Niedersächsischer Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/5454 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5219 - Vernachlässigt das Land die Anti-Islamismus-Prävention? Anfrage des Abgeordneten Dr. Stefan Birkner (FDP) an die Landesregierung, eingegangen am 16.02.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 23.02.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung namens der Landesregierung vom 22.03.2016, gezeichnet Cornelia Rundt Vorbemerkung des Abgeordneten Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 21.01.2016 gibt es nach Auffassung der Bundesregierung zu wenige Programme, mit denen Bund und Länder dem Problem der sogenannten Dschihadisierung junger Muslime angemessen begegnen. In sieben Bundesländern - u. a. auch in Niedersachsen - hätten potenzielle Träger von allgemeinen Programmen gegen Islamisierungstendenzen zudem keinen einzigen Antrag auf Förderung entsprechender Anti-Islamismus-Projekte gestellt. „Entweder diese Länder sind immer noch blind auf diesem Auge. Oder es fehlt weiter am Geld“, kommentierte die Bundestagsabgeordnete Dr. Brantner von Bündnis 90/Die Grünen gegenüber der SZ diese Umstände. Vorbemerkung der Landesregierung Der Salafismus ist die derzeit dynamischste islamistische Bewegung weltweit, was sich auch in Niedersachsen bemerkbar macht. Insbesondere die salafistischen Zentren im Umfeld größerer Städte verzeichnen Zulauf. Der stetige Anstieg des salafistischen Personenpotenzials in Niedersachsen spiegelt die internationale und deutschlandweite Gesamtentwicklung wider. Die Attraktivität der salafistischen Ideologie ist jedoch kein rein religiöses, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Ein entsprechender Radikalisierungsprozess kann schließlich im gewaltbereiten Dschihadismus enden. Für die Landesregierung haben daher die Prävention vor islamistischer bzw. salafistischer Radikalisierung und ebenso korrespondierende Präventions- bzw. Deradikalisierungsansätze einen besonders hohen Stellenwert. Diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist nur unter aktiver Mitwirkung der betroffenen staatlichen Stellen und der zivilgesellschaftlichen Verantwortungsträger zu bewältigen . Prävention und Repression sind dabei gleichberechtigte, sich einander bedingende Säulen in einem ganzheitlichen Bekämpfungsansatz. Insofern leisten u. a. die Sicherheitsbehörden, das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (MS), das Kultusministerium und das Justizministerium eine sehr wertvolle Präventionsarbeit. In dem Bericht der Süddeutschen Zeitung (veröffentlicht am 20.01.2016) wird Bezug genommen auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag, die bereits am 06.10.2014 1 durch die Bundesregierung beantwortet wurde. In der Antwort der Bundesregierung wird auf die zum damaligen Zeitpunkt bestehende Förderung einer „Beratungsstelle Radikalisierung “ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus dem Haushalt des Bundesministeriums für Inneres verwiesen. Aus diesen Mitteln wurden bundesweit fünf Beratungsstellen finanziell 1 Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck, Irene Mihalic, Monika Lazar, weiterer Abgeordneter der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 06.10.2014 - BT-Drs. 18/2725 Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5454 2 gefördert. Eine dieser Beratungsstellen war mit zwei Halbtagsstellen in Bremen angesiedelt und mit ihrem Beratungsangebot auch für die Salafismusprävention in Niedersachsen tätig. Zum damaligen Zeitpunkt befand sich die unter Federführung des MS eingerichtete Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistischer Radikalisierung „beRATen e. V.“ noch im Aufbau. Die Landesregierung hat bereits Maßnahmen ergriffen, um das Abgleiten insbesondere junger orientierungsloser Menschen in extremistische Szenen zu verhindern. Sie hat gleichzeitig Angebote geschaffen, um Menschen, die sich hiervon lossagen und den Weg zurück in die Gesellschaft finden möchten, sowie deren Familienangehörige, Freunde und Bekannte zu unterstützen. Der Zulauf zur salafistischen Szene soll durch einen präventiven interdisziplinären Ansatz weitgehend unterbrochen werden. Seit Anfang 2015 können Betroffene sowie insbesondere Familienangehörige, Freunde, und Bekannte aus dem privaten, schulischen und beruflichen Umfeld von Radikalisierung betroffener junger Menschen in der Beratungsstelle „beRATen e. V.“ Beratung und Unterstützung finden. Mit dem Beratungsangebot werden unter Berücksichtigung sozial-pädagogischer bzw. religions-psychologischer Aspekte Wege für die Abwendung von gewaltbezogener und extremistischer Ideologie und eine Reintegration in die Gesellschaft aufgezeigt. Das Angebot ist niedersachsenweit aufgestellt und durch aufsuchende Sozial- und Beratungsarbeit geprägt. In der Beratungsstelle sind drei Beratungskräfte in Vollzeit tätig. Das Beratungs- und Begleitungsangebot sowie die Struktur dieser Beratungsstelle haben sich bewährt. In der o. a. Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN wird zudem auf einzelne Projektförderungen aus dem Bundesprogramm „Toleranz fördern - Kompetenz stärken “ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Bezug genommen. Dieses Programm endete am 31.12.2014. Aus dem darauf folgenden Bundesprogramm „Demokratie Leben ! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ konnten auch niedersächsische Einrichtungen gefördert werden. Insofern sind die sowohl im Zeitungsbericht als auch in der Kleinen Anfrage verwendeten Daten nicht mehr aktuell und bilden nicht den aktuellen Zustand der Präventionsarbeit ab. 1. Welche Fördermöglichkeiten zur Durchführung von Anti-Islamismus-Projekten bestehen für potenzielle niedersächsische Träger? Im Rahmen des Bundeprogramms „Demokratie Leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) werden in der Laufzeit von 2015 bis 2016 auch in Niedersachsen „Modellprojekte zu ausgewählten Phänomenen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und zur Demokratiestärkung im ländlichen Raum“, sogenannte Partnerschaften für Demokratie sowie das „Niedersächsische Landesdemokratiezentrum“, welches beim Landespräventionsrat Niedersachsen angesiedelt ist, finanziell gefördert. Das Demokratiezentrum konnte in 2015 zusätzliche, durch das Bundesprogramm bereitgestellte Mittel zur Initiierung, Förderung und Durchführung von Maßnahmen gegen gewaltorientierten Islamismus bzw. Salafismus akquirieren. Zur Durchführung dieses Aufgabenfelds wurde im Oktober 2015 ein Islamwissenschaftler eingestellt. Das Demokratiezentrum selbst kann in diesem Kontext in geringem finanziellem Umfang Kleinprojekte von zivilgesellschaftlichen Trägern und Kommunen zur Prävention von gewaltorientiertem Islamismus fördern. Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten einer EU-weiten bzw. nationalen Projektförderung. Für den Sektor der polizeilichen Sicherheitsforschung sind, ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, insbesondere folgende Förderlinien zu nennen: – 8. Forschungsrahmenprogramm der EU „Horizon 2020“ mit der Teilaufgabe „Gesellschaftliche Herausforderung“. In der Untergruppe „Sichere Gesellschaften“ werden im Themenfeld „Fight against crime and terrorism“ jährlich thematisch variierende Calls veröffentlicht. – „Forschung für die zivile Sicherheit“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, und zwar u. a. mit dem Call „Zivile Sicherheit - Aspekte und Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung “, Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5454 3 – „Internal Security Fund“ (ISF) der Europäischen Kommission - Generaldirektion Migration und Inneres. In der Untergruppe ISF-Police werden sowohl auf zentraler Ebene als auch auf dezentraler /nationaler Ebene in unregelmäßigen Abständen Calls im Themenfeld Extremismusprävention /Deradikalisierung veröffentlicht (z. B. Zentraler ISF-Police: Call 2015: „Law Enforcement Training - Prevention of radicalisation“ oder Dezentraler ISF-Police: Call 2015: „Extremismusprävention und Deradikalisierung/Besserer Schutz der Bürger vor politisch motivierter Kriminalität “). Hinsichtlich eines Beratungsangebotes wird auf die unter Federführung des MS in Niedersachsen eingerichtete Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistischer Radikalisierung verwiesen. Die Trägerschaft dieser Beratungsstelle wurde dem „Verein für jugend- und familienpädagogische Beratung Niedersachen - beRATen e. V.“ übertragen. Die Beratungsstelle wird vollständig durch das MS finanziert. Die Beratungsstelle sowie deren Weiterentwicklung werden wissenschaftlich durch das Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück begleitet. Ergänzend wird hierzu auf die Beantwortung der Mündlichen Anfrage Nr. 2 „beRATen“ in Niedersachsen - Wie verläuft der Start der Präventionsstelle gegen neo-salafistische Radikalisierung? vom 07.10.2015 der Abgeordneten Marco Brunotte, Dr. Christos Pantazis, Uwe Schwarz, Dr. Thela Wernstedt, Holger Ansmann, Immacolata Glosemeyer (SPD) und Julia Wille Hamburg und Belit Onay (Grüne) hingewiesen (Drs. 17/4430). 2. Welche niedersächsischen Institutionen sind geeignete potentielle Träger entsprechender Projekte? Im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie Leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ kommen je nach Förderungsmodell (Modellprojekte, Partnerschaften für Demokratie) sowohl zivilgesellschaftliche Träger u. a. mit nachgewiesener fachlicher Kompetenz (bei Modellprojekten) als auch kommunale Gebietskörperschaften (als Erstempfänger) und nichtstaatliche Organisationen (als Letztempfänger) u. a. mit nachgewiesener fachlicher Kompetenz infrage . Weiteres regeln die jeweiligen Förderleitlinien des Bundesprogramms zu den entsprechenden Förderungsmodellen (einzusehen unter www.demokratie-leben.de). Für den Bereich der weiteren EU-weiten und nationalen Projekte sind in Abhängigkeit von der jeweiligen Ausschreibung Behörden und Einrichtungen des Landes, Kommunale Behörden und Einrichtungen , internationale Organisationen, freie Träger und Vereine, Nicht-Regierungsorganisationen sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen geeignete potenzielle Träger. 3. Ist es zutreffend, dass von niedersächsischen potenziellen Trägern keine entsprechenden Anträge gestellt wurden? Wenn ja, warum nicht? Das ist nicht zutreffend. In Niedersachsen haben derzeit insgesamt 17 „Partnerschaften für Demokratie“ nach erfolgreicher Antragstellung im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie Leben!“ Fördermittel in einer Höhe von jährlich jeweils bis zu 80 000 Euro für die Laufzeit 2015 bis 2019 eingeworben. Ziel der Förderung ist es, kommunale Gebietskörperschaften (Städte, Landkreise und kommunale Zusammenschlüsse ) dabei zu unterstützen „Partnerschaften für Demokratie“ als strukturell angelegte lokale bzw. regionale Bündnisse aufzubauen. In diesen „Partnerschaften für Demokratie“ kommen die Verantwortlichen aus der kommunalen Politik und Verwaltung sowie Aktive aus der Zivilgesellschaft - aus Vereinen und Verbänden über Kirchen bis hin zu bürgerschaftlich Engagierten - zusammen. Anhand der lokalen Gegebenheiten und Problemlagen entwickeln sie gemeinsam eine auf die konkrete Situation vor Ort abgestimmte Strategie zur Förderung von Demokratie und Vielfalt. Dabei können die „Partnerschaften für Demokratie“ verschiedene Themenfelder in den Fokus nehmen, u. a. auch präventive Maßnahmen gegen gewaltorientierten Islamismus. Die Partnerschaften für Demokratie werden hierbei inhaltlich wie organisatorisch u. a. vom Niedersächsischen Demokratiezentrum beim Landespräventionsrat Niedersachsen unterstützt. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5454 4 Dem Landespolizeipräsidium bekanntwerdende Projektausschreibungen werden regelmäßig an die Behörden der Landespolizei, an die Polizeiakademie Niedersachsen und auch den Niedersächsischen Verfassungsschutz übermittelt. Das LKA Niedersachsen hat aktuell als Konsortialpartner einen Projektantrag im Call „Zivile Sicherheit - Aspekte und Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung “ zum Thema (De-)Radikalisierung gestellt. 4. Was plant die Landesregierung zu tun, damit zukünftig derartige Anträge öfter gestellt werden? Derzeit besteht für weitere niedersächsische Gebietskörperschaften die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Interessenbekundungsverfahrens bis zum 31.03.2016 um zusätzliche Mittel des Bundesprogramms „Demokratie Leben!“ für neue „Partnerschaften für Demokratie“ zu bemühen. Zivilgesellschaftliche Träger können bis zum 30.03.2016 weitere Mittel für neue Modellprojekte beantragen . Das Demokratiezentrum informiert die Niedersächsischen Gebietskörperschaften und die zivilgesellschaftlichen Träger proaktiv über diese Möglichkeiten und steht beratend für den Prozess der Interessensbekundung als Ansprechpartner zur Verfügung. 5. Beabsichtigt die Landesregierung, dem „Landesprogramm gegen Rechtsextremismus“ entsprechend ein „Landesprogramm gegen islamistischen Extremismus“ aufzulegen? Im Rahmen einer etablierten ressortübergreifenden Netzwerkarbeit werden zwischen den Ministerien die jeweiligen Präventions- und Interventionsansätze in dem sehr dynamischen Themenfeld Salafismus/Islamismus abgestimmt und weiterentwickelt. In Abstimmung befinden sich zudem Maßnahmen zur Unterstützung der (Re-)Integration von Rückkehrerinnen und Rückkehrern. Darüber hinaus besteht seitens der Ministerien eine enge Einbindung in Arbeitsgruppen im Bund- Länderverbund. (Ausgegeben am 31.03.2016) Drucksache 17/5454 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5219 Vernachlässigt das Land die Anti-Islamismus-Prävention? Anfrage des Abgeordneten Dr. Stefan Birkner (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung