. Diesen Hinweisen gehen Polizei und Verfassungsschutzbehörden in jedem Einzelfall unverzüglich und umfassend nach. Angesichts der hohen Zahl derzeit aufgenommener Flüchtlinge ist allerdings auch weiterhin möglich , dass sich unter den Flüchtlingen Personen aus dem Bereich der Allgemeinkriminalität oder Mitglieder militanter Gruppen oder Einzelpersonen extremistischer Gesinnung befinden könnten. Bislang liegen allerdings keine belastbaren Erkenntnisse vor, dass jihadistische Gruppierungen die Flüchtlingsströme zielgerichtet zur Infiltration des Bundesgebietes durch Einzeltäter oder Gruppen genutzt haben. Es muss jedoch angesichts der großen Anzahl und der unvollständigen Erkenntnisse und Hintergründe zu irregulär einreisenden Personen berücksichtigt werden, dass das Lageund Erkenntnisbild unvollständig ist und Lücken aufweist. Wie bereits im Rahmen der Beantwortung der Kleinen Anfrage zur mündlichen Beantwortung in der Drs. 17/4595 - lfd. Nr. 46 - „Terrorverdächtige Asylbewerber auch in Niedersachsen?“ dargestellt, liegen den niedersächsischen Sicherheitsbehörden erste, teilweise sehr vage Hinweise, die sich im einstelligen Bereich bewegen (Stand: 12.11.2015), vor, die auf eine Infiltrierung der Flüchtlinge bzw. Asylbewerber durch terroraffine Personen und Kriegsverbrecher hindeuten könnten. Die Ermittlungsansätze müssen in der Mehrzahl der Fälle jedoch als unklar bezeichnet werden, da weder die Personen/-gruppen zweifelsfrei identifiziert, ihre Aufenthaltsorte lokalisiert, noch die Glaubwürdigkeit der Hinweisgeber abschließend verifiziert werden können. In diesem Zusammenhang teilt im Übrigen das LKA NI die Einschätzung des BKA, dass derartige Phänomene („Einsickern“ von IS-Terroristen über den Flüchtlingsstrom) nicht gänzlich ausgeschlossen sind. Unbeschadet dessen wird jedem dieser Hinweise akribisch nachgegangen. In zwei Fällen haben sich derartige Hinweise als unbegründet herausgestellt. In Niedersachsen ist bis dato ein Fall mit strafrechtlichem Hintergrund bekannt, in dem die Ermittlungen noch andauern. Dabei handelt es sich um einen Verstoß gegen § 20 Abs. 1 Nr. 5 des Vereinsgesetzes , der sich auf einen Asylbewerber bezieht, der im Verdacht steht, auf seinem Facebookprofil verbotene IS-Symbole öffentlich zugänglich gemacht bzw. im Internet eingestellt zu haben . 4. Wie viele Koran-Verteilungsaktionen („Lies!“-Kampagne) haben in Niedersachsen vom 01.01.2013 bis zum 31.08.2015 stattgefunden? Dem niedersächsischen Verfassungsschutz sind zwischen dem 01.01.2013 und dem 31.08.2015 insgesamt 81 „LIES!“-Stände bekannt geworden. Davon fanden 27 im Jahr 2013, 26 im Jahr 2014 und 28 in den ersten acht Monaten des Jahres 2015 statt. Als Kriterien für die Definition, ob ein Koranverteilstand im Rahmen der „LIES!“-Kampagne stattfindet , werden die vom Veranstalter selbst definierten Verhaltensregeln zugrunde gelegt. Demzufolge handelt es sich nur um einen „offiziellen“ „LIES!“-Stand, wenn ausschließlich „LIES!“-Korane verteilt werden und die von „LIES!“ zur Verfügung gestellte Ausrüstung (Tischdecke, Stehtisch, Banner, und Kleidung) verwandt wird. Darüber hinaus werden die von der „LIES!“-Kampagne autorisierten Koranverteilstände auf dem Facebookprofil von „Die Wahre Religion“ angekündigt. Gemäß Erhebung bei den regionalen Polizeidirektionen sind der Polizei Niedersachsen in der Zeit vom 01.01.2013 bis zum 31.08.2015 insgesamt 183 Koran-Verteilaktionen bekannt geworden. Hiervon wiesen 177 zumindest einen Bezug zur sogenannten „LIES!“-Kampagne auf. Zuletzt wurden die „LIES!“-Koranverteilaktionen nur noch in Hannover durchgeführt. Nachdem dort mehrere Verstöße gegen die erteilten Auflagen festgestellt worden waren, hat die Landeshauptstadt Hannover mit Schreiben vom 10.09.2015 die Genehmigung zur weiteren Durchführung der Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/4815 4 ortsfesten Koranverteilungsstände für das laufende Jahr widerrufen. Eine mobile Verteilung von „LIES!“-Koranen findet jedoch weiterhin statt. Die Durchführung solcher mobilen Verteilaktionen ist genehmigungsfrei, muss aber bei der Landeshauptstadt Hannover angezeigt werden. (Ausgegeben am 14.12.2015) Drucksache 17/4815 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortungmit Antwort der Landesregierung- Drucksache 17/4 Sind Salafisten auch in Niedersachsen auf Rekrutierungstour unter Flüchtlingen? (Teil 1) Anfrage der Abgeordneten Dr. Stefan Birkner und Dr. Marco Genthe (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport