Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/5323 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4943 - Können bauleitplanungsrechtliche Konflikte zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und Wohnbebauungen besser vermieden werden? Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Dr. Stefan Birkner (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 18.12.2015, an die Staatskanzlei übersandt am 13.01.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 29.02.2016, gezeichnet Cornelia Rundt Vorbemerkung der Abgeordneten Sowohl bei der Verdichtung dörflicher Strukturen durch die Errichtung von Wohngebäuden in Baulücken als auch bei der Ausweisung neuer Baugebiete im Außenbereich von Städten und Dörfern kommt es oft zu Konflikten mit landwirtschaftlichen Betrieben. Je näher die Wohnbebauung an vorhandene landwirtschaftliche Betriebe heranrückt, desto mehr müssen die Landwirte bei angedachten betrieblichen Erweiterungen beispielsweise schon im Genehmigungsverfahren nachweisen, dass die von ihrer Betriebsstätte ausgehenden Emissionen weitestgehend gemindert werden. Landwirte, die ihren Betrieb für nachfolgende Generationen in angemessener Form erhalten und wirtschaftlich absichern wollen, sind jedoch auf Planungssicherheit bezüglich eventueller Betriebserweiterungen angewiesen. In Halle (Samtgemeinde Uelsen, Landkreis Grafschaft Bentheim) hat die Gemeinde einen Bebauungsplan verabschiedet, der vorsieht, dass eine Neubausiedlung in einem MD-Gebiet in ein- und zweigeschossiger Bauweise bis auf 80 m an die Hofstelle eines Vollerwerbsbetriebes heranrückt. Im Landkreis Grafschaft Bentheim sind zwei Gemeinden, Emlichheim und Wietmarschen, bemüht, zwischen den Wünschen einer nachrückenden Wohnbebauung und den Interessen eines weiterzuentwickelnden landwirtschaftlichen Betriebes einen Konsens herbeizuführen. Das „Wietmarscher Modell“ benennt den Abstand zwischen Wohnsiedlungen und landwirtschaftlichen Betrieben mit 250 m. Zu Wohnhäusern im Außenbereich sind 100 m Abstand einzuhalten. Vorbemerkung der Landesregierung Die Durchführung von Bauleitplanverfahren (Aufstellung und Änderung des Flächennutzungsplans und von Bebauungsplänen) gehört zu den Kernaufgaben der gemeindlichen Selbstverwaltung. Bei der Bereitstellung neuer Flächen für die Wohnbebauung stellt sich für die Gemeinden insbesondere in dörflichen Ortslagen mitunter das Problem von Immissionen aus vorhandenen landwirtschaftlichen Betrieben in den Ortslagen oder im benachbarten Außenbereich. Besondere Bedeutung haben Betriebe mit Tierhaltung vor allem aufgrund der von ihnen ausgehenden Geruchsemissionen. 1. Wie bewertet die Landesregierung das Problem bauleitplanungsrechtlicher Konflikte beim Heranrücken von Wohnbebauungen an landwirtschaftliche Betriebe in Niedersachsen ? Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5323 2 2. Welche Inhalte welcher Gesetze, Verordnungen, Erlasse und sonstigen Vorschriften sind bei der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen bezüglich der Abstandsregelungen zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und Wohnbebauungen zu berücksichtigen? 3. Trifft es zu, dass an landwirtschaftliche Betriebe heranrückende Wohnbebauungen so nah an die Höfe heranrücken dürfen, dass diesen jegliche zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten genommen werden? 4. Inwieweit muss beim Heranrücken von Wohnbebauungen an landwirtschaftliche Betriebe ein Abstand eingehalten werden, der eine weitere Entwicklung der Höfe zulässt? Die Fragen 1 bis 4 werden wegen ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Immissionskonflikte sind im Rahmen der Bauleitplanung durchaus häufig anzutreffen. Bei der Aufstellung der Bauleitpläne für eine Wohnnutzung im ländlichen Raum haben die Gemeinden den Bestand und gegebenenfalls konkrete Planungen für Tierhaltungsanlagen im Umfeld des Plangebiets sowie die Belange der Landwirtschaft zu berücksichtigen. Diese Belange sind zusammen mit den konkurrierenden Belangen - insbesondere die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnund Arbeitsverhältnisse und umweltbezogene Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit - in die Abwägung nach § 1 Abs. 7 des Baugesetzbuchs (BauGB) einzustellen. Das Ziel, für die betreffenden Betriebe eine Standortsicherung und für die Wohnbevölkerung einen möglichst umfassenden Immissionsschutz zu gewährleisten, ist in dörflichen Ortslagen oft nur unter Beachtung des allgemein geltenden Gebots der gegenseitigen Rücksichtnahme zu erreichen. Es wird nicht immer möglich sein, allen von der Planung betroffenen Belangen vollständig gerecht zu werden. Die Gemeinde kann sich im Rahmen des ihr zustehenden planerischen Ermessensspielraums für die Bevorzugung eines Belanges und damit notwendigerweise für die Zurückstellung anderer Belange entscheiden. Ob und inwieweit noch vorhandene Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt bzw. nur noch nach entsprechenden technischen Maßnahmen der Emissionsminderung ausgeschöpft werden können, ist eine Frage der sachgerechten Abwägung im Einzelfall. Zur Einschätzung der Immissionssituation dient die Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL), die als Verwaltungsvorschrift ein Verfahren zur Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen darstellt und per Gem. Rd.Erl. des MU, MS, ML und MW vom 23.07.2009 in Niedersachsen gilt. Sie soll vorrangig den einheitlichen Vollzug bei der Erteilung von Genehmigungen nach § 4 des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) sowie bei der Überwachung nach § 52 BImSchG sicherstellen . In Bauleitplanverfahren dienen die Feststellungen nach der GIRL als Abwägungsmaterial. Mit ihren Mess- und Bewertungsverfahren kann die zukünftige Geruchsimmissionsbelastung der geplanten Wohnbebauung prognostiziert und dadurch bewertbar gemacht werden. Die Ergebnisse haben gutachterlichen Charakter. Mit dem Baugesetzbuch, der Baunutzungsverordnung und den immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen steht den Gemeinden ein bewährtes Instrumentarium zur Verfügung, um auch solche konfliktträchtigen Planungssituationen zu bewältigen. 5. Inwieweit müssen von Bürgern vorgebrachte Stellungnahmen und in Auftrag gegebene Gutachten im Rahmen der Bauleitplanung einer Gemeinde berücksichtigt werden? Im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung vorgebrachte Stellungnahmen einschließlich gegebenenfalls in Auftrag gegebener Gutachten sind von der planaufstellenden Gemeinde - sofern sie im Rahmen des Beteiligungsverfahrens fristgerecht abgegeben wurden - zu bewerten und mit dem ihnen zustehenden Gewicht in die Abwägung einzustellen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5323 3 6. Gibt es Institutionen, die die von den Gemeinden neu aufgestellten oder geänderten Flächennutzungs- und Bebauungspläne kontrollieren und auf Rechtmäßigkeit prüfen, wenn ja, welche sind diese? Der Flächennutzungsplan, einschließlich dessen Änderungen oder Ergänzungen, bedarf gemäß § 6 BauGB der Genehmigung durch die höhere Verwaltungsbehörde. Zuständig sind die Ämter für regionale Landesentwicklung, die Landkreise und die Region Hannover. Bebauungspläne sind nur in wenigen Einzelfällen gemäß § 10 BauGB genehmigungspflichtig, insbesondere wenn kein wirksamer Flächennutzungsplan vorliegt. Im Genehmigungsverfahren wird die Planung auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft. Eine gerichtliche Rechtskontrolle von Bebauungsplänen ist im Normenkontrollverfahren durch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht möglich. 7. Handelt es sich nach Auffassung der Landesregierung bei dem Vorgehen in Halle, einen Bebauungsplan aufzustellen, der bis auf 80 m an die Hofstelle eines Vollerwerbsbetriebes heranreicht, um eine vertretbare sowie rechtlich einwandfreie Planung zum Schutz der Interessen des Landwirtes und der späteren Bewohner der Neubausiedlung ? Bauleitpläne werden durch die Gemeinden in Ausübung der kommunalen Planungshoheit im eigenen Wirkungskreis aufgestellt. Die Samtgemeinde Uelsen hatte in ihrem Flächennutzungsplan mit der 3. Änderung erstmals ein Dorfgebiet mit dem Ziel dargestellt, im Sinne einer Innenentwicklung in der Ortsmitte Halle zusätzliche Entwicklungsmöglichkeiten für eine dörfliche Nutzung zu schaffen . Die Änderung des Flächennutzungsplans wurde vom Landkreis Grafschaft Bentheim mit Verfügung vom 06.08.2015 genehmigt. Im Parallelverfahren stellte die Gemeinde Halle den Bebauungsplan Nr. 6 „Dorfmitte“ auf. Zur Beurteilung der Geruchsimmissionen holte die Gemeinde eine Immissionsprognose der Landwirtschaftskammer und ein Geruchsgutachten nach GIRL ein. Im Rahmen der Abwägung kam die Gemeinde zu dem Ergebnis, dass es durch die Ausweisung eines neuen, dörflich geprägten Wohnsiedlungsansatzes weder zu unzulässigen Geruchsimmissionen durch die Tierhaltung noch zu zusätzlichen Einschränkungen in der Entwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe in der Ortslage komme. Die Betriebe seien bereits schon zuvor aufgrund vorhandener Wohnsiedlungsbereiche in ihren Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt. Gegen den Bebauungsplan haben Anwohner inzwischen einen Normenkontrollantrag und einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 47 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellt. Die Verfahren sind vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht anhängig. Der Entscheidung des Gerichts kann nicht vorgegriffen werden. 8. Wie beurteilt die Landesregierung das „Wietmarscher Modell“? Die Gemeinde Wietmarschen verfolgt mit der Planung das Ziel, geeignete Standorte für die Entwicklung gewerblicher Tierhaltungsanlagen, für die aufgrund ihrer Größe eine Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. eine Vorprüfung zur Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, zu finden. Diese Betriebe sind seit einer Änderung des Baugesetzbuchs 2013 im Außenbereich nicht mehr privilegiert, d. h. sie können regelmäßig nur noch auf Grundlage eines von der Gemeinde aufgestellten Bebauungsplans zugelassen werden. Da Art und Größe der zukünftigen Betriebe noch nicht bekannt sind, werden keine Geruchsgutachten zugrunde gelegt, sondern das Modell geht von pauschalierten Abständen zu bestehenden und geplanten Wohngebieten sowie zu Einzelhäusern im Außenbereich aus. Aus Sicht des Landkreises Grafschaft Bentheim handelt es sich bei dem Steuerungsmodell der Gemeinde Wietmarschen um ein sachgerechtes und zielführendes Konzept zur Steuerung von gewerblichen Tierhaltungsanlagen. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung teilt diese Einschätzung. Das Modell ist nicht auf die Planung in der Gemeinde Halle übertragbar. Dort ging es nicht um die Suche nach geeigneten Flächen für Tierhaltungsanlagen, sondern um Flächen für eine weitere Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5323 4 Wohnbebauung. Dabei stehen regelmäßig andere städtebauliche Planungsgrundsätze im Vordergrund , wie die Fortentwicklung bestehender Ortsteile bzw. Ortskerne oder die sinnvolle Nutzung vorhandener Infrastruktur. 9. Ist nach Auffassung der Landesregierung gewährleistet, dass das derzeit geltende Recht bezüglich des Zusammenrückens von landwirtschaftlichen Betrieben und Wohnbebauungen sowohl die Interessen der Anwohner (z. B. Immissionsschutz) als auch die Interessen der Landwirte (z. B. gesicherte Erweiterungsmöglichkeiten der Betriebe) in ausreichendem Maße berücksichtigt? Siehe Antwort zu Frage 1. (Ausgegeben am 09.03.2016) Drucksache 17/5323 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/4943 Können bauleitplanungsrechtliche Konflikte zwischen landwirtschaftlichen Betrieben und Wohnbebauungen besser vermieden werden? Anfrage der Abgeordneten Hermann Grupe und Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung