Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/5696 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5472 - Handynutzung am Lenkrad: Wie steht die Landesregierung zur rechtlichen Würdigung des „Chefjustiziars“ des niedersächsischen Verkehrsministers? Anfrage der Abgeordneten Christian Grascha und Gabriela König (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 30.03.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 06.04.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr namens der Landesregierung vom 02.05.2016, gezeichnet Olaf Lies Vorbemerkung der Abgeordneten In zahlreichen Medien wurde über eine juristische Auseinandersetzung am Amtsgericht Hannover zur „Benutzung“ eines Handys in einem Fahrzeug berichtet. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Anzahl der Handyverstöße stetig zunimmt, die Ablenkung durch die Handynutzung zur einer der Hauptunfallursachen zählt und die Plakatkampagne „Tippen tötet“ verlängert werden soll, erscheint die Rechtsauffassung des Leiters des Justiziariats des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr „Recht muss Recht bleiben“ (HAZ, 23.03.2016) interessant. Sachlich ging es um die Nutzung eines Handys am Steuer eines Pkw. Die Rechtslage erscheint vor dem Hintergrund des § 23 Abs. 1 a StVO für juristische Laien eindeutig. Sinngemäß ist die Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons einem Fahrzeugführer - dies umfasst auch Radfahrerinnen und Radfahrer - untersagt. Die Benutzung schließt das Aufnehmen und Halten mit ein. Die bisherige Rechtsprechung legt den Begriff „Benutzung“ weit aus. Bisher gilt das Verbot für sämtliche Bedienfunktionen des Handys, sofern es hierzu in der Hand gehalten wird. Demnach fällt unter den Begriff „Benutzung“ nicht nur das Telefonieren, sondern auch die Vor- und Nachbereitung eines Telefonats, aber auch das Ablesen des Displays, die Nutzung als Diktiergerät und das Hören von Musik. Auch der Versand von Kurznachrichten fällt unter das Verbot der „Benutzung“. Die bloße Aufnahme des Handys, um es von „A“ nach „B“ im Fahrzeug zu legen, scheint nicht unter das Verbot der „Benutzung“ zu fallen. Gemäß der Berichterstattung der HAZ vom 23.03.2016 hat der „Chefjustiziars“ von Verkehrsminister Lies den Einspruch zu einem Bußgeldbescheid zum Sachverhalt der Handynutzung durch eine Fahrzeugführerin selbst verfasst und mit seiner „beruflichen Visitenkarte garniert“ (HAZ, 23.03.2016). Bei der Verhandlung am Amtsgericht sei der „Chefjustiziar“ als Bevollmächtigter aufgetreten und habe sich in die Verhandlung eingeschaltet. Er habe seine Rechtauffassung in der Art erklärt, dass die Inaugenscheinnahme des Displays zum Ablesen einer Kurznachricht der Bedienung eines Autoradios gleichkomme und somit keine Ordnungswidrigkeit darstelle. Anschließend habe eine „smoothe Entscheidung“ (HAZ, 23.03.2016) herbeigeführt werden und auf die Eintragung in das Fahreignungsregister beim KBA in Flensburg verzichtet werden sollen. Dies habe der Vorsitzende Richter abgelehnt. Der „Chefjustiziar“ von Verkehrsminister Lies habe anschließend erklärt: „Wir sind mit Sicherheit noch nicht fertig“, „Recht muss Recht bleiben“ und dass es eine Rechtsbeschwerde geben werde. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5696 2 1. Wie ist die Handynutzung in der StVO genau geregelt? § 23 Abs. 1 a der Straßenverkehrsordnung (StVO) hat folgenden Wortlaut: „Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss. Dies gilt nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist.“ Das „Führen eines Fahrzeugs“ umfasst dabei sämtliche Fahrzeuge, d. h. auch z. B. Fahrräder. 2. Was ist laut StVO und der einschlägigen Rechtsprechung zur Handynutzung durch Fahrzeugführer zulässig und was unzulässig? Die Vorschrift des § 23 Abs. 1 a StVO soll gewährleisten, dass der Fahrzeugführer während der Benutzung des Mobil- oder Autotelefons beide Hände zur Bewältigung seiner eigentlichen Fahraufgabe frei hat (amtliche Begründung). Die Frage der Benutzung eines Mobiltelefons beurteilt sich daher allein danach, ob das Mobiltelefon in der Hand gehalten wird oder nicht (OLG Hamm NJW 2006, 2870; NZV 2005, 548). Für eine zulässige Benutzung reicht es bei Kraftfahrzeugen nicht, dass das Fahrzeug steht, es muss auch der Motor ausgeschaltet sein. Der Begriff „Benutzung“ im Sinne des Absatzes 1 a wird von der Rechtsprechung weit ausgelegt. Sie bedeutet nicht nur das eigentliche Gespräch, sondern umfasst daneben sämtliche Bedienfunktionen des Telefons wie z. B. Wählen, Verschicken von SMS (Kurznachrichten) oder das Abhören der Mailbox (amtliche Begründung). Unter Benutzung im Sinn des Absatzes 1 a ist somit jegliche Nutzung zu verstehen, ob als Telefon, als Organizer (OLG Karlsruhe NJW 07, 240), zum Diktieren (OLG Jena NJW 06, 3734). oder auch als Internetzugang (OLG Hamm NZV 03, 98), als Navigationsgerät (OLG Köln, Beschl. V. 26.06.2008 - 81 Ss Owi 49/08 = NJW-Spezial 08, 586; OLG Hamm III- 5 RBs 11/13 = BeckRS 2013, 04297). Eine Verbindung muss nicht hergestellt werden (OLG Hamm NZV 07, 483). Ebenso ist auch schon das „Wegdrücken“ eine Benutzung (OLG Hamm BeckRS 2008, 8267; OLG Köln, III-1 RBs 39/12 BeckRS 2013, 04297). Die Versuche, ein Handy durch Hin- und Herschieben der Telefonkarte funktionsfähig zu machen, sind „Nutzung“ (Ha BeckRS 2007, 03 184), ebenso das Ablesen der Uhrzeit (OLG Hamm NJW 2005, 2469) oder das Auslesen einer gespeicherten Telefonnummer (OLG Hamm NJW 2006, 2870). Das Halten des Handys ans Ohr lässt den eindeutigen Schluss zu, dass auch telefoniert worden ist (OLG Hamm NZV 2007, 483). Keine Benutzung liegt vor, wenn das Gerät ausgeschaltet ist (OLG Köln, NJW 2005, 3366). Nach OLG Köln (NZV 2005, 547) ist nicht jedes In-die-Hand-Nehmen Nutzung; daher nach OLG Düsseldorf (NZV 2007, 95) auch nicht das bloße Aufheben. Für Fahrradfahrer und für Kraftfahrzeugführer beinhaltet Absatz 1 a Satz 2 eine Einschränkung. Danach gilt das Verbot für Radfahrer nicht, wenn das Fahrzeug steht. Bei Kraftfahrzeugen muss zusätzlich der Motor ausgeschaltet sein. Die Benutzung des Handys bei längerem Stillstand des Fahrzeugs wie z. B. im Stau oder bei (längerem) Halt vor einer geschlossenen Bahnschranke im Wege des Aufnehmens oder Haltens des Telefons ist damit (weiter) erlaubt; nicht dagegen bei einer verkehrsbedingten Fahrtunterbrechung von nur kürzerer Dauer wie dem Warten vor einer roten Ampel oder dem Stop-and-go-Verkehr, wenn der Fahrzeugführer dann den Motor nicht abschaltet, da er von einer zügigen Weiterfahrt ausgeht. Ebenfalls zulässig ist die Benutzung des Mobiltelefons über eine Freisprecheinrichtung. 3. Gibt es Interpretationsspielräume oder rechtliche Grauzonen bei der Handynutzung durch Fahrzeugführer bei Fahrzeugen in Fahrt oder im Stillstand mit laufendem Motor? Ja es gibt Interpretationsspielräume. Es gibt keine Grauzonen, da dies durch die Rechtsprechung eindeutig entschieden ist. Hierzu wird auch auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5696 3 4. Wenn ja: Welche, und wird die Landesregierung im Bundesrat initiativ, um diese Grauzonen auszuräumen? Da sich die Rechtsprechung bei der Auslegung des Begriffs „Benutzung“ am Willen des Gesetzgebers orientiert, wird kein Handlungsbedarf diesbezüglich gesehen. 5. Wie steht die Landesregierung zur rechtlichen Würdigung des Chefjustiziars des Verkehrsministers vor dem Amtsgericht? Die Landesregierung sieht keine Veranlassung, die privat geäußerte Meinung eines Mitarbeiters zu kommentieren und weist darauf hin, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesverwaltung innerhalb des vom Beamten- und Arbeitsrechts geprägten Rahmens außerhalb des dienstlichen Aufgabenbereiches selbstverständlich die Äußerung eigener Meinungen und Rechtsaufassungen zusteht. 6. Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass ein bloßes In-die-Hand-Nehmen eines Handys zum Ablesen einer Kurznachricht einer Benutzung eines Autoradios gleichzusetzen ist? Die Landesregierung sieht keine Veranlassung, die private Rechtsauffassung eines Mitarbeiters der Landesverwaltung zum Gegenstand von fachlichen Diskussionen zu machen. 7. Für den Fall einer möglichen künftigen Gleichbehandlung bei der Bedienung von Autoradios , Navigationsgeräten, Diktiergeräten und Handys während des Führens eines Fahrzeuges: Wird in Zukunft die Benutzung des Autoradios, des Navigationsgerätes oder eines Diktiergerätes durch Fahrzeugführer verboten, oder wird die teilweise oder gänzliche Nutzung von Handys freigegeben? Der Deutsche Verkehrsgerichtstag (VGT) hat sich in seiner Sitzung vom 28. bis 30. Januar 2015 in Goslar ebenfalls mit der Thematik der Ablenkung durch mobile Geräte beim Führen von Fahrzeugen beschäftigt. Dazu hat der VGT u. a. folgende Empfehlung aufgestellt: „§ 23 StVO ist im Hinblick auf die technische Entwicklung nicht mehr zeitgemäß. Das betrifft insbesondere die Begriffe ‚Mobil- oder Autotelefon‘ und den ausgeschalteten Motor sowie die Beschränkung auf Aufnehmen oder Halten des Hörers. Der Arbeitskreis fordert den Verordnungsgeber zu einer Neufassung der Vorschrift auf. Diese sollte an die visuelle, manuelle, akustische und mentale Ablenkung von der Fahraufgabe anknüpfen. Die Geldbuße sollte eine gestaffelte Erhöhung bei Gefährdung sowie bei Schädigung vorsehen. Bei der Neufassung ist auf eine bessere Nachweisbarkeit in der Praxis Rücksicht zu nehmen.“ Ob und gegebenenfalls welche Konsequenzen der Bund als zuständiger Verordnungsgeber aus der Forderung des VGT zieht, ist derzeit noch nicht absehbar. 8. Wird sich die Landesregierung künftig für eine flexiblere Rechtsprechung im Sinne einer „smoothen Entscheidung“ bei der Handynutzung durch Fahrzeugführer einsetzen? Nein, es wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen. 9. Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Aussagen zur Verwendung dienstlicher Ausstattung (u. a. Visitenkarten) im Rahmen der Beschwerdeführung: Wurde im Rahmen der Beschwerdeführung dienstlich zur Verfügung gestellte Ausstattung genutzt? Wenn ja: Welche und ist/war dies zulässig? Ja. Die dienstliche Visitenkarte wurde unzulässigerweise genutzt. Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5696 4 10. Wenn ja: Geschah dies mit Wissen des Ministeriums, und wurde dies dienstlich veranlasst ? Nein. 11. Vor dem Hintergrund der Ausführungen des „Chefjustiziars“ vor dem Amtsgericht in Richtung Richterbank „Ich möchte Sie nicht belehren, aber ich bin Professor des Rechts“ (NP, 23.03.2016) und einer stetigen technischen Weiterentwicklung von Handys und der Fahrzeugkommunikation: Wird sich die Landesregierung für eine Novellierung des § 23 StVO einsetzen? Es wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen. 12. Wenn ja: Wird die juristische Expertise des „Chefjustiziars“ von Verkehrsminister Lies hierbei Berücksichtigung finden? Entfällt, es wird auf die Antwort zu Frage 11 verwiesen. 13. Wann ist gegebenenfalls mit einem Vorstoß der Landesregierung zur Novellierung des § 23 StVO zu rechnen? Es wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen. 14. Hält die Landesregierung die aktuellen Rechtsfolgen bei der verbotswidrigen Benutzung von Handys durch Fahrzeugführer für ausreichend? Ja. Der Bundesgesetzgeber hat im Rahmen eines intensiven Abwägungsprozesses unter Einbeziehung der fachlichen Auffassung zentraler Akteure der Verkehrssicherheit und Verkehrspolitik die Entscheidung zur Sanktionierung des genannten Verhaltens getroffen. 15. Wenn nicht: Welche Rechtsfolgen sollte künftig die verbotswidrige Benutzung eines Handys durch die Führerin/den Führer eines Kraftfahrzeuges und durch die Führerin /den Führer eines Fahrrades haben? Entfällt, es wird auf die Antwort zu Frage 14 verwiesen. (Ausgegeben am 10.05.2016) Drucksache 17/5696 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5472 - Handynutzung am Lenkrad: Wie steht die Landesregierung zur rechtlichen Würdigung des „Chefjustiziars“ des niedersächsischen Verkehrsministers? Anfrage der Abgeordneten Christian Grascha und Gabriela König (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr