Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/5079 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4450 - Steht die Haltung der Landesregierung zu Glyphosat im Widerspruch zur Meinung der Expertengruppe des Umweltministeriums? Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Dr. Stefan Birkner (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 16.10.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 22.10.2015 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung vom 28.01.2016, gezeichnet Stefan Wenzel Vorbemerkung der Abgeordneten Das Umweltministerium hat eine eigene Expertengruppe ins Leben gerufen, um die Erkenntnisse zum Thema Glyphosat zusammenzufassen. Die Ergebnisse der Expertengruppe wurden im Mai 2014 an die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gesendet (www.umwelt.nie dersachsen.de/download/87128). In dem Bericht heißt es u. a.: „Daraus folgend kann geschlossen werden, dass Glyphosat kein gentoxisches Kanzerogen ist.“ (Seite 6), „Auf die kontroversen Auffassungen der beiden Toxikologen zur Frage der Teratogenität sei ausdrücklich nochmals hingewiesen . Hier ist keine einheitliche Auffassung erzielbar.“ (Seite 7), „Die Verwendung von Glyphosat ermöglicht durch Einhaltung der Bodenruhe eine Verminderung der herbstlichen Stickstoffmineralisation bei Anbau von Feldfrüchten wie Raps, die aus Sicht des nitratbezogenen Grundwasserschutzes problematisch sind.“ (Seite 18), Zum chronischen Botulismus heißt es: „Die beschriebenen unspezifischen Erkrankungsformen sind derzeit wissenschaftlich nicht als eigenständiges Krankheitsbild etabliert.“ (Seite 9). Eine der konkreten Fragen, die die Expertengruppe zum Thema Glyphosat beantworten sollte, war: „Werden aus den vorliegenden Erkenntnissen die richtigen Schlüsse gezogen?“ Die Antwort des Niedersächsischen Landesgesundheitsamts (NLGA) im Expertenbericht lautet: „Hinsichtlich der Bewertungen zur Humantoxizität seitens der Bewertungsbehörden BVL und BfR sowie der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA - ja.“ (Seite 39). Auf die Frage „Ist die herbe Kritik an Glyphosat gerechtfertigt oder nicht?“ antwortete das NLGA: „In Bezug auf den Endpunkt Humantoxizität - nein. In der öffentlich medialen Diskussion erfolgte u. a. eine Überbewertung von Effekten in in vitro Studien.“ (Seite 39). Vorbemerkung der Landesregierung Die Glyphosat-Thematik wird seit Mitte 2013 im MU intensiv bearbeitet. Auslöser waren zum einen Anfragen besorgter Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich möglicher Gesundheits- und Umweltgefahren durch Glyphosat, die zunehmende Diskussion über Glyphosat in den Medien und das damit verbundene gestiegene öffentliche Interesse an dieser Thematik sowie nicht zuletzt die für 2014 vorgesehene öffentliche Internetkonsultation der EFSA im Rahmen des beantragten Verfahrens auf Erneuerung der Zulassung für den Wirkstoff Glyphosat. Minister Wenzel hatte daher im Herbst 2013 das für die Chemikaliensicherheit zuständige Referat gebeten, eine „Expertengruppe Glyphosat“ aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesverwaltung zu etablieren. Die Expertengruppe wurde vom MU geleitet; in ihr arbeiteten Expertinnen und Experten vom Staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Hildesheim (GAA Hildesheim), vom Nieder- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5079 2 sächsischen Landesgesundheitsamtes (NLGA) sowie vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) mit. Die Expertengruppe hat zwischen Dezember 2013 und März 2014, soweit es in diesem engen Zeitraum möglich war, die wesentliche Fachliteratur zur Glyphosat-Thematik gesichtet, versucht, diese zu bewerten, und im März 2014 einen Abschlussbericht vorgelegt. Hinsichtlich des chronischen Botulismus (Dysbiose) heißt es in der Zusammenfassung des Abschlussberichtes des MU u. a.: „Die vorliegenden Publikationen geben Anlass, Hinweise auf Dysbiose ernst nehmen zu müssen.“ Herr Minister Wenzel entschied sich angesichts der offenen Fragestellungen im Bericht der niedersächsischen Expertenkommission Anfang August 2014, aus Vorsorgegründen eine Empfehlung für eine Absenkung des sogenannten ADI-Wertes (Acceptable Daily Intake) für Glyphosat von derzeit 0,3 mg/kg/d auf 0,1 mg/kg/d im Rahmen der o. a. Internetkonsultation vorzuschlagen, wie es bereits insbesondere die toxikologische Stellungnahme des GAA Hildesheim im Abschlussbericht der Expertengruppe empfohlen hatte. Demgegenüber hatte das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) sich für eine Erhöhung des ADI-Wertes auf 0,5 mg/kg/d ausgesprochen. Ende März 2015 wurde erstmals über eine Studie der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtet, nach der Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ (IARC-Gruppe 2a) einzustufen ist; die entsprechende IARC-Studie selbst wurde Ende Juli 2015 veröffentlicht. Diese Ergebnisse konnten dementsprechend noch nicht in den Abschlussbericht der niedersächsischen Expertengruppe einfließen. Ein grundsätzlicher inhaltlicher Widerspruch zwischen den Ergebnissen der Expertengruppe und der Haltung der Landesregierung ist somit nicht erkennbar. 1. Kommt der oben erwähnte Bericht der Expertengruppe des Umweltministeriums an irgendeiner Stelle zu dem Schluss, dass der Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft verboten werden sollte, wenn ja, an welchen Stellen? Dies zu beurteilen war nicht Aufgabe der Expertengruppe. Sie sollte vielmehr einen Überblick über die zum Teil kontroversen Positionen und offenen Fragen zur Bewertung von Glyphosat geben. Eine Entscheidung über einen möglichen weiteren Einsatz glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel auf Bundesebene kann erst nach Abschluss des Zulassungsverfahrens für den Wirkstoff Glyphosat auf EU-Ebene erfolgen, der jetzt für Juni 2016 terminiert ist (siehe dazu auch die Vorbemerkung der Landesregierung zur Antwort auf die Drs. 17/4456). 2. Wie bewertet die Landesregierung die zwei oben genannten Antworten des NLGA zu zwei der zentralen Fragestellungen an die Expertengruppe des Umweltministeriums? Der Beitrag aus dem NLGA ist als unabhängige fachliche Stellungnahme zu dem Thema Toxizität zu sehen. Die Antwort des NLGA zu den seitens des MU vorgegebenen Fragen 3 („Werden aus den vorliegenden Erkenntnissen die richtigen Schlüsse gezogen?“) und 2 („Ist die herbe Kritik an Glyphosat gerechtfertigt oder nicht?“) kann grundsätzlich nur in Zusammenhang mit dem vollständigen Beitrag aus dem NLGA gesehen werden. Die Bewertung des NLGA-Beitrags durch das Fachministerium MU ist in dem o. g. „Ausführlichen Bericht über Erkenntnisse aus den Arbeiten der niedersächsischen Expertengruppe zum Thema Glyphosat“ vom 06.05.2014 erfolgt, auf den in der Anfrage Bezug genommen wird. 3. Wie bewertet die Landesregierung die anderen in der Vorbemerkung aufgeführten Zitate aus dem Bericht der Expertengruppe des Umweltministeriums? Siehe Vorbemerkung. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5079 3 4. Bedeuten die Antworten des NLGA nach Auffassung der Landesregierung, dass das NLGA das Vorgehen von BfR, BVL und EFSA im Neubewertungsverfahren von Glyphosat als korrekt bewertet? Siehe Antwort zu Frage 2. 5. Bedeuten die Antworten des NLGA nach Auffassung der Landesregierung, dass das NLGA die Art der Kritik an Glyphosat in der öffentlichen Debatte als nicht gerechtfertigt ansieht? Siehe Antwort zu Frage 2. Das NLGA beteiligt sich als wissenschaftliche Beratungsbehörde nicht an der öffentlichen Debatte zu Glyphosat. 6. Wie schätzt die Landesregierung die Auswirkungen eines Glyphosatverzichts auf die herbstliche Stickstoffmineralisation und den damit verbundenen nitratbezogenen Grundwasserschutz in Niedersachsen ein? Nach der Ernte der Hauptfrüchte Kartoffeln, Mais oder Zuckerrüben wird in der Regel kein Glyphosat eingesetzt. Sollte nach der Ernte der Vorfrucht Getreide im Herbst Glyphosat eingesetzt werden , ist bei einem Verzicht auf Glyphosat nicht mit einer zusätzlichen Nitratbelastung der Gewässer zu rechnen. Nach der Ernte von Winterraps soll der auf der Anbaufläche verbliebene Stickstoff durch eine reduzierte Bodenbearbeitung und auflaufenden Ausfallraps vor der Auswaschung geschützt werden. Kurz vor der Aussaat der Folgefrucht wird der Raps häufig mit Glyphosat abgespritzt und die Folgefrucht nach einer flachen Bodenbearbeitung bestellt. Bei einem Verzicht auf Glyphosat könnte der Ausfallraps kurz vor der Bestellung der Folgefrucht abgeschlegelt werden und die Folgefrucht in Direktsaat bestellt werden. Der vollständige Verzicht auf Glyphosat dürfte daher kaum einen Einfluss auf die Nitratauswaschung im Herbst und damit auf den Grundwasserschutz haben. 7. Welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus dem Bericht der Expertengruppe des Umweltministeriums? Siehe Vorbemerkung. 8. Will die Landesregierung den Einsatz von Glyphosat in der Landwirtschaft verbieten? Das MU hatte mit Schreiben vom 06.05.2014 an die EFSA auf eine Vielzahl kritischer Aspekte von Glyphosat hingewiesen. Niedersachsen nimmt die neue Einschätzung der WHO, die Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ einstuft, sehr ernst. Die Verbraucherministerkonferenz am 08.05.2015 in Osnabrück hat in Kenntnis der anderslautenden Bewertung des BfR die Bewertung der WHO zum Anlass genommen, Folgendes einstimmig bei einer Enthaltung zu beschließen: „Die Ministerinnen, Minister, Senatorin und Senatoren der Verbraucherschutzressorts der Länder fordern den Bund auf, auf der Basis der neuen Bewertung der WHO zu Glyphosat als wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen (Gruppe 2A) aus Vorsorgegründen die Abgabe an und die Anwendung durch Privatpersonen zu verbieten. Sie bitten das BMEL unter Berücksichtigung auch von Umweltschutzaspekten für bestimmte verbrauchernahe Anwendungen, insbesondere für Freiflächen, die nicht land- oder forstwirtschaftlich genutzt werden, zeitnah ein vorläufiges Verbot der Anwendung von Glyphosat auszusprechen, bis eine abschließende Neubewertung durch die EFSA erfolgt ist. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5079 4 Sie bitten ferner, verbindlich festzulegen, unter welchen Voraussetzungen die ‚gute landwirtschaftliche Praxis‘ die Anwendung von Glyphosat erlaubt. Sie erinnern in diesem Zusammenhang ausdrücklich an den Beschluss des Bundesrates vom 08.11.2013 (BR-Drs. 704/13 [Beschluss]).“ Die Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Brandenburg , Thüringen, Hessen und Rheinland-Pfalz erklärten zusätzlich: „Die neuen Erkenntnisse zu Glyphosat durch WHO/IARC als wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen (Gruppe 2A) müssen auch bei der Zulassung von Produkten im landwirtschaftlichen Einsatz berücksichtigt werden. Deshalb fordern die Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Brandenburg, Thüringen, Hessen und Rheinland-Pfalz den Bund auf, sich für weitere Einschränkungen des Glyphosat-Einsatzes auch in der Landwirtschaft einzusetzen.“ (Ausgegeben am 04.02.2016) Drucksache 17/5079 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4450 Steht die Haltung der Landesregierung zu Glyphosat im Widerspruch zur Meinung der Expertengruppe des Umweltministeriums? Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz