Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/5616 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5373 - Wie beurteilt die Landesregierung den Marktwirtschaftsstatus der Volksrepublik China? Anfrage des Abgeordneten Jörg Hillmer (CDU) an die Landesregierung, eingegangen am 09.03.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 14.03.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung vom 15.04.2016, gezeichnet Olaf Lies Vorbemerkung des Abgeordneten In diesen Tagen wird viel über die mögliche Anerkennung des Marktwirtschaftsstatus für die Volksrepublik China gesprochen. Im Ergebnis steht im Dezember 2016 die Entscheidung dieser Frage an. Danach wären Antidumpingmaßnahmen deutlich schwieriger realisierbar. Unter Bezugnahme auf die Urteile des Niedersächsischen Staatsgerichtshofs vom 29.01.2016, Az. StGH 1, 2 und 3/15, Rn. 46, und vom 22.08.2012, Az. StGH 1/12, Rn. 54-56, weise ich darauf hin, dass ich ein hohes Interesse an einer vollständigen Beantwortung meiner Fragen habe, die das Wissen und den Kenntnis-/Informationsstand der Ministerien, der ihnen nachgeordneten Landesbehörden und, soweit die Einzelfrage dazu Anlass gibt, der Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung aus Akten und nicht aktenförmigen Quellen vollständig wiedergibt. Vorbemerkung der Landesregierung Im Jahr 2001 trat die Volksrepublik China der Welthandelsorganisation (WTO) bei, deren System auf marktwirtschaftlichen Grundsätzen beruht. Der Beitritt Chinas war mit einem umfassenden und komplexen Protokoll verbunden, das für China eine kontinuierliche Verpflichtung beinhaltet, eine Reihe von Maßnahmen zu treffen, um den WTO-Übereinkommen nachzukommen. Die Bestimmungen des WTO-Beitrittsprotokolls Chinas gaben den WTO-Mitgliedern, u. a. der EU, das Recht, bei der Ermittlung von Subventionen und Dumping eine Methodik anzuwenden, die nicht auf einem strengen Vergleich mit Inlandspreisen oder -kosten in China basiert, d. h. eine nichtmarktwirtschaftliche Methode. Diese Bestimmung in Abschnitt 15 Unterabsatz (a) (ii) des WTO-Beitrittsprotokolls Chinas wird nach 15 Jahren, am 11. Dezember 2016 außer Kraft treten. Ob die WTO-Mitgliedstaaten und somit auch die EU rechtlich gebunden sind, China danach den Marktwirtschaftsstatus zuzuerkennen, ist derzeit umstritten. Während China darauf verweist, dass gemäß den Beitrittsdokumenten zur WTO eine automatische Zuerkennung des Marktwirtschaftsstatus vorgesehen sei, kann nach Ansicht zahlreicher anderer WTO-Mitglieder der betreffende Text unterschiedlich ausgelegt werden. Für die EU spielt die Entscheidung, ob China in 2016 der Marktwirtschaftsstatus zuerkannt werden muss, eine wichtige Rolle bei Untersuchungen im Zusammenhang mit Antidumpingverfahren. Dumping liegt vor, wenn der Ausfuhrpreis einer Ware in die Gemeinschaft niedriger ist als ihr Normalwert . Als Normalwert gilt grundsätzlich der im normalen Handelsverkehr erzielte Inlandspreis im Ausfuhrland (Marktpreis). Bei Einfuhren aus Ländern ohne Marktwirtschaft gelten jedoch besondere Regeln. Hier kann der Normalwert auf der Grundlage eines Vergleichslandes berechnet werden (sogenannte Vergleichslandmethode). Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5616 2 Die EU könnte sich nach dem 11. Dezember 2016 für eine Interpretationsmöglichkeit von Abschnitt 15 des WTO-Beitrittsprotokolls Chinas entscheiden. Sie könnte aber auch eine mögliche WTO-Entscheidung abwarten, bevor sie eine Änderung der derzeitigen Antidumping-Grundverordnung (Verordnung [EG] des Rates Nr. 1225/2009) vorschlägt. 1. Handelt es sich nach Auffassung der Landesregierung bei der Volksrepublik China um eine Marktwirtschaft nach hiesigem Verständnis, und sollte sie im Rahmen des WTO- Prozesses als Marktwirtschaft anerkannt werden? Bei der Frage, ob die EU China den Status einer Marktwirtschaft zuerkennen sollte, handelt es sich um eine außenhandelsrechtliche Entscheidung, die unmittelbaren Einfluss auf die Berechnung der Dumping-Zölle in Antidumpingverfahren hat. Die Antidumpingpolitik ist gemäß Artikel 207 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ein Instrument der Gemeinsamen Handelspolitik. Die Kompetenz für die Entscheidung der Zuerkennung des Marktwirtschaftsstatus an China liegt ausschließlich bei der EU, da die gemeinsame Handelspolitik in die alleinige Zuständigkeit der EU fällt. Bislang kann die Europäische Kommission auf Grundlage der Antidumping-Grundverordnung der EU (s. Artikel 2 Abs. 7 c der Verordnung [EG] des Rates Nr. 1225/2009) bereits einzelnen chinesischen Unternehmen auf Antrag eine Marktwirtschaftsbehandlung gewähren, wenn sie bewiesen haben, dass sie die fünf dort genannten, technischen Kriterien erfüllen. Ansonsten wird bei Ländern ohne Marktwirtschaft ein alternatives Berechnungsverfahren angewandt, das oft die Erhebung höherer Anti-Dumping-Zölle auf chinesische Importe durch Anwendung der „Vergleichslandmethode“ ermöglicht. Die Landesregierung vertritt bei der aktuellen Diskussion über die Zuerkennung des Marktwirtschaftsstatus an China gegenüber der Bundesregierung sowie der EU-Kommission die Auffassung, dass die Zuerkennung des Marktwirtschaftsstatus von der Erfüllung der Kriterien abhängig gemacht werden sollte, die die EU selbst als Voraussetzung hierfür definiert hat (s. beispielsweise den Fortschrittsbericht der Kommission zum Marktwirtschaftsstatus der Volksrepublik China SEC/2008/2503 sowie den Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament COM/2015/0043). Dabei soll die EU-Kommission alle Beteiligten frühzeitig in den Entscheidungsprozess über einen möglichen Marktwirtschaftsstatus Chinas einbeziehen und auch die Abstimmung mit anderen Industriestaaten in der WTO suchen. 2. Wie möchte die Landesregierung die niedersächsische Stahlindustrie vor Billigimporten aus China schützen (bitte konkrete Maßnahmen benennen)? Die Kompetenz, die EU-Industrien (und damit auch die Stahlindustrie) durch handelspolitische Schutzmaßnahmen vor unfairem Wettbewerb durch Dumping zu schützen, liegt, wie bereits dargelegt , bei der EU. Daher versucht die Landesregierung durch eine Vielzahl von Aktivitäten auf allen ihr möglichen Ebenen Einfluss zu nehmen, damit die EU ihre gesamten Möglichkeiten nutzt, die europäische Stahlindustrie vor Billigimporten aus China zu schützen. Herr Ministerpräsident Weil und Herr Minister Lies stehen in engem Kontakt zu Vertretern der Stahlindustrie, Gewerkschaft und Politik und werden den Dialog auch weiterhin intensiv fortführen. Zunächst wurde nach zahlreichen Gesprächen zu dem Thema im letzten Halbjahr u. a. mit der Stahlindustrie am 8. Februar 2016 ein Niedersächsischer Stahlgipfel durchgeführt. Auf dieser Veranstaltung wurde eine gemeinsame Erklärung der Wirtschaftsvereinigung Stahl, der IG Metall und des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr unterzeichnet, mit der sich die Unterzeichnenden für eine starke und wettbewerbsfähige Stahlindustrie in Niedersachsen einsetzen . An dem Stahldialog hat auch der Europaabgeordnete Bernd Lange teilgenommen, sodass die Positionen unmittelbar an die europäische Ebene herangetragen werden konnten. Am 12. Februar 2016 haben sich die Wirtschaftsministerien der Länder Brandenburg, Niedersachsen , Nordrhein-Westfalen und Saarland sowie die Wirtschaftsvereinigung Stahl mit einem gemein- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5616 3 samen Brief an Frau Elżbieta Bieńkowska, EU-Kommissarin für den Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU, gewandt. Das Schreiben wurde nachrichtlich auch an Herrn Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlamentes, Herrn Miguel Arias Cañete, EU-Kommissar für Klimapolitik und Energie, sowie an Herrn Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft , übermittelt. In dem Schreiben setzen sich die Unterzeichnenden u. a. dafür ein, dass in Anbetracht der in den nächsten Monaten in Brüssel anstehenden Beratungen zum EU-Emissionshandel die im internationalen Wettbewerb stehenden Stahlunternehmen in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und im Saarland nicht unverhältnismäßig belastet werden, um auch weiter auf dem umkämpften Stahlmarkt bestehen und investieren zu können. Frau Kommissarin Bieńkowska wurde gebeten, in dem kommenden Trilog mit dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament Lösungsansätze zu unterstützen, die wettbewerbs- und klimaschutzpolitisch sinnvoll sind, gleichzeitig aber auch den berechtigten Interessen der Unternehmen und Beschäftigten der heimischen Stahlindustrie angemessen Rechnung tragen. In seiner Sitzung am 7. März 2016 hat das Landeskabinett einen Antrag auf eine Bundesratsinitiative „Faire Rahmenbedingungen für die heimische Stahlindustrie schaffen“ beschlossen. Dem Antrag (BR-Drs. 132/16) haben sich weitere Länder angeschlossen. Am 18. März 2016 wurde der Entschließungsantrag in den Bundesrat eingebracht. Danach bittet der Bundesrat die Bundesregierung , sich bei der EU-Kommission für den Erhalt einer starken Stahlindustrie einzusetzen. Insbesondere wird die Bundesregierung gebeten, – sich für eine konsequente und transparente Nutzung der handelspolitischen Schutzinstrumente und deren beschleunigte Anwendung durch die Behörden einzusetzen, – sich dafür einzusetzen, dass die Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft von der Erfüllung derjenigen Kriterien, die die EU selbst als Voraussetzung hierfür definiert hat, abhängig gemacht wird, – sich dafür einzusetzen, dass die EU-Kommission alle Beteiligten frühzeitig in ihren Entscheidungsprozess über einen möglichen Marktwirtschaftsstatus Chinas einbezieht und die Abstimmung mit anderen Industriestaaten in der WTO sucht. Ein Beschluss erfolgt voraussichtlich in der Plenarsitzung des Bundesrates am 22. April 2016. Am 7. April 2016 hat Herr Ministerpräsident Weil an einem „Aktionstag Stahl“ der IG Metall in Salzgitter teilgenommen. Am 25. April 2016 beabsichtigt Herr Ministerpräsident Weil ein Gespräch mit EU-Kommissarin Cecilia Malmström (Handel) auf der Hannover-Messe zu führen. Ende Mai 2016 sind Gespräche des Niedersächsischen Wirtschaftsministers Lies mit Vertretern der EU-Kommission in Brüssel geplant. 3. Welche Erkenntnisse oder Lösungsansätze haben diesbezüglich die Reisen von Herrn Ministerpräsidenten Weil und Frau Staatssekretärin Behrens nach China ergeben? Herr Ministerpräsident Stephan Weil hat die VR China zuletzt vom 9. bis 15. November 2014 in Begleitung einer rund 60-köpfigen Delegation besucht. Stationen waren Shanghai, Hefei und Peking. Frau Staatssekretärin Behrens hat keine Reise in die VR China unternommen. Herr Minister Lies hat im April und Juni 2014 sowie im September 2015 in Begleitung von Wirtschaftsdelegationen die VR China besucht. Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Frage 4 verwiesen. 4. War der Marktwirtschaftsstatus der Volksrepublik China Thema von Gesprächen im Rahmen der vorgenannten Reisen? Der Fokus der politischen Gespräche von Herrn Ministerpräsident Weil lag auf der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit, insbesondere der Vorbereitung der Informationstechnikmesse CeBIT Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5616 4 2015, deren Partnerland China war. Weitere wirtschaftspolitische Kernthemen waren die Automobilwirtschaft , die Energiepolitik sowie Häfen und Schifffahrt. Dazu hat der Ministerpräsident u. a. bei der China Shipping Container Lines (CSCL) und der COSCO Container Lines für die Vorzüge des JadeWeserPorts geworben. In einem Gespräch mit Vizeminister Yao stand das Thema Korruptionsbekämpfung im Mittelpunkt. Der Schutz der niedersächsischen Stahlindustrie vor Billigimporten sowie der Marktwirtschaftsstatus der VR China waren zum damaligen Zeitpunkt noch nicht im Fokus der politischen Debatte und deshalb keine Bestandteile der politischen Gespräche. Die Reisen von Herrn Minister Lies im April und Juni 2014 in die VR China waren fachspezifische Reisen mit Bezug auf Logistik und maritime Wirtschaft. Während dieser Reisen fanden ausschließlich fachbezogene Gespräche mit Wirtschaftsvertretern sowie ein Messebesuch statt. Politische Gespräche wurden nicht geführt. Thematische Schwerpunkte der Reise von Herrn Minister Lies im September 2015 waren aufgrund der Zusammensetzung der Delegation Automotiv, Messewirtschaft sowie maritime Wirtschaft. Vertreter der niedersächsischen Stahlindustrie haben keine der vorgenannten Reisen begleitet. Geplante politische Gespräche mit dem Transport- und Industrieministerium in Peking kamen nicht zustande, weil Termine aufgrund kurzfristig im dortigen Ministerium eingeleiteter Antikorruptionsermittlungen abgesagt bzw. nicht bestätigt wurden. Weitere Gelegenheiten , um das Thema Marktwirtschaftsstatus insbesondere auf der zuständigen nationalen politischen Ebene anzusprechen, ergaben sich während der Reisen nicht. 5. Welche Gesprächspartner haben sich dazu wie eingelassen? Siehe Antwort zu Frage 4. 6. Welche Aktivitäten plant die Landesregierung darüber hinaus in Bezug auf den Schutz niedersächsischer Wirtschaftsinteressen im Handel mit der Volksrepublik China? Derzeit sind keine über die in der Antwort zu Frage 2 bereits genannten hinausgehenden Aktivitäten geplant. (Ausgegeben am 26.04.2016) Drucksache 17/5616 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5373 Wie beurteilt die Landesregierung den Marktwirtschaftsstatus der Volksrepublik China? Anfrage des Abgeordneten Jörg Hillmer (CDU) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr