Niedersächsischer Landtag − 17. Wahlperiode Drucksache 17/5853 1 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5650 - BKA-Urteil - Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf? Anfrage der Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen und Christian Grascha (FDP) an die Landesregierung , eingegangen am 25.04.2016, an die Staatskanzlei übersandt am 04.05.2016 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport namens der Landesregierung vom 27.05.2016, gezeichnet In Vertretung Stephan Manke Vorbemerkung der Abgeordneten Am 20. April 2016 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden (Az. 1 BvR 966/09 und 1 BvR 1140/09), dass das „BKA-Gesetz“ in Teilen nachgebessert werden muss. Das Handelsblatt berichtet dazu: „Die Richter bemängelten, so Gerichtsvizepräsident Ferdinand Kirchhof, die Ausgestaltung der im Gesetz festgeschriebenen Überwachungsbefugnisse. Hier seien die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend berücksichtigt worden.“ Die Süddeutsche Zeitung merkt dazu in einem Artikel vom 20. April 2016 an: „Die Bedeutung dieses ungewöhnlich ausführlichen und ungewöhnlich detaillierten Urteils geht weit, sehr weit über dieses Gesetz hinaus. Es handelt sich um ein Leiturteil zur inneren Sicherheit, es handelt sich um ein Grundsatzurteil, das alle Formen und Mittel staatlicher Überwachung betrifft.“ Vorbemerkung der Landesregierung Das BVerfG hat am 20.04.2016 eine grundlegende Entscheidung zu den Rechtsgrundlagen zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt (BKA) getroffen. Das Gericht hat entschieden, dass die Ermächtigung des Bundeskriminalamts zum Einsatz dieser Befugnisse im Grundsatz mit den Grundrechten vereinbar ist, die derzeitige Ausgestaltung der Maßnahmen aber in verschiedener Hinsicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht genügt. So hat das Gericht zwei Vorschriften des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG) für nichtig erklärt. Demgegenüber wurden weitere Rechtsgrundlagen für mit der Verfassung unvereinbar erklärt, aber eine Fortgeltung bis zum Ablauf des 30. Juni 2018 ermöglicht. Die Entscheidung ist grundlegend, da sie - unter Zusammenführung einer langen Rechtsprechung - zu allen Stadien einer verdeckten Überwachungsmaßnahme, von den Voraussetzungen der Datenerhebung über die weitere Verwendung der Daten bis hin zur Datenübermittlung, erstmals auch an ausländische Behörden, umfassende Anforderungen aufstellt. Diese Anforderungen sind nicht nur im BKAG zu beachten, sondern gelten gleichermaßen auch für die Gefahrenabwehrgesetze und Verfassungsschutzgesetze der Länder. Die vom BVerfG für nichtig erklärten Vorschriften des BKAG haben keine Entsprechung im Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) und sind auch im Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über die Abwehr von Gefahren (NGefAG) nicht vorgesehen . Im Rahmen der Novellierung des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes soll die Möglichkeit der Wohnraumüberwachung in Gänze abgeschafft werden. Auch ein Absehen von der Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5853 2 Löschung nach Zweckerfüllung von Daten sieht die Novelle nicht vor, sodass insgesamt hieraus kein Handlungsbedarf aus Sicht der Landesregierung besteht. Nach einer ersten Durchsicht und Auswertung der umfassenden Entscheidung des BVerfG, die unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidung vom 20.04.2016 durchgeführt wurde, zeichnet sich trotzdem ein Änderungsbedarf für das Nds. SOG bzw. den Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes über die Abwehr von Gefahren (NGefAG) ab. Mit dessen Umsetzung ist umgehend begonnen worden. Auch wurde kurz nach dem Urteil ein erstes Gespräch mit der Behörde der Landesbeauftragten für den Datenschutz geführt. Die durch das Urteil notwendigen Anpassungen wurden gleichzeitig mit der Einarbeitung des wesentlichen Ergebnisses der am 13.05.2016 abgeschlossenen Verbandsbeteiligung, die ohnehin zu Änderungen am Gesetzentwurf führt, eingefügt. So kann der ursprüngliche Zeitplan eingehalten werden. Der konkrete Änderungsbedarf der entsprechend betroffenen Rechtsvorschriften ergibt sich bei diesen weiteren Umsetzungsarbeiten. Bei den parlamentarischen Beratungen zum Entwurf des Gesetzes zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes im Land Niedersachsen (Drs. 17/2161) standen alle Gesetzesnormen des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) auf dem Prüfstand der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Die Normen des Verfassungsschutzgesetzes wurden an diese Rechtsprechung angepasst. Dies hat insbesondere im Rahmen der Befugnisse zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel zu einer Erhöhung der Eingriffsschwellen und den Verfahrensabsicherungen hierzu geführt. Der Kreis der potenziell betroffenen Personen wurde eingeschränkt und hier insbesondere die eingrenzende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Kontaktund Begleitpersonen berücksichtigt. Kontrollmöglichkeiten sowohl auf parlamentarischer als auch auf behördeninterner Ebene wurden ausgebaut - u. a. durch die gesteigerte Einbindung der G10-Kommission, verstärkte Unterrichtungspflichten gegenüber dem Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes sowie die verfahrensabsichernde behördeninterne Beteiligung einer oder eines Bediensteten mit der Befähigung zum Richteramt. Der Kernbereichsschutz der betroffenen Personen wurde an prominenter Stelle verankert und in diesem Bereich ebenfalls die behördeninterne Kontrolle durch eine oder einen Bediensteten mit der Befähigung zum Richteramt gestärkt . Der Zweckbindungsgrundsatz wurde in allen Schritten der Datenerhebung und -verarbeitung konsequent umgesetzt. Insofern ergibt sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKAG kein grundlegender Änderungsbedarf bei der Gesetzesnovelle zum NVerfSchG. 1. Sieht die Landesregierung aufgrund des Urteils Handlungsbedarf in Hinblick auf die Novellierung des Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes (NGefAG)? Wenn ja, welchen? Aufgrund der Entscheidung sind alle verdeckten Überwachungsmaßnahmen, die nach §§ 33 a bis 37 Nds. SOG mit besonderen Mitteln oder Methoden durchgeführt werden, einer Überprüfung zu unterziehen. Der konkrete Änderungsbedarf wird sich erst bei den aktuell durchgeführten weiteren Arbeiten am Gesetzentwurf ergeben (vgl. Vorbemerkung). Derzeit wird Prüf- und Änderungsbedarf insbesondere bei den Kernbereichsregelungen gesehen. Dort könnte eine Ausweitung auf bestimmte Maßnahmen sowie eine Ergänzung der Regelungen zur Dokumentation der Löschung dieser Daten sowie zur Aufbewahrung der Löschprotokolle erforderlich sein. Für bestimmte Maßnahmen wird eine frühzeitigere Beteiligung einer unabhängigen Stelle eingeführt werden müssen. Die uneingeschränkte Nutzung von Daten, die mit besonderen Mitteln und Methoden erhoben wurden, zur Strafverfolgung (§ 39 Abs. 6 Nds. SOG) wird voraussichtlich einer Einschränkung bedürfen. Für die Löschung von Daten aus verdeckten Überwachungsmaßnahmen werden Protokollierungspflichten mit einer verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechenden Aufbewahrungsfrist vorzusehen sein. Betroffen ist auch die Übermittlung dieser Daten an ausländische öffentliche Stellen (§ 43 a NGefAG-E), deren Rechtsgrundlage einer konkreteren Ausgestaltung bedarf. Zusätzlich werden gesetzliche Vorgaben zu turnusmäßigen Pflichtkontrollen durch die Landesbeauftragte für den Datenschutz und umfassende Protokollierungspflichten, die eine sachliche Prü- Niedersächsischer Landtag – 17. Wahlperiode Drucksache 17/5853 3 fung der Überwachungsmaßnahmen von der Datenerhebung bis zur Datenübermittlung ermöglichen , eingeführt werden müssen. 2. Sieht die Landesregierung im Zuge des Urteils Änderungsbedarf speziell beim § 35 a NGefAG (Datenerhebung durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel in Wohnungen )? Es zeichnet sich ab, dass die Vorschrift klarer strukturiert und ergänzt werden muss. Dies betrifft insbesondere die Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung (§ 35 a Abs. 3 Nds. SOG), die weitere Nutzung der Daten, die Übermittlung von Daten aus einer optischen Wohnraumüberwachung an die Strafverfolgungsbehörden (§ 43 Nds. SOG) und die Datenübermittlung an andere öffentliche Stellen, an ausländische öffentliche Stellen sowie an über- und zwischenstaatliche Stellen (§ 43 Nds. SOG, § 43 a NGefAG-E). 3. Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf im Zuge des Urteils bei der Novellierung des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes? Wenn ja, welchen? Die Landesregierung sieht in Teilbereichen noch grundsätzlichen Handlungsbedarf. Die entsprechenden Fragestellungen sind in die aktuellen Beratungen zur Novellierung des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes eingeflossen. (Ausgegeben am 06.06.2016) Drucksache 17/5853 Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung - Drucksache 17/5650 BKA-Urteil - Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf? Anfrage der Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen und Christian Grascha (FDP) Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport