Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/5109 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4893 - Was weiß die Landesregierung über „Paralleljustiz“ in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Mechthild Ross-Luttmann (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 21.12.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 04.01.2016 Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums namens der Landesregierung vom 02.02.2016, gezeichnet Antje Niewisch-Lennartz Vorbemerkung der Abgeordneten Die FAZ berichtete am 10. Dezember 2015 unter der Überschrift „Richter in aller Heimlichkeit“: „Als Paralleljustiz wird das Wirken sogenannter Friedensrichter bezeichnet, die in Einwandererkreisen vor allem in straf- und familienrechtlichen Streitigkeiten wie gewaltsamen Konflikten, Scheidungen oder Verheiratungen unter den beteiligten Parteien Einigungen häufig gegen Geldzahlungen herbeiführen und so die staatliche Justiz umgehen.“ Weiter heißt es in dem Artikel: „Seit einigen Jahren versuchen Politik und Justiz, Licht in die Strukturen der Paralleljustiz zu bringen. Das bayerische Justizministerium setzte 2011 eine Arbeitsgruppe ein, benannte zentrale Ansprechpartner für Richter und Staatsanwälte bei den Generalstaatsanwaltschaften.“ In dem Artikel heißt es ferner: „Das nordrhein-westfälische Justizministerium bat die Generalstaatsanwälte des Landes erstmals Ende 2010, über Erkenntnisse zu dem Phänomen zu berichten. Es reagierte damit auf Recherchen des Journalisten und Juristen Joachim Wagner, der in seinem Buch ‚Richter ohne Gesetz‘ auch an Beispielen aus Essen darüber berichtete, wie eine islamische Paralleljustiz den Rechtsstaat gefährden kann. Seit Ende 2011 gibt es eine Berichtspflicht für einschlägige Verfahren.“ Vorbemerkung der Landesregierung Das Phänomen „Paralleljustiz“ wird bereits seit mehreren Jahren vermehrt in der Öffentlichkeit und Justizkreisen diskutiert. Regelmäßig wird hierunter eine islamisch geprägte Schattenjustiz verstanden, in deren Mittelpunkt sogenannte Friedensrichter stehen, die ohne Ausbildung und gesetzliche Legitimation Streitigkeiten zwischen Tätern und Opfern aus dem islamischen Kulturkreis privat regeln und somit das Strafmonopol des Staates systematisch unterlaufen. Es handelt sich um eine von unserer Rechtsordnung nicht akzeptierte Form der Konfliktlösung, die sich außerhalb staatlicher Strukturen bewegt und selber Strukturen aufweist, die für sich den Anspruch erheben, parallel zu oder gar über staatlichen Instanzen stehend Streitigkeiten beizulegen. Dabei wird im Verborgenen agiert, die deutsche Rechtsordnung ignoriert und ein anderes Werte- und Normensystem zum Ausdruck gebracht. Bei den ausführenden Personen handelt es sich in der Regel um Autoritätspersonen wie Familienälteste , aber auch sonstige Personen, die Streitigkeiten aller Art zwischen den Beteiligten privat regeln . Darüber hinaus können unter den Begriff der „Paralleljustiz“ auch Vorgänge fallen, in denen seitens der Klientel keine außergerichtliche „Konfliktschlichtung im Wege der Verhandlung“ angestrebt wird, sondern seitens der Verfahrensbeteiligten oder durch diese beauftragte Personen der Versuch unternommen wird, in teils massiver, strafrechtlich relevanter Weise auf laufende Straf-, aber auch beispielsweise familienrechtliche Verfahren Einfluss zu nehmen. Dies geschieht oft in Form Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5109 2 von Verdunklungsmaßnahmen mit dem Ziel der Beeinflussung des Verfahrensausgangs gegen den Willen der beeinflussten Personen. Die Landesregierung duldet eine solche Paralleljustiz, die außerhalb unserer Rechtsordnung stattfindet und dem Wertesystem des Grundgesetzes widerspricht, nicht. Die Justizministerinnen und Justizminister haben hierzu bereits durch Beschluss der Justizministerkonferenz vom 06.11.2014 eine länderoffene Arbeitsgruppe zur Verhinderung von rechtsstaatlich problematischer „Paralleljustiz“ eingesetzt, an der sich das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport für die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beteiligte. Der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe beinhaltet neben der Feststellung, dass rechtsstaatlich problematische Paralleljustiz von außergerichtlicher Streitschlichtung abzugrenzen ist und eine Sensibilisierung von Richterinnen und Richtern und Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sinnvoll erscheint, auch die Feststellung, dass Paralleljustiz ein in unterschiedlicher Ausprägung in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenes Phänomen ist. Die Justizministerinnen und Justizminister haben durch Beschluss der 86. Justizministerkonferenz am 12.11.2015 den Abschlussbericht zur Kenntnis genommen. Auf dem Gebiet des Strafrechts wird das Thema „Paralleljustiz“ bereits seit mehreren Jahren auf staatsanwaltlichen Tagungen und Dienstbesprechungen vor allem unter dem Blickwinkel von sogenannter Clankriminalität immer wieder thematisiert. Anhaltspunkte dafür, dass es in Niedersachsen eine fest etablierte außergerichtliche Streitbeilegung im Bereich des Strafrechts gibt, liegen der Landesregierung nicht vor. Die in Niedersachsen bekannt gewordenen Fälle von Paralleljustiz spielten sich überwiegend im Familienkreis bzw. innerhalb von größeren Clans oder zwischen verschiedenen Clans ab (z. B. Gewaltdelikte, Einschüchterung von Zeugen, Bedrohungen). Einige Angehörige derartiger Familienclans stehen im Verdacht, mit der Organisierten Kriminalität in Verbindung zu stehen (Rotlichtmilieu, Drogenhandel). Falls kriminelle Angehörige bestimmter Familienclans oder Volksgruppen oder Einwandererkreise Straftaten begehen, die dem Bereich der Organisierten Kriminalität zuzuordnen sind, erfolgt die Bearbeitung bei den Staatsanwaltschaften in Spezialabteilungen , den sogenannten OK-Abteilungen. Bei allen elf niedersächsischen Staatsanwaltschaften bestehen spezialisierte OK-Dezernate. Die Bildung weiterer Sonderzuständigkeiten etwa für besonders problematische Familienclans ist seitens der Staatsanwaltschaften und Generalstaatsanwaltschaften bereits in der Vergangenheit geprüft worden, zuletzt im Jahr 2012. Überlegungen , auch für kriminelle Angehörige bestimmter Clans spezielle Ansprechpartner in den OK- Abteilungen der Staatsanwaltschaften zu schaffen, sind im Ergebnis verworfen worden. Eine Notwendigkeit für die Schaffung neuer Zuständigkeiten für bestimmte Familienclans wurde in Anbetracht der bestehenden Regelungen, insbesondere auch der Intensivtäterlisten, nicht gesehen. Ebenso wenig besteht die Notwendigkeit, eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für bestimmte Familienclans zu bilden. Auf der Grundlage von § 143 Abs. 4 GVG sind in Niedersachsen verschiedene Schwerpunktstaatsanwaltschaften eingerichtet worden. Die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften wurde bisher stets nur für bestimmte Arten von Straftaten bzw. für spezielle Deliktsgruppen auf den Gebieten verschiedenster Kriminalitätsbereiche vorgenommen. Die Bildung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft speziell zur Strafverfolgung von bestimmten Volksgruppen, Einwandererkreisen oder ethnischer Minderheiten ist deswegen abzulehnen, weil dabei an die ethnische Herkunft angeknüpft würde, was im Lichte von Artikel 3 Abs. 3 GG bedenklich erscheint. Abgesehen davon sieht die Landesregierung das in § 143 Abs. 4 GVG vorausgesetzte Erfordernis einer sachdienlichen Förderung oder schnelleren Erledigung der Verfahren nicht als gegeben an. Die Landesregierung hat bereits bei der Beantwortung früherer Anfragen herausgestellt, dass der Fokus bei der Bekämpfung von Kriminalität durch Angehörige bestimmter Volksgruppen auf einen ganzheitlichen und nachhaltigen Bekämpfungsansatz unter Beteiligung aller mit diesem Phänomen befassten Behörden und Institutionen, auch ressortübergreifend, ausgerichtet ist. Damit wird auch die Bekämpfung krimineller Familienclans umfasst, bei denen Verflechtungen zur Organisierten Kriminalität bestehen. Insoweit greifen die Strafverfolgungsbehörden auf die seit vielen Jahren bewährten Strukturen zur Bekämpfung von Organisierter Kriminalität bei Polizei und Justiz zurück. Darüber hinaus wurde die Bekämpfung der Clankriminalität in Niedersachsen bereits als ein Schwerpunkt bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität festgelegt. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5109 3 In Niedersachsen ist eine zügige Aufklärung von Straftaten und eine wirksame Strafverfolgung gewährleistet . Zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sind die niedersächsischen Strafverfolgungsbehörden gut aufgestellt und können dem Phänomen adäquat begegnen. 1. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über Formen und Fälle von „Paralleljustiz “ in Niedersachsen seit 2013? Auf die Vorbemerkung wird zunächst verwiesen. Eine valide Datenerhebung zum Phänomen „Paralleljustiz“ konnte nicht erfolgen, da weder das polizeiliche noch das staatsanwaltschaftliche Vorgangsbearbeitungssystem eine elektronische Auswertungsmöglichkeit für diesen Bereich vorsieht. Die Erkenntnisse resultieren demnach aus den Feststellungen und Erfahrungswerten der eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Die Erscheinungsformen der „Paralleljustiz“ stehen überwiegend im engen Zusammenhang mit der Clankriminalität, der Kriminalität ethnisch abgeschotteter Subkulturen bzw. patriarchaler Strukturen, der Kriminalität zur Wiederherstellung der (Familien-)Ehre bzw. Regulierung von Ehrverletzungen (bis hin zur Blutrache), Beleidigungen und Demütigungen sowie zur Einhaltung religiöser Regeln. „Paralleljustiz“ findet vielfach im Bereich von Großfamilien statt, bei denen die Zusammengehörigkeit in der Familie eine besondere Bedeutung hat und das Austragen von Konflikten einen Ehrverlust darstellt. Darüber hinaus spielen die geringe Kenntnis von der deutschen Rechtsordnung sowie das fehlende Vertrauen in die Justiz eine Rolle und nicht zuletzt die ausländerrechtlichen Konsequenzen , die bei einer strafrechtlichen Verfolgung in Deutschland drohen. Als eine der typischen Erscheinungsformen ist die Rücknahme einer Zeugenaussage der betreffenden Opfer und Zeugen zu betrachten. Wurde noch unmittelbar nach einer Tat umfassend gegenüber der Polizei ausgesagt, erfolgen später keine weiteren oder falsche Einlassungen oder gar die Rücknahme der Aussagen ohne Angabe von Gründen. Es kann angenommen werden, dass es hierbei zu einer außergerichtlichen Einigung von Täter und Opfer auch unter Zuhilfenahme von nichtstaatlichen Autoritätspersonen oder Dritter gekommen ist. Diese Schlichtungen erfolgen zumeist im Verborgenen und werden nur in Einzelfällen den Polizei- und Justizbehörden bekannt. Das Dunkelfeld dürfte entsprechend hoch sein. Für die Strafverfolgungsbehörden ist es oft schwierig, in einem Verfahren die Existenz von „Paralleljustiz “ nachzuweisen. Jedes auffällige Verfahren bedarf in diesem Bereich einer Einzelfallbetrachtung und Abwägung zwischen zulässigen rechtskonformen Konfliktlösungsmechanismen und „paralleljustiziellen“ Prozessen, die der deutschen Rechtsordnung widersprechen. In nahezu allen niedersächsischen Polizeibehörden liegen Erkenntnisse vor, die auf die Existenz von „Paralleljustiz“ in unterschiedlichen Einzelfällen und in unterschiedlicher Ausprägung hinweisen . Die zur Schlichtung konsultierten Personen werden (neben der Polizei und der Justiz) immer dann herangezogen, wenn die Beteiligten nach einer Auseinandersetzung einen Vermittler zur Klärung eines Konfliktes benötigten. Die Schlichtung erfolgt in unterschiedlichen Formen, so werden beispielsweise Geldbeträge zur Beilegung eines Konfliktes gezahlt oder zukünftige Verhaltensweisen zwischen den Konfliktparteien festgelegt. In der Folge ziehen dann Zeugen oder Opfer ihre Aussagen vor dem Gericht zurück oder bagatellisieren sie. Als exemplarisches Beispiel für die Anwendung von „Paralleljustiz“ wird eine Auseinandersetzung zwischen zwei Großfamilien in den Jahren 2014/2015 im Bereich Langenhangen angeführt. Ursprung dieses Streits dürfte ein von den jeweiligen Familien nicht geduldetes Verhältnis zwischen einem verheirateten Mann und einer 17-jährigen Frau gewesen sein. Bei den Auseinandersetzungen , die über mehrere Monate dauerten, sollen Schuss- und Hiebwaffen eingesetzt worden sein, wobei nur der Einsatz von Reizgas nachgewiesen werden konnte. An den Auseinandersetzungen sollen sich zeitweilig mehr als 20 Personen beteiligt haben. Zur Wiedergutmachung und Wiederherstellung der Ehre sei eine Zahlung von 30 000 Euro geplant gewesen, die aufgrund von erneuten Streitigkeiten zwischen den Familien vorerst nicht stattgefunden habe. Schließlich teilte ein Familienoberhaupt der Polizei mit, dass eine Einigung zwischen den Familien erzielt und eine größere Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5109 4 Summe gezahlt worden sei. Einen Betrag nannte er nicht. Weiter bat er darum, sämtlich Anzeigen beider Familien zurückzuziehen und gab an, dass es hierzu keine Aussagen mehr geben werde. Es wurde bekannt, dass beide Familien einen Vermittler eingeschaltet haben. In der Folge wurde weder bei der Polizei noch vor Gericht eine Aussage getätigt. Die eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Ein weiteres Beispiel belegt, wie im Jahr 2013 eine Großfamilie im Bereich Holzminden in massiver Art und Weise versucht hat, auf ein laufendes Strafverfahren Einfluss zu nehmen und eine Sanktionierung nach eigenen Maßstäben propagierte. Im Zuge der Ermittlungen zu einem Tötungsdelikt wurde bekannt, dass die Familie des Opfers vor Bekanntwerden der Tat bereits körperlich gegen die Familie des späteren Beschuldigten vorgegangen war. Die Familie des Beschuldigten hat daraufhin für mehrere Tage ihren Wohnort verlassen, um sich weiteren Gefährdungen zu entziehen. Die Familienangehörigen des Opfers beobachteten daraufhin die polizeilichen Maßnahmen nahezu lückenlos, so wurden beispielsweise Polizeifahrzeuge auf ihrem Weg zu unterschiedlichen Einsatzorten verfolgt. Es entstand dabei der Eindruck, als wolle die Familie den Beschuldigten finden, bevor die Polizei seiner habhaft wird. Darüber hinaus beeinträchtigten vehement vorgetragene Forderungen nach konkreten Ermittlungshandlungen und Suchaktionen die polizeiliche Ermittlungsarbeit. Teilweise konnten einzelne Ermittlungsschritte nur noch unter Hinzuziehung von zusätzlichen Kräften durchgeführt werden, die zum Schutz der ermittelnden Polizeibeamtinnen und Beamten zur Absperrung relevanter Örtlichkeiten eingesetzt werden mussten. Nach der Festnahme des Beschuldigten und dem Auftreten eines „Friedensschlichters“ hatte der Druck seitens der Angehörigen des Verstorbenen merklich nachgelassen, sie zeigten sich aber in der Folge - so auch nach der Verhandlung vor dem Landgericht Hildesheim - äußerst unzufrieden mit dem staatlichen Handeln. Insbesondere die jüngeren Familienmitglieder forderten, auch in den sozialen Netzwerken, Vergeltung für den Tod ihres Angehörigen. Es ist in diesem Fall der Polizei auch nur bedingt gelungen, auf diese Familienmitglieder mäßigend unter Zuhilfenahme von Autoritätspersonen einzuwirken. 2. Was hat die Landesregierung seit 2013 unternommen, um Zahlenmaterial zum Phänomen der „Paralleljustiz“ in Niedersachsen zu sammeln? Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. 3. Hat das Niedersächsische Justizministerium eine Arbeitsgruppe zum Phänomen „Paralleljustiz “ eingerichtet und zentrale Ansprechpartner für Richter und Staatsanwälte bei den Generalstaatsanwaltschaften benannt, so wie das bayerische Justizministerium dies im Jahr 2011 gemacht hat, wenn ja, wann, und, wenn nein, warum nicht? Nein, auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Bei den niedersächsischen Strafverfolgungsbehörden bestehen bereits bewährte Strukturen zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und der Clankriminalität . Die Einrichtung einer zentralen Stelle als Ansprechpartner erscheint im Hinblick auf die bereits bestehende Qualifizierung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und die hinreichende Sensibilisierung sowohl von Richterinnen und Richtern und Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der niedersächsischen Polizeibehörden zum derzeitigen Zeitpunkt nicht erforderlich. 4. Hat das Justizministerium eine Berichtspflicht für die Justizbehörden zu dem Phänomen der „Paralleljustiz“ eingeführt, wenn ja, wann und mit welchem Ergebnis und, wenn nein, warum nicht? Nein. Alle niedersächsischen Staatsanwaltschaften unterliegen der generellen Berichtspflicht in Straf- und Bußgeldsachen aufgrund der AV des MJ vom 23.10.2015 (4107 - 402.27). Danach ist dem Justizministerium in allen Strafsachen zu berichten, die in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht von außergewöhnlicher Bedeutung sind. Offensichtliche Fälle von sogenannter Paralleljustiz Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5109 5 mit Auswirkungen auf die Strafjustiz und die Gesellschaft fallen hierunter, von einer gesonderten Berichtspflicht ist daher abgesehen worden. 5. Duldet die Niedersächsische Landesregierung Formen von „Paralleljustiz“ in Niedersachsen ? Auf die Vorbemerkung wird verwiesen. Die Landesregierung duldet keine Paralleljustiz, die außerhalb unserer Rechtsordnung stattfindet und dem Wertesystem des Grundgesetzes widerspricht. Derartige Entwicklungen haben für den Rechtsstaat kurz-, mittel- und langfristig nachteilige Folgen im Zusammenhang mit der Ausübung und Anerkennung des verfassungsrechtlich festgelegten staatlichen Gewaltmonopols. Demgegenüber ist die Landesregierung daran interessiert, eine von Konfliktparteien getragene rechtskonforme Streitschlichtung herbeizuführen, die sich gegebenenfalls auch strafmildernd auswirken kann. Darüber hinaus kann sich eine gezielte Zuhilfenahme dieser Personen auch konstruktiv auf eine polizeiliche Intervention auswirken und nachhaltig zur Beruhigung eines Konfliktes beitragen . 6. Was hat die Landesregierung seit 2013 konkret unternommen und welche Maßnahmen plant sie für die Zukunft, um Formen von „Paralleljustiz“ in Niedersachsen zu verhindern bzw. - soweit es Fälle gibt - einzudämmen? Auf die Vorbemerkung wird zunächst verwiesen. Die Polizeibehörden und die jeweils zuständige Staatsanwaltschaft stehen in einem engen Informationsaustausch , um Strukturen der Paralleljustiz zu erkennen und zu beeinflussen. Um der Entstehung von Paralleljustiz nachhaltig entgegenzuwirken, hat sich erwiesen, dass insbesondere Maßnahmen wie schnelles, konsequentes und niedrigschwelliges Einschreiten bei der Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, lückenlose Dokumentation des objektiven und subjektiven Tatgeschehens, Sicherung der Beweismittel wie u. a. unverzügliche richterliche Vernehmung von wichtigen Zeugen, Prüfung der Einleitung von Zeugenschutzmaßnahmen bzw. zeugenschutzähnlichen Maßnahmen zu ihrer Verhinderung beitragen können. Einige Polizeibehörden haben mit einer Rahmenkonzeption auf das Phänomen der Clankriminalität reagiert. In diesen Konzeptionen wird neben repressiven und präventiven Aspekten in der Bekämpfung der Clankriminalität auch das Phänomen der Paralleljustiz behandelt. Darüber hinaus setzt Niedersachsen seit Jahren bei der OK-Bekämpfung einen Schwerpunkt im Bereich der Clankriminalität. Seit 2013 werden durch das Landeskriminalamt Niedersachsen regelmäßig Lagebilder erstellt, in denen auch Fälle von Paralleljustiz dargestellt werden. In Fortbildungsveranstaltungen und Fachtagungen werden die Justiz- und Polizeibehörden auch für dieses Phänomen sensibilisiert, sodass dem Phänomen in adäquater Weise begegnet werden kann. Darüber hinaus verfolgt die Landesregierung auch den Ansatz, möglichen Ursachen für die Entstehung von Paralleljustiz durch Bildung und Aufklärung entgegenzuwirken. Der Arbeitsbereich des Landespräventionsrates zum Bereich „Prävention von extremistischem Salafismus “ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie Leben“ zielt darauf ab, durch Informations - und Wissensvermittlung sowie Beratung und Unterstützung von Personen, Institutionen und Kommunen vor Gefahren einer salafistischen Radikalisierung zu warnen und Alternativangebote zu entwickeln. Der Arbeitsbereich trägt zur Vernetzung von unterschiedlichen Akteuren der Zivilgesellschaft und der staatlichen Institutionen auf den Ebenen von Kommunen, dem Land Niedersachsen und dem Bund bei. Zentraler Arbeitsansatz ist die Stärkung von Potenzialen und Ressourcen, um unter Anerkennung von Vielfalt und Verschiedenheit rechtsstaatskonforme Konfliktlösungsstrategien zu fördern . Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5109 6 Darüber hinaus unterstützt der Landespräventionsrat im Bereich der Kriminalprävention die kommunalen Präventionsgremien durch fachliche Beratung zu inhaltlichen und strukturellen Fragen, zu Gründung und laufendem Geschäft bis hin zu gezielter Beratung bei der Konzeption von Projekten, wobei auch die kommunalen Präventionsgremien wertvolle Aufklärungs- und Bildungsarbeit zur Verhinderung von „Paralleljustiz“ leisten. Im Schulbereich stellt der Bildungsauftrag der Schule nach § 2 Abs. 1 Satz 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes sicher, dass die Schule die Wertvorstellungen vermittelt, die dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Niedersächsischen Verfassung entsprechen. Neben der reinen Kenntnis- und Wissensvermittlung werden den Schülerinnen und Schülern an Schulen in Niedersachsen das Verständnis für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik , Achtung, Toleranz und der Respekt vor anderen Kulturen sowie eine grundlegende Verantwortung gegenüber der Gesellschaft vermittelt. Auf dieser Grundlage ermöglichen die Schulen die freie Entfaltung der Persönlichkeit jedes Einzelnen und versuchen im Rahmen ihrer Möglichkeiten , Chancenungleichheiten entgegenzuwirken sowie Benachteiligungen auszugleichen. Zudem werden die originären Beteiligungsrechte der Eltern bei der schulischen Erziehung ihrer Kinder anerkannt und in das schulische Handeln im Rahmen des pädagogischen Auftrages mit einbezogen . Die im Bildungsauftrag geforderte Vermittlung der Werte, die dem Grundgesetz und der Niedersächsischen Verfassung zugrunde liegen, erfolgt in Schulen insbesondere in den Fächern Politik, Politik/Wirtschaft und Gesellschaftslehre. So finden sich in dem zum 01.08.2013 in Kraft getretenen Kerncurriculum des Faches Politik für die Oberschulen unter dem Themenfeld „Zusammenleben in der demokratischen Gesellschaft“ unter dem Stichpunkt Orientierungswissen folgende Hinweise: „Normative Grundlagen: Grundwerte, Normen, Gesetze, Grundrechte/Menschenrechte und demokratieadäquate Verhaltensweisen; Konflikte: Einzelinteressen, Fremdinteressen, Selbst- und Fremdbestimmung, Konfliktregulierung“. Im Kerncurriculum des Fachs Politik/Wirtschaft, das zum 01.08.2015 in Kraft getreten ist, wird Folgendes ausgeführt: „Mit dem politischen Fachkonzept ‚Demokratie‘ erschließen die Schülerinnen und Schüler das Demokratiemodell des Grundgesetzes und die Bedeutung der Verfassungsprinzipien. Gefährdungen der Demokratie durch politischen Extremismus sollten hier als Problemstellungen zum Ausgangspunkt der unterrichtlichen Realisierung gemacht werden.“ Ein Unterricht, in dem das in der Bundesrepublik Deutschland existierende Demokratieverständnis Inhalt ist, sowie ein Schulleben und eine Schulkultur, in der dieses Verständnis gelebt wird, sind eine gute Voraussetzung, um Paralleljustiz, ihre Strukturen, Absichten und Wirkungen zu analysieren , zu hinterfragen und gegebenenfalls infrage zu stellen. (Ausgegeben am 10.02.2016) Drucksache 17/5109 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4893 Was weiß die Landesregierung über „Paralleljustiz“ in Niedersachsen? Anfrage der Abgeordneten Mechthild Ross-Luttmann (CDU) Antwort des Niedersächsischen Justizministeriums